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Ernst Meyer 19200804 Bericht auf dem 2. Kominternkongress über die Agrarfrage

Ernst Meyer: Bericht auf dem 2. Kominternkongress über die Agrarfrage

    Fünfzehnte Sitzung des zweiten Weltkongresses der Komintern, 4. August, morgens

[Der zweite Kongress der Kommunistischen Internationale. Hamburg 1921, S. 539-552]

Genossinnen und Genossen! Da der eigentliche Referent dieser Frage, Genosse Marchlewski, im Zusammenhang mit den erfreulichen Fortschritten der Roten Armee verhindert ist, zu sprechen, so muss ich Euch an seiner Stelle ein Ersatzreferat halten, das kurz die Leitsätze des Genossen Lenin und die Arbeiten der Kommission zusammenfassen wird.

Durch die soziale Revolution in Ost- und Mitteleuropa ist die Agrarfrage auf die Tagesordnung gesetzt worden und verlangt nicht nur theoretische, sondern auch praktische Lösung. Die Vorarbeiten hierfür waren bisher sehr gering, und die II. Internationale hat auf diesem Gebiet so gut wie gar nichts getan. Man begnügte sich im Allgemeinen mit der Entwerfung von schönen Zukunftsbildern über die landwirtschaftliche Produktion nach der Durchführung des Sozialismus. Aber wie die Landbevölkerung für die proletarische Revolution gewonnen werden kann, und welche Kämpfe geführt werden müssen, um dieses ideale Ziel zu erreichen, darüber sagt die II. Internationale sehr wenig, und sie tat auch nichts, um praktisch etwas vorzubereiten. Die besten Elemente der II. Internationale begnügten sich damit, gegen den opportunistischen Flügel zu polemisieren, der auf Grund einer falschen Lesart der statistischen Daten überhaupt behauptete, dass eine Sozialisierung des ländlichen Besitzes nicht in Frage käme, und dass darüber hinausgehend die soziale Revolution auf dem flachen Lande keinen Boden fassen könne. Auf Grund der Zahlen der deutschen Statistiken versuchten die Revisionisten, den Nachweis zu geben, dass die marxistischen Theorien für das flache Land nicht gelten, und, auf Grund dieser Theorien verwarfen sie den sozialen Kampf, verwarfen sie die soziale Revolution. Diejenigen, die diesen Reformisten widersprachen, taten das – wie Kautsky – im Wesentlichen nur zu dem Zweck, um nachzuweisen, dass die marxistische Theorie trotzdem auch für dieses Gebiet gilt. Weitere praktische Folgerungen wurden jedoch nicht daraus gezogen.

Die Stellung der Kommunistischen Internationale dieser Frage gegenüber ist eine andere. Es handelt sich für uns darum, das flache Land wirklich zu revolutionieren; denn darüber kann kein Zweifel bestehen: ohne die aktive Teilnahme weiter Schichten der Landbevölkerung ist eine Sicherung und eine Befestigung der Diktatur des Proletariats nicht möglich. Für uns, für die Kommunistische Internationale, steht die Sicherung der Revolution an erster Stelle, und alle Fragen, die mit der Agrarfrage zusammenhängen, können nur unter diesem Gesichtswinkel betrachtet und gelöst werden. Die Aufgabe der Kommunistischen Internationale in Bezug auf die Agrarfrage lässt sich kurz in der Frage zusammenfassen: Wie tragen wir den Klassenkampf, den revolutionären Kampf auf das flache Land hinaus? Die Revolutionierung der ländlichen Bevölkerung, deren Bedürfnisse allein durch die Revolution befriedigt werden können, steht auf der Tagesordnung der Geschichte. Schon die geringen Erfahrungen, die hier in Russland gemacht werden können, die Erfahrungen, die mit den Agrarreformen in Mitteleuropa gemacht worden sind, bestätigen die These, die den Leitstern für die Verhandlungen des ganzen Kongresses bildet: dass die bürgerliche Demokratie unfähig ist, diese Frage zu lösen, und dass nur durch die Revolution und durch die Diktatur des Proletariats eine befriedigende Lösung erzielt werden kann. Die Parteien, die angeblich die Interessen der ländlichen Bevölkerung vertreten, wie etwa die Sozialrevolutionäre in Russland und die bäuerlich-bürgerlichen Parteien in Europa, haben ihre eigenen Programme verraten, als sie die Macht in die Hände bekamen und ihr Programm in die Tat umsetzen konnten. Die bürgerliche Demokratie ist unfähig, diese Frage zu lösen. Das zeigt nicht nur das praktische Verhalten der Sozialrevolutionäre in den russischen Randstaaten. Auch alle Ansätze zu einer Agrarreform in den übrigen Ländern laufen darauf hinaus, einen Teil des Großgrundbesitzes zu zerschlagen und zu verteilen, um so ein neues proletarisches oder halbproletarisches Element zu schaffen, das dazu dienen soll, billige Ausbeutungsobjekte für den bestehenden Großgrundbesitz zu schaffen. Was in Deutschland an Kleinsiedlungsgesetzen geschaffen worden ist, ist auf dem Papier stehen geblieben oder besteht darin, Elemente der Ausbeutung für den Großgrundbesitz zu schaffen. Eine einzige Ausnahme einer etwas ernster aussehenden Agrarreform ist vielleicht in Böhmen geschaffen worden; aber auch nur deshalb, weil sie den nationalen Gegensatz zwischen den Tschechen und den jüdischen und deutschen Elementen betont, so dass die tschechischen Bauern teilweise durch die Enteignung der anderen Elemente befriedigt worden sind.

Die Kommunistische Internationale muss über das, was die bürgerliche Demokratie geschaffen hat, hinausgehen und muss im Besonderen danach streben, den Gegensatz zwischen Stadt und Land aufzuheben, die städtische und ländliche proletarische Bevölkerung für den gemeinsamen Kampf, für die proletarische Revolution zusammenzuschmieden. Das geschieht unter anderem dadurch, dass wir dafür sorgen, dass die ländlichen Arbeiter aller der Vorteile teilhaftig werden, die den städtischen Arbeitern zur Verfügung stehen, ferner dadurch, dass wir im städtischen Proletariat das Bewusstsein für die Notwendigkeit der ländlichen Arbeit heben.

Die Frage, wie die proletarische Revolution aufs flache Land, ins Dorf hinausgetragen werden könne, kann nur gelöst werden, wenn im Einzelnen eine genaue Analyse der verschiedenen Schichten der ländlichen Bevölkerung aufgestellt wird. Die Leitsätze, die Euch vorliegen, machen den Versuch, die ländliche Bevölkerung in verschiedene Schichten zu scheiden: erstens das landwirtschaftliche Proletariat, die Lohnarbeiter, zweitens die Halbproletarier und die Parzellenbauern, drittens die Kleinbauern, viertens die mittleren Bauern, fünftens die Großbauern und sechstens die Großgrundbesitzer. Natürlich gibt diese Formulierung der Leitsätze nur ein allgemeines Schema. Bei dem verschiedenartigen Charakter der Zusammensetzung der ländlichen Bevölkerung in den verschiedenen Ländern müssen die Verhältnisse jedes Landes genau studiert werden, um im Einzelnen bestimmen zu können, wo die Revolutionierung der Landbevölkerung einsetzen kann. Hier auf dem Kongress können nur allgemeine Umrisse zur Beurteilung der Lage der ländlichen Bevölkerung und zur Bearbeitung durch die kommunistischen Parteien gegeben werden.

Die Gruppen, die in erster Linie und vollständig für die proletarische Revolution in Frage kommen, sind die Landarbeiter, die Forstarbeiter, ferner auch die Arbeiter, die in solchen industriellen Unternehmungen tätig sind, die mit der Landwirtschaft in Verbindung stehen, also in Molkereibetrieben, Spiritusbrennereien u. a. In Frage kommen weiter auch die großen Gärtnereibetriebe, die mit einer größeren Anzahl von Lohnarbeitern arbeiten. Die soziale Lage dieser ländlichen Bevölkerungsschicht ist sehr schwierig und schlecht, aber auch so bekannt, dass wir nicht näher darüber zu sprechen brauchen. Die schlechte wirtschaftliche Lage, geringe Entlohnung, schlechte Wohnungsverhältnisse verbinden sich mit dem politischen und sozialen Druck, der von den Junkern ausgeübt wird, so dass diese proletarischen Elemente sich ohne weiteres der Revolution anschließen werden. Diese Schicht gehört zu den aktivsten Elementen innerhalb der proletarischen Revolution, und ihre Organisationsfähigkeit ist trotz aller früheren schlechten Erfahrungen gegenwärtig sehr groß. Ich brauche nur daran zu erinnern, dass der Landarbeiterverband in Deutschland heute zu den größten freien Gewerkschaften gehört und 500.000 Mitglieder zählt. In einem so kleinen Lande wie Italien umfasst die Landarbeitergewerkschaft über 800.000 Mitglieder. Das beweist, welch eine Bedeutung diese Schicht für die soziale Revolution hat, und gleichzeitig, wie relativ leicht es sein wird, diese Schichten in unsere Reihen einzugliedern. Die Organisation darf sich nicht nur auf das gewerkschaftliche Gebiet erstrecken, sondern ebenso sehr und noch mehr müssen diese Schichten von unseren politischen Organen, von den kommunistischen Parteien erfasst werden. Darüber hinaus muss auch in jeder anderen Beziehung alles geschehen, um diese Schichten zu gewinnen (durch Bildungsarbeit usw.).

Ich möchte hier etwas über die Tätigkeit unter den Frauen auf dem Lande einfügen. Es gilt das sowohl für die Mägde, als auch für die Kleinbauernfrauen, die durch den Krieg, durch die heutigen sozialen Verhältnisse gezwungen werden, berufliche Arbeit teilweise selbständig zu leisten. Die Werbetätigkeit unter ihnen verspricht guten Erfolg und darf keineswegs vernachlässigt werden. Die Fragen, die vom Kongress bereits erledigt worden sind, die Mitarbeit in den Gewerkschaften und im Parlament, gewinnen, unter diesem Gesichtswinkel gesehen, besondere Bedeutung. Wenn von den Gegnern der Betätigung in den Gewerkschaften gesagt worden ist, dass man ja genug Gelegenheit habe, um das Proletariat zu organisieren und Agitation zu treiben, so trifft diese Einwendung vielleicht für das industrielle Proletariat zu. Die Erfassung des ländlichen Proletariats kann dagegen am leichtesten geschehen durch die Mitarbeit der Kommunisten in den Gewerkschaften der Landarbeiter und durch die Teilnahme am Wahlkampfe. Auf beiden Wegen können verhältnismäßig leicht große Schichten der ländlichen Bevölkerung in den Kreis der revolutionären Agitation hineingezogen werden. Der Erfolg planmäßiger Agitation ist sehr groß. Ich verweise auf die Erfahrungen in Russland und in Deutschland. In der Märzaktion, bei der Abwehr des Kapp-Putsches, hat das ländliche Proletariat Deutschlands sich gut und mutig benommen. Die Gutsbesitzer wurden verjagt oder eingesperrt, der landwirtschaftliche Betrieb wurde aufrechterhalten. Die Landarbeiter lieferten den Überschuss an Nahrungsmitteln ohne weiteres an die Stadt ab. Darüber hinausgehend haben die Landarbeiter sich zusammengeschlossen und dem Proletariat in den Städten revolutionäre Kampfkaders zur Verfügung gestellt. Nicht nur während dieses Kampfes vor der Eroberung der Macht, sondern auch nach der Eroberung der Macht wird das ländliche Proletariat zu den stärksten Stützen der Sowjetmacht gehören. Es handelt sich darum, dieser meist oder vorläufig elementaren Bewegung des ländlichen Proletariats eine organisatorische Form zu geben. Die Bildung von Gutsräten ist die beste Form, um die ungestümen elementaren Kräfte zusammenzufassen. ,

In ähnlicher Weise, wenn auch nicht so leicht wie die Landarbeiter, wird die zweite Schicht der ländlichen Bevölkerung, werden die Halbproletarier und Parzellenbauern sich für die proletarische Revolution gewinnen lassen. Auch diese Schicht ist abhängig von dem Großgrundbesitzer. Sie leidet unter denselben Schwierigkeiten, unter denen die Landarbeiter leiden. Ja, vielleicht ist ihre Lage noch etwas schwieriger, weil für die Parzellenbauern noch die persönlichen Sorgen um ihr Fleckchen Land hinzukommen. In den meisten Ländern wird es zweckmäßig sein, diese halbproletarischen Elemente in die Organisationen der eigentlichen Landarbeiter einzureihen. Etwas schwieriger steht die Frage bei den Kleinbauern und den Pächtern, die durch Bearbeitung ihres Bodens gerade ihren Unterhalt gewinnen können, aber keine fremde Arbeitskraft beschäftigen. Dazu gehören auch die kleinen Gemüse- und Obstpächter und Gärtnereibesitzer. Sie sind nicht revolutionär gesonnen, trotzdem kommen sie für unsere Kampfreihen teilweise mit in Frage. Es handelt sich darum, sie über die Notwendigkeit der sozialen Revolution und über ihre eigenen Interessen zu unterrichten. In Wirklichkeit leiden diese Kleinbauern sehr stark unter den gegenwärtigen Verhältnissen. Auch sie sind, wenn auch meist indirekt, abhängig vom Großgrundbesitz wie vom Kapital; auch sie leisten unbezahlte Arbeit in der Form, dass sie Hypothekenzinsen aufbringen, landwirtschaftliche Maschinen zu hohen Preisen bezahlen müssen usw. Die Lebenshaltung dieser Schicht ist oft rein proletarisch. Der Steuerdruck, Kaufschillinge usw., die allgemeine Teuerung, unter der diese Schicht leidet, das sind alles Fragen, die wir ihr durch eine planmäßige Agitation nahebringen müssen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch innerhalb dieser Schicht eine Berufsorganisation geschaffen werden kann. So bildete sich noch im vergangenen Jahre ein Verband für Landarbeiter und Kleinbauern in Deutschland. Es stellte sich dann heraus, dass es unzweckmäßig war, außerhalb der Gewerkschaften einen besonderen Verband zu bilden, und der Verband wurde aufgelöst. Trotzdem baten uns die Kleinbauern in Süddeutschland darum, ihn aufrecht zu erhalten und unsere Zeitschrift für sie weiter herauszugeben, mit der Begründung, dass sie besonderes Interesse für unsere Ideen hätten. Und so sind wir in Deutschland dazu gekommen, eine, wenn auch losere Organisation für die Bauern zu schaffen, die trotzdem ihre Bedeutung hat. Ebenso regen wir in Deutschland die Kleinbauern an, sich zu Kleinbauernräten zusammenzuschließen, um nicht nur wirtschaftliche Interessen zu verfolgen, sondern auch den politischen und sozialen Kampf aufzunehmen. Ich muss hinzufügen, dass diese Arbeit bisher noch keinen Erfolg hatte. Gutsräte haben wir in sehr vielen Dörfern gehabt. Zur Beteiligung von Kleinbauern ist es noch nicht gekommen; trotzdem lassen wir in dieser Agitation nicht nach. Teilweise ist es gelungen, die Kleinbauern davon zu überzeugen, dass eine Aufteilung des Grund und Bodens keine besonderen Vorteile für sie haben würde, und dass es zweckmäßig wäre, sich zu Kleinbauernräten und zu Genossenschaften zusammenzuschließen, die den zu enteignenden Großgrundbesitz gemeinsam bewirtschaften. Es muss allerdings betont werden, dass in vielen Ländern, besonders in den kleinen westlichen Demokratien, die Kleinbauern stark reaktionär sind, und im Allgemeinen ist daher anzunehmen, dass sich während des Kampfes um die Diktatur des Proletariats ein Schwanken dieser Schicht bald nach der Seite des Privatbesitzes, bald nach der Seite des Kommunismus zeigen wird. Diese kleinen Eigentümer sind durch Anschauungen privatkapitalistischer Art demoralisiert. Um diese Schwankungen zu beseitigen und die Sympathien für uns zu gewinnen, müssen wir ihnen zum Bewusstsein bringen, dass auch sie unter dem jetzigen System leiden, und ihnen sagen, welche Vorteile ihnen in der Zeit der Diktatur des Proletariats und nach Befestigung der proletarischen Staatsmacht zufallen werden. Wir müssen ihnen zusichern, dass sie ihren kleinen Grundbesitz behalten können, denn es hätte keinen Zweck, diesen kleinen Grundbesitz zu enteignen, weil zur Zeit des Kampfes weder die politische noch die technische Möglichkeit besteht, diesen kleinen Grundbesitz wider den Willen ihrer Besitzer gemeinsam zu bewirtschaften. Wir müssen nicht nur zusagen, dass sie ihr Eigentum behalten, sondern wir müssen auch alles tun, um den Wucher zu beseitigen, unter dem diese Kleinbauern leiden. Befreiung vom Steuerdruck, vom Pachtzins, von den Hypothekenlasten und Kaufschillingen sind Vorteile, die dem Kleinbauern ohne weiteres vom Proletariat zugestanden werden müssen. Weiter müssen sie befreit werden von der Abhängigkeit vom Großgrundbesitz beim Wald- und Weidenutzungsrecht. Ferner muss ihnen Hilfe versprochen werden durch Hergabe von Gebäuden, Maschinen, Geräten und Saaten, die dem Großgrundbesitz abgenommen werden. Es muss ihnen schließlich gesagt werden, dass die Genossenschaften, die heute fast in allen Ländern den reichen Bauern zur Verfügung stehen, in Organisationen umgewandelt werden müssen, die ausschließlich den Interessen der Kleinbauern dienen. In den Ländern, wo eine gewisse Einschränkung des Freihandels und eine Ablieferungspflicht von Lebensmitteln besteht, muss ihnen auch gesagt werden, dass dieser Zwang zur Ablieferung von Nahrungsmitteln aufrecht erhalten bleiben muss, dass aber der zur Ausführung notwendige Organisationsapparat der Bürokratie abgenommen und in die Hände der Kleinbauern selbst gelegt werden wird. Die Kleinbauern müssen darauf aufmerksam gemacht werden, dass ihnen durch die Sozialisierung des Großbetriebs und durch Verbilligung der landwirtschaftlichen Maschinen Vorteile geschaffen werden. Daher ist eine planmäßige Bildungsarbeit unter den Kleinbauern zu betreiben. Sie müssen über ihre soziale Lage aufgeklärt werden. Wenn die Agitation so betrieben wird, ist zu erwarten, dass die Bauern teilweise mit dem Proletariat gehen, zum Mindesten nicht Gegner der proletarischen Diktatur werden. Zusammengenommen bilden die Gruppen der Landarbeiter, Halbproletarier und Parzellenbauern ein prächtiges Tätigkeitsfeld für die kommunistische Parteiarbeit, und nach der Eroberung der Macht durch das Proletariat werden alle drei Schichten sich darüber klar werden, dass der Anschluss an die proletarische Staatsmacht das beste Mittel ist, um die eigenen Interessen zu befriedigen.

Noch schwieriger als bei den Kleinbauern liegt die Frage bei den mittleren Bauern. Sie benutzen teilweise fremde Arbeitskraft und haben einen so großen Besitz, dass sie einen Überschuss an Nahrungsmitteln produzieren können. Diese Schicht ist keineswegs klein. In den Leitsätzen wird darauf hingewiesen, dass in Deutschland diese mittlere Schicht mit einem Besitz von 5–10 Hektar über eine halbe Million Menschen zählt. Es ist klar, dass es unmöglich ist, diese Schicht von ihrem Grundbesitz zu verjagen, denn das würde eine Einschränkung der Lebensmittelproduktion bedeuten. Es muss sich also darum handeln, diese Schicht anders zu behandeln. Man muss den Versuch machen, sie zu neutralisieren. Kautsky hat darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, die Bauernschaft so zu behandeln, dass sie der Bourgeoisie keine aktive Hilfe leistet. Auch bei diesen mittleren Bauern kommt eine sofortige Aufhebung des Privateigentums nicht in Frage. Es wird sogar möglich sein, den mittleren Bauern noch etwas Grundbesitz hinzuzugeben, soweit es sich um bereits von ihnen gepachtetes Land handelt, und die mittleren Bauern werden weiter dadurch einen Vorteil haben, dass auch für sie der Pachtzins aufgehoben wird. Selbstverständlich können alle diese Vorteile den mittleren Bauern nur unter der Bedingung gewährt werden, dass sie die Sowjetmacht anerkennen, Lebensmittel liefern und keinen Widerstand leisten. Auch hier zeigt die Erfahrung in Russland, dass es bei solcher Behandlung möglich ist, die mittleren Bauern zu einer loyalen Haltung gegenüber der Sowjetmacht zu veranlassen. Diese Behandlung der mittleren Bauern unter Aufrechterhaltung des Privateigentums ist notwendig. Denn die Haltung dieser Schichten von Bauern kommt ungefähr auf das hinaus, was einer der russischen Bauern in dem schlechten Witz zusammengefasst hat; Wir sind für die Sowjetmacht, aber gegen den Kommunismus. Dass diese Bauern sich einfügen und mit der proletarischen Staatsmacht abfinden werden, wenn sie zweckmäßig behandelt werden, das zeigt das russische Beispiel. In der Roten Armee tut eine große Zahl der mittleren Bauern ihre Pflicht im Kampfe gegen den äußeren Feind.

Die Großbauern dagegen, die in der Regel fremde Arbeitskräfte beschäftigen, gehören zu den an Zahl stärksten und entschiedensten Gegnern der Sowjetmacht, und es ist zu erwarten, dass sie nicht nur jetzt, sondern auch später, nach Aufrichtung der Sowjetmacht, alle Formen von Sabotage treiben und auch militärischen Widerstand leisten werden. Dieser Gefahr muss klar ins Auge gesehen werden, und alle Vorbereitungen müssen getroffen werden, um diesen Widerstand zu vereiteln und ihn niederzuschlagen, wo er sich zeigt. Die Entwaffnung der Großbauern muss durchgeführt werden. Aber die Enteignung kommt selbst bei diesen Großbauern nicht als sofortige Aufgabe der Revolution in Frage. Abgenommen müssen ihnen die verpachteten Grundstücke werden, die für die kleinen Mittelbauern notwendig sind, und sie werden ohne weiteres völlig enteignet werden, wenn sie hartnäckig Widerstand leisten. Falls jedoch diese Voraussetzung nicht vorliegt, werden wir den Großbauern ihr Land belassen. Es ist wichtig, dass der politische und militärische Widerstand dieser Schicht ausgeschaltet wird. Und auch da zeigt die Erfahrung in Russland, dass es möglich ist, eine solche halbwegs loyale Haltung dieser Schicht hervorzurufen. Sobald der Sieg der proletarischen Revolution gesichert ist, wird sich herausstellen, dass sich auch die Großbauern mit den neuen Verhältnissen abfinden.

Die Großgrundbesitzer, die teilweise noch während des Krieges große Landkäufe vorgenommen haben, müssen sofort ausnahmslos und ohne jede Entschädigung enteignet werden. Die von Kautsky und anderen Unabhängigen vorgeschlagene Entschädigung und Enteignung gegen Entgelt kann nicht in Frage kommen. – Was geschieht mit dem enteigneten Lande? Das Natürlichste und Zweckmäßigste ist, dass es den Landarbeitern gemeinsam übergeben wird, die schon vorher auf dem Grund und Boden tätig waren. Es müssen Sowjetwirtschaften gebildet werden, die im Aufträge und als Organe der proletarischen Staatsmacht diese Güter bewirtschaften, sich selbst unterhalten und den Überschuss an die Sowjetmacht abliefern. Unter Umständen wird es möglich sein, kollektive Betriebe zu schaffen, die den Boden genossenschaftlich bearbeiten. Diese beiden Lösungen sind die besten sowohl für die Landarbeiter und Halbproletarier, als auch für die städtische Bevölkerung, die dadurch in der Versorgungsfrage von der Bauernschaft teilweise unabhängig wird. Voraussetzung für diese Lösung ist, dass das Landproletariat einen gewissen Schatz an technischer Erfahrung gesammelt hat. Da diese Vorbedingung nicht überall vorliegt, muss damit gerechnet werden, dass in besonderen Fällen Ausnahmen gemacht werden. Solche Ausnahmen sind in Russland gemacht worden, wo man den Großgrundbesitz teilweise aufgeteilt hat. Diese Ausnahme ist kein Verstoß gegen die Prinzipien des Kommunismus, wie Kautsky hat nachweisen wollen; denn die Hauptaufgabe einer proletarischen Macht besteht darin, sich selbst und die proletarische Revolution zu sichern, die Grundlagen für den Kommunismus zu schaffen. Alle anderen Fragen müssen gegenüber diesem Hauptgesichtspunkt zurücktreten. Selbst die Einschränkung der Produktion, die heute ja immer noch empfindlich wirken kann, ist nicht so wichtig, dass sie gegenüber dieser Frage nicht zurücktreten müsste.

Wann darf der Großgrundbesitz aufgeteilt werden? Eine Teilung kommt erst dann in Frage, wenn er an Kleinbauern verpachtet ist, wenn dieser Großgrundbesitz also nicht einheitlich bewirtschaftet wird. In diesem Falle bedeutet die Aufteilung überhaupt keine Aufgabe des Großbetriebs. Ferner ist diese Aufteilung dann möglich, wenn der Großbesitz eingestreut ist in kleinbäuerliche Siedlungen. Hier ist der Landhunger so groß, dass er unter Umständen zur Sicherung der Revolution befriedigt werden muss. In Süddeutschland ist es denkbar, dass die wenigen vorhandenen Großgüter aufgeteilt werden. Und schließlich kann da, wo das Landproletariat zu rückständig ist, eine Aufteilung an die erfahrenen Bauern in Frage kommen. Wichtig dafür ist auf jeden Fall, dass die Gutsbesitzer nicht auf ihren Gütern belassen, dass sie verjagt werden müssen, und wenn der Großbetrieb nicht ohne sie aufrechtzuerhalten wäre, dann muss die Bauernschaft für die Bearbeitung dieses Bodens gewonnen werden. Nach Befestigung der proletarischen Macht wird es möglich werden, für die Mitarbeit bürgerliche Fachleute unter Kontrolle der Sowjetmacht zu gewinnen.

Die Voraussetzung für die Gewinnung des ländlichen Proletariats ist ein entschiedener Kampf des städtischen Proletariats für die soziale Revolution ohne Scheu vor Opfern, und die kommunistischen Parteien müssen dabei als Vorhut vorangehen. Um die Schichten, die noch schwanken oder die den kommunistischen Ideen zugänglich sind, zu gewinnen, müssen ihnen sofort nach dem Sieg der proletarischen Revolution wirtschaftliche Vorteile gewährt werden. Die Halbproletarier und die kleinen und mittleren Bauern müssen fühlen, dass sie selbst einen Vorteil von der neuen Ordnung haben, und zwar müssen diese Vorteile gewährt werden auf Kosten der Ausbeuter. Um diese Bewegung auf dem flachen Lande zu fördern, ist es notwendig, an die wirtschaftlichen Kämpfe auf dem Lande anzuknüpfen, in erster Linie an die Streikbewegung. In fast allen Staaten haben große Streikbewegungen auf dem Lande eingesetzt, und diese müssen von den kommunistischen Parteien ausgenutzt werden, um das Landproletariat zu überzeugen, dass eine wirkliche Verbesserung seiner Lage nicht durch die Gewährung höherer Löhne geschaffen werden kann, sondern nur durch den Sieg der proletarischen Revolution. Im Anschluss an diese wirtschaftlichen Kämpfe müssen die kommunistischen Parteien auch das Landproletariat für sich gewinnen und dort ihre eigenen Organisationen schaffen. Das Landproletariat muss davon überzeugt werden, dass es sich selbst in der Form der Gutsräte für den Befreiungskampf organisieren muss. Den industriellen Arbeitern auf dem Lande, die meist aus der städtischen Bevölkerung stammen, fällt bei Verstärkung dieser Bewegung auf dem Lande eine besondere Rolle zu; an diese müssen die kommunistischen Parteien sich wenden, um mit ihrer Hilfe die Bewegung auf das flache Land hinauszutragen und zu stärken. Eine besondere Agitation unter den Kleinbauern ist ebenfalls notwendig. Sie muss mit allen Mitteln betrieben werden. In den Leitsätzen sind weitere Vorschläge gemacht, wie durch Agitation, durch Versammlungen, durch die mitarbeitenden Gewerkschaften und die Behandlung der Agrarfragen im Parlament das flache Land revolutioniert werden kann.

Das wären kurz die Aufgaben, die dem Kongress durch die Leitsätze vorgelegt werden. Die Kommission hat sich in mehreren Sitzungen eingehend mit den Leitsätzen beschäftigt und eine große Zahl von Veränderungen vorgenommen, zunächst in der deutschen Ausgabe eine große Zahl von stilistischen Änderungen. Diese Leitsätze sollen nur den allgemeinen Rahmen für die Tätigkeit der kommunistischen Parteien auf dem flachen Lande abgeben. Es wird zweckmäßig sein, wenn die Kommunisten aller Länder sich ein eigenes Agrarprogramm schaffen, das besondere Vorschläge enthält. Ich möchte darauf hinweisen, dass zum Beispiel in Deutschland ein solches Agrarprogramm der KPD bereits besteht.

Was nun sachliche Änderungen anbetrifft, so ist in § 2 auf Seite 33 eingefügt hinter „Lohnarbeit in den kapitalistischen“ „die industriellen Landarbeiter, die Forstarbeiter …".

Auf Seite 34 ist eingefügt worden, „dass eine gemeinsame Organisation der Landarbeiter …“.

Auf Seite 38 Punkt 4 sind mehrere Sätze gestrichen worden, in denen das Interesse der mittleren Bauern den Interessen der Lohnarbeiter gegenübergestellt wird. Dort, wo gesagt wird „denn die Weltanschauung …“ bis „das siegreiche Proletariat“ auf Seite 39, ist eingefügt worden, „dass eine sofortige Aufhebung des Privateigentums gegenüber den mittleren Bauern nicht in Frage kommt, dagegen …“. Die größten Änderungen sind vorgenommen im § 6. Er gibt in der ursprünglichen Fassung eine allzu starke Hervorhebung der Ausnahme von der Regel, dass das Land nicht aufgeteilt werden darf. Die Kommission hat den Satz des Paragrafen, in dem es heißt, dass es ein Fehler wäre, die Verteilung des Bodens nicht vorzunehmen, gestrichen und einen neuen Satz vorangestellt: „… das Prinzip, dass der Großbetrieb aufrecht erhalten bleiben muss.“ Die Änderungen sind so zahreich, dass ich nicht diese ganze neue Fassung vorlesen möchte. Die Änderung entspricht fast wörtlich einem Vorschlag des Genossen Marchlewski. In der deutschen Ausgabe wird auf Seite 43 von der Stelle, wo der Absatz anfängt „Es wäre indessen ein großer Fehler …“, alles gestrichen bis zu dem Absatz auf Seite 45 „das Inventar der Großbetriebe...“ und durch eine neue Fassung ersetzt. Von da an bleibt der alte Text mit geringen Änderungen bestehen. Dann ist auf Seite 46 eine Polemik gegen die II. Internationale, gegen die deutschen und englischen Unabhängigen und die französischen Longuetisten gestrichen worden, weil derselbe Gedanke an anderer Stelle ausgesprochen worden ist.

Das sind die wesentlichen Änderungen. Zum Schluss möchte ich erneut darauf hinweisen, welche Wichtigkeit es hat, dass die kommunistischen Parteien die soziale Revolution auf das flache Land hinaustragen. Eine Sicherung des Sieges, besonders in Mittel- und Westeuropa, ist nicht anders möglich, als dass das ländliche Proletariat mit eingereiht wird in die Vorhut des städtischen Proletariats. Die besonders günstigen Verhältnisse, die in Russland vorlagen dadurch, dass auch die Bauernschaft durch die Frage „Frieden und Land” an der proletarischen Gewalt interessiert ist, fallen teilweise in Mittel- und Westeuropa fort. Um so notwendiger ist es, dass die kommunistischen Parteien auf dem Lande sich auf die Teile des ländlichen Proletariats stützen, die in der gleichen Weise wie das städtische und teilweise noch schlimmer unter den gegenwärtigen Verhältnissen leiden. Und die Kommission hofft, dass die Anregungen, die hier gegeben werden, auch in der Praxis der verschiedenen kommunistischen Parteien in den einzelnen Ländern ihre Früchte tragen werden.

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