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Karl Ludwig Bernays 18460223 Brief an Karl Marx

Karl Ludwig Bernays: Brief an Karl Marx

in Brüssel

Sarcelles, 23. Februar 1846

[Nach Marx Engels Gesamtausgabe (MEGA). Dritte Abteilung. Briefwechsel, Band 1. Berlin 1975, S. 504 f.]

Sarcelles (Seine et Oise) ce 23 fevrier

Lieber Marx

Du wirst jetzt mein Manuskript in Händen haben. Bedenke dass es in einer Zeit abgefasst ist, die ich mit vollster Wahrheit mein Märtyrertum nennen darf, und Du wirst eine Menge von Inkohärenzen und Schroffheiten entschuldigen. Dem Publikum kann ich stolz gegenübertreten; gegen meine Freunde ziemt mir Bescheidenheit und Aufrichtigkeit.

Die Darstellung der Kriminalistik ist eigentlich nur ein Teil aus der Martyrologie der gesamten Menschheit, aber ohne Zweifel das gehässigste. Herrschsucht und Genusssucht sind die Exzesse ohne Zweifel menschlicher Leidenschaften; die Leiden welche aus ihnen auf dem Gefühlswege, durch unüberlegte Gewaltäußerung, durch den Instinkt der Individuen entstehen, so hart sie auch drücken, verschwinden gegen die Qualen welche der Verstand auflegt, welche das Raffinement erzeugt: und unter diesen sind die scheußlichsten, die Strafen. Der Fabrikarbeiter leidet; doch fühlt er hie und da, ich hoffe es wenigstens für ihn, dass er nicht geschändet ist; der Verurteilte, wenn er auch genährt und gekleidet ist, lebt doch materiell genommen ebenso schlecht als jener und hat dabei noch das empörende Gefühl, dass er kraft des ausgesprochenen Willens der Gesellschaft verächtlich und verachtet ist. Glaube nur die Armen Züchtlinge unterscheiden im Durchschnitt nicht die Klassen der Gesellschaft: ihre Wut gut in der Regel nicht der herrschenden Klasse allein, sondern indistinkte allen Freien; sie hassen sogar die Prevenus, weil diese noch Hoffnung haben frei zu werden. Das begreife ich und mein Gefühl billigt es auch: das Glück zu erhaschen gut es, drum sind die Glücklichen oder die dafür gehaltenen die Feinde der Unglücklichen; sie tragen eine Beute die man ihnen abjagen muss. Da noch unterscheiden mögen die Dogmatiker, für die Unglücklichen sind die Differenzen gelöst. Ich bin nicht sehr fern von der Zeit, da ich einen vorüber fahrenden Kutscher um sein heiteres Gesicht, und die im Wagen sitzende Dame um ihr behagliches Leben beneidete; an eine Wahl zwischen beider Existenz dachte ich wahrhaftig nicht. An den Urteilen und Strafen ist direkt die herrschende Klasse allein schuld, an der Schuld des Rechtes, an dem Glauben daran trägt die unterjochte Klasse mit; nur die jedes mal Gestraften sind frei davon, so lange sie dulden; ihr Hass, so fühle ich, wiegt ihre Mitschuld auf. Dem Hass dieser Armen wollte ich Worte geben. Manchmal ist es mir gewiss gelungen ihre Seufzer in Worte zu fassen – ebenso häufig mag es mir misslungen sein: wo ist der Mensch in dessen Brust Alles Elend gleich mächtig gefühlt würde?

Für heute genug: Ich schreibe diese Zeilen am Bette einer Wöchnerin die ich jetzt seit 10 Tagen keine Minute verlassen habe. Ist mein Buch auch außer anderem Werte, etwa Geld wert, und können Sie über etwas dispotieren, so schicken Sie mir es Vorschussweise. Ich bin bedürftig, sehr bedürftig. Kannst Du diese Bitte erfüllen, so schick mir Geld durch Wechsel, und ja nicht bar, es würde dann so gar lang unter Weges sein.

Weitlings Buch habe ich bestellt. Ich freue mich sehr darauf. Auch die Follen-Rugesche Broschüre habe ich gelesen.

Ich bin zu müde, ich kann nicht weiter schreiben... Ich weine, von meinen Tränen gelten auch Dir und Deiner Frau – denn ich habe Euch so gern gehabt. Grüße die Andern. Gute Nacht!

Bernays

Monsieur Monsieur Hess

3 Rue de l'Alliance

fbg St-Josse-ten-Noode

a

Bruxelles.

Für Herrn Doktor Karl Marx.

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