Internationale sozialistische Jugendkonferenz in Bern: Offizieller Verhandlungsbericht.

Internationale sozialistische Jugendkonferenz in Bern: Offizieller Verhandlungsbericht.

[Berner Tagwacht Nr. 17. April 1915, S. 1 f.]

Die internationale sozialistische Jugendkonferenz, an der Dänemark, Norwegen, Schweden, Italien, Russland, Polen, Holland, Bulgarien, eine Reihe deutscher Organisationen und die Schweiz vertreten waren, wurde durch verschiedene Begrüßungsreden der ausländischen und schweizerischen Delegierten eröffnet. Nach der Wahl des Konferenzbüros mit Münzenberg – Schweiz an der Spitze wurden die Verhandlungen auf den folgenden Tag verschoben.

Am zweiten Tag erstatteten die Delegierten Bericht über den Stand ihrer Organisationen.

Norwegen zählte 1912 3.000 Mitglieder in 51 Sektionen, heute 6.000 Mitglieder in 110 Sektionen. Das schnelle Anwachsen der Bewegung ist eine Folge der rapiden kapitalistischen Entwicklung unseres Landes. Unsere Jugendorganisation ist die Elite der Opposition gegen die revisionistische Strömung in der Partei. In unserer Bildungsarbeit geben wir den jugendlichen Arbeitern viele und gute Aufklärung über den Krieg und den Militarismus. Wir sind heute noch so gut international gesinnt wie vor dem Kriegsausbruch und werden dieser Gesinnung unter allen Umständen treu bleiben.

Dänemark zählt heute in 76 Sektionen 7.000 Mitglieder. Davon sind 1.300 Mädchen und 2.000 Lehrlinge unter 18 Jahren. Bei Kriegsausbruch mussten viele, zirka 100 Vorstandsmitglieder und 800 Mitglieder, in den Militärdienst. Die Lücken sind wieder ausgefüllt. Am 1. und 2. April fand unser Verbandskongress statt. Die Verhandlungen waren getragen von einem klassenkämpferischen und sozialistisch-revolutionären Geiste. Mit 21 Jahren treten unsere Mitglieder in die Sektionen der Erwachsenen ein.

Schweden. Die Jugendorganisation ist wie in Norwegen in scharfer Opposition gegen die Teile der Arbeiterbewegung, die mit dem Bürgertum kornpromisseln und liebäugeln. Die Organisation zählt heute 8.000 Mitglieder.

Russland und Polen haben wegen der gesetzlichen Schwierigkeiten keine geschlossenen Jugendorganisationen wie Westeuropa. Die Jugendlichen beteiligen sich aber schon sehr früh an Kampfesaktionen der Alten.

Bulgarien. Die sozialistische Jugendorganisation in Bulgarien musste während des Balkankrieges aufgelöst werden. Nachher wurde sie gegründet und zählt heute 400 Mitglieder, ihre Hauptaufgabe ist die Erziehung der Arbeiterjugend zum Sozialismus.

Holland. Holland hat wie zwei sozialdemokratische Parteien zwei Jugendorganisationen. Vertreten an der Konferenz ist die kleinere, aber revolutionäre. Sie zählt heute gegen 300 Mitglieder und führt nicht nur gegen den Kapitalismus und seinen unzertrennlichen Begleiter Militarismus einen scharfen Kampf, sondern liegt sich auch mit der andern Jugendorganisation in den Haaren.

Italien. Diese Organisation hat in den letzten Jahren eine prächtige Entwicklung genommen. 10.000 Mitglieder gehören ihr heute an. Wie die übrigen, so steht auch diese Organisation auf dem revolutionärsten Flügel der Partei.

Schweiz. Von 748 Mitgliedern im Jahre 1913 ist diese Organisation auf 2.200 Mitglieder bis heute gestiegen. Außer der sozialistischen Bildungsarbeit kämpft die Organisation gegen den Alkoholismus, gegen die Schundliteratur, veranstaltet Wanderungen und betreibt praktischen Jugendschutz.

Die deutschen Delegierten erklärten, dass sie, wie jetzt die Dinge in Deutschland liegen, keine beauftragten Vertreter der offiziellen Jugendbewegung sind, sondern dass die anwesenden Genossen unter ihrer persönlichen Verantwortung an der Konferenz teilnähmen, immerhin werden sie getragen von dem Bewusstsein, dass Tausende von jugendlichen Arbeitern so denken wie sie.

Den Genossen in Griechenland, einer Reihe weiterer deutscher Städte, den Genossen in Österreich und dem Internationalen Jugendbüro in Wien war es leider nicht möglich, eine persönliche Delegation zu senden, sie alle übermitteln schriftlich der Konferenz die herzlichsten Grüße. Eine Delegation der französischen Genossen scheiterte im letzten Moment an finanziellen Schwierigkeiten, in der Sache selbst sind die französischen Jugendlichen meistens mit uns einverstanden. Es ist auch eine Sympathieadresse von der unabhängigen Gruppe der sozialdemokratischen Studenten in Paris eingegangen. Weitere Begrüßungstelegramme kamen aus einer Reihe schweizerischer Orte und vom Parteitag der italienischen Sozialdemokraten in der Schweiz, der zu gleicher Zeil in Zürich tagte. Von der Geschäftsleitung der sozialdemokratischen Partei der Schweiz nehmen die Genossen Vogel und Platten, im Auftrag der Arbeiterunion Bern Genosse Grimm und im Auftrage des italienischen Parteivorstandes Genossin Balabanoff an der Konferenz teil.

Hauptgegenstand der Beratungen waren die Traktanden

Der Krieg und die Aufgaben der sozialistischen Jugendorganisationen"

und „Die zukünftige Organisation der sozialistischen Jugendinternationalen".

Zu den ersten Traktanden hatte eine von der Konferenz gewählte Kommission eine Resolution ausgearbeitet. In der Diskussion dieses Verhandlungsgegenstandes kam erst so recht zum Ausdruck, wie eng und stark die Banden der internationalen Solidarität der Arbeiterjugend aller Länder ist. Alle Redner waren sich einig in der Verurteilung dieses schrecklichsten der Kriege. Durch alle Reden zitterte das sehnsüchtige Verlangen, Mittel und Wege zu finden, die es dem Proletariat ermöglichen, dem wahnsinnigen Morden ein rasches Ende zu bereiten. Und immer wieder kam man auf eines der sichersten Mittel zurück, deren Anwendung vor allem den Jugendorganisationen zufällt: die Erziehung der heranwachsenden Generation zu tüchtigen Mitkämpfern im Befreiungskämpfe der Arbeiterklasse, Erfüllung ihrer Herzen und Köpfe mit den internationalen und klassenkämpferischen Ideen des Sozialismus. Diese Ausgabe haben die Jugendorganisationen auch dort, wo die Parteien oder Gruppen derselben gegen den Klassenkampf für ein Paktieren mit einer bürgerlichen Regierung sind. Die Jugendorganisationen sollen in allen Ländern mit der Partei gemeinsam wirken, das aber darf nie und nimmer aus Kosten ihrer sozialistischen Überzeugung geschehen.

Der Teil der russischen Delegierten, welche die Jugendorganisationen vertraten, die dem Zentralkomitee angeschlossen sind, hatten gemeinsam mit der polnischen Delegation einen eigenen Resolutionsentwurf ausgearbeitet. Diese Resolution begnügte sich nicht mit der grundsätzlichen Feststellung, sondern nahm Stellung zu dem Verhalten der Parteien in den einzelnen kriegführenden Ländern. Die Konferenz aber war der Ansicht dass hier nicht der Ort sei, um über die Parteien zu Gericht zu sitzen und dass weitere praktische Gründe gegen diesen Resolutionsentwurf sprechen.

Der Entwurf eines Teiles der russischen Delegation wird mit 14 gegen 4 Stimmen abgelehnt Als hierauf ein Teil der russischen Delegation Zusatzanträge zu der Resolution der Kommission stellt, werden diese bei gleichem Stimmenverhältnis ebenfalls abgelehnt und hierauf gegen die Stimmen der holländischen und eines Teils der russischen Delegation und bei Stimmenthaltung der polnischen Delegation mit 13 gegen 3 folgende

Resolution

angenommen:

Die internationale sozialistische Jugendkonferenz, die am 5., 6. und 7. April 1915 in Bern tagte und von Delegierten aus neun Ländern beschickt war, erneuert die Beschlüsse der internationalen sozialistischen Jugendkonferenzen zu Stuttgart, Kopenhagen und Basel, durch welche die Arbeiterjugend aller Länder zum Kampfe gegen den völkermordenden Krieg und gegen den Militarismus ausgerufen wird.

Die Konferenz stellt mit tiefem Bedauern fest, dass wie die sozialistischen Organisationen der Erwachsenen auch die sozialistischen Organisationen der Jugendlichen in den meisten Ländern beim Ausbruch des Krieges nicht nach den erwähnten Beschlüssen gehandelt haben.

Der gegenwärtige Krieg ist das Ergebnis der imperialistischen Politik der herrschenden Klassen aller kapitalistischen Länder. Auch wo er von den herrschenden Klassen und ihren Regierungen als Verteidigungskrieg ausgegeben wird, ist er die Folge dieser volksfeindlichen, mit dem Kapitalismus unzertrennlichen Politik. Der Krieg steht in einem unversöhnlichen Gegensatz zu den Interessen der Arbeiterklasse, deren Lebenskraft er bedroht und vernichtet, deren Organisationen er lähmt, deren Aktionsfähigkeit gegen das internationale Ausbeutertum er hemmt.

Die Politik des kIassenversöhnenden Burgfriedens ist die Politik der Abdankung der Sozialdemokratie als Partei des proletarischen Klassenkampfes und die Preisgabe des Klassenkampfes bedeutet die Preisgabe der Lebensinteressen und der Ideale des Proletariats.

Von diesen Erwägungen ausgehend, erhebt die internationale sozialistische Jugendkonferenz den Ruf nach sofortiger Beendigung des Krieges. Sie begrüßt mit Freuden die Versuche der Parteigruppen in den kriegführenden Ländern, insbesondere die Beschlüsse der internationalen proletarischen Frauenkonferenz, durch die Wiederaufnahme von klassenkämpferischen Aktionen seitens der Arbeiterschaft den Frieden von den herrschenden Klassen zu erzwingen. Sie erklärt es als Pflicht der Jugendgenossen und Jugendgenossinnen in den kriegführenden Ländern, diese immer mehr um sich greifende auf den Frieden gerichtete Bewegung energisch zu unterstützen. Von den Jugendorganisationen der neutralen Staaten erwartet die Konferenz die tatkräftige Unterstützung dieser Friedensaktion.

Die Konferenz erhebt nachdrücklichen Protest gegen die Versuche, die sozialistischen Jugendorganisationen in den Dienst der bürgerlich-militaristischen Jugendwehren zu stellen und damit die Arbeiterjugend von ihrer eigentlichen Aufgabe: der sozialistischen Erziehung, dem Kampfe gegen die kapitalistische Ausbeutung und gegen den Militarismus abzulenken.

Angesichts der furchtbaren Folgen des gegenwärtigen Krieges, der selbst die kaum der Schule entwachsene Jugend rücksichtslos als Kanonenfutter verwendet, betont die Konferenz die Notwendigkeit, die jugendlichen Arbeiter und Arbeiterinnen aller Länder über die Ursachen und das Wesen des Krieges und des Militarismus, als unvermeidlicher Begleiterscheinungen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, noch viel intensiver als bisher aufzuklären, sie im Geiste des internationalen Klassenkampfes zu erziehen und sie so immer fester und zahlreicher um das Banner des revolutionären Sozialismus zu scharen.

Die Abrüstungsfrage.

Eine lebhafte Diskussion hatte ein Antrag der skandinavischen Länder betreffend Verlangen nach völliger Entwaffnung hervorgerufen. Ein Teil der Delegierten hielt die Durchführung eines solchen Verlangens heute noch für unmöglich. Bei den kleineren Ländern würde eine völlige Entwaffnung einer Einladung an die Großstaaten zur Annexion gleichkommen und eine Entwaffnung während der Dauer der kapitalistischen Epoche ist überhaupt undenkbar. Kapitalismus und Militarismus sind unzertrennbar. Wir müssen versuchen, die Heere zu demokratisieren und sie eventuell für unsere Interessen zu gebrauchen. Demgegenüber führte der andere Teil der Delegierten aus, dass wenn die Großstaaten wirklich ein Interesse an der Annexion eines kleinen Landes haben, dann werden sie sich auch nicht durch die kleinen Heere der kleinen Länder abhalten lassen, siehe Belgien. Nur werden dann die Opfer des Volkes noch größere, als wenn die Bevölkerung der kleineren Länder widerstandslos die Heere der Großstaaten über die Äcker und Felder der herrschenden Klasse im eigenen Lande marschieren lassen. Eine Demokratisierung der Heere ist unmöglich, in allen Ländern wird der Militarismus autokratischer und verpreußter. Das Resultat dieser Diskussion war, dass mit 9 gegen 5 Stimmen folgender Antrag angenommen wurde:

Die internationale Konferenz der sozialistischen Jugendorganisationen fordert die Jugendorganisationen aller Länder auf, innerhalb der Arbeiterbewegung ihres Landes dahin zu wirken, dass die Forderung der völligen Entwaffnung als Programmpunkt erklärt wird.

Zu Beginn der Verhandlung über das Traktandum

Die Organisation der internationalen Jugendverbindung"

gibt der Präsident einen kurzen Überblick über die Geschichte der Jugendinternationalen. Der Ausbruch des Krieges hat nicht nur die geplante internationale Jugendkonferenz verhindert sondem auch die gegenseitigen Verbindungen unterbrochen. Mit hoher Befriedigung aber können wir heute feststellen dass an der Unterbrechung nur Verkehrsschwierigkeiten schuld waren, ideell und geistig haben wir uns immer angehört. Wir bedauern sehr, dass einzelne Länder keinen Vertreter senden konnten. Trotzdem aber beantragen wir der Konferenz heute, eine neue internationale Verbindung zu gründen. Wir müssen einen festen Kern haben, der uns nationalen Verbänden Halt und Stütze bietet. Sobald nach Beendigung des Krieges wieder normale Verhältnisse einkehren, werden wir mit Vertretern aus allen Ländern zusammentreten. Wir glauben aber, dass niemand soviel Freude und Glück über die Schaffung einer neuen internationalen Verbindung empfinden wird als die Organisationen jener kriegführenden Länder, die heute, entgegen ihrem Wunsche, nicht in unserer Mitte weilen können. Die Schaffung einer neuen internationalen sozialistischen Jugendverbindung ist die beste praktische Durchführung unserer Resolution. Die Schaffung der internationalen sozialistischen Jugendverbindung wird darauf beschlossen. Ihr gehören vorläufig an Schweden (8.000 Mitglieder), Dänemark (7.000), Norwegen (6.000). Bulgarien (400), Italien (10.000), Holland (300) und die Schweiz (2.200). Die deutschen können, da sie keine festen Vereine haben und aus gesetzlichen Schwierigkeiten, nicht beitreten, versichern aber der Verbindung ihre volle Sympathie. Sodann wird beschlossen, provisorisch bis zur nächsten Jugendkonferenz ein Sekretariat einzurichten. Demselben sollen 5 Mitglieder aus 5 Ländern angehören. Als geschäftsführender Sekretär wird ein Schweizer Genosse bestimmt

Im Weiteren wurde beschlossen, sobald als möglich eine internationale Kampf- und Propagandazeitung herauszugeben. Dieselbe wird vorläufig in drei Sprachen erscheinen; deutsch, französisch und skandinavisch. Mit der Vorarbeit zur Herausgabe und der Redaktion"wird das Sekretariat beauftragt.

Alljährlich soll an einem Tage gemeinsam in allen Ländern ein Jugendtag stattfinden, an welchem durch Verteilen von Schriften und durch Reden in Versammlungen der Arbeiterjugend Aufklärung über die Rolle des Militarismus im heutigen Staate geboten werden soll.

Die Konferenz beschließt weiter, alle Jugendorganisationen aufzufordern, Liebknechtfonds1 zu schaffen. Über das gesammelte Geld sollen Liebknecht und das internationale Jugendbüro bestimmen. Eine Reihe weitere Anträge werden nach reiflicher Diskussion ebenfalls genehmigt. Die Konferenz protestiert im Ferneren gegen die allem Recht hohnsprechende Verhaftung der Genossin Rosa Luxemburg und gegen die Verurteilung der 5 sozialdemokratischen Dumamitglieder durch die Regierung des Blutzaren.

Innerhalb der ihr durch die politischen Verhältnisse gezogenen Grenzen hat die Konferenz fruchtbare Arbeit geleistet. Die Verbindungen zwischen den einzelnen Ländern sind wieder hergestellt, der Boden ist geschaffen worden, auf dem in zukünftigen Tagen die Arbeiterjugend aller Länder nach gemeinsamen Richtlinien arbeiten kann.

Nach Schluss der Konferenz trafen aus Frankreich und einer Reihe deutscher Städte weitere Zustimmungsschreiben ein und eine mitteldeutsche Residenzstadt übersandte folgende Resolution: „Die von sozialistischer Erkenntnis durchdrungene Jugend begrüßt aufs Wärmste das Bestreben, inmitten des tobenden Weltkrieges die Arbeiterjugend aller Länder zu vereinigen. Sie nimmt mit Freuden davon Kenntnis, dass sich die Jugend fast aller Länder ihre internationale sozialistische Gesinnung bewahrt hat im Gegensatz zu manchen Führern der sozialdemokratischen Parteien der kriegführenden Staaten, und versichert der Konferenz, auf dem Boden des internationalen Sozialismus weiter zu bauen."

Allerorts also beginnt es zu tagen, die Arbeiterjugend aller Länder hat den Weckruf vernommen und wird ihn befolgen, über den durch den Krieg gemordeten Massen jugendlicher Leiber steigt heute schon, Friede und Freiheit verkündend, die Sonne der Jugend, der Zukunft, des Sozialismus auf.

1 Karl Liebknecht hatte in der deutschen sozialistischen Jugendbewegung eine maßgebliche Rolle gespielt und 1907 die Sozialistische Jugendinternationale gegründet.

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