Karl Marx‎ > ‎1846‎ > ‎

Karl Ludwig Bernays 18460121 Brief an Karl Marx, Friedrich Engels und Moses Hess

Karl Ludwig Bernays: Brief an Karl Marx, Friedrich Engels und Moses Hess

in Brüssel

Sarcelles, 21. Januar 1846

[Nach Marx Engels Gesamtausgabe (MEGA). Dritte Abteilung. Briefwechsel, Band 1. Berlin 1975, S. 498 f.]

Meine teuren Freunde

Eben bekomme ich von Leske und andern Buchhändlern Nachricht. Sie ist so, dass ich Euer Anerbieten mein Buch drucken zu lassen annehme. Leske hat nur die 6 ersten Bogen im Drucke geschickt. Sie sind so schlecht gedruckt, so voll von sinnentstellenden Druckfehlern, das Papier ist so katzengrau, das Format so elend, dass ich mich glücklich schätze, mein Buch nicht so in die Welt schicken zu müssen. Ich sehe daher auch die ersten sechs Bogen nochmals durch, und werde sie so enge auf Postpapier zusammen schreiben, dass Euch das Porto nicht hoch soll zu stehen kommen. Dann aber bitte ich auch Euer Möglichstes zu tun. Solltet Ihr etwas daraus in eine Sammlung aufnehmen so kann ich natürlich der Redaktion dieser Sammlung nicht wehren zu kürzen usw. Lasst Ihr aber mein Buch drucken, so werdet Ihr mir die Liebe tun, und nichts daran ändern ohne mir vorher darüber geschrieben zu haben. – Von heute ab in 4 Wochen sollt Ihr nach und nach das ganze Manuskript in Händen haben, falls Ihr mir nicht darüber neue Ordres gebt.

Auf dringende Bitte Herweghs besuchte ich ihn vorgestern. Ihr könnt Euch nicht denken, wie er, wie Bakunin, wie alle Menschen die ehemals zu uns hielten, zerfallen sind. Doch ich will für heute bloß von Herwegh reden. Er hat die Aushängebogen meines Buches mit herzlicher Freude, wie er sagte, gelesen, und doch ist er mit mir, mit Euch, mit allen Menschen zerfallen, die an dem, was er die heutige germanische Bewegung nennt, nicht Teil nehmen. Das wahre Leben Deutschlands sieht er im Deutschkatholizismus und in der liberalen Bewegung. Darum gäbe er alle seine Habe darum, wenn er einen Fuß in Deutschland hätte, wenn er im kleinsten preußischen Dorfe wohnen könnte! Wie unendlich leid ist's mir um Herwegh, denn ich liebe ihn von Herzen! Er kann an keiner präzisen Richtung mehr Teil haben; seine naturwissenschaftlichen Studien, statt ihm eine festere Basis zu geben, haben sein Wesen in eine vaszillierende und rotierende Bewegung gebracht, welche keinen sicheren Ausgangspunkt mehr zulässt. Seine Gedanken kreuzen sich, keine Hoffnung passt zur andern, ein Wunsch macht den andern unmöglich; er verlangt die Tat und wenn ich ihm sage, „nun soll ich hinein schießen", so meint er ich sei für was besseres, und wenn ich ihm das Bessere als Handlung vorhalte, wenn ich ihm sage, ich bekämpfe durch meine Schriften einen wirklichen Feind, so schüttelt er die Mähnen, und schlägt mit den Händen aus und meint eben doch wir müssten Tscheche werden, oder doch wenigstens deutsch-katholische Kirche halten. Das Alles meinte er gestern. Sehe ich ihn in Monaten wieder, so meint er wieder etwas anders – was auch wieder nichts ist. Herwegh ist in einer schrecklichen Täuschung befangen: er will nur Bewegung, und hält daher alle Bewegung für einen Schritt zum Besseren. Dann hat er von dem Russen, den ich hasse wie das Unglück, die Exploitationssucht geerbt. Wenn er für sich aus irgend welchem Buche etwas brauchen kann, dann ist es gut, sonst ist es schlecht! Ich fürchte wenn der Tag kommt, an dem es gut, unsere Leute zu zählen, so finden wir Herwegh nicht dabei; ich fürchte wir finden ihn dann nirgends, auch nicht unter unsern Feinden, und das ist noch schlimmer für ihn, – sondern allein, seinen Kopf in Amerika, seine Beine in Preußen, seine Hände hinter einem Stammtisch, und sein Herz in der Masse von Huldigungsepisteln steckend, die ihm heute aus allen Weltgegenden von allem was sich Dichter schilt zukommen. Vage Redensarten, große Worte, und ein unmotivierter kolossaler Enthusiasmus für Dinge, denen ich ehrlich gerade nur die Aufmerksamkeit der Missachtung schenkte – bilden das was er eine große Weltanschauung nennt. Früher, da ich noch den Glauben an die großen Männer hatte, konnte mich dieses Gefusel täuschen, heute aber bin ich total enttäuscht zurückgekommen. Der Russe, der Russe, so fürcht ich, hat einen vortrefflichen Menschen vernichten helfen.

Doch hindert das Alles Herwegh nicht z.B. Ruges und Grüns Bücher für wahre Sauerei zu halten; leider hält er aber auch bessere Sachen dafür. So war ich wirklich gekränkt, als er Ihre Arbeiten, mein lieber Hess in den Rh. Jahrbüchern für Rechenexempel, für blasse Manipulationen ausgab u.s.w.

Und nun lasst mich für heute schließen. Werdet mir nie fremd, meine teuren Freunde; denkt für welch ein Glück ich es ansehe, dass drei oder vier Menschen an einem Orte wohnen, denen ich nicht distinkt zu schreiben brauche, die ich in meinem Vertrauen, in meiner Liebe nicht unterschei[de] wären nur unserer statt drei, dreißig, oder gar dreihundert, Fallmerayer hat recht: es sind der wahren Revolutionäre gar wenig in Europa.

Ist einer von Euch reich, oder wisst Ihr besser als ich Geld in die Hand zu bekommen, so schickt mir als Vorschuss ein hundert oder hundert und fünfzig Franken, könnt Ihrs nicht, so weiß ich dass es an Eurem Willen nicht fehlt.

Ich erwarte recht bald Antwort, die Freuden sind für mich so rar, und ein Brief von Euch macht mir einen Freudentag.

Ich grüße Euch und Eure Weiber herzlich

und bleibe

Euer treuer

LFC Bernays

Denkt Euch, welches Unglück! eben da ich diesen Brief ende, schreibt mir Herwegh seine Frau habe in der Nacht eine fausse couche gemacht. Es ist schon das zweite Mal.

addr. Mr Bernays a Sarcelle[s] (Seine et Oise

ancienne maison de Mr. Dargis.

Monsieur

Monsieur M. Hess.

3 Rue de L'alliance fbg St. Josse ten. Noode.

Bruxelles

Kommentare