Begrüßungsschreiben der programmtreuen Sozialdemokraten Württembergs 19150905

Begrüßungsschreiben der programmtreuen Sozialdemokraten Württembergs an die Internationale Konferenz grundsatztreuer Sozialdemokraten in Bern 1915.

[nach: Horst Lademacher (Hg.): Die Zimmerwalder Bewegung. I. Protokolle. Den Haag - Paris 1967, S. 60 f.]

Werte Genossen!

Die programmtreuen Sozialdemokraten Württembergs hatten die Absicht, sich auf der Konferenz durch eine größere Anzahl Genossen vertreten zu lassen. Diese Absicht scheiterte an den drakonischen Maßnahmen der Militärdiktatur. Wir müssen damit rechnen, dass es im besten Falle dem einen oder anderen Genossen gelingt, über die Grenze zu kommen, ja dass vielleicht kein Einziger hinüber kommt. Wir haben daher beschlossen, Euch unsere brüderlichen Grüße und eine Willensäußerung auf schriftlichen Wege zu übermitteln.

Wir sind der Überzeugung, dass die Sozialdemokratie heute mehr denn je die Aufgabe hat, als Bannerträger des kompromisslosen Klassenkampfes und als Anwalt des Völkerfriedens zu wirken.

Jeder Versuch, die Interessen des Proletariats mit den Interessen der herrschenden Klassen zu verknüpfen, muss zur unheilvollen Verwirrung und zur Schädigung der Arbeiterklasse führen.

Der Glaube, dass der Aufstieg des Proletariats abhängig ist von der Erhaltung der kapitalistischen Nationalstaaten, ist irrig. Der Weltkrieg ist eine rein bürgerliche Angelegenheit. Der Krieg wird nicht um die Verteidigung irgendeines Nationalstaates oder gar um die Befreiung unterdrückter Völker geführt. Der Krieg ist die schärfste Form des Konkurrenzkampfes der Kapitalisten um die Beherrschung der Weltwirtschaft, er wird gleichzeitig geführt zur Überwindung der sozial-revolutionären Elemente innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft.

Gegenüber diesen Tatsachen hat das Proletariat augenblicklich nur die Aufgabe, für die rasche Beendigung des Krieges um jeden Preis zu wirken. Dies kann nur durch einheitliche, gleichzeitige Aktionen in allen kriegführenden und neutralen Ländern geschehen.

Die bisherige Internationale war diesen Aufgaben nicht gewachsen; sie konnte es nicht sein, da sie, unter besonderen historischen Bedingungen entstanden, nur der Ausdruck einer Entwicklungstendenz war, während die ihr angeschlossenen sozialistischen Parteien hauptsächlich selbständige Einzelkämpfe im Rahmen der kapitalistischen Nationalstaaten führten.

Durch das Hinauswachsen des Kapitalismus über den nationalen Rahmen wird die Neuorganisation der proletarischen Internationale notwendig. Der internationale Kapitalismus kann nur durch internationale Aktionen bekämpft werden.

Wir fordern daher die Konferenz auf, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen zur Schaffung einer neuen Internationale, deren Aufgabe es sein wird, zentral organisierte, gemeinsame Aktionen in allen Ländern durchzuführen.

Wir halten es für notwendig, dass als erste Aktion ein Manifest verbreitet wird, in dem die Arbeiter aller Länder über das wahre Wesen des Krieges aufgeklärt und zum gemeinsamen Kampf für den Frieden aufgerufen werden. Das Manifest muss in allen Ländern möglichst gleichzeitig verbreitet werden.

Die Aktionen der neuen Internationale dürfen weder beeinflusst werden von irgendwelchen militärischen oder politischen Konjunkturen irgendeines kriegführenden Staates noch den Kriegszielen der Befreiungsideologien irgend welcher bürgerlicher Klassen.

Für die neue Internationale muss lediglich die Erkenntnis maßgebend sein, mögen die nationalen, politischen und sonstigen Verhältnisse der einzelnen Länder liegen wie sie wollen, dass die proletarische Politik nur von den Zielen des Klassenkampfes bestimmt werden darf.

Die Befreiung der Arbeit kann nur das Werk der Arbeiter selbst sein!

Wir wünschen der Konferenz erfolgreiche Arbeit. Unsere Brüder in allen Ländern dürfen versichert sein, dass wir tun werden, was in unseren Kräften steht, um dem Sozialismus zum Siege verhelfen.

Mit brüderlichen Grüßen

Die programmtreuen Sozialdemokraten Württembergs.

Kommentare