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Christo Kabaktschijew: Bericht über die Frage der Statuten der Kommunistischen Internationale

Christo Kabaktschijew: Bericht über die Frage der Statuten

der Kommunistischen Internationale

    Sechzehnte Sitzung des zweiten Weltkongresses der Komintern, 4. August, abends

[Der zweite Kongress der Kommunistischen Internationale. Hamburg 1921, S. 571-579]

Genossen! Ehe ich die hauptsächlichen Erwägungen, die zugunsten der vom Exekutivkomitee vorgeschlagenen Statuten der Kommunistischen Internationale sprechen, prüfen werde, will ich bei den wichtigsten Einwendungen verweilen, die in der Kommission vorgebracht wurden.

Die Niederlage der II. Internationale erfolgte, als es der Bourgeoisie gelungen war, die internationale Solidarität des Proletariats zu zerstören. Eine der ersten Aufgaben der Kommunistischen Internationale ist deshalb die Wiederherstellung der proletarischen Solidarität. Aber man wird diese Solidarität allein durch die revolutionäre Tat des Proletariats der verschiedenen Länder verwirklichen können. Nur der revolutionäre Kampf zum Sturz des Kapitalismus wird es möglich machen, die von vornherein notwendigen Bedingungen für die Solidarität und Einheit des Proletariats der verschiedenen Länder zu schaffen. Die Notwendigkeit der Einmütigkeit im revolutionären Kampfe des Proletariats aller Länder wird auch durch die Tatsache bedingt, dass es eine internationale Vereinigung der Gegenrevolution gibt. Diese wird heute organisiert und geleitet von der Entente, vom Obersten Rat der Regierungen der großen kapitalistischen Länder und von ihrer Schöpfung und ihrem Agenten, dem Völkerbund.

Die Vereinigung und Zentralisation der proletarischen Kräfte ist die Hauptbedingung für den Erfolg der Revolution des Proletariats gegen die vereinigte Front der gegenrevolutionären Bourgeoisie. Die Kommunistische Internationale ist das Zentralorgan, welches die Vereinigung der proletarischen Kräfte der ganzen Welt verwirklichen kann.

Es gibt noch eine andere Ursache der Niederlage der II. Internationale. Die II. Internationale nahm alle Parteien auf ihre mündlichen oder schriftlichen Erklärungen hin auf; aber sie beschäftigte sich durchaus nicht damit, die wirkliche Taktik kennen zu lernen, welche die beigetretenen Parteien verfolgten. Sie duldete in ihrer Mitte Parteien, deren Taktik und Praxis sich in offensichtlichem Gegensatz zur Taktik des revolutionären Proletariats befanden. Noch mehr, sie nahmen kleinbürgerliche Parteien auf, welche nichts mit Sozialismus gemein hatten. Die Erfahrung der II. Internationale lehrt uns, dass die Kommunistische Internationale, um ihre Aufgaben zu erfüllen und ihr Ziel zu erreichen, eine streng disziplinierte und straff zentralisierte Organisation werden und dass sie die praktische Tätigkeit, die revolutionäre Handlung des Proletariats aller Länder übersehen, leiten und in Einklang bringen muss.

Der Sieg des revolutionären Proletariats in Russland hat uns klar die Notwendigkeit einer starken Zentralisation der Organisation jeder kommunistischen Partei und folglich auch der Kommunistischen Internationale selbst gezeigt. Die Kommunistische Partei Russlands kann als Muster und als Vorbild zur Nachahmung nicht allein durch ihre zielklare Politik und durch ihre streng marxistischen Handlungen, sondern auch durch ihre eiserne Disziplin und strenge Organisation dienen. Das Prinzip der Zentralisation und der Disziplin der Kommunistischen Partei Russlands, welches die ganze revolutionäre Tätigkeit des russischen Proletariats beherrschte, wurde nach der Eroberung der Macht noch verstärkt, wurde auch auf die Sowjetorganisation der Republik ausgedehnt und hat dazu gedient, den revolutionären Sieg in unerschütterlicher Weise zu festigen. Ohne eine zentralisierte und disziplinierte Organisation hätte das russische Proletariat niemals triumphiert; ohne eine zentralisierte und disziplinierte Organisation wird das internationale Proletariat niemals die kapitalistische Herrschaft brechen. Man kann sich nicht vorstellen, wie das Proletariat ohne Zentralisation die bürgerliche Herrschaft stürzen und den kapitalistischen Staat, dieses über zentralisierte und mächtige Zwangsmittel verfügende Klassenwerkzeug, besiegen könnte. Wir sind alle darin einig, dass der Sieg der proletarischen Revolution ohne die Diktatur des Proletariats unmöglich ist. Aber wer Diktatur sagt, muss bei der Klasse, welche diese Diktatur ausübt, und der Partei, welche diese Klasse leitet, das Bestehen einer zentralisierten und streng disziplinierten Organisation voraussetzen. Ohne diese eiserne Disziplin und diese zentralisierte Organisation kann die Kommunistische Internationale nicht auf den Anbruch der proletarischen Diktatur rechnen. Die Aufgabe der Kommunistischen Internationale besteht in der Verschmelzung und Vereinigung der proletarischen Parteien und der anderen revolutionären proletarischen Organisationen aller Länder zu einem Kampfblock.

Die ökonomische Krise, die Folgen des imperialistischen Krieges haben in den meisten kapitalistischen Ländern eine revolutionäre Lage geschaffen, was wieder das rasche Anwachsen der Kommunistischen Internationale sicherstellt. Diese ist verpflichtet, die Massenorganisationen des Proletariats an sich zu ziehen. Das wirksamste, wenn nicht einzige Mittel, die Kommunistische Internationale vor der Gefahr zu schützen, dass durch das rasche Anwachsen die Reinheit ihrer revolutionären Taktik bedroht werde, ist wieder kein anderes, als sie auf der Grundlage einer starken Zentralisation zu organisieren. Die Annahme der auf dem Kongress vorgeschlagenen Leitsätze gewährt noch keine Sicherheit dafür, dass die Parteien, welche sich der Kommunistischen Internationale angeschlossen haben, auch ihren Prinzipien und ihrer Taktik treu bleiben werden. Im Gegenteil, die Annahme der Zentralisation in der Organisation und die freiwillige und aufrichtige Unterordnung unter die Statuten der Kommunistischen Internationale werden erst die gemeinsame Basis bilden für alle Parteien, die sich schon dem Kommunismus angeschlossen haben oder sich in Zukunft anschließen werden.

Die vorgeschlagenen Statuten setzen die Grundlagen der Organisation der Kommunistischen Internationale fest. Aber die Organisation der Kommunistischen Internationale wird sich, besonders in Zukunft, nach Maßgabe der Ausdehnung der revolutionären Bewegung des internationalen Proletariats entfalten.

Einer der hauptsächlichsten prinzipiellen Einwürfe, welche gegen den Statutenentwurf gemacht werden, richtet sich gegen den Absatz, welcher der Einleitung folgt und wo gesagt wird: „Die Kommunistische Internationale stellt sich zum Ziel: mit allen Mitteln, auch mit den Waffen in der Hand, für den Sturz der internationalen Bourgeoisie und für die Schaffung einer internationalen Sowjetrepublik als Übergangsstufe zur vollen Vernichtung des Staates zu kämpfen“. Die Einwürfe, welche die Genossen in der erwähnten Frage gemacht haben, lauten: 1. Man darf nicht offen erklären und zugestehen, dass die Kommunistische Internationale sich zur Erreichung ihrer Ziele der bewaffneten Macht bedienen soll. 2. Andererseits darf in den Statuten nicht allein vom bewaffneten Kampf gesprochen werden. Man könnte daraus schließen, dass die anderen Kampfmittel fortfallen und die Kommunistische Internationale außer Gewehr und Maschinengewehr kein anderes Kampfmittel kennt. Der erste Einwand bedarf keiner näheren Kritik. Es sind schon 70 Jahre her, da die Gründer des revolutionären Sozialismus, Marx und Engels, das berühmte „Kommunistische Manifest" mit folgender Deklaration geschlossen haben: „Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung“.

Ist es möglich, dass heute, wo wir das Beispiel der russischen proletarischen Revolution (einer Revolution, welche durch die Waffen siegte) vor Augen haben, wo die große siegreiche Rote Armee dem Imperialismus der Entente tödliche Schläge versetzt und den Weg für die proletarische Weltrevolution freimacht, wo wir behaupten, dass wir eine revolutionäre Epoche durchmachen, wo die Bourgeoisie offen gegen uns weiße Garden organisiert und den Bürgerkrieg in einer Reihe von Ländern entflammt, ist es möglich, dass man uns nach all dem heute noch vorschlägt, zu schweigen, die Kommunistische Internationale schweigen zu machen über die Notwendigkeit der Anwendung des mächtigsten und wirksamsten Kampfmittels, des Kampfmittels, von dem vor allem der wirkliche Enderfolg der proletarischen Revolution abhängt? Nein, Genossen! Die Kommunistische Internationale muss in ihren Statuten mit aller Klarheit auf die Notwendigkeit der Anwendung des bewaffneten Kampfes hinweisen. Die Heuchelei über den Gebrauch dieses Mittels erspart uns nicht die Verfolgungen seitens der herrschenden Bourgeoisie, und es muss sehr laut gesagt werden, dass die Bourgeoisie unsere wahren revolutionären Ziele und unsere Kampfmittel ausgezeichnet kennt und dies gerade deshalb, weil sie sehr genau weiß, um was es sich handelt, und eine weiße Garde organisiert, um die anderen Institutionen in ihren Dienst zu zwingen. Die Kommunistische Internationale muss offen vor der ganzen Welt erklären, dass die Marschorder für die Revolution nur sein kann: entschlossener Kampf, Kampf mit der Waffe in der Hand gegen den Kapitalismus und für den Kommunismus.

Wir können in gleicher Weise den Genossen in der Kommission antworten, welche es für gefährlich hielten, die Notwendigkeit der Bildung illegaler neben den legalen Organisationen auszusprechen. (Siehe § 12 der Statuten.) Wenn es die Bourgeoisie in gewissen Ländern in ihrem Interesse gelegen findet, die kommunistische Partei für vogelfrei zu erklären, so würde sie dies auch so tun; wenn sie es für gut hält, dann wird sie es tun, wie sie es schon in mehreren Ländern getan hat.

Ist es deshalb für die kommunistische Partei vernünftig, ihre Ziele zu verheimlichen und die Idee der Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes nicht zu propagieren? Durchaus nicht. Unter solchen Umständen von der Notwendigkeit der Bildung auch illegaler Organisationen zu schweigen, ist überflüssige Vorsicht und gibt Anlass zur Verwirrung. Und noch mehr, Genossen, wir sagen; diese diplomatische Vorsicht ist gefährlich, denn heute ist die illegale Organisation ebenso wichtig wie die legale. Und sie ist nicht allein wichtig, sondern auch unentbehrlich, notwendig; sie verlangt sich selbst. Denn wie Ihr wisst, hat der Kongress schon die Leitsätze, welche die Frage entscheiden und zur Bildung von illegalen Organisationen verpflichten, angenommen. Genossen, welche schon für diese Leitsätze gestimmt haben, der Kongress, welcher sie angenommen hat, widersprechen sich, wenn sie den in Frage kommenden Paragrafen der Statuten ablehnen. Nicht dadurch, dass wir den Artikel der Statuten über die illegalen Organisationen fallen lassen, parieren wir die Hiebe der Bourgeoisie, sondern indem wir lernen, indem wir uns an die Bildung illegaler Organisationen gewöhnen, welche die Nachforschungen und die Wachsamkeit der bürgerlichen Organe zunichte machen. Das brauchen wir; das ist revolutionäre Erfahrung und revolutionäres Recht.

Die Frage betreffend die Zusammensetzung des Exekutivkomitees hat sehr scharfe Diskussionen in der Kommission selbst hervorgerufen. Ich werde die wichtigsten Einwendungen, die gemacht wurden, wiedergeben. Einige Genossen halten es infolge der augenblicklichen Schwäche der kommunistischen Partei ihres Landes für unmöglich, ein Mitglied herzugeben, um es ständig in das Exekutivkomitee zu entsenden. Andere sagen, dass die kommunistischen Parteien der verschiedenen Länder keine regelmäßige Korrespondenz mit ihren Delegierten im Exekutivkomitee unterhalten können und dass infolgedessen diese Delegierten über die Lage ihres Landes und über den Stand der revolutionären Bewegung wenig informiert sein werden. Diese Erwägungen erschienen mir wenig stichhaltig im Vergleich zur Rolle, welche die Kommunistische Internationale und ihr Exekutivkomitee spielt und spielen muss. Wenn es wahr ist, dass wir in einer revolutionären Epoche leben, in der die Kommunistische Internationale alle Tage wichtige und unmittelbare Aufgaben zu erfüllen hat, in der fortgesetzt Fragen von Weltbedeutung entstehen und entstehen werden, die unbedingt Antwort erheischen, wenn es wahr ist, dass die Kommunistische Internationale eine mächtige zentralisierte Kampforganisation sein muss, dann muss sie von einem Zentrum aus geleitet werden, wo sie vertreten ist und wo ständig die größten kommunistischen Parteien vertreten sein müssen. Die Aufgaben der Kommunistischen Internationale sind so wichtig, dass jede kommunistische Partei aus ihrer Mitte einen verdienstvollen Genossen, welcher der Größe der Aufgabe gewachsen ist, wählen muss, um im Exekutivkomitee vertreten zu sein und um auf diese Weise enge Verbindung mit der Kommunistischen Internationale zu unterhalten. In seinen Beschlüssen wird sich das Exekutivkomitee nicht auf die tatsächliche internationale Lage stützen können, wenn es nicht in seiner Mitte die Vertreter der großen kommunistischen Parteien der verschiedenen Länder hat. Im Gegenteil, es ist zu befürchten, dass die kommunistischen Parteien, welche im Exekutivkomitee keine Vertreter haben, in gewissen Fällen es ablehnen werden, die Beschlüsse des Exekutivkomitees als bindend anzusehen unter dem Vorwand, dass das Exekutivkomitee die wahre Lage in ihren Ländern nicht kennt und Beschlüsse fasst, ohne sich vorher mit ihnen zu beraten.

Einige Genossen haben verlangt, dass das Exekutivkomitee aus Vertretern aller Parteien, welche der Kommunistischen Internationale angehören, zusammengesetzt werde, und zwar soll jeder Vertreter beschließende Stimme haben. Die genannten Genossen fürchten, dass anderenfalls die kleineren Länder und die kleinen Parteien ohne Vertreter im Exekutivkomitee bleiben. Ich vertrete ein kleines Land, aber die kommunistische Partei ist dort straff organisiert und vereinigt selbst die Arbeiter und Bauern; ich bin überzeugt, dass der Kongress bei der Bestimmung der Mitglieder des Exekutivkomitees nicht die territoriale Größe der Länder, wohl aber die reale Kraft der kommunistischen Parteien in Betracht ziehen wird. Wenn allen Parteien, die der Kommunistischen Internationale angehören, das Recht auf Vertreter mit beschließender Stimme im Exekutivkomitee zuerkannt wird, dann wird es ein zu schwerfälliger Apparat werden, der der Gefahr ausgesetzt sein wird, durch die kleinen und schwachen Parteien majorisiert zu werden und der niemals eine fest umgrenzte Zusammensetzung haben würde.

Die Stärke des Exekutivkomitees muss endgültig vom Kongress bestimmt werden, der aber lieber nicht die Personen, sondern die Parteien bezeichnen soll, welche im Exekutivkomitee vertreten sein sollen. Die Statuten geben allen Parteien das Recht, im Exekutivkomitee mit beratender Stimme vertreten zu sein. Das genügt.

In der Kommission wurde die Frage gestellt, ob man dem Exekutivkomitee das Recht geben soll, aus der Kommunistischen Internationale Personen, Gruppen oder selbst Parteien, welche die Beschlüsse des Weltkongresses nicht erfüllen, auszuschließen. (§ 9 der Statuten.) Aber dieses Recht ist gerade die notwendige materielle Sanktion aller anderen Rechte, die wir dem Exekutivkomitee durch die Statuten zugestehen werden. Wie können die Beschlüsse des Exekutivkomitees das nötige Ansehen und die verpflichtende Kraft haben, wenn es nicht das Recht des Ausschlusses hat? Dem Exekutivkomitee dieses Recht nicht zu geben, heißt zur alten Praxis der II. Internationale zurückzukehren.

Schließlich geben die Statuten dem Exekutivkomitee das Recht, Organisationen und Parteien, welche mit dem Kommunismus sympathisieren, heranzuziehen, indem es ihren Vertretern beratende Stimme gibt.

Man hat auch die Frage aufgeworfen, ob das Exekutivkomitee das Recht hat. zwei Parteien desselben Landes mit beschließender Stimme aufzunehmen. Die Kommission hat diese Frage nicht entschieden, sie ist in den Statuten offen geblieben. Ich denke, dass es in der Kommunistischen Internationale nur eine kommunistische Partei jedes Landes geben darf. Dies ist unumgänglich notwendig, um die Einheitlichkeit der kommunistischen Bewegung in jedem Lande zu erhalten. Wenn die Kommunistische Internationale beginnt, dem Beispiel der II. Internationale zu folgen, d. h. in ihre Reihen zwei oder mehrere Parteien desselben Landes aufnimmt, so wird dies die Entwicklung der kommunistischen Bewegung in den Ländern behindern, in denen konkurrierende kommunistische Organisationen bestehen, die von gewissenlosen Elementen geschaffen wurden und manchmal von der Bourgeoisie selbst beeinflusst, unterhalten werden.

Die Erfahrungen, welche das Exekutivkomitee mit den Hilfsbüros in Amsterdam und in Berlin gemacht hat, zeigen uns die Notwendigkeit, dass alle Organe und Büros, welche durch das Exekutivkomitee geschaffen werden, demselben unmittelbar unterstellt sein müssen und sich nur innerhalb der von ihm gegebenen Richtlinien bewegen dürfen. Nur auf diese Weise werden wir eine zentralisierte und disziplinierte internationale kommunistische Organisation schaffen.

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