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Roland Daniels 18460307 Brief an Karl Marx

Roland Daniels: Brief an Karl Marx

in Brüssel

Köln, 7. März 1846

[Nach Marx Engels Gesamtausgabe (MEGA). Dritte Abteilung. Briefwechsel, Band 1. Berlin 1975, S. 513-515]

Lieber Marx!

Erst jetzt erhalte ich einen Weg, ohne Gefahr von Brieferbrechern Dir diesen zukommen zu lassen. Dies der Grund meiner Zögerung. Wir haben herzlich gelacht, der Bourgeois nämlich und ich, über die naturgetreue Schilderung Deiner beiden Unter- und im andern Sinne Hintersassen. Recht lebhaft können wir uns eure Verhältnisse vorstellen, und ich fühle ganz das Unangenehme was darin für Dich und namentlich Deine Frau dadurch herbeigeführt wird. Gut, dass der komischen Situationen dabei so viele sind. „Der lange Kerl", der ami des proletaires, dazu der hinkende H der diesen Umgang aus Imitation oder besser des Prinzips wegen zu suchen scheint – dann die unzähmbare Proletarierin und die langweilige „Frau" H. – wir haben acht Tage drüber zu lachen gehabt. Der ami des proletaires par excellence kommt noch so weit – ich habe ähnliche gekannt – feine Wäsche, gute Kleider und dergl. auf die „Schlechtigkeit der heutigen Gesellschaft" zu schieben. „Wenn ihr nicht werdet wie jene Proletarier, so könnt ihr nicht eingehen ins Himmelreich." – Über H. schreibst Du wenig; Du nennst ihn sehr bezeichnend einen „Schwamm". Der Ausdruck gefällt mir ungemein. Dieser seiner Schwammnatur wegen konnte er auch in Elberfeld nicht länger leben: er musste notwendig Jemanden haben, dessen Gedanken er einsauge, sonst wäre er vertrocknet. Jetzt ist er wieder in seinem Elemente, wie ich vernehme. Höre, wie kindisch er selbst das Kleinste von Dir uns auftischt. Dein Brief hat mir das klar gemacht. Deinen Plan eines nochmaligen Versuchs s.g. Deutsch-Franz. Jahrbücher musst Du ihm mitgeteilt haben zur „Sichtung" der Philosophie vom Kommunismus. Flugs schreibt er hierher: „Wir werden nächstens eine ,Sichtung' vornehmen – um die Böcke von den Schafen zu scheiden."!! Angehangen waren einige beleidigende Ausdrücke speziell gegen uns Kölner gerichtet. Ferner: Wie Du mir schreibst, hast Du vor nach Lüttich zu ziehen. H. schrieb schon vor mehren Wochen nach Westfalen: „ Wir werden im Frühjahre nach Lüttich ziehen" usw. Diese und dergl. Kleinigkeiten haben noch eine andere Seite, als die Lächerliche; denn sonst hätte ich Dich nicht damit behelligt. Namentlich der Sichtungsplan, in der Fassung wie H. ihn hierher schrieb hatte etwas höchst verletzend Patriarchalisches. Es sah aus, als wolltet ihr Brüssel zur Stammhalterschaft des Kommunismus machen, und H. wäre der Hohe Priester (eine solche Stelle kleidete ihn gut). Ich sagte ihr, denn dass Du unschuldigerweise mit darunter zu leiden – hier spreche ich nicht von uns beiden[,] B und mir, - hattest, ist auch noch die Folge davon.

Was nun die Deutsch-Franz. Jahrb. betrifft, so sehe ich nicht ein, wie Du diese in Verbindung mit den beiden Erwähnten ins Werk setzen kannst. Denn von H. wenigstens habe ich noch Nichts als Philosophie zu Gesicht bekommen. Gut, dass seine junge Schule abgetan wird. E ist dagegen, wenn nicht Philosoph, doch wohl auch nicht zu gebrauchen, um die Philosophie zu kritisieren. H. blieb Dir also übrig. Der Bourgeois scheint mir ebenfalls viel geeigneter, und ich glaube, dass er mit großem Eifer diese Idee aufgefasst hat. Doch er wird Dir selbst schreiben.

Was wir bisher hier getrieben, ist wenig. An Propaganda ist nicht zu denken, und ich glaube die darauf zu verwendende Zeit besser benutzen zu können. Gegenwärtig arbeiten wir an einem Almanach. Wir d. h. der Bourg, und ich. - Das Urteil von Jung über Dr. D. unterschreibe ich. – Das Volksblatt geht ein. Die Verhältnisse sind eigentümlich. Die „Sympathien" Jungs hätten es retten können, wenn sie stark genug gewesen zu Taten. –

Die jüngste Neuigkeit ist, dass der Prophet Dr. Kuhlmann vor einigen Tagen hier war. Ein ganz versimpelter Kerl. Zuerst trat er im Bewusstsein seiner persönlichen Geltung uns ungemein schroff und schulmeisternd gegenüber: er wollte uns gewinnen. Bald war er abgekühlt, und zuletzt wurde er ganz kleinmütig, nachdem wir ihm offen unsere Meinung über ihn gesagt. Der Bourgeois namentlich hat sich viel mit ihm herum gepaukt. Mir war der Kerl sogleich zuwider. Das Ende war, dass er sich in einem hiesigen Gasthofe fest gekneipt, und wir mussten ihn auslösen. Er wird doch nachgerade einsehen, dass es mit dem Prophetentum in unserer Zeit gerade so schlecht bestellt ist wie mit der unmittelbaren Propaganda. –

Wie gern würde ich Deiner freundlichen Einladung Folge leisten und einmal zu Euch kommen, aber ein Punkt, an dem wir alle laborieren hindert mich einstweilen daran. Sollte es mir im Monat April möglich sein, so komme ich gewiss. Wir erwarten hier sehnlichst Deine Nationalökonomie und bedauere ich, dass Du durch eine solche Zwischenarbeit davon abgehalten, zumal nebenbei exploitiert worden bist. Nimm Dich in Acht mit den Deutsch-Franz. Jahrb.! – Du sprichst von einem Brief an den Bourgeois per Jung. Derselbe ist nicht angekommen. –

Wenn Du die Bibliothek in Brüssel nicht mehr nötig hast, so ziehe doch nach Lüttich. Die Umgegend ist ein Paradies und wird auf den Gesundheitszustand Deiner Frau den wohltätigsten Einfluss haben. Nach Lüttich selbst kann ich [Di]r Empfehlungen gebe[n an] einen ju[ngen] Advokaten, Mitglied eines kommunistischen Klubs. Gleichzei[tig] wärst [D]u auch näher bei der Grenze. Brüssel aber immer eine Tagesreise von hier. – Dass die Andern mitziehen würden, verschlägt Nichts: denn sie sind ja jetzt auch um Dich. Da Du übrigens nicht zu fürchten brauchst, missverstanden, oder gar verdächtigt zu werden, so solltest D[u] denn Deine Meinung unverhohlen mitteilen. –

Brüggemann soll sich unbehaglich fühlen. Ich habe ihn nur ein einziges Mal gesprochen. Allgemein rühmt man seine Gutmütigkeit; die ist schlecht ang[e]bracht unter seinem Umgange. – Claessen ist sehr tätig – in Sachen der Eisenbahnen. Die Bourgeois schmeicheln ihm und gebrauchen ihn. Somit wäre beiden [ge]holfen.

B. wird Di[r] ebenfalls schreiben, und deshalb schlie[ß]e ich und weil ich Di[r]

Andres lieber mündlich sage. Gr[ü]ße Deine Frau viel[ma]ls, die wohl durchs schöne Frühja[hr] sich hoffentlich rasch erhole[n] wird.

Dein

Dans

Köln 7/3 46.

Siehe zu, ob Du mir [De]inen möglichen Brief durch Gelegenheit oder mit Kaufma[n]nshand adr[ess]iert mit Lütticher o[der] Antwerpener Poststempel zukomm[en lassen kann]st. Ich hab[e heute] zwei [...] er[halten]|

Monsieur Charles Marx

rue de l'alliance (faubourg de Louvain)

Bruxelles

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