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7. Leitsätze über die Gewerkschaftsbewegung, die Betriebsräte und die Kommunistische Internationale

Leitsätze über die Gewerkschaftsbewegung, die Betriebsräte und die Kommunistische Internationale

I.

1. Die von der Arbeiterklasse in der Periode der friedlichen Entwicklung des Kapitalismus geschaffenen Gewerkschaften waren Organisationen der Arbeiter zum Kampf um die Erhöhung des Preises der Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt und für die Verbesserung der Bedingungen ihrer Verwendung. Die revolutionären Marxisten waren bestrebt, sie mit der politischen Partei des Proletariats, der Sozialdemokratie, zu gemeinsamem Kampf für den Sozialismus in Verbindung zu bringen. Aus denselben Gründen, denen zufolge die internationale Sozialdemokratie sich mit geringen Ausnahmen nicht als Werkzeug des revolutionären Kampfes des Proletariats zum Sturz des Kapitalismus, sondern als eine Organisation erwies, die das Proletariat im Interesse der Bourgeoisie von der Revolution zurückhält, erwiesen sich die Gewerkschaften während des Krieges in den meisten Fällen als Teil des Kriegsapparats der Bourgeoisie und halfen dieser, aus der Arbeiterklasse möglichst viel Schweiß auszupressen, zwecks möglichst energischer Kriegsführung für die Interessen des kapitalistischen Gewinns. Die Gewerkschaften, die hauptsächlich qualifizierte, von den Unternehmern am besten bezahlte Arbeiter umfassten, die, durch ihre gewerkschaftliche Engherzigkeit beschränkt, durch den von den Massen losgelösten bürokratischen Apparat gebunden, durch ihre opportunistischen Führer irregeleitet wurden, haben nicht nur die Sache der sozialen Revolution, sondern sogar die Sache des Kampfes um die Verbesserung der Lebensbedingungen der von ihnen organisierten Arbeiter verraten. Sie sind vom Standpunkt des gewerkschaftlichen Kampfes gegen die Unternehmer abgegangen und haben ihn durch ein Programm der friedlichen Abmachungen mit den Kapitalisten um jeden Preis ersetzt. Eine solche Politik haben nicht nur die liberalen Verbände in England und Amerika, nicht nur die angeblich “sozialistischen” freien Gewerkschaften in Deutschland und Österreich, sondern auch die syndikalistischen Verbände in Frankreich geführt.

2. Die wirtschaftlichen Folgen des Krieges, die volle Desorganisierung der Weltwirtschaft, die wahnsinnige Teuerung, die ausgedehnte Anwendung der Frauen- und Jugendarbeit, die Verschlechterung der Wohnungsverhältnisse — alles dies treibt die breitesten Massen des Proletariats auf den Weg des Kampfes gegen den Kapitalismus. Dieser Kampf ist der Ausdehnung und dem Charakter nach, den er mit jedem Tage immer mehr annimmt, ein revolutionärer Kampf, der die Grundlagen der kapitalistischen Ordnung objektiv zerstört. Die heute von dieser oder jener Arbeiterkategorie durch wirtschaftlichen Kampf erzielte Erhöhung des Arbeitslohns ist morgen schon durch die Teuerung überholt. Die Teuerung muss steigen, weil die kapitalistische Klasse der siegreichen Länder, während sie durch ihre Ausbeutungspolitik Mittel- und Osteuropa zerstört, nicht nur nicht imstande ist, die Weltwirtschaft neu zu organisieren, sondern sie unermüdlich desorganisiert. Um im wirtschaftlichen Kampf Erfolg zu haben, strömen die breitesten Arbeitermassen, die bisher außerhalb der Gewerkschaften standen, in ihre Reihen. In allen kapitalistischen Ländern ist ein riesiges Anwachsen der Gewerkschaften zu verzeichnen, die jetzt nicht mehr eine Organisation allein des vorgeschrittenen Teils des Proletariats, sondern seiner Hauptmassen sind. Indem sie in die Gewerkschaften hineinströmen, suchen diese Massen sie zu ihrer Kampfwaffe zu machen. Die sich verschärfenden Klassengegensätze nötigen die Gewerkschaften zur Leitung der Streiks, die in breiter Welle durch die ganze kapitalistische Welt fluten und den Prozess der kapitalistischen Produktion und des Austausches ständig unterbrechen. Indem sie mit der wachsenden Teuerung und ihrer eigenen Erschöpfung ihre Forderungen erhöhen, vernichten die Arbeitermassen die Grundlage für jegliche kapitalistische Kalkulation — diese elementare Voraussetzung für jede geordnete Wirtschaft. Die Gewerkschaften, die während des Krieges zu Organen für die Beeinflussung der Arbeitermassen im Interesse der Bourgeoisie geworden waren, werden jetzt zu Organen der Zerstörung des Kapitalismus.

3. Diese Änderung des Charakters der Gewerkschaften wird von der alten Gewerkschaftsbürokratie und durch die alten Organisationsformen der Gewerkschaften auf jede Weise behindert. Die alte Gewerkschaftsbürokratie sucht vielerorts die Gewerkschaften als Organisationen der Arbeiteraristokratie aufrechtzuerhalten: sie behält die Vorschriften bei, die den schlecht entlohnten Arbeitermassen den Zutritt zu den Gewerkschaftsorganisationen unmöglich machen. Die alte Gewerkschaftsbürokratie versucht auch jetzt noch, den Streikkampf der Arbeiter, der mit jedem Tage immer mehr den Charakter eines revolutionären Ringens des Proletariats mit der Bourgeoisie annimmt, durch eine Politik der Übereinkunft mit den Kapitalisten, eine Politik langfristiger Verträge, die schon in Anbetracht der ununterbrochenen wahnsinnigen Preissprünge jeden Sinn verloren haben, zu er setzen. Sie sucht den Arbeitern die Politik der Arbeitsgemeinschaften, der Joint Industry Conseils aufzudrängen und mit Hilfe des kapitalistischen Staates die Führung des Streiks gesetzlich zu erschweren. In den angespanntesten Augenblicken des Kampfes sät diese Bürokratie Zwietracht in die kämpfenden Massen der Arbeiter, hindert sie den Zusammenschluss des Kampfes verschiedener Arbeiterkategorien zu einem allgemeinen Klassenkampf. Bei diesen Versuchen wird sie von der alten Organisationsform der Gewerkschaften nach Berufen unterstützt, die die Arbeiter eines Industriezweiges in gesonderte Berufsgruppen trennt, obgleich der Prozess der kapitalistischen Ausbeutung sie zusammenschließt. Sie stützt sich auf die Macht der Überlieferung der Ideologie der alten Arbeiteraristokratie, obgleich diese beständig durch den Prozess der Aufhebung der Privilegien einzelner Gruppen des Proletariats infolge des allgemeinen Zerfalls des Kapitalismus, der Nivellierung der Lage der Arbeiterklasse, der Verallgemeinerung ihrer Not und Unsicherheit geschwächt wird.

Auf diese Weise teilt die Gewerkschaftsbürokratie den mächtigen Strom der Arbeiterbewegung in schwache Rinnsale, vertauscht die allgemeinen revolutionären Ziele der Bewegung gegen reformistische Teilforderungen und hemmt im allgemeinen die Ausgestaltung des Kampfes des Proletariats zu einem Revolutionskampfe für die Vernichtung des Kapitalismus.

4. In Anbetracht des Hineinströmens gewaltiger Arbeitermassen in die Gewerkschaften, in Anbetracht des objektiven revolutionären Charakters des wirtschaftlichen Kampfes, den diese Massen im Gegensatz zur Gewerkschaftsbürokratie führen, müssen die Kommunisten in allen Ländern in die Gewerkschaften eintreten, um aus ihnen bewusste Kampforgane zum Sturz des Kapitalismus und für den Kommunismus zu machen. Sie müssen die Initiative zur Bildung von Gewerkschaften ergreifen, wo solche nicht existieren.

Jedes freiwillige Fernbleiben von der Gewerkschaftsbewegung, jeder künstliche Versuch der Schaffung von besonderen Gewerkschaften, ohne dazu entweder durch außergewöhnliche Vergewaltigungsakte seitens der Gewerkschaftsbürokratie (Auflösung einzelner revolutionärer Ortsgruppen der Gewerkschaften durch die opportunistischen Zentralen) oder durch ihre engherzige aristokratische Politik, die den großen Massen der wenig qualifizierten Arbeiter den Eintritt in die Organisationen versperrt, genötigt zu werden, stellt eine riesige Gefahr für die kommunistische Bewegung dar. Er droht die vorgeschrittensten, die klassenbewusstesten Arbeiter von den Massen zu trennen, die sich auf dem Wege zum Kommunismus befinden, und diese Massen an die opportunistischen Führer auszuliefern, die der Bourgeoisie in die Hände arbeiten. Die Halbheit der Arbeitermassen, ihre geistige Unentschlossenheit, ihre Zugänglichkeit für die Scheingründe der opportunistischen Führer kann nur im Prozess des sich verschärfenden Kampfes überwunden werden, in dem Masse, in dem die breitesten Schichten des Proletariats durch ihre Erfahrung, durch ihre Siege und Niederlagen begreifen lernen, dass auf der Grundlage des kapitalistischen Wirtschaftssystems menschliche Lebensbedingungen unmöglich mehr erreicht werden können, in dem Masse, in dem die vorgeschrittenen kommunistischen Arbeiter es lernen werden, im Wirtschaftskampf nicht nur Verkünder der Ideen des Kommunismus zu sein, sondern die entschlossensten Führer des Wirtschaftskampfes und der Gewerkschaften zu werden, Nur auf diese Weise wird es möglich sein, die opportunistischen Führer aus den Gewerkschaften zu entfernen. Nur auf diese Weise können die Kommunisten an die Spitze der Gewerkschaftsbewegung treten und sie zu einem Organ des revolutionären Kampfes für den Kommunismus machen. Nur auf diese Weise werden sie die Zersplitterung der Gewerkschaften beheben und sie durch Industrieverbände ersetzen, die von den Massen losgelöste Bürokratie beseitigen und sie durch einen Apparat von Betriebsvertretern ersetzen können, wobei den Zentralen nur die allernotwendigsten Funktionen vorbehalten bleiben.

5. Da die Kommunisten Ziel und Wesen der Gewerkschaftsorganisation höher stellen als die Form, dürfen sie in der Gewerkschaftsbewegung nicht vor einer Spaltung der Gewerkschaftsorganisationen zurückschrecken, wenn der Verzicht auf die Spaltung gleichbedeutend sein würde mit dem Verzicht auf die revolutionäre Arbeit in den Gewerkschaften, mit dem Verzicht auf den Versuch, aus diesen ein Werkzeug des revolutionären Kampfes zu machen, und mit dem Verzicht auf die Organisation der am meisten ausgebeuteten Teile des Proletariats. Aber selbst wenn sich eine solche Spaltung als notwendig erweisen sollte, darf sie nur dann durchgeführt werden, wenn es den Kommunisten gelingt, durch unausgesetzten Kampf gegen die opportunistischen Führer und ihre Taktik, durch lebhafteste Anteilnahme am wirtschaftlichen Kampf die breiten Arbeitermassen davon zu überzeugen, dass die Spaltung nicht wegen der ihnen noch unverständlichen fernen Revolutionsziele, sondern wegen der konkreten nächsten Interessen der Arbeiterklasse an der Entwicklung ihres Wirtschaftskampfes vorgenommen wird. Die Kommunisten müssen im Fall der Notwendigkeit einer Spaltung ununterbrochen aufmerksam prüfen, ob die Spaltung nicht zu ihrer Isolierung von der Arbeitermasse führen wird.

6. Wo die Spaltung zwischen der opportunistischen und der revolutionären Gewerkschaftsführung schon früher erfolgt ist, wo, wie in Amerika, neben den opportunistischen Gewerkschaften Verbände mit revolutionären, wenn auch nicht kommunistischen Tendenzen bestehen, dort sind die Kommunisten verpflichtet, diese revolutionären Gewerkschaften zu unterstützen, ihnen zu helfen, sich von syndikalistischen Vorurteilen freizumachen, sich auf den Boden des Kommunismus zu stellen, der allein als verlässlicher Kompass in den Wirrnissen des Wirtschaftskampfes dienen kann. Wo sich im Rahmen der Gewerkschaften oder außerhalb derselben in den Betrieben Organisationen bilden, wie die Shop Stewards, die Betriebsräte, die sich den Kampf gegen die konterrevolutionären Tendenzen der Gewerkschaftsbürokratie, die Unterstützung der spontanen direkten Aktionen des Proletariats zum Zweck setzen, dort haben die Kommunisten selbstverständlich mit voller Energie diese Organisationen zu unterstützen. Aber die Unterstützung der revolutionären Gewerkschaften darf nicht den Austritt der Kommunisten aus den opportunistischen Gewerkschaften bedeuten, die sich im Zustande der Gärung befinden und auf den Boden des Klassenkampfes übergehen. Im Gegenteil, indem die Kommunisten diese Entwicklung der Massengewerkschaften, die sich auf dem Wege zum Revolutionskampf befinden, zu beschleunigen suchen, werden sie die Rolle eines Elements spielen können, das die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter geistig und organisatorisch zum gern einsamen Kampf für die Vernichtung des Kapitalismus vereinigt.

7. Der wirtschaftliche Kampf des Proletariats verwandelt sich in der Epoche des Zerfalls des Kapitalismus viel schneller in einen politischen Kampf, als dies im Zeitalter der friedlichen Entwicklung des Kapitals geschehen konnte. Jeder große wirtschaftliche Zusammenstoß kann die Arbeiter unmittelbar vor die Frage der Revolution stellen. Es ist daher Pflicht der Kommunisten, in allen Phasen des Wirtschaftskampfes die Arbeiter darauf hinzuweisen, dass dieser Kampf nur dann erfolgreich sein kann, wenn die Arbeiterklasse im offenen Ringen die Klasse der Kapitalisten besiegt und auf dem Wege der Diktatur das Werk des sozialistischen Aufbaus in Angriff nimmt. Hiervon ausgehend, müssen die Kommunisten bestrebt sein, nach Möglichkeit eine volle Einheit zwischen den Gewerkschaften und der kommunistischen Partei herzustellen, die Gewerkschaften der tatsächlichen Leitung durch die Partei als Vortrupp der Arbeiterrevolution unterzuordnen. Zu diesem Zweck müssen die Kommunisten überall in den Gewerkschaften und Betriebsräten kommunistische Fraktionen bilden und mit deren Hilfe sich der Gewerkschaftsbewegung bemächtigen und sie leiten.

II.

1. Der Wirtschaftskampf des Proletariats für die Erhöhung des Arbeitslohns und die allgemeine Besserung der Lebensbedingungen der Arbeitermasse gerät täglich mehr und mehr in eine Sackgasse. Die wirtschaftliche Zerrüttung, die in immer ausgedehnterem Masse ein Land nach dem anderen ergreift, zeigt sogar den zurückgebliebenen Arbeitern, dass es nicht genügt, für die Erhöhung des Arbeitslohns und für die Verkürzung des Arbeitstages zu kämpfen, dass die Klasse der Kapitalisten mit jedem Tage weniger imstande ist, das Wirtschaftsleben wieder herzustellen und den Arbeitern auch nur die Lebensbedingungen zu sichern, die sie ihnen vor dem Kriege gab. Aus dieser wachsenden Erkenntnis der Arbeitermassen entspringt ihr Bestreben, Organisationen zu schaffen, die den Kampf zur Rettung der Wirtschaft durch die Arbeiterkontrolle der Betriebsräte über die Produktion aufnehmen können. Das Streben nach der Schaffung von Betriebsräten, das die Arbeiter verschiedener Länder mit jedem Tage mehr erfasst, nimmt seinen Ausgangspunkt von den mannigfaltigsten Ursachen (Kampf gegen die konterrevolutionäre Bürokratie, Entmutigung nach gewerkschaftlichen Niederlagen, Bestrebung zur Schaffung einer alle Arbeiter umfassenden Organisation); aber es mündet schließlich in den Kampf um die Kontrolle der Industrie, die besondere historische Aufgabe der Betriebsräte. Es ist daher ein Fehler, Betriebsräte nur aus solchen Arbeitern organisieren zu wollen, die schon auf dem Boden der Diktatur des Proletariats stehen. Im Gegenteil, Aufgabe der kommunistischen Partei ist es, auf Grund der wirtschaftlichen Zerrüttung alle Arbeiter zu organisieren und sie zum Kampf für die Diktatur des Proletariats zu rüsten, und zwar durch Erweiterung und Vertiefung des ihnen allen verständlichen Kampfes für die Kontrolle der Arbeiter über die Produktion.

2. Diese Aufgabe wird die kommunistische Partei lösen können, wenn sie beim Kampf der Betriebsräte in den Massen die Erkenntnis vertieft, dass die planmäßige Wiederherstellung der Wirtschaft auf der Grundlage der kapitalistischen Gesellschaft, die eine neue Unterjochung der Arbeiter durch den Staat zugunsten der kapitalistischen Klasse bedeuten würde, jetzt unmöglich ist. Eine den Interessen der Arbeitermassen entsprechende Organisierung der Wirtschaft ist nur dann möglich, wenn der Staat sich in den Händen der Arbeiterklasse befinden wird, wenn die feste Hand der Arbeiterdiktatur an die Beseitigung des Kapitalismus und an den sozialistischen Neuaufbau gehen wird.

3. Der Kampf der Betriebsräte gegen den Kapitalismus hat als nächstes allgemeines Ziel die Kontrolle der Arbeiter über die Produktion. Die Arbeiter jedes Unternehmens, jedes Industriezweiges leiden unabhängig von ihrem Beruf unter der Sabotage der Produktion durch die Kapitalisten, die es häufig für vorteilhafter halten, auf die Fortsetzung der Produktion zu verzichten, um die Arbeiter durch Hunger zu zwingen, auf die drückendsten Arbeitsbedingungen einzugehen, oder um nicht neue Kapitaleinlagen in die Produktion zur Zeit der allgemeinen Teuerung vorzunehmen. Der Schutz gegen diese Sabotage der Produktion durch die Kapitalisten verknüpft die Arbeiter, unabhängig von ihren politischen Überzeugungen, und daher sind die von allen Arbeitern des betreffenden Unternehmens gewählten Betriebsräte die allerbreitesten Massenorganisationen des Proletariats. Aber die Desorganisierung der kapitalistischen Wirtschaft ist ein Ergebnis nicht nur des bewussten Willens der Kapitalisten, sondern in weit höherem Grade ein Ergebnis des unaufhaltsamen Zerfalls des Kapitalismus. Daher werden die Betriebsräte in ihrem Kampf gegen die Folgen dieses Zerfalls über die Grenzen ‘der Kontrolle des einzelnen Betriebes hinausgehen müssen. Die Betriebsräte der einzelnen Betriebe werden bald vor der Frage einer Arbeiterkontrolle über ganze Industriezweige und über deren Gesamtheit stehen. Da aber auf den Versuch der Arbeiter, die Versorgung der Fabriken mit Rohstoffen, die Finanzoperationen der Fabrikunternehmer zu kontrollieren, die Bourgeoisie und die kapitalistischen Regierungen mit den energischsten Maßregeln gegen die Arbeiterklasse antworten werden, so führt der Kampf um die Arbeiterkontrolle über die Produktion zum Kampf um die Besitzergreifung der Macht durch die Arbeiterklasse.

4. Die Agitation für die Betriebsräte muss so geführt werden, dass im Bewusstsein der breitesten Volksmassen, auch wenn sie nicht direkt zum Fabrikproletariat gehören, die Überzeugung Wurzel fasst, dass die Schuld an der Zerrüttung bei der Bourgeoisie liegt, während das Proletariat, indem es die Parole der Arbeiterkontrolle über die Industrie ausgibt, für die Organisierung der Produktion, für die Beseitigung der Spekulation, der Desorganisierung und der Teuerung kämpft. Es ist Aufgabe der kommunistischen Parteien, für die Kontrolle der Produktion zu kämpfen, auf Grund der brennendsten Tagesfragen, auf Grund des Heizstoffmangels, auf Grund des Verfalls des Transportwesens, durch Verknüpfung der vereinzelten Teile des Proletariats untereinander und durch Hinüberziehen breiter Kreise des Kleinbürgertums auf ihre Seite, — des Kleinbürgertums, das mit jedem Tage mehr proletarisiert wird und unter dem wirtschaftlichen Zerfall tatsächlich unerhört leidet.

5. Die Betriebsräte können die Gewerkschaften nicht ersetzen. Nur im Prozess des Kampfes können jene sich über den Rahmen einzelner Betriebe und Werkstätten hinaus nach Produktionszweigen vereinigen und einen allgemeinen Apparat zur Leitung des ganzen Kampfes schaffen. Die Gewerkschaften sind schon jetzt zentralisierte Kampforgane, obgleich sie nicht so große Arbeitermassen umfassen, wie die Betriebsräte dies tun können, die eine allen Arbeitern des Unternehmens zugängliche lose Organisation sind. Die Verteilung der Aufgaben unter die Betriebsräte und die Gewerkschaften ist ein Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung der sozialen Revolution. Die Gewerkschaften organisieren die Arbeitermassen für den Kampf auf Grund der Forderungen auf Lohnerhöhung und Verkürzung des Arbeitstages im gesamten Staat. Die Betriebskomitees organisieren sich für die Arbeiterkontrolle über die Produktion, für den Kampf gegen die wirtschaftliche Zerrüttung; sie umfassen alle Arbeiter der Unternehmungen; aber ihr Kampf kann nur allmählich einen gesamtstaatlichen Charakter annehmen. Nur in dem Masse, wie die Gewerkschaften die konterrevolutionären Tendenzen ihrer Bürokratie überwinden, wie sie bewusst zu Organen der Revolution werden, haben die Kommunisten das Bestreben, die Betriebsräte zu Betriebsgruppen der Gewerkschaften zu machen, zu unterstützen.

6. Die Aufgabe der Kommunisten besteht darin, sowohl die Gewerkschaften als auch die Betriebsräte mit dem gleichen Geist entschlossenen Kampfes, mit Erkenntnis und Verständnis für die besten Methoden dieses Kampfes, d. h. mit dem Geist des Kommunismus, zu erfüllen. Indem sie diese Aufgabe ausführen, müssen die Kommunisten die Betriebsräte und die Gewerkschaften tatsächlich der Leitung der kommunistischen Partei unterordnen und auf diese Weise ein Massenorgan der Proletarier schaffen, die Basis für eine mächtige zentralisierte Partei des Proletariats, die alle Organisationen des proletarischen Kampfes umfasst, sie alle den gleichen Weg führt, zum Sieg der Arbeiterklasse durch die Diktatur des Proletariats, zum Kommunismus.

7. Indem die Kommunisten aus den Gewerkschaften und den Betriebsräten mächtige Waffen der Revolution bilden, bereiten sie diese Massenorganisationen zu der großen Aufgabe, die ihnen nach der Aufrichtung der proletarischen Diktatur zufallen wird, zu der Aufgabe eines Hauptelements der Neuorganisation des Wirtschaftslebens auf sozialistischer Basis, vor. Die Gewerkschaften, als Industrieverbände ausgebaut, auf die Betriebsräte als ihre Fabrikorganisationen sich stützend, werden dann die Arbeitermassen mit ihren Produktionsaufgaben bekannt machen und die erfahrensten Arbeiter zu Leitern der Betriebe ausbilden. Sie werden die technischen Spezialisten unter Kontrolle nehmen und zusammen mit den Vertretern der Arbeitermacht die Pläne der sozialistischen Wirtschaftspolitik entwerfen und durchführen.

III.

Die Gewerkschaften strebten schon zur Friedenszeit nach internationaler Vereinigung, denn die Kapitalisten griffen bei Streiks zur Heranziehung von Arbeitern aus anderen Ländern als Streikbrecher. Aber die Internationale der Gewerkschaften war vor dem Kriege nur von untergeordneter Bedeutung. Sie strebte die finanzielle Unterstützung einer Gewerkschaft durch die andere, die Organisierung einer sozialen Statistik an, nicht aber die Organisierung des gemeinsamen Kampfes, denn die von Opportunisten geleiteten Gewerkschaften suchten jeden revolutionären Kampf von internationalem Umfang zu vermeiden. Die opportunistischen Führer der Gewerkschaften, die während des Krieges, jeder in seinem Lande, Lakaien der Bourgeoisie waren, streben nun die Wiederherstellung der Gewerkschaftsinternationale an und versuchen, aus ihr eine Waffe für den unmittelbaren Kampf des internationalen Weltkapitals gegen das Proletariat zu machen. Unter der Führung von Legien, Jouhaux, Gompers bilden sie ein “Arbeitsbüro” beim Völkerbund, dieser Organisation des internationalen kapitalistischen Räuberwesens. Sie suchen in allen Ländern die Streikbewegung durch Gesetze zu erdrosseln, die Arbeiter zu verpflichten, sich den Schiedsgerichten der Vertreter des kapitalistischen Staates zu unterwerfen. Sie suchen überall durch Abkommen mit den Kapitalisten Konzessionen für die qualifizierten Arbeiter durchzusetzen, um auf diese Weise die wachsende Einheit der Arbeiterklasse zu zertrümmern.

Die Amsterdamer Gewerkschaftsinternationale ist somit ein Stellvertreter der bankrotten Brüsseler Zweiten Internationale. Die kommunistischen Arbeiter, die den Gewerkschaften aller Länder angehören, müssen im Gegenteil danach streben, eine internationale Kampf front der Gewerkschaften zu schaffen. Es handelt sich jetzt nicht um finanzielle Unterstützung im Streikfall, sondern darum, dass im Augenblick der Gefahr, die die Arbeiterklasse eines Landes bedroht, die Gewerkschaften der anderen Länder als Organisationen der breitesten Massen zu ihrem Schutz beitragen und es unmöglich machen, dass die Bourgeoisie ihres Landes der Bourgeoisie eines anderen Landes, die sich im Kampf mit der Arbeiterklasse befindet, Hilfe leistet. Der wirtschaftliche Kampf des Proletariats in allen Ländern wird mit jedem Tage immer mehr zum Revolutionskampf. Daher müssen die Gewerkschaften bewusst alle Kraft zur Unterstützung jedes Revolutionskampfes aufwenden, sowohl im eigenen Lande, als auch in anderen Ländern. Zu diesem Zweck müssen sie nicht nur in jedem Lande die größtmöglichste Zentralisierung ihres Kampfes anstreben, sondern sie müssen das in internationalem Maßstäbe tun, indem sie in die Kommunistische Internationale eintreten, sich mit ihr zu einer Armee vereinigen, deren verschiedene Teile bei gegenseitiger Unterstützung gemeinsam den Kampf führen.

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