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Zweiter Weltkongress der Komintern 19200719 An die Proletarier und Proletarierinnen aller Länder!

Zweiter Weltkongress der Komintern:

An die Proletarier und Proletarierinnen aller Länder!

Erste Sitzung, 19. Juli 1920

[eingebracht von Levi auf der Eröffnungssitzung des Kongresses in Petrograd. Der zweite Kongress der Kommunistischen Internationale. Hamburg 1921, S. 51-56]

Der II. Weltkongress der Kommunistischen Internationale tritt in einem Augenblick zusammen, in dem unter den wuchtigen Schlägen der roten Armee der russischen Arbeiter und Bauern das weiße Polen, das Bollwerk der kapitalistischen Weltreaktion, zusammenbricht. Was alle revolutionären Arbeiter und Arbeiterinnen der ganzen Welt heiß ersehnt haben, das hat sich vollzogen.

Die russischen Arbeiter und Bauern standen gegen die frechen polnischen Weißgardisten mit derselben Wucht auf, mit der sie sich erhoben haben, um die russische Gegenrevolution, um die Heere von Judenitsch, Koltschak und Denikin niederzuwerfen. Die polnischen Kapitalisten und Junker, die die ehrlichen Friedensvorschläge Sowjetrusslands verschmähten und in der Hoffnung auf die Hilfe des Weltkapitals, in der Überzeugung, dass Sowjetrussland im Kampfe gegen die Konterrevolution alle seine Kräfte verbraucht hat, ihre Truppen auf Sowjetrussland geworfen haben, sie stehen jetzt vor einer großen militärischen Niederlage.

Panikartig fluten ihre Heere von der Ukraine und von Weißrussland zurück, und ihnen drängen die Heere Sowjetrusslands nach. Die Banditen des Weltkapitals, die polnischen Junker und Kapitalisten, erheben jetzt ein lautes Jammergeschrei, Polen sei in großer Gefahr.

Sie wenden sich an die Regierungen der kapitalistischen Länder mit Bitten um möglichst schleunige Hilfe, wenn die europäische Zivilisation nicht durch die Barbaren der russischen Revolution vernichtet werden solle, und wir sehen, wie die englische Regierung, welche die Polen zu ihrem verbrecherischen Feldzug gegen Sowjetrussland ausgerüstet hat, zusammen mit ihren Verbündeten es ablehnte, Polen in den Arm zu fallen, als Sowjetrussland am 8. April Verhandlungen in London vorschlug. Wir sehen, wie eben dasselbe kapitalistische England Sowjetrussland frech mit einem neuen, von allen Alliierten organisierten Überfall bedroht, falls Sowjetrussland keinen Waffenstillstand mit den polnischen Eindringlingen schließt. Die Schieber des Weltkapitals, die mit den Geschicken der Völker wie mit Schachfiguren gespielt haben, spielen sich jetzt als die Verteidiger des unabhängigen Polens auf. Die französische Regierung, die noch im Jahre 1917 bereit war, Polen dem russischen Zarismus freizugeben, wenn er dafür die Ansprüche des französischen Imperialismus auf das linke Rheinufer anerkannte, die englische Regierung, die viele Male während des Krieges durch ihre Agenten der deutschen Regierung vertraulich erklärte, sie würde Polen an die Zentralmächte ausliefern, falls nur der deutsche Imperialismus Belgien freilasse, von wo aus England bedroht werden könnte – alle diese Händler mit Menschenfleisch schreien jetzt, die Unabhängigkeit Polens sei von Sowjetrussland bedroht, und sie suchen unter dieser Losung die öffentliche Meinung der Welt für einen neuen Feldzug gegen die russischen Arbeiter und Bauern vorzubereiten.

Arbeiter und Arbeiterinnen der Welt! Wir brauchen Euch nicht erst zu erklären, dass Sowjetrussland nicht die geringsten Eroberungspläne gegenüber dem polnischen Volke hegt. Sowjetrussland verteidigte die Unabhängigkeit Polens vor dem Angriff der Henker des polnischen Volkes, vor dem Angriff der Hoffmann und Beseler, Sowjetrussland war bereit, sogar mit den polnischen Kapitalisten Frieden zu schließen, indem es, um nur den Frieden zu erlangen, nicht nur die Unabhängigkeit Polens anerkannte, sondern ihm sogar große Grenzgebiete zugestand. Sowjetrussland zählt in seinen Reihen Tausende tapferer polnischer Kämpfer, Sowjetrussland ist durch jahrzehntelangen gemeinsamen Kampf mit den polnischen Arbeitermassen aufs Engste verbunden, für Sowjetrussland ist das Selbstbestimmungsrecht des polnischen Volkes ein heiliges, unantastbares Recht, und wenn kein einziger Soldat Polen verteidigen würde, der polnische Boden würde Besitz des polnischen Volkes bleiben, und das polnische Volk könnte frei über sein Geschick entscheiden.

Aber solange in Polen die Clique kapitalistischer und junkerlicher Abenteurer herrscht, die Polen in das verbrecherische Kriegsabenteuer gestürzt haben, solange das Ententekapital Polen mit Waffen versieht, befindet sich Sowjetrussland in einem Verteidigungskriege. Wenn Sowjetrussland heute den polnischen Weißgardisten eine Atempause gibt, wenn Sowjetrussland ihnen erlaubt, ihr geschlagenes Heer zu reorganisieren, es mit Hilfe der Entente von neuem auszurüsten, so wird Sowjetrussland morgen wieder genötigt sein, Hunderttausende seiner besten Söhne vom Acker und von der Werkstatt abzuberufen und zu einem neuen Verteidigungskrieg ins Feld zu senden.

Arbeiter und Arbeiterinnen! Wenn die kapitalistische Canaille der ganzen Welt über die Bedrohung der Unabhängigkeit Polens schreit, um einen neuen Feldzug gegen Sowjetrussland vorzubereiten, so wisst eins: Eure Sklavenhalter zittern, dass einer der Pfeiler ihrer Herrschaft, ihres Weltsystems der Reaktion, der Ausbeutung, der Knechtung zusammenbricht; sie fürchten, dass, wenn unter den Schlägen der Roten Armee das weißgardistische Polen zusammenbricht und die polnischen Arbeiter die Macht ergreifen, es den deutschen, österreichischen, italienischen und französischen Arbeitern leichter sein wird, sich von ihren Ausbeutern zu befreien, und dass dann auch die Arbeiter Englands und Amerikas nachfolgen werden. Wenn die kapitalistische Canaille über die bedrohte Unabhängigkeit Polens jammert und wettert, so tut sie es aus Angst, dass Eure Knechtschaft, Eure Abhängigkeit, Arbeiter und Arbeiterinnen, der Befreiung von den Fesseln der kapitalistischen Sklaverei Platz machen könnte. Darum ist es Aufgabe der Proletarier aller Länder, alles zu tun, um den Regierungen Englands, Frankreichs, Amerikas, Italiens nicht zu ermöglichen, den polnischen Weißgardisten irgendwie Hilfe zu leisten. Proletarier der Ententeländer! Eure Regierungen werden Euch weiter belügen, sie werden weiter wie bisher behaupten, dass sie Polen nicht unterstützen. Es ist Eure Pflicht, in allen Häfen, an allen Grenzen Wache zu halten, damit kein einziger Zug, kein einziges Schiff mit Lebensmitteln oder mit Waffen nach Polen abgeht. Steht auf der Wacht, lasst Euch nicht betrügen durch falsche Deklarierung des Zieles der Sendungen; sie können auch auf Umwegen nach Polen gesandt werden, und wo die Regierungen oder Privatkapitalisten Eurem Protest nicht weichen, tretet in den Streik, legt Hand an, denn unter keinen Umständen dürft Ihr den polnischen Junkern und Kapitalisten helfen, Eure russischen Brüder abzuschlachten.

Proletarier Deutschlands! Wenn das weißgardistische Polen zusammenbricht, dann wird das Ententekapital Frieden mit den deutschen Generälen, mit den deutschen Kapitalisten schließen; es wird ihnen helfen, große Söldnerheere auszurüsten, es wird mit diesen Söldnerheeren das deutsche Proletariat niederwerfen, um aus Deutschland eine Basis für den Kampf gegen Sowjetrussland zu machen; es wird nicht davor zurückschrecken, Deutschland in Trümmer zu schlagen, um dort ein Vorgelände zum Kampf gegen Sowjetrussland und Sowjetpolen zu haben. Deutsche Arbeiter und Arbeiterinnen! Die Stunde hat geschlagen, in der ihr zur Wahrheit machen könnt, was Ihr tausendmal in großen Demonstrationen gelobt habt: zu Euren russischen Brüdern zu stehen und zusammen mit ihnen für Eure Befreiung zu kämpfen. Erlaubt nicht, dass auf deutschem Boden irgendwelche Versuche zur Unterstützung des weißgardistischen Polens vorgenommen werden, erlaubt keine neuen Werbungen von Söldnern auf deutschem Boden! Haltet alle nach dem Osten gehenden Eisenbahnzüge unter schärfster Kontrolle, haltet Danzig unter schärfster Kontrolle und tut alles, was die Lage erfordert! Kein Waggon, kein Schiff darf von Deutschland nach Polen abgehen.

Proletarier aller anderen Länder! Gedenket: Der Feind heißt jetzt das weiße Polen. Ihn zu vernichten ist die Aufgabe der Stunde.

Proletarier aller Länder! Denkt daran: Jetzt darf man sich durch keine Redensarten der verräterischen oder schwankenden Arbeiterführer irreführen, durch keine Versprechungen der Regierungen betören lassen. Jetzt heißt es handeln, jetzt heißt es, alle Kräfte sammeln, um das weißgardistische Polen zu blockieren, alle Kräfte sammeln, um die Solidarität des Weltproletariats mit Sowjetrussland zur Tatsache werden zu lassen.

Arbeiter und Arbeiterinnen! Eure Solidarität mit Sowjetrussland ist Eure Solidarität mit den polnischen Proletariern.

Das polnische Proletariat hat unter der Führung der Kommunistischen Partei ununterbrochen gegen den Krieg mit Sowjetrussland gekämpft. Die Gefängnisse Polens sind mit unseren polnischen Brüdern, mit den Kommunisten Polens gefüllt. Die Niederlagen der polnischen Weißgardisten haben in den Herzen der polnischen Arbeiter den größten Enthusiasmus erweckt. Eine Welle von Streiks wogt durch Polen. Die polnischen Arbeiter suchen die Niederlagen ihrer Ausbeuter auszunützen, um dem geschwächten Klassenfeind den letzten Stoß zu geben, um sich mit den russischen Arbeitern zum gemeinsamen Kampf für die Befreiung zu vereinigen.

Die Blockade Polens ist eine direkte Hilfe für den Befreiungskampf der polnischen Arbeiter, es ist der Weg dazu, dass Polen frei wird von den Fesseln, mit denen es an den Wagen der siegreichen Kapitalisten Londons und Frankreichs geschmiedet ist, dass es sich zur unabhängigen Republik der polnischen Arbeiter und Bauern entwickelt.

Der II. Weltkongress der Kommunistischen Internationale ruft Euch, den Proletariern und Proletarierinnen aller Länder zu: geht auf die Straße und zeigt Euren Regierungen, dass Ihr nicht gewillt seid, irgendwelche Hilfeleistung an das weiße Polen, irgendwelche Einmischung gegen Sowjetrussland zuzulassen. Legt jede Arbeit nieder, legt allen Verkehr lahm, wenn Ihr merkt, dass die kapitalistische Clique Eurer Länder trotz Eurer Proteste eine neue Intervention gegen Sowjetrussland vorbereitet! lasst keinen Zug, kein Schiff nach Polen durch! Zeigt, dass die proletarische Solidarität in der Tat und nicht nur in Worten existiert!

Es lebe Sowjetrussland! Es lebe die Rote Armee der russischen Arbeiter und Bauern! Nieder mit dem weißen Polen! Nieder mit der Intervention! Es lebe Sowjetpolen!

Das ist die Tat, zu der wir die Proletarier der Welt rufen und „Russia expects that every man will do his duty“

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