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8. Leitsätze über die Agrarfrage

Leitsätze über die Agrarfrage

1. Nur das von der Kommunistischen Partei geführte städtische und industrielle Proletariat vermag die werktätigen Massen des flachen Landes vom Joche des Kapitals und des Großgrundbesitzes zu befreien, vor dem Verfall und vor imperialistischen Kriegen zu bewahren, die bei Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems stets und ständig unvermeidlich sind. Die werktätigen Massen auf dem Lande können nicht anders als im Bunde mit dem kommunistischen Proletariat, in der rückhaltlosen Unterstützung seines revolutionären Kampfes zum Sturz des Joches der Junker (Großgrundbesitzer) und der Bourgeoisie ihre Rettung finden. Anderseits können die Industriearbeiter ihrer weltgeschichtlichen Aufgabe der Befreiung der Menschheit vom Joche des Kapitals und der Kriege nicht nachkommen, wenn diese Arbeiter sich in den Kreis von zünftigen, enggewerkschaftlichen Interessen einschließen und sich selbstgefällig auf die Bemühungen um Verbesserung ihrer mitunter leidlichen, kleinbürgerlichen Lage beschränken. Aber gerade so ist es in vielen fortgeschrittenen Ländern um die “Arbeiteraristokratie” bestellt, welche die Grundlage der angeblich sozialistischen Parteien der II. Internationale bildet, in Wirklichkeit aber den schlimmsten Feind des Sozialismus, seine Verräter, kleinbürgerliche Hurrapatrioten und Agenten der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiterbewegung darstellt. Eine wirklich revolutionäre, eine wirklich sozialistisch handelnde Klasse ist das Proletariat nur unter der Bedingung, dass es als Vortrupp aller Werktätigen und Ausgebeuteten, als Führer im Kampf um den Sturz der Ausbeuter auftritt und handelt. Dies ist jedoch undurchführbar ohne die Übertragung des Klassenkampfes auf das Land, ohne die Sammlung der werktätigen Massen des flachen Landes, ohne die Kommunistische Partei des städtischen Proletariats, ohne die Erziehung des ländlichen Proletariats durch das städtische.

2. Die werktätigen und ausgebeuteten Massen des flachen Landes, die das städtische Proletariat in den Kampf führen oder jedenfalls auf seine Seite ziehen muss, sind in den kapitalistischen Ländern durch folgende Gruppen vertreten:

Erstens: Durch das landwirtschaftliche Proletariat, die Lohnarbeiter (Saison-, Wanderarbeiter und Tagelöhner), die ihren Lebensunterhalt durch Lohnarbeit in den landwirtschaftlichen und mit ihnen verbundenen industriellen Unternehmungen finden. Die selbständige, von den übrigen Gruppen der Landbevölkerung getrennte Organisation dieser Klasse einschließlich der Forstarbeiter, Gutshandwerker usw. (politische wie militärische, gewerkschaftliche, genossenschaftliche Organisation, desgleichen für Bildungswesen usw.), eine gesteigerte Propaganda und Agitation unter dieser Gruppe und das Herüberziehen dieser Gruppe auf die Seite der Sowjetmacht und der Diktatur des Proletariats, — das ist die grundlegende Aufgabe der Kommunistischen Partei in allen Ländern.

Zweitens: Durch die Halbproletarier oder die Parzellenbauern, d. h. durch diejenigen, die ihren Lebensunterhalt teils durch Lohnarbeit in landwirtschaftlichen, industriellen und kapitalistischen Unternehmungen, teils dadurch finden, dass sie sich auf ihrem eigenen oder einem gepachteten Fleckchen Land abmühen, das nur einen Teil der für ihre Familie notwendigen Lebensmittel abgibt. Diese Gruppe der werktätigen ländlichen Bevölkerung ist in allen kapitalistischen Ländern überaus zahlreich; ihre Existenz und ihre besondere Lage wird aber von den Vertretern der Bourgeoisie und den zur II. Internationale gehörigen Sozialisten vertuscht. Das geschieht zum Teil bewusst, um die Arbeiter irrezuführen, zum Teil infolge der gewöhnlichen spießbürgerlichen Anschauungen, die diese Gruppe mit der Masse der Bauernschaft im Allgemeinen verwechselt. Diese Methode der bürgerlichen Irreführung der Arbeiter ist am meisten in Deutschland und Frankreich zu beobachten, dann aber auch in Amerika und den übrigen Ländern. Bei richtiger Organisation der Arbeit der Kommunistischen Partei kann diese Gruppe sichere Anhängerin der Partei werden; denn die Lage dieser Halbproletarier ist eine sehr schwere, und der ihnen durch die Sowjetmacht und die Diktatur des Proletariats gewährte Vorteil ist groß und sofort wirksam.

In einigen Ländern ist die erste und die zweite Gruppe nicht streng voneinander geschieden. Ihre gemeinsame Organisation ist daher unter besonderen Verhältnissen zulässig.

Drittens: Die Kleinbauern, d. h. die Landwirte, die Eigentümer oder Pächter kleiner Grundstücke sind, welche die Bedürfnisse ihrer Familie und ihrer Wirtschaft gerade decken und die keine fremde Arbeitskraft mieten. Diese Schicht gewinnt unbedingt durch den Sieg des Proletariats, der ihr sofort verschafft: a) Befreiung von der Bezahlung des Pachtzinses oder eines Teiles der Ernte (z. B. die Metayers in Frankreich und in Italien usw.) an die Grundbesitzer; b) Befreiung von Hypothekenlasten, Kaufschillingen; c) Befreiung von den verschiedenartigsten Formen des .Joches der Abhängigkeit von den Großgrundbesitzern (Wald- und Weidebenutzung usw.); d) die sofortige Hilfe für ihre Wirtschaft durch die proletarische Staatsmacht (die Möglichkeit, landwirtschaftliche Geräte und einen Teil der Gelände der durch das Proletariat enteigneten großkapitalistischen Wirtschaften zu benutzen; die sofortige Umwandlung der Konsum- und landwirtschaftlichen Genossenschaften durch die proletarische Staatsmacht aus Organisationen, die unter dem Kapitalismus in erster Linie den reichen und mächtigen Bauern gedient haben, in Organisationen, die in erster Linie den Armen, d. h. den Proletariern, Halbproletariern und Kleinbauern helfen usw.).

Zu gleicher Zeit muss sich die Kommunistische Partei dessen bewusst sein, dass in der Übergangszeit vom Kapitalismus zum Kommunismus, d. h. während der Dauer der Diktatur des Proletariats, in dieser Schicht wenigstens zum Teil Schwankungen nach der Seite der völligen Handelsfreiheit und des freien Verfügungsrechtes über den Privatbesitz unvermeidlich sind. Denn diese Schicht, die, wenn auch nur in geringem Maße, als Verkäufer von Lebensmitteln auftritt, ist durch Handels- und Eigentümergewohnheiten gebunden. Bei fester proletarischer Politik, bei entschlossener Abrechnung des siegreichen Proletariats mit den Grundbesitzern und Großbauern können jedoch die Schwankungen dieser Schicht nicht bedeutend sein. Sie sind auch nicht imstande, etwas an der Tatsache zu ändern, dass die Kleinbauern im Großen und Ganzen auf der Seite der proletarischen Umwälzung stehen werden.

3. Die drei oben genannten Gruppen zusammengenommen bilden in allen Ländern die Mehrheit der ländlichen Bevölkerung. Daher ist der Enderfolg der proletarischen Umwälzung nicht nur für die Städte, sondern auch für das flache Land sichergestellt. Die entgegengesetzte Meinung ist weit verbreitet. Sie hält sich aber nur, erstens durch den systematischen Betrug der bürgerlichen Wissenschaft und Statistik, die mit allen Mitteln den tiefen Abgrund zwischen den genannten Schichten des flachen Landes und den Ausbeutern, den Grundbesitzern und Kapitalisten wie auch den zwischen den Halbproletariern und den Kleinbauern einerseits und den Großbauern anderseits vertuscht. Zweitens hält sie sich kraft des Unvermögens und der Unlust der Helden der II. Internationale und der durch die imperialistischen Vorrechte demoralisierten “Arbeiteraristokratie”, eine wirklich proletarische, revolutionäre Propaganda, Agitation und Organisationsarbeit unter der ländlichen werktätigen Bevölkerung zu führen. Die gesamte Aufmerksamkeit der Opportunisten war und ist auf die Erfindung einer theoretischen und praktischen Verständigung mit der Bourgeoisie einschließlich der großen und mittleren Bauernschaft gerichtet und nicht auf den revolutionären Sturz der bürgerlichen Regierung und der Bourgeoisie durch das Proletariat. Drittens hält sich diese falsche Meinung infolge eines hartnäckigen Vorurteils, das mit allen bürgerlich-demokratischen und parlamentarischen Vorurteilen zusammenhängt. Dieses Vorurteil wehrt sich gegen eine Wahrheit, die durch den theoretischen Marxismus durchaus bewiesen und durch die Erfahrung der proletarischen Revolution in Russland vollauf bestätigt worden ist, nämlich dagegen, dass mit Ausnahme der Landarbeiter, die jetzt schon zur Revolution stehen, die zersplitterte, niedergedrückte und verschüchterte, in allen, selbst den fortgeschrittensten Ländern, zu halbbarbarischer Lebenshaltung verurteilte Landbevölkerung der oben genannten Gruppen, die wirtschaftlich, sozial und kulturell am Siege des Sozialismus interessiert sind, erst dann das revolutionäre Proletariat entschieden unterstützen kann, nachdem die politische Macht durch das Proletariat erobert, nachdem mit den Großgrundbesitzern und Kapitalisten entschieden abgerechnet worden ist und nachdem jene Schichten in der Praxis sehen, dass sie einen organisierten Führer und Verteidiger haben, der mächtig und fest genug ist, ihnen zu helfen und sie auf den richtigen Weg zu leiten.

4. Unter mittlerer Bauernschaft im wirtschaftlichen Sinne sind die kleinen Landwirte zu verstehen, d. h. Eigentümer oder Pächter kleiner Grundstücke, die unter dem Kapitalismus in der Regel nicht nur der Familie und der Wirtschaft Unterhalt gewähren, sondern auch noch einen kleinen Überschuss abgeben, der wenigstens in den günstigsten Jahren in Kapital verwandelt werden kann; auch sind die Landwirte häufig in der Lage, fremde Arbeitskraft zu mieten. Als Beispiel der mittleren Bauernschaft in einem fortgeschrittenen kapitalistischen Lande kann in Deutschland laut Zählung des Jahres 1907 eine Gruppe mit Wirtschaften von 5 bis 10 ha Land dienen, in denen die Zahl der beschäftigten landwirtschaftlichen Lohnarbeiter etwa ein Drittel der Anzahl der Wirtschaften dieser Gruppe beträgt. In Frankreich, wo Sonderkulturen (z. B. Weinbau) betrieben werden, die einen besonders großen Aufwand von Arbeitern erfordern, benutzt diese Gruppe wahrscheinlich in noch größerem Umfange fremde, gemietete Landarbeiter.

Das revolutionäre Proletariat kann es sich, wenigstens für die nächste Zukunft und für den Beginn der Periode der Diktatur des Proletariats, nicht zur Aufgabe machen, diese Schicht auf seine Seite zu ziehen. Es muss sich vielmehr auf die Aufgabe beschränken, sie zu neutralisieren, d. h. zu verhindern, dass sie im Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie der letzten aktive Hilfe leistet. Das Hinundherschwanken dieser Schicht ist unvermeidlich, und zu Beginn der neuen Epoche wird ihre vorwiegende Tendenz in den kapitalistisch entwickelten Ländern zugunsten der Bourgeoisie ausfallen: denn die Weltanschauung und die Stimmungen der Eigentümer sind überwiegend privat-kapitalistisch orientiert. Das siegreiche Proletariat wird die Lage dieser Schicht durch Aufhebung des Pachtzinses und der Hypothekenschulden, durch Hergabe von Maschinen, Einführung der Elektrizität in die landwirtschaftlichen Betriebe usw. verbessern. Die sofortige Aufhebung des Privateigentums durch die proletarische Macht kommt in den meisten kapitalistischen Staaten keineswegs in Frage. Wohl aber wird die proletarische Staatsmacht die Aufhebung aller aus dem Privateigentum herrührenden Pflichten für diese Schicht durchführen. Auf jeden Fall garantiert die proletarische Macht der kleinen und mittleren Bauernschaft nicht nur, dass ihnen ihre Grundstücke erhalten bleiben, sondern auch, dass sie um die gesamte bis dahin gepachtete Fläche vergrößert werden (durch Aufhebung des Pachtzinses).

Die Vereinigung von Maßnahmen dieser Art mit dem schonungslosen Kampf gegen die Bourgeoisie garantiert den Erfolg der Neutralisierungspolitik. Den Übergang zum kollektiven landwirtschaftlichen Betrieb kann die proletarische Staatsmacht nur mit größter Vorsicht und allmählich, durch die Kraft des Beispiels (durch Hergabe von Maschinen, Einführung von technischen Verbesserungen, Elektrifizierung), ohne jede Gewalttat, in der mittleren Bauernschaft durchführen.

5. Als Großbauernschaft sind die kapitalistischen Unternehmungen in der Landwirtschaft zu betrachten, die in der Regel mit einigen Lohnarbeitern wirtschaften und mit der Bauernschaft nur durch ihre Kulturstufe, ihre Lebensart und durch persönliche, körperliche Mitarbeit in ihrer Wirtschaft verbunden sind. Dies ist die zahlreichste der bürgerlichen Schichten, die unmittelbare und entschiedene Feinde des revolutionären Proletariats sind. Auf die Befreiung der werktätigen und ausgebeuteten Mehrheit der Landbevölkerung von dem geistigen und politischen Einfluss dieser Ausbeuter, auf den Kampf mit dieser Schicht muss bei der Arbeit der Kommunistischen Partei auf dem Lande das Hauptaugenmerk gerichtet sein.

Nach dem Sieg des Proletariats in den Städten sind von dieser Schicht alle möglichen Äußerungen von Widerstand, Sabotage und unmittelbarem bewaffneten Widerstand gegenrevolutionären Charakters unvermeidlich. Daher muss das revolutionäre Proletariat sofort mit der geistigen und organisatorischen Vorbereitung der notwendigen Kräfte beginnen, um diese Schicht zu entwaffnen und ihr, neben dem Sturz der Kapitalisten der Industrie, bei der ersten Äußerung von Widerständen einen entscheidenden, schonungslosen, vernichtenden Schlag zu versetzen. Zu diesem Zweck muss das ländliche Proletariat bewaffnet und in Sowjets (Gutsräten) organisiert werden, in denen für Ausbeuter kein Platz sein darf und den Proletariern und Halbproletariern der überwiegende Einfluss gesichert werden muss.

Die Enteignung der Großbauern selbst darf jedoch nicht die unmittelbare Aufgabe des siegreichen Proletariats sein; denn für die Vergesellschaftung solcher Wirtschaften sind die materiellen, insbesondere die technischen, ferner auch die sozialen Bedingungen noch nicht vorhanden. In einzelnen Fällen, wahrscheinlich in Ausnahmefällen, werden jene Teile ihrer Grundstücke enteignet werden, die verpachtet oder für die kleinbäuerliche Bevölkerung der Umgebung besonders notwendig sind; dieser letzteren muss auch die unentgeltliche Benutzung eines Teiles der landwirtschaftlichen Maschinen der Großbauern zu gewissen Bedingungen gesichert werden. Im Allgemeinen kann die proletarische Staatsmacht den Großbauern das Land belassen und wird es nur im Falle des Widerstandes gegen die Macht der Werktätigen und Ausgebeuteten enteignen. Die Erfahrung der proletarischen Revolution Russlands, in der sich der Kampf gegen die Großbauern infolge einer Reihe von besonderen Bedingungen in die Länge gezogen hat und besonders verwickelt war, hat demnach gezeigt, dass diese Schicht, wenn sie für den geringsten Widerstand eine gehörige Lehre erhält, fähig ist, die Anforderungen der proletarischen Staatsmacht loyal zu erfüllen und dass diese Schicht sogar beginnt, Achtung vor dieser Macht zu empfinden, die jeden Arbeitenden schützt und den reichen Müßiggänger schonungslos verfolgt.

Die besonderen Bedingungen, die den Kampf des über die Bourgeoisie siegreichen Proletariats mit den Großbauern in Russland erschweren, bestehen hauptsächlich in folgendem: Die russische Revolution hat nach der Umwälzung vom 25. 10./7. 11. 1917 das Stadium des allgemeinen demokratischen, d. h. im Grunde bürgerlich-demokratischen Kampfes der ganzen Bauernschaft gegen die Gutsbesitzer durchlaufen. Das städtische Proletariat war kulturell und zahlenmäßig schwach und die Entfernungen wirkten bei den äußerst schlechten Verkehrswegen sehr erschwerend.

Das revolutionäre Proletariat Europas und Amerikas muss den vollen Sieg über den Widerstand der Großbauern energisch vorbereiten, jede Möglichkeit, auch nur den geringsten Widerstand zu leisten, beseitigen und den Sieg bedeutend schneller, entschlossener und erfolgreicher vollenden. Dieser volle Sieg der Massen der Landarbeiter, der Halbproletarier und der Kleinbauern ist unerlässlich; ohne ihn kann die proletarische Macht nicht als gesichert und widerstandsfähig gelten.

6. Das revolutionäre Proletariat muss unverzüglich, ausnahmslos und ohne jede Entschädigung das gesamte Land der Großgrundbesitzer, Rittergutsbesitzer und derjenigen Personen enteignen, die unmittelbar oder durch ihre Pächter systematisch die Arbeitskraft der Lohnarbeiter, der umliegenden kleinen (nicht selten auch der mittleren) Bauernschaft ausbeuten, und nicht selbst körperlich arbeiten. Hierher zählen der größte Teil der Nachkommen der Feudalherren — der Adel in Russland, Deutschland und Ungarn, der wiederhergestellte frühere feudale Großgrundbesitz in Frankreich, die Landlords in England, die ehemaligen Sklavenhalter Amerikas — ferner reich gewordene Finanzmagnaten oder die Mischlinge dieser beiden Arten von Ausbeutern und Müßiggängern. In keiner Form darf in den Reihen der Kommunistischen Partei die Propaganda oder Durchführung einer Entschädigung der Großgrundbesitzer für die enteigneten Ländereien zugelassen werden, da das bei der heutigen Lage Europas und Amerikas einen Verrat am Sozialismus und die Auferlegung neuer Lasten auf die Werktätigen und ausgebeuteten Massen bedeuten würde. Diese Massen sind schon mehr als genug durch den Krieg, der die Zahl und den Reichtum der Millionäre vervielfacht hat, belastet worden.

Für die fortgeschrittensten kapitalistischen Länder erkennt die Kommunistische Internationale es für richtig an, den landwirtschaftlichen Großbetrieb vorwiegend beizubehalten und ihn nach der Art der Sowjetwirtschaften in Russland zu führen.

Ebenso wird es zweckmäßig sein, die Bildung von Kollektivbetrieben (Gutsgenossenschaften Kommunen) zu unterstützen.

in Russland musste man infolge der wirtschaftlichen Rückständigkeit des Landes meist zur Aufteilung der Ländereien unter die Bauern und zu ihrer Ausnutzung durch sie schreiten. Nur in verhältnismäßig seltenen Ausnahmefällen gelang es, die Ländereien zur Einrichtung einer so genannten Sowjetwirtschaft zu verwenden, die vom proletarischen Staat auf eigene Rechnung geführt wird: die früheren Lohnarbeiter werden dann gleichzeitig in Staatsarbeiter und Mitglieder der Sowjets, die den Staat verwalten, verwandelt.

Die Erhaltung der ländlichen Großbetriebe wahrt die Interessen der revolutionären Schicht der Landbevölkerung, der besitzlosen Landarbeiter und der halbproletarischen Parzellenbesitzer, die ihren Unterhalt in der Hauptsache durch Lohnarbeit in den Großbetrieben verdienen, am besten. Außerdem macht die Nationalisierung der Großbetriebe die städtische Bevölkerung wenigstens teilweise in der Versorgungsfrage von der Bauernschaft unabhängig.

Anderseits kann es dort, wo noch Überreste der mittelalterlichen Verfassung, des Fronsystems zu besonderen Formen der Ausbeutung führen, wo noch Servitute oder das System der Halbpacht bestehen oder ähnliches, unter Umständen notwendig sein, den Bauern einen Teil des Bodens der großen Güter zu überweisen.

In Ländern und Gebietsteilen, wo der landwirtschaftliche Großbetrieb eine relativ geringe Rolle spielt, dagegen eine große Anzahl kleinbäuerlicher Besitzer bestehen, die danach trachten, Land zu erhalten, wird die Verteilung des Landes der Großgrundbesitzer sich als das sicherste Mittel erweisen, die Bauernschaft für die Revolution zu gewinnen, während die Erhaltung des Großbetriebes nicht von besonderer Bedeutung für die Versorgung der Städte ist.

Die Sicherung seines dauerhaften Sieges unter allen Umständen ist die erste und wichtigste Aufgabe des Proletariats. Wegen des Erfolges der Revolution darf das Proletariat selbst vor einem zeitweiligen Rückgang der Produktion nicht zurückschrecken. Der dauernde Bestand der proletarischen Gewalt kann nur erreicht werden, wenn es gelingt, die mittlere Bauernschaft neutral zu halten und die Unterstützung des größten Teiles, wenn nicht der gesamten Kleinbauernschaft zu erreichen.

Jedenfalls müssen dort, wo eine Aufteilung des Großgrundbesitzes eintritt, in erster Linie die Interessen der ländlichen Proletarier gewahrt werden.

Das Inventar der Großbetriebe muss unbedingt ohne Entschädigung in Staatseigentum überführt werden unter der unerlässlichen Bedingung, dass dieses Inventar nach der Befriedigung der Bedürfnisse der staatlichen Großbetriebe von den Kleinbauern unentgeltlich benutzt werden kann unter Beobachtung der durch den proletarischen Staat ausgearbeiteten Bedingungen.

Wenn in der ersten Zeit nach dem proletarischen Umsturz nicht nur die unverzügliche Enteignung der Großgrundbesitzer ohne Entschädigung unbedingt erforderlich ist, sondern auch ihre allgemeine Vertreibung und Internierung als Führer der Gegenrevolution und schonungslose Tyrannen der gesamten ländlichen Bevölkerung, so muss mit der Befestigung der proletarischen Macht nicht nur in der Stadt, sondern auch auf dem Lande das Bestreben einsetzen, Männer aus der Bourgeoisie mit wertvollen Erfahrungen, Wissen und organisatorischen Fähigkeiten systematisch unter besonderer Aufsicht zuverlässiger kommunistischer Arbeiter und unter der Kontrolle der Gutsräte zur Schaffung des sozialistischen Großbetriebs in der Landwirtschaft heranzuziehen.

7. Der Sozialismus wird erst dann den Kapitalismus endgültig besiegen und für immer gesichert sein, wenn die proletarische Staatsmacht jeden Widerstand der Ausbeuter gebrochen, sich vollständige Herrschaft und völligen Gehorsam gesichert und die Industrie auf der Grundlage des wissenschaftlichen Großbetriebs und der modernsten Errungenschaften der Technik (Elektrifizierung der gesamten Wirtschaft) wieder aufgebaut hat. Nur das gibt der Stadt die Möglichkeit, technisch und sozial der zurückgebliebenen und zerstreuten Landbevölkerung eine so wirksame Hilfe zu gewähren, dass dadurch die materielle Grundlage für die großzügige Hebung der landwirtschaftlichen Produktivität und der ländlichen Arbeit überhaupt geschaffen werden kann. Auch werden auf diese Weise die kleineren Landbesitzer durch die Macht des Beispiels und den eigenen Vorteil veranlasst, zum großen, gemeinschaftlichen, mit Maschinen arbeitenden Betrieb überzugehen.

Besonders auf dem Lande erfordert die wirksame Durchführung eines erfolgreichen Kampfes für den Sozialismus folgendes: Die kommunistischen Parteien müssen dem Industrieproletariat die Erkenntnis der Notwendigkeit von Opfern für den Sturz der Bourgeoisie und für die Festigung der proletarischen Macht anerziehen; denn die Diktatur des Proletariats bedeutet sowohl die Fähigkeit des Proletariats, alle arbeitenden und ausgebeuteten Massen zu organisieren und zu leiten, als auch die Fähigkeit des Vortrupps, um dieses Zieles willen die äußersten Anstrengungen zu machen und die heroischsten Opfer zu bringen. Für den Erfolg ist es dringend notwendig, dass die arbeitenden, am meisten ausgebeuteten Massen auf dem Lande durch den Sieg des Proletariats sofort und bedeutend auf Kosten der Ausbeuter in ihrer Lage verbessert werden; denn ohne dies könnte das industrielle Proletariat nicht sicher auf die Unterstützung des flachen Landes und auch nicht auf die Versorgung der Städte mit Lebensmitteln rechnen.

8. Die ungeheure Schwierigkeit, die Massen der Landbevölkerung, die durch den Kapitalismus geistig unentwickelt, zerstreut, unterdrückt und oft in einem Zustand halbmittelalterlicher Abhängigkeit gehalten werden, zu organisieren und zu revolutionären Kämpfern zu erziehen, verlangt von der Kommunistischen Partei besondere Aufmerksamkeit für die Streikbewegung auf dem flachen Lande, kraftvolle Unterstützung und allseitige Entwicklung der Massenstreiks der ländlichen Proletarier und Halbproletarier. Die Erfahrung der russischen Revolutionen 1905 und 1917, nunmehr bestätigt und erweitert durch die Erfahrungen in Deutschland, Polen, Italien, England und anderen fortgeschrittenen Ländern, beweist, dass nur die fortschreitende Streikbewegung der Massen (unter Umständen unter Teilnahme der Kleinbauern) imstande ist, das schlummernde Dorf zu wecken, das Klassenbewusstsein und die Einsicht von der Notwendigkeit einer Klassenorganisation unter den ausgebeuteten Klassen des flachen Landes hervorzurufen und die Wichtigkeit ihrer Vereinigung mit den städtischen Arbeitern anschaulich und praktisch vor Augen zu führen. Die Förderung der gewerkschaftlichen Organisation der Landarbeiter und die Mitarbeit der Kommunisten in Land- und Forstarbeitergewerkschaften ist aus diesem Grunde besonders notwendig. Auch die Bildung von Kooperativen (Produktivgenossenschaften), die sich aus der ausgebeuteten ländlichen Bevölkerung bilden, und die in engem Zusammenhang mit der revolutionären Arbeiterbewegung stehen, ist von den kommunistischen Parteien zu unterstützen. Ferner ist eine besondere Agitation unter den Kleinbauern zu betreiben.

Der Kongress der Kommunistischen Internationale brandmarkt diejenigen Sozialisten als Verräter und Überläufer, die es leider nicht nur in der II. Internationale gibt, sondern auch in den aus dieser Internationale ausgetretenen, für Europa besonders wichtigen Parteien, die es fertig bringen, nicht nur der Streikbewegung auf dem Lande gleichgültig zuzusehen, sondern (wie die Gewerkschaftsbürokratie, die Scheidemänner und Kautsky) gegen die Streiks auftreten, weil sie diese nur unter dem Gesichtswinkel einer Gefahr der Verminderung der Produktion von Lebensmitteln betrachten. Keinerlei Programme und keine noch so feierliche Erklärung haben den geringsten Wert, wenn nicht durch die Tat bewiesen wird, dass die Kommunisten und die Arbeiterführer die Entwicklung der proletarischen Revolution und ihren Sieg über alles stellen, dass sie deshalb die schwersten Opfer zu bringen verstehen, da es keinen anderen Ausweg und keine anderen Mittel gibt, um den Hunger und den Zerfall für immer zu besiegen und neue imperialistische Kriege zu verhindern. Die kommunistischen Parteien müssen alles aufbieten, um auf dem flachen Lande möglichst bald zur Gründung von Sowjets, Gutsräten in erster Reihe aus Vertretern der Lohnarbeiter und Halbproletarier, überzugehen. Auch ist die Bildung von Kleinbauernräten zu propagieren. Nur in Verbindung mit der Massenstreikbewegung und zusammen mit der am meisten unterdrückten Klasse werden die Sowjets imstande sein, ihre Aufgabe zu erfüllen und sich zu befestigen, um die Kleinbauern ihrem Einfluss zu unterwerfen und später durch Zusammenschluss der Kleinbauern mit den Landarbeiterräten in ihren Bestand aufzunehmen. Solange die Streikbewegung aber noch nicht stark und die Organisation des landwirtschaftlichen Proletariats noch schwach entwickelt ist, sowohl infolge des schweren Druckes seitens der Grundbesitzer und Großbauern, als auch infolge der mangelnden Unterstützung seitens der Industriearbeiter und ihrer Organisationen, erfordert die Bildung von Sowjets auf dem Lande eine langwierige Vorbereitung. Diese Vorbereitung muss geschehen durch Schaffung wenn auch vorläufig noch so kleiner kommunistischer Parteizellen, durch aktive Propaganda, die in gemeinverständlicher Form die Forderungen des Kommunismus darlegt und an Hand von Beispielen die verschiedenen Methoden der Ausbeutung und Knechtung illustriert, ferner durch systematische Agitationsreisen von industriellen Arbeitern auf das Land usw.

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