Karl Kilbom: Erklärung (1. Tag der Zimmerwalder Konferenz) [nach: Horst Lademacher (Hg.): Die Zimmerwalder Bewegung. I. Protokolle. Den Haag - Paris 1967, S. 57-60] Indem wir die Einberufung einer Konferenz international gesinnter Genossen zur Wiederherstellung der internationalen Einigkeit des Proletariats warm begrüßen, glauben wir, dass die Arbeiter-Internationale nur dann sich lebensfähig erweisen wird, wenn die Teilnehmer der Konferenz auf die folgenden Grundsätze sich einigen und ihre Taktik auf die niedergelegten Prinzipien stützen werden. Und zwar soll klar und präzis das Folgende festgestellt werden: I. Charakter des gegenwärtigen Krieges. 1. Dass der gegenwärtige Krieg ein imperialistischer Krieg sei, der als schlagender Beweis dient, dass die kapitalistische Produktionsweise nicht mehr fähig ist, ohne welterschütternde Kollisionen und blutige Kämpfe zwischen kapitalistischen Staatsmächten, sich weiter zu entwickeln. Der weiteren Entwicklung der Produktionskräfte stehen die nationalen Staatsgrenzen und das private Eigentum im Wege. Der Kapitalismus hat seinen Höhepunkt erreicht und hat die Verhältnisse reif für die soziale Revolution gemacht. Infolgedessen ist es die Aufgabe des organisierten Proletariats der Welt, alle seine Kräfte einzusetzen, um die Expropriation der Expropriateure durchzuführen und die durch den Weltkrieg hervorgerufene Krise im Sinne der Beschlüsse der internat. Kongresse auszunützen und das Volk für den revolutionären Kampf aufzurütteln. II. Chauvinismus und Vaterlandsverteidigung. 2. Dass der Kampf gegen Nationalismus und Chauvinismus in allen seinen Formen aufgenommen sein soll. Die neue Arbeiter-Internationale muss endgültig befreit werden von der falschen Auffassung der Notwendigkeit der „Vaterlandsverteidigung" und der militärischen Pflichten zum „Vaterland", dessen Staatsgrenzen von den Diplomaten festgestellt sind. Die Auffassung der Notwendigkeit der Verteidigung seines Heimatlandes stammt, als Überbleibsel aus einem vergangenen Stadium der kapitalistischen Menschheitsgeschichte, aus derjenigen Zeit zwischen 1789-1871, als die Entwicklung der kapitalistischen Staaten die Einigkeit und die Zentralisation erstrebte und den letzten erbitterten Kampf mit dem Feudalismus auskämpfte. Der Sieg der kapitalistischen Staaten über die feudale Welt war die Vorbedingung zur Entwicklung der Klassenbewegung des Proletariats. Aber zwischen den „nationalen Kriegen" des XVIII. und XIX. Jahrhunderts und den imperialistischen Kriegen der Gegenwart liegt ein kolossaler Unterschied. Beide kämpfenden Seiten missbrauchen zur Zeit das Prinzip der „Vaterlandsverteidigung" und verstecken hinter dieser Auffassung das wahre Ziel und den Grund ihrer Mordtaten: den Kampf um den Weltmarkt. Die gegenwärtige Zeit erlaubt den Arbeitern mit noch mehr Recht als vorher aus dem „Kommunistischen Manifest" zu wiederholen: „Der Proletarier hat kein Vaterland." Die Pflicht der Konferenz ist es, die veraltete Auffassung über Vaterlandsverteidigung abzuweisen und das Prinzip festzustellen: „Wenn auf der Waagschale der Geschichte das Vaterland einerseits gewogen wird, dann soll die Entscheidung der Arbeiterschaft ohne weiteres auf die Wahl der internationalen Solidarität fallen. Jede andere Taktik, die Votierung der Kriegskredite, des Eintretens in die bürgerlichen Regierungen oder andere Formen des Burgfriedens ist nichts anderes als ein Verrat der internat. Interessen der Arbeiterklasse zu Gunsten der nationalen Interessen der Kapitalisten. Das Proletariat kennt keine nationale oder Rassenfeindschaft. Das Proletariat kennt nur einen Feind in allen Ländern und Weltteilen – die Klasse der Ausbeuter, die Kapitalisten. III. Neue Taktik und Methoden. 3. Die Konferenz soll konstatieren, dass die Gründe der Zerstörung der II. Internationale in ihrer reformistischen Gesinnung gelegen haben, in dem Geist des Opportunismus, der immer mehr und mehr die Arbeiterbewegung zu beherrschen begann, in ihrer Taktik, die den Parlamentarismus über- und die Massenaktion des Proletariats unterschätzt hatte. Es ist die Aufgabe der Konferenz gegen den Geist des Opportunismus und Nur-Reformismus aufs schroffste aufzutreten und für die Feststellung einer revolutionären Taktik in der Zukunft einzutreten. Und zwar: a) Zu all den früheren Kampfesmethoden und Kampfeswaffen, wie des Parlamentarismus, des Gewerkschaftskampfes etc., soll die revolutionäre Massenaktion der Arbeiter hinzugefügt, gefördert und in den Vordergrund gerückt werden. b) Die Arbeiter-Internationale soll nicht mehr einen formellen, äußerlichen Charakter tragen, sondern eine organisatorische Einheit vorstellen. c) Überall wo es die gegenwärtigen Verhältnisse und die Herrschaft der Militärgewalt fordern und zur Notwendigkeit machen, soll die öffentliche Tätigkeit der Sozialisten durch die „illegale" Geheimarbeit ergänzt werden. Im Kampfe mit dem Kriege soll das Proletariat: d) Keine Kredite und bei keinen Umständen bewilligen. e) Es soll kein „Burgfriede" (Ministerialismus) etc. geschlossen werden. f) Es sollen alle Mittel versucht werden, um die Verbrüderung der kämpfenden Soldaten in den Schützengräben herbeizuführen. g) Es soll jede Drohung des Krieges und jeder Krieg durch den Aufstand, durch den Bürgerkrieg, beantwortet werden. IV. Friede als Resultat der Revolution. 4. Der Krieg verschärft den Klassenkampf, die Welt befindet sich am Vorabend unvorauszusehender, kolossaler, wirkungsvoller revolutionärer Ereignisse. Infolgedessen ist es die Aufgabe der Konferenz, sich nicht nur mit der Einzelfrage des Friedens zu beschäftigen, Mittel und Wege zu suchen, um dem Blutbad der Nationen ein Ende zu machen, sondern in erster Linie das Weltproletariat für die bevorstehenden, unvermeidlichen revolutionären Kämpfe auszurüsten und die Richtlinie der revolutionären Taktik der Internationale festzustellen. Die Konferenz soll sich klar aussprechen: 1. Dass der Friede nur durch revolutionäre Aktivität der Arbeiter in allen kämpfenden Ländern sich erreichen lässt, bei Ersetzung des Burgfriedens durch den Bürgerkrieg. 2. Dass ein dauernder, beständiger Friede ohne soziale Revolution eine Utopie ist und dass das Proletariat die einzige Klasse ist, die die Menschheit vom Blutbad der Nationen, vom Völkermord, vom Kriege zu befreien [weiß]. Sverges och Norges Socialdemokratiska Ungdomsförbund schlägt der Konferenz vor, die hier angebrachten Prinzipien anzuerkennen, und hofft, dass die erfolgreiche Arbeit der versammelten Genossen ein fester, widerstandsfähiger Grundstein der neuen Arbeiter-Internationale bilden wird. Socialdemokratiska Ungdomsförbundet Sverge Norge K. Kilbom (Sekretär). |