Gemeinschaftliche Erklärung der französischen und der deutschen Delegation an die internationale sozialistische Konferenz zu Zimmerwald (Schweiz) 19150907

Gemeinschaftliche Erklärung der französischen und der deutschen Delegation an die internationale sozialistische Konferenz zu Zimmerwald (Schweiz)

abgehalten vom 5. bis 8. September 1915

(7. September 1915)

[nach: Horst Lademacher (Hg.): Die Zimmerwalder Bewegung. I. Protokolle. Den Haag - Paris 1967, S. 158-160]

Nach einem Jahre dieses verheerenden Krieges hat sich sein unzweideutig imperialistischer Charakter mehr und mehr offenbart. Das beweist, dass seine Ursachen in der imperialistischen und Kolonialpolitik aller Regierungen liegen, welche die Verantwortung für die Entfesselung dieses furchtbaren Blutvergießens tragen.

Durch den Burgfrieden, den die Nutznießer des Kapitalismus in allen Ländern erklärten, wurden die Volksmassen für diesen Krieg gewonnen, dem der Anschein eines Rassenkampfes, eines Krieges für Recht und Freiheit verliehen wurde. Unter dem Druck der so hervorgerufenen Gefühle, wurde in jedem Lande ein sehr großer Teil der organisierten und aufgeklärten Arbeiter von dem Nationalismus fortgerissen. Seitdem hat die den Machthabern unterstellte Presse nicht aufgehört, den angeblichen Befreiungscharakter dieses Krieges zu unterstreichen.

Heute bezeichnen die Chauvinisten jeder Nation als Ziel des Krieges: die Eroberung von ganzen Ländern oder Landesteilen. Die Verwirklichung dieser Absichten würde den Keim künftiger Kriege in sich bergen.

Im Gegensatz zu diesen Plänen, haben sich in allen Nationen entschlossene Minderheiten gebildet, die sich bemühen, die Pflichten zu erfüllen, die durch die internationalen Kongresse von Stuttgart, Kopenhagen und Basel den Sozialisten aller Länder auferlegt sind.

Es ist ihre Aufgabe, heute mehr denn je sich diesen Annexionsbestrebungen zu widersetzen und die Beendigung dieses Krieges zu beschleunigen, der schon den Verlust von Millionen von Menschenleben verursacht, zahllose Verstümmelte geschaffen und drückende Not unter den Arbeitern aller Länder hervorgerufen hat. Deshalb erklären wir deutschen und französischen Sozialisten und Gewerkschafter:

Dieser Krieg ist nicht unser Krieg!

Wir verurteilen aufs entschiedenste die Verletzung der belgischen Neutralität, die feierlich durch internationale Verträge kriegführender Staaten verbürgt ist. Wir fordern und werden nicht aufhören zu fordern, dass Belgien in seiner ganzen Integrität und Unabhängigkeit wieder hergestellt wird.

Wir erklären, dass wir das Ende des Krieges durch einen nahen Frieden wollen, der kein Volk und keine Nation vergewaltigt, dass wir niemals Eroberungsplänen unserer Regierungen zustimmen, die unvermeidlich den Keim neuer Kriege in sich tragen müssten, dass wir, jeder in seinem Lande, für einen Frieden arbeiten, der den zwischen den Völkern gesäten Hass zerstreut und ihnen den Zusammenschluss zu gemeinsamer Arbeit wieder ermöglicht.

Ein solcher Frieden ist unseres Erachtens nur zu erreichen bei völligem Verzicht auf Vergewaltigung der Völker. Die Besetzung von ganzen Ländern oder Landesteilen darf nicht zu deren gewaltsamer Einverleibung führen. Keine Annexion, weder eine offene noch eine maskierte, auch keine zwangsweise wirtschaftliche Angliederung, die durch politische Entrechtung nur noch unerträglicher gemacht wird. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist unverbrüchlich zu achten.

Wir nehmen die ausdrückliche Verpflichtung auf uns, unablässig in diesem Sinne, jeder in seinem Lande, zu wirken, damit die Friedensbewegung stark genug wird, unsern Regierungen die Beendigung dieser Schlächterei aufzuzwingen.

Indem wir uns vom Burgfrieden lossagen, indem wir dem Klassenkampf treu bleiben, der die Grundlage zur Errichtung der sozialistischen Internationalen bildet, stehen wir deutschen und französischen Sozialisten und Gewerkschafter unter unsern Volksgenossen fest im Kampfe gegen dieses furchtbare Verhängnis und für die Beendigung des Völkermordens, das die Menschheit entehrt.

Für die deutschen Teilnehmer: Adolf Hoffmann Georg Ledebour

Für die französischen Teilnehmer: A. Merrheim A. Bourderon

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