Protokoll der italienisch-schweizerischen Konferenz in Lugano 19140927

Protokoll der Delegierten der italienischen und schweizerischen sozialdemokratischen Partei in Lugano

[nach: Horst Lademacher (Hg.): Die Zimmerwalder Bewegung. I. Protokolle. Den Haag - Paris 1967, S. 5-27. Dort weitere Fußnoten]

Sonntag, den 27. September 19141

Präsenz-Liste der Konferenz von Lugano (27. September 1914)

Italienische Delegierte:

Armuzzi, Balabanowa, De Falco, Lazzari Modigliani, Morgari, Ratti, Musatti, Serrati Turati.

Schweizerische Delegierte:

Albisser, Ferri, Greulich, Grimm, Naine Pflüger, Rimathe, Schenkel

Lokal: Restaurant Helvetia, Piazza Funicolare.

Greulich begrüßt die Genossen aus Italien und gratuliert ihnen zu ihrer tapferen Haltung, die sie in dieser schweren Zeit eingenommen haben. Die Verhältnisse haben sich sehr schlimm gestaltet. Es war den schweizerischen Sozialdemokraten ein Bedürfnis, einmal mit ihren lieben Freunden aus dem Süden zusammenzukommen und ihnen ins Auge zu sehen, um zu wissen, ob wenigstens sie noch treu geblieben sind. Wir wünschen uns gegenseitig zu verstehen. Wir wollen mit Bezug auf unsere Haltung in dieser Zeit weder Euch etwas zumuten, noch werdet Ihr, wie wir wissen, uns etwas zumuten wollen. Etwa bestehende Missverständnisse wollen wir vielmehr beheben.

Das Internationale Büro ist in alle Winde zerstreut. Wir möchten daher wenigstens mit den neutralen Ländern die Verbindung herstellen, damit nach Beendigung der kriegerischen Wirren bereits die Möglichkeit zu einem Wiederzusammenschluss gegeben ist.

Wir wollen uns auch nach außen hören lassen, einen Protest hören lassen gegen all die Grausamkeiten des gegenwärtigen Krieges. Wir müssen irgendeine Kundgebung erlassen. Wir wollen Ihnen unsere Gedanken mitteilen, wie wir sie uns ausgedacht haben, wollen aber Ihnen den Vortritt lassen. Sie sollen in Ihrer schönen italienischen Sprache die Kundgebung aufsetzen. Wir werden versuchen, sie im Deutschen so gut als möglich wiederzugeben. Wir wollen uns fragen, ob nicht ein Nachrichtendienst einzurichten ist, der die Fühlung zwischen, den Parteigenossen in den verschiedenen Ländern wiederherstellt.

Für das Büro schlagen wir vor, zwei Präsidenten und zwei Protokollführer zu wählen. Das Protokoll soll in italienischer, deutscher und französischer Sprache abgefasst werden.

Strenge Diskretion über die Verhandlungen ist notwendig. Sonderberichte sollen keine erstattet werden.

Lazzari dankt Greulich für seine Begrüßung und entbietet den Gruß der italienischen Genossen. Es war ursprünglich unsere Absicht, eine Zusammenkunft von Delegierten der sozialistischen Parteien aller Länder zu veranstalten. Die Ausführung dieser Absicht stieß auf Schwierigkeiten, und wir haben mit Vergnügen die Gelegenheit ergriffen, die uns von den Schweizern zur heutigen Zusammenkunft geboten wurde. Im Namen der Italiener erkläre ich, dass wir einverstanden sind mit der Ansicht Greulichs, es sollen nur offizielle Berichte über dieses convegno herausgegeben werden. Wir haben dieses alles ebenfalls schon vorgesehen. Eine eventuelle Proklamation sind wir bereit mit zu unterzeichnen, sobald uns ein annehmbarer Text einer solchen vorgelegt wird.

Gleich nach der Eröffnung des Krieges hat unsere Partei zu diesem in der Parteipresse Stellung bezogen. Diese Stellungnahme ist von unsern Parteigenossen gebilligt worden. Die Taktik, die schon seit Jahren von den italienischen Genossen geübt wird und die in der Beobachtung strikter Intransigenz gegenüber dem Krieg besteht, soll von uns auch für die Zukunft festgehalten werden. Ich möchte nur von den Schweizer Genossen wissen, ob sie in dieser Beziehung unsern Standpunkt teilen und wie sie sich ihrerseits zu einem Bruch der Neutralität ihres Landes stellen würden. Es wurden Stimmen laut, welche behaupten, die Neutralität der Schweiz könne nicht mehr sehr ernst genommen werden und gerade darüber möchten wir bindende Erklärungen haben.

Über die übrigen Verhandlungsgegenstände der heutigen Versammlung, wie sie von Greulich kurz umschrieben wurden, werden wir uns sehr leicht verständigen können. Was uns betrifft, so suchen wir alles zu vermeiden, was Italien von der Neutralität abwenden könnte. Ich möchte gerne in diesen Fragen auch Ihre Intentionen kennen. Wir verhehlen uns nicht, dass Eure Stellung eine schwierigere als die unsrige ist, weil Euer Land ein Durchgangsland ist. Es liegt uns daran, Eure Ansichten und Absichten zu kennen. Es hat geheißen, dass Deutschland und Österreich ev[entuell] diese schweizerische Neutralität missachten würden. Sind diese Befürchtungen gerechtfertigt?

Wir begrüßen es, dass in diesen Zeiten versucht wird, die internationalen Verbindungen aufrecht zu halten. Die österr. Genossen haben eine Zusammenkunft verlangt, ebenso die deutschen. Dem Genossen Ellenbogen haben wir geantwortet, dass wir ihre Anregung nicht aufnehmen könnten, um nicht den Anschein zu erwecken, als ob wir der österreichischen Bruderpartei eine Vorzugsstellung einräumten. Mit den deutschen Genossen haben die Verhandlungen stattgefunden. Südekum war bei uns. Im Übrigen verweise ich auf das Protokoll, das aufgenommen und in der Parteipresse veröffentlicht worden ist. Es wird Ihnen bekannt sein. Ich möchte noch hinzufügen, dass daraufhin aus Frankreich seitens der Parteigenossen uns zahlreiche Dankschreiben zugegangen sind.

Wir sind im Übrigen mit den Vorschlägen des Genossen Greulich betr. die Bestellung des heutigen Tagesbüros einverstanden, mit der einzigen Motivierung, dass wir glauben, es könnte ein Präsident genügen. Als solchen schlagen wir Greulich vor.

Greulich wird zum Vorsitzenden gewählt. – Als Protokollführer werden Gen. Prof. Schenkel-Winterthur und Genossin Angelika Balabanowa gewählt. Letztere besorgt auch die Übersetzungen.

Ferri: Ich antworte auf 2 Fragen von Lazzari, einmal auf diejenige betr. die Unstimmigkeiten zwischen der Schweiz und Italien und sodann betr. die Haltung der schweiz. Parteigenossen im Falle der Verletzung ihrer Neutralität. Lazzari hat auf die im Avanti erschienenen Publikationen betr. Getreideausfuhr angespielt. Nach dem Avanti könnte man glauben, die Schweiz gebe sich her zum Vermittler von Getreide an Deutschland. Damit tut man uns unrecht. Besonders in der bürgerlichen Gesellschaft haben die im Avanti im Anschluss an diese Meldung betr. die Getreidedurchfuhr erhobenen Drohungen der Aushungerung der Schweiz durch Italien peinlichen Eindruck gemacht. Weniger bei den Sozialdemokraten. Nun ist die Sachlage folgende: Wir erhalten Getreide nicht nur von Italien, sondern auch von Frankreich, und es ist doch wohl nicht anzunehmen, dass das seitens Frankreich geschehe, wenn die Schweiz an Deutschland Getreide abgeben würde. Es besteht in der Schweiz ein striktes Ausfuhrverbot, welches jegliche Ausfuhr von Getreide unmöglich macht.

Was unsere Stellung im Falle der Verletzung der Neutralität anlangt, so ist unsere Neutralität eine etwas andere als diejenige Italiens. Italien ist neutral geblieben aus eigenem Entschluss. Die Schweiz ist durch Verträge an die Neutralität gebunden. Im Falle einer Verletzung der Neutralität der Schweiz sind auch die Sozialdemokraten gezwungen, sie zu verteidigen. Diese Haltung kann weder andere Nationen beleidigen, noch muss sie einen Krieg hervorrufen. Deswegen hat die Verteidigung unserer Neutralität einen andern Sinn als bei andern Ländern. Die Schweiz ist Asylstaat und will Asylstaat bleiben. Für uns wäre es ein Schmerz, die Neutralität mit der Waffe in der Hand verteidigen zu müssen. Ist die Neutralität einmal verletzt, oder uns der Krieg erklärt, bleibt uns keine Zeit mehr zu Verhandlungen. Wir werden versuchen, die Neutralität bis zum letzten Augenblick zu verteidigen, selbst mit Mitteln, die sonst nicht Mittel der Sozialdemokratie sind. Die schweiz. Sozialdemokratie würde aber auch in diesem schwierigen Fall den Klassenstandpunkt nicht aufgeben.

Rimathe möchte, dass noch mit größerem Nachdruck seitens der schweiz. Parteigenossen die absolute Unmöglichkeit der Abgabe italienischen Getreides an Deutschland betont werde. Er unterstreicht nochmals den vom Bundesrat gefassten Beschluss des Ausfuhrverbotes.

Lazzari erklärt, dass die Frage der Ausfuhr des Getreides an Deutschland als erledigt betrachtet werden könne, nach der strikten Erklärung der schweizerischen Genossen.

Über die neutrale Stellung der Schweiz dagegen soll weiter gesprochen werden. Wir kennen die verschiedene Stellung der beiden Länder hinsichtlich der Neutralität. Die Italiener haben beschlossen, unter allen Umständen für die Wahrung der Neutralität einzustehen. Falls eine Verletzung vorkäme, würden sie auch vor dem Generalstreik nicht zurückschrecken. Ich frage mich, ob wirklich Sozialdemokraten unserer Sache dienen, wenn sie im Falle der Verletzung in einen Kampf treten. Ferri hat gesagt, dass im Falle der Verletzung der Neutralität die Schweizer Sozialdemokraten keine Gegenmaßregeln ergreifen, sondern zur Waffe greifen würden. Auf diesen Standpunkt dürfen Sozialdemokraten sich niemals stellen. Mir scheint, es sei notwendig, die von Ferri erwähnte Stellung näher zu beleuchten.

Die Sozialdemokraten der Schweiz zeigen sich schon heute bereit, zu den Waffen zu greifen. Wir Italiener sind nicht gewillt, am Kampfe teilzunehmen, auch für den Fall, dass Italien angegriffen würde. Der Krieg verteidigt immer die Interessen des Kapitals. Wir dürfen daher an einem solchen Kampfe auf keinen Fall mithelfen. Die Sozialdemokraten können nichts anderes tun, als sich ganz passiv verhalten, sobald der Krieg ausbricht.

Modigliani: Es ist ein Missverständnis gegenüber den Worten Ferris zu verzeichnen. Ferri hat gesagt, dass, wenn die Schweiz angegriffen würde, die Sozialdemokraten mitkämpfen müssten, ohne sich indessen mit dem Krieg als solchen einverstanden zu erklären.

Die Schweizer stellen sich also auf den Boden der belgischen Sozialdemokraten. Wie wir das Vorgehen der belgischen Genossen gutgeheißen haben, so können wir auch den Standpunkt der Schweizer verstehen. Die Verteidigung dieses neutralen Landes kann dazu dienen, den Krieg einzuschränken. Auch die italienischen Genossen haben wiederholt betont, dass es erlaubt sei, sich gegen einen Eingriff in die Unabhängigkeit zu wehren. Falls die Verletzung der Neutralität durch die regierende Partei der Schweiz selbst erfolgen sollte, so wäre die Stellung der Sozialdemokraten eine ganz andere.

Turati: Wir befinden uns in einem kritischen Momente. Es ist wichtig zu wissen, welche Mittel uns zur Verfügung stehen für die Aufrechthaltung der Internationale. Was speziell die Neutralität der beiden Länder anbetrifft, so kann ich nur unterschreiben, was Modigliani gesagt hat. Einen Beweis der Richtigkeit seiner Ausführungen bietet die Geschichte des Krieges 1870/71. Dass die Schweiz den Kampf für die Neutralität schon aufgenommen hat, zeigt am besten der Umstand, dass sie für ihre Grenzbesetzung täglich Millionen Franken opfert. Die italienische Partei hat ihre Absicht gegen den Krieg deutlich ausgesprochen, für die absolute Neutralität und gegen jede Art des Krieges. Mögen die geschichtlichen Notwendigkeiten werden, wie sie wollen, wir als sozialdemokratische Partei sind gegen den Krieg. Viele Gründe würden bei uns für den Krieg sprechen. Wir halten gegenüber allen standgehalten und unsern Standpunkt durchaus beibehalten. Wie wir den Belgiern recht gegeben haben, so müssen wir auch die markierte Stellung der Schweizer in einem ähnlichen Falle gutheißen. Damit dürften nun der Erklärungen genug abgegeben worden sein. Der Nachmittag soll uns praktische Vorschläge bringen. Vom Erlass einer Protestresolution, wie sie im einleitenden Votum von Gen. Greulich angetönt wurde, verspreche ich mir keine große praktische Wirkung.

Greulich: Auch ich bin einverstanden, mit den Erklärungen Schluss zu machen zugunsten der Diskussion über die praktischen Vorschläge. Was die Neutralitätsfrage anbelangt, so muss ich doch noch folgende Bemerkungen machen: Die herrschenden Parteien der Schweiz können ihrerseits die Neutralität gar nicht brechen. Daran ist nicht zu denken. Die Neutralität der Schweiz wird bei uns auf alle Fälle verteidigt. Aber auch unsere Genossen sind dabei. Wird die Schweiz angegriffen, so wird sie das möglichste tun, den Angreifer wieder über die Grenze zu werfen. Gelingt das nicht, so muss die Schweiz mit der Gegenpartei des Angreifers marschieren. Etwas haben wir in der Schweiz immerhin zu verteidigen. Die Schweiz hat gezeigt, dass drei Nationen miteinander leben und wirken können, trotz Verschiedenheit der Sprache und Rasse und Religion. Den Klassenkampf haben wir so gut wie Italien.

Pflüger: Ich wollte das anführen, was Präsident Greulich gesagt hat, verzichte im Übrigen aufs Wort, weil ich auch mit den Ausführungen Modiglianis und Turatis einverstanden bin.

Hier folgt eine Mittagspause bis drei Uhr.

Greulich: Zuerst ist die Resolution zu erledigen und einer Redaktionskommission zu übergeben, damit Zeit bleibt zur Besprechung der außerdem zu ergreifenden praktischen Maßnahmen. – Es liegen Redaktionsentwürfe vor von Grimm und Naine.

Naine. Er nimmt in der Frage der Verteidigung der schweizerischen Neutralität eine andere Stellung ein; er hat nur mit Widerwillen für die Gewährung der Kredite und der Vollmacht an den Bundesrat bei Beginn des gegenwärtigen Krieges gestimmt, da er mit diesem Akt die Sache als entschieden betrachtete. In allen Ländern haben die Bürgerlichen jeweilen anstandslos die Militärkredite bewilligt und es verurteilt, wenn die Genossen Opposition machten. Heute behaupten alle Länder, dass sie sich in Defensivstellung befinden. Die bürgerlichen Parteien haben aber selber die Verhältnisse geschaffen, die zur Verteidigung zwingen.

Unsere Armee garantiert die Neutralität nur unvollständig. Ein Grenzzwischenfall könnte genügen, uns in einen Krieg zu verwickeln. Wir können nicht einmal sicher sein, dass unser Heer sich immer bloß auf die Defensive beschränken wird. Auch unsere Regierung könnte in den Fall kommen, das Heer auf die eine oder andere Seite zu stellen. Ich glaube, wir könnten im Falle einen Angriffes die Verantwortung nicht auf uns nehmen für die Eröffnung der Feindseligkeiten. Unsere Genossen in Frankreich und Deutschland hatten unrecht, sich ihren Regierungen anzuschließen. Wir Sozialdemokraten sind bis jetzt immer zu nationalistisch gewesen in allen Ländern. Wenn der Krieg ausbricht, kann kein Mensch sagen, wer der Angegriffene sei. In einer Demokratie treten die Interessen der Sprache und der Hasse zurück. Wir müssen daher eine europäische Demokratie anstreben und im Interesse der allgemeinen internationalen Demokratie auf den nationalen Standpunkt verzichten. Nur der Kampf der Unterdrückten gegen die Unterdrücker kann zu dieser internationalen Demokratie führen.

Grimm (verzichtet auf das Wort in dieser Frage).

Modigliani möchte die Diskussion der Resolution auf den Schluss verschieben und vorher die dringenderen Sachen, wie Abhaltung einer Internationalen Reunion, besprechen.

Grimm will zuerst die Erklärung behandeln.

Modigliani ist der Ansicht, dass die Erklärung schnell ins Reine gebracht sein werde. Die Italiener haben sich bereits über die Hauptpunkte geeinigt. Es wird mehr über die Form als über den Inhalt der Erklärung zu diskutieren sein.

Albisser schließt sich Modigliani an. Zuerst soll positive Arbeit getan werden. Wir wollen beraten, was unternommen werden kann, um die Beendigung des Krieges zu beschleunigen.

Zu der Abstimmung wird mit 9 gegen 8 Stimmen beschlossen, zuerst die Erklärung zu behandeln.

Grimm (zu der von ihm vorgelegten Resolution): Unsere heutige Besprechung hat zwei Hauptaufgaben:

1. Erklärung an die Arbeiterkreise und

2. Besprechung der Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Internationale.

Es soll gesagt werden, was das Charakteristische des heutigen Krieges ist. Protestiert wurde gegen den Krieg schon oft. Ein Protest nützt uns nichts. Jede Nation will heute die andere angeblich von ihrem Joch befreien. Die, welche selbst noch nicht frei sind, wollen andern die Freiheit bringen. Es soll hier klargestellt werden, dass es nicht möglich ist, im heutigen Kriege einfach die Arbeiter des einen Landes durch diejenigen des andern morden zu lassen. Die Internationale sollte hochgehalten werden. Heute überwiegt leider überall noch der Nationalismus gegenüber dem Internationalismus. Bisher haben wir immer nur darüber diskutiert, was jedes Land im Falle des Krieges zu tun habe. Heute müssen wir untersuchen, was die Internationale allgemein tun kann. Eine internationale Konferenz sollte eine Operationsbasis schaffen. Die Internationale muss sich als noch vorhanden und noch lebensfähig zeigen. Dabei sollten die Bestrebungen ausgehen von den Vertretern aller oder der Mehrzahl der Länder. Aus diesem Grunde kann unsere Versammlung dies nicht besorgen. Die Resolution muss diesen Dingen Rechnung tragen. Wir haben uns an das zu halten, was erreichbar ist. Möglich ist heute, die Sozialisten der neutralen Länder und ev[entuell] auch der kriegführenden zu einem Kongress zusammenzurufen. Von diesem Kongress aus soll auf die Regierungen eingewirkt werden. Wenn die neutralen Parteien zusammengebracht sind, so soll man, sei es auch bloß durch privaten Verkehr, versuchen, zwischen den Deutschen und Franzosen eine Verständigung anzubahnen, um die Frage für die Zukunft zu ebnen.

Es soll ein Ausschuss geschaffen werden, der die Aufgabe hat, die Parteien der neutralen und der kriegführenden Länder einander näher zu bringen.

(Es folgt die Resolution. Siehe am Schlusse des Protokolls.)

Pflüger kann der Resolution keinen großen Wert beimessen. Er kommt auf die Entstehungsgeschichte der Konferenz zu sprechen. Ursprünglich war diese rein konfidentiell vorgesehen. Leider ist durch Indiskretion ihr Charakter geändert worden. Die Resolution selbst ist an die Sozialdemokraten der neutralen Länder gerichtet. Diese sind aber bereits über die Dinge einig, die in der Resolution enthalten sind, so dass diese überflüssig ist. Eine Resolution wird weder von den Bürgerlichen noch von den Sozialdemokraten erwartet, auch ist es nicht unsere Aufgabe, eine solche zu erlassen. Unsere Aufgabe besteht vielmehr in dem Bestreben, die ganze internationale Partei wieder zu einigen und den Kontakt wiederherzustellen, der vielerorts verlorengegangen ist.

Balabanowa: Allerdings enthält die vorgeschlagene Erklärung nichts Neues. Aber die Situation ist derart, dass viel aus dem Gedächtnis der Genossen entschwunden ist, was die Partei will. Unsere Genossen wissen zum Teil nicht einmal mehr, was eigentlich Sozialismus ist. Es ist in der gegenwärtigen Zeit notwendig, die sozialistischen Ideen wieder aufzufrischen, zu zeigen, was der Sozialismus ist, was er will und was er soll... Deswegen sollen mit wenigen Worten diese Ideen bei diesem Anlass wieder ins Gedächtnis der Parteigenossen gerufen werden. Die Sozialisten aller Länder glauben daran, dass sie gegenwärtig für die Freiheit und für die Sache des Sozialismus kämpfen. So auch die Deutschen und die Franzosen. Gegen den Willen der italienischen Genossen ist die Einberufung dieser Konferenz öffentlich bekannt geworden. So wie nun die Dinge liegen, will man etwas wissen. Die öffentliche Meinung verlangt Auskunft. Die Resolution kommt diesem Verlangen entgegen.

Albisser steht auf dem Standpunkt von Pflüger, was die Resolution betrifft. Die Resolution wird die Genossen der kriegführenden Länder entweder nicht erreichen oder von ihnen nicht verstanden werden. Er ist mit den weiteren Aufgaben der Konferenz, wie sie von Pflüger gekennzeichnet worden sind, einverstanden. Für uns ist die wichtigste Frage die, können wir etwas tun, um den europäischen Krieg zu Ende zu bringen? Sollen nicht gemeinsam mit der Aufnahme der Internationalen Beziehungen bei den Regierungen Schritte getan werden, dass die neutralen Länder und speziell Italien die Initiative ergreifen, um Friedensverhandlungen anzubahnen? Da es im Parlament nicht geschehen kann, könnten vielleicht die italienischen Genossen bei der Regierung anklopfen, und es könnten vielleicht auch in andern Ländern ähnliche Schritte getan werden. Die italienischen Genossen sind gebeten, sich über diese Punkte auszusprechen.

Morgari ist gegen die Abgabe einer Erklärung. Eine absolute Übereinstimmung sei in dieser Frage augenblicklich nicht zu erzielen. Wir können darüber aber nicht nach Mehrheit und Minderheit abstimmen. Es handelt sich um eine Frage von größter Wichtigkeit. Belgien z.B. ist keine Nation, sondern ein künstlich entstandenes Gebilde. Es ist ein Unsinn, für ein solches Gebilde Ströme von Blut fließen zu lassen. Zwei Völkerschaften sind in diesem Lande, die sich nicht vertragen und nicht lieben. Unter solchen Umständen kann der Grundsatz, dass zur Verteidigung des Vaterlandes die Sozialdemokraten um jeden Preis eintreten sollen, nicht aufrechterhalten werden. – Für die Schweiz liegen die Verhältnisse anders. Trotzdem drei Nationen vorhanden sind, herrscht ein inniges Verhältnis zwischen denselben. – Für den Antrag Albisser kann er sich nicht erwärmen. Eine derartige Aktion nur im Interesse des Friedens hat wenig Aussicht. Die Idee, die neutralen Mächte zu gemeinsamem Vorgehen zu vereinigen, ist neu und hat großen suggestiven Wert. Die neutralen Länder leiden stark unter dem Kriege, ganz abgesehen von der Gefahr, in den Krieg mit hineingezogen zu werden. Sie haben ein enormes Interesse daran, den Krieg bald beendet zu sehen. Es müsste möglich sein, in dem Zeitraum von 14 Tagen einen Kongress der Sozialisten der neutralen Länder einzuberufen.

Turati: Es sollte eine Resolution im Sinne derjenigen des Genossen Grimm gefasst werden. Die Öffentlichkeit kann nicht mehr unterdrückt werden. Folglich muss man ihr irgend etwas bieten. Das ist der erste, wenn auch nicht wesentlichste Grund für die Aufstellung einer Resolution. Der Geist der Resolution Grimm ist der gleiche wie derjenige des Manifestes der Italiener. Wir sind gegen den Krieg, gegen den Militarismus, aber wir können die Sache nicht auf die Spitze treiben. Es wäre absurd, 4 Stunden zu diskutieren, ohne zu einer Einigung zu kommen. Wir wollen uns auf eine Resolution prinzipiellen Charakters einigen. Der Sprechende findet, dass es zu wenig sei, bloß die neutralen Länder zu einer Konferenz einzuladen. Sollte es gelingen, die Regierungen dahin zu bringen, uns in unsern Absichten zu folgen, so wäre dies an und für sich schon etwas. Jede neutrale Nation aber, die einen solchen Schritt tun würde, erschiene verdächtig. Besser wäre es, wenn es gelänge, die soziald. Parteien von Deutschland und Frankreich dahin zu bringen, eine Aktion von beiden Seiten einzuleiten. Dann könnte man sie von neutraler Seite wirksam unterstützen.

Lazzari: Gelingt es nicht, eine Einigung der heutigen Konferenzteilnehmer für eine Resolution zu erlangen, so ist es besser, sie ganz zu unterlassen. Es ist schwer, eine solche Resolution in die gewünschte Form zu bringen, ohne die Prinzipien der Partei zu verletzen. Es ist schwer zu entscheiden, ob es sich jeweilen um einem Angriffs- oder Abwehrkrieg handelt. Die schweizerische Partei hat die Kredite für die Mobilisation bewilligt. Italien hat ein gleiches nicht getan.

Lazzari hält die andere Frage für wichtiger und von größerer praktischer Bedeutung. Die neutralen Regierungen sollten veranlasst werden, Schritte zu tun, um eine Beendigung des Krieges herbeizuführen. Das ist die Frage, die in erster Linie diskutiert werden soll. Es ist keine Gefahr, dass wir dabei unsere prinzipielle Stellungnahme preisgeben müssen. Wir bleiben vielmehr auf dem Boden der Basler Resolution, welche verlangt, dass der Krieg mit allen Mitteln zu bekämpfen sei.

Naine: Wir können uns nicht trennen, ohne eine Erklärung an das Proletariat abgegeben zu haben. Wenn diese Sachen dem Proletariat auch schon hundertmal wiederholt worden sind, so darf uns das nicht hindern, sie immer und immer zu wiederholen. Wir glauben an die Internationale. Das müssen wir dem Proletariat klar und deutlich sagen.

Modigliani ist mit Naine einverstanden. Es ist das vielleicht das einzig Praktische, Wertvolle, was wir heute machen können. Über den Ausgang der übrigen Aktionen sind wir im Unklaren. Bei den Regierungen ist die Sache mehr als fraglich. Eine direkte Aktion ist ebenfalls unsicher. Das aber können wir, unsern Abscheu gegen den Krieg mit aller Deutlichkeit zum Ausdruck bringen. Wenn wir unsere Genossen der andern Länder, auch der kriegführenden, an das erinnern, an was sie selbst geglaubt und das sie selbst verfochten haben, so haben wir getan, was zu tun ist. Wenn wir uns weder für Frankreich noch für Deutschland, aber mit aller Energie gegen den Krieg erklären, haben wir etwas für den Frieden getan. Eine Erklärung muss erfolgen.

De Falco: Der Sitz der Internationale sollte in ein neutrales Land verlegt werden. Die Genossen der kriegführenden Länder haben ihre Richtlinien verloren. Sie stehen als Angeschuldigte da. Ein späterer großer Kongress wird die Verantwortlichkeit feststellen. Welches Land könnte die Internationale beherbergen? Es kann nur die Schweiz sein.

Turati: Wir gelangen allmählich dazu, die Notwendigkeit einer Erklärung einzusehen. Die Resolution Grimm kann wohl angenommen werden, wenn sie noch in einzelnen Punkten eine Abänderung erfährt. Was die Abwägung der Verantwortlichkeit von England, Frankreich, Deutschland etc. anbetrifft, so ist das nicht unsere Sache und wird auch kaum möglich sein. Mit der Resolution allein ist allerdings die Aufgabe unserer Zusammenkunft auch nicht erfüllt. Es muss noch ein Mehreres geschehen. Die Verlegung des Internationalen Büros ist eine schwierige Sache. Leicht könnte es den Anschein machen, als wollte man einen noch nicht Toten schon beerben. Wir hier anwesenden wenigen Genossen haben nicht das Recht, eine so folgenschwere Änderung zu beschließen. Was wir tun können, ist, laut und vernehmlich zu sagen: Die Internationale muss leben! Alle, die noch daran glauben, sollte man zusammenrufen zu deren Schutz und Aufrechterhaltung.

Eine Aktion bei den neutralen Mächten könnte doch guten Erfolg haben, einmal in Bezug auf den Eindruck, den sie auf die Bürgerlichen machen müsste. Dann aber auch für die Festigung der Überzeugung unserer Genossen.

Abstimmung über die Resolution Grimm: Sie wird italienisch und deutsch verlesen und hierauf einstimmig angenommen, mit dem Vorbehalt ihrer redaktionellen Bereinigung.

Balabanowa verlangt, dass in der Resolution die Stelle geändert werde, wo gesagt ist, dass die deutschen Bürgerlichen die Unwahrheit gesagt hätten, wenn sie sich von Russland angegriffen erklären. Sie glaubt nämlich, dass wir dadurch die deutschen Genossen in großer Zahl der Lüge strafen, weil auch sie diese Behauptung aufrechterhalten. Wir bringen sie dadurch in eine Situation, die es ihnen, denen wir helfen wollen, unmöglich macht, der Resolution zuzustimmen. Das gleiche gilt auch für die französischen Genossen.2

Modigliani beharrt auf der alten Fassung dieses beanstandeten Passus. Man solle wagen, wenigstens einigermaßen die Wahrheit zu sagen, auch wenn es ev[entuell] einen Widerspruch der deutschen oder französischen Genossen hervorrufen sollte.

Morgari tritt auf die Frage der Verlegung des Internat. Büros ein. Er findet, dass es nicht den großen Aufgaben, die man dieser Stelle übertragen will, angemessen sei, wenn man hier nur einen Ausschuss oder ein Komitee dafür wählen wollte. Auch die Möglichkeit einer sofortigen Einsetzung und Funktionierung eines solchen Komitees sei fraglich. Man sollte es daher in der Resolution selber lieber gar nicht erwähnen. Morgari schlägt zum Schlusse vor, ein eigentliches, aber provisorisches internat. Büro, mit Sitz in der Schweiz, einzurichten, das sofort in Tätigkeit zu treten hätte. Es soll in dieser Sache noch besonders Beschluss gefasst werden, getrennt von der Resolution.

Rimathé glaubt nicht, dass der heutigen Versammlung die Kompetenz zustehe, eine Verlegung des Internationalen Büros nach der Schweiz vorzunehmen und dessen Funktionen so ohne weiteres einer mit gleichen Kompetenzen ausgestattenen Kommission zu übertragen. Die Geschäftsleitung wäre jedenfalls auch nicht in der Lage, einen derartigen Beschluss der heutigen Konferenz zur Ausführung zu bringen.

Balabanowa weist darauf hin, dass die Verlegung des Internationalen Büros nach der Schweiz durch die heutige Konferenz ziemlich wahrscheinlich Protesten seitens der belgischen und vielleicht anderer Genossen des bisherigen Büros rufen würde. Es sei auch aus Gründen der Delikatesse nicht angezeigt, einen derartigen Beschluss zu fassen, der verletzend wirken müsste.

Grimm: Das in Frage kommende Komitee kann nicht das Internationale Büro ersetzen. Es soll lediglich die Aufgabe haben, die Korrespondenzen zu vermitteln und eventuelle Schritte zu tun für eine Einigungsaktion, soweit dies nötig ist und bis das Büro wieder funktioniert.

Folgender Antrag Modigliani wird zum Beschluss erhoben: „Die Vertreter der italienischen und schweizerischen sozialistischen Partei erteilen der Geschäftsleitung der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz den Auftrag, sich mit den Mitgliedern des gegenwärtigen Internationalen Büros in Verbindung zu setzen und so rasch als möglich dessen Funktionen wiederaufzunehmen und auf jeden Fall auf eine beschleunigte Zusammenberufung der Vertreter der sozialistischen Parteien der neutralen Länder hinzuarbeiten, um die internationale Lage zu prüfen und entsprechende Beschlüsse zu fassen".

Von Lazzari und Albisser liegt folgender Antrag vor: „Die schweizerische und italienische Delegation der Sozialdemokratischen Partei ladet im Interesse des europäischen Friedens die sozialistischen Gruppen aller neutralen Länder ein, die Initiative zu ergreifen für eine Aktion bei den Regierungen der verschiedenen Staaten, zum Zwecke, sie zu veranlassen, diplomatische Unterhandlungen anzuknüpfen, in dem Sinne, Übereinstimmung zwischen den Regierungen der 80 Millionen Europäer herbeizuführen, welche sich gegenwärtig nicht im Kriege befinden, um sie zu veranlassen, die kriegführenden Regierungen dahin zu beeinflussen, dem Kampf der Großmächte ein Ende zu bereiten und die Grundlagen für einen Frieden zu erörtern, der dauernd und den Wünschen der Völker entsprechend ist." – Der Antrag wird angenommen.

Greulich fragt an, ob sich die Beteiligung an der proponierten Konferenz auf die neutralen Länder beschränken oder ob sie auf alle ausgedehnt werden solle, nachdem er bereits festgestellt hat, dass eine solche Konferenz gewünscht wird.

Modigliani hält die Sache für bereits entschieden.

Greulich: Die Konferenz kann nur in der Schweiz stattfinden. Die schweizerische Parteileitung wird Zeit und Ort bestimmen.

Rimathé spricht über die Publikation der Resolution. Wir haben bei der schweizerischen Armee nach der Mobilisierung ein Pressebüro erhalten. Es ist in andern vielleicht auch der Fall. Diese Armeepressebüros lassen nun vielleicht mit ihrer Zensur unsere Resolution nicht passieren. Welche Wege sollen nun eingeschlagen werden, um die Parteigenossen trotzdem mit dem Inhalt der Proklamation bekannt zu machen?

Grimm: Die Verbreitung muss durch die schweizerische und italienische Presse geschehen. Andere Mittel stehen uns nicht zur Verfügung.

Greulich: Das für die Textbereinigung der Resolution bestellte Komitee wird auch die Abfassung des Kommuniqués an die Presse besorgen. Greulich verpflichtet zum Schlusse alle Teilnehmer, nichts anderes an die Presse weiter zu geben, als was im Kommuniqué enthalten ist. Dann dankt er in einem Schlusswort den italienischen Genossen für ihre Mitwirkung an der Konferenz. Er knüpft daran die Hoffnung, dass es den italienischen Genossen gelingen möge, die Kriegsgefahr von ihrem Lande fernzuhalten. Er gibt der Erwartung Ausdruck, dass die gefassten Beschlüsse zum gewünschten Ziele führen möchten und wünscht sämtlichen Genossen eine glückliche Heimkehr.

Resolution

Die gegenwärtige Katastrophe ist das Ergebnis der imperialistischen Politik der Großmächte, die in den absolutistischen Monarchien zusammenfällt mit den dynastischen Interessen.

Der europäische Krieg ist kein Ringen für höhere Kultur und für die Freiheit der Völker. Er ist in gleicher Weise ein Kampf der kapitalistischen Klassen um die Eroberung neuer Absatzmärkte in fremden Ländern, wie der verbrecherische Versuch, die revolutionäre Bewegung des Proletariats und der sozialen Demokratie im eigenen Lande niederzuzwingen.

Die deutschen und die österreichischen Bourgeois haben kein Recht, sich zur Verteidigung des Krieges auf den Kampf gegen den Zarismus und für die Freiheit der nationalen Kultur zu berufen, denn wie das preußische Junkertum mit Wilhelm II. an der Spitze und die deutschen Großindustriellen immer eine Politik zur Unterstützung und Aufrechterhaltung des fluchbeladenen Zarismus führten, so haben die Regierungen in Deutschland und in Österreich-Ungarn die nationale Kultur ihrer Völker unterdrückt und die freiheitliche Bewegung der Arbeiterklasse in Fesseln geschlagen.

Auch die französischen und die englischen Bourgeois haben kein Recht, sich in der Verteidigung ihrer Länder auf den Kampf gegen den deutschen Imperialismus und für die Freiheit der Völker zu berufen. Ihr Ziel ist nicht die Befreiung der Völker von dem kapitalistischen und militaristischen Druck, denn durch ihre Bündnispolitik mit dem zaristischen Russland haben sie diesen Druck verschärft und die Entwicklung zu höherer Kultur verhindert.

Die wahren Ursachen und der eigentliche Charakter des gegenwärtigen Krieges werden verdunkelt durch den in allen Ländern von den herrschenden Klassen absichtlich entfachten chauvinistischen Taumel. Auch Teile der Arbeiterklasse wurden von dieser chauvinistischen Strömung mitgerissen und glauben durch die Teilnahme am Krieg der Befreiung des Proletariats der andern Länder von der Blutherrschaft ihrer Regierungen zu dienen. Kein Krieg aber kann diese Wirkungen hervorrufen. Die Unterdrückten können sich die Freiheit nicht erringen im Kampf für ihre Unterdrücker und gegen die unterdrückten Klassen anderer Länder.

Diese alten Grundsätze der proletarischen Internationale zu verkünden, ist heute, wo die internationalen Beziehungen der Arbeiter unterbrochen sind, mehr denn je die Pflicht der Sozialisten jener Länder, die von den Kriegsgräueln verschont geblieben sind. Demgemäß betrachten es die unterzeichneten Vertreter der sozialistischen Parteien Italiens und der Schweiz als ihre Aufgabe, mit dem Aufgebot ihrer letzten Kraft gegen eine weitere Ausdehnung des Krieges auf andere Länder anzukämpfen und jeden Versuch, neue Völker in den Krieg hinein zu hetzen, als ein Verbrechen an der arbeitenden Bevölkerung und an der Kultur zu brandmarken.

In diesem Sinne wenden sich die Vertreter Italiens und der Schweiz an die sozialistischen Parteien der übrigen Staaten. Indem sie so die Grundlage für eine gemeinsame Aktion unter den am Kriege unbeteiligten, aber von seinen Wirkungen betroffenen Völkern gegen die Fortführung der furchtbaren Schlächterei schaffen, ersuchen sie die sozialistischen Parteien der neutralen Länder gleichzeitig, von ihren Regierungen unverzüglich die Einleitung diplomatischer Unterhandlungen mit den Regierungen der im Kriege stehenden Staaten zu fordern, um eine rasche Beendigung des Völkermordens anzustreben.

Lugano, den 27. September 1914.

Die italienischen Delegierten: Armuzzi, Balabanowa, de Falco, Lazzari, Modigliani, Morgari, Musatti, Ratti, Serrati, Turati.

Die schweizerischen Delegierten: Albisser, Ferri, Greulich, Grimm, Naine, Pflüger, Rimathe, Schenkel.

Zirkular, an 21 neutrale und kriegführende Länder versandt

Hektographiert

5. Oktober 1914

Werte Genossen!

Der europäische Krieg hat die Fäden zwischen den Teilen der proletarischen Internationale zerrissen. Das Internationale Sozialistische Büro musste seine Tätigkeit einstellen und den Parteien in den kriegführenden Ländern ist es unmöglich, frei mit den Bruderparteien verkehren zu können. Die Geschäftsleitung der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz hielt es für ihre Pflicht, zunächst mit der Bruderpartei des Nachbarlandes Italien sich in brüderlichem Verkehr zu verständigen. Dies ist auf einer Konferenz am 27. September in Lugano erfolgt. Wir einigten uns auf folgende Erklärung:

Die Gegenwärtige Katastrophe ist das Ergebnis der imperialistischen Politik der Großmächte, die in den absolutistischen Monarchien zusammenfällt mit den dynastischen Interessen.

Der europäische Krieg ist kein Ringen für höhere Kultur und für die Freiheit der Völker. Er ist in gleicher Weise ein Kampf der kapitalistischen Klassen um die Eroberung neuer Absatzmärkte in fremden Ländern wie der verbrecherische Versuch, die revolutionäre Bewegung des Proletariats und der sozialen Demokratie im eigenen Lande niederzuzwingen.

Die deutschen und die österreichischen Bourgeois haben kein Recht, sich zur Verteidigung des Krieges auf den Kampf gegen den Zarismus und für die Freiheit der nationalen Kultur zu berufen, denn wie das preußische Junkertum mit Wilhelm II. an der Spitze und die deutschen Großindustriellen immer eine Politik zur Unterstützung und Aufrechterhaltung des fluchbeladenen Zarismus führten, so haben die Regierungen in Deutschland und in Österreich-Ungarn die nationale Kultur ihrer Völker unterdrückt und die freiheitliche Bewegung der Arbeiterklasse in Fesseln geschlagen.

Auch die französischen und die englischen Bourgeois haben kein Recht, sich in der Verteidigung ihrer Länder auf den Kampf gegen den deutschen Imperialismus und für die Freiheit der Völker zu berufen. Ihr Ziel ist nicht die Befreiung der Völker von dem kapitalistischen und militaristischen Druck, denn durch ihre Bündnispolitik mit dem zaristischen Russland haben sie diesen Druck verschärft und die Entwicklung zu höherer Kultur verhindert.

Die wahren Ursachen und der eigentliche Charakter des gegenwärtigen Krieges werden verdunkelt durch den in allen Ländern von den herrschenden Klassen absichtlich entfachten chauvinistischen Taumel. Auch Teile der Arbeiterklasse wurden von dieser chauvinistischen Strömung mitgerissen und glauben durch die Teilnahme am Krieg der Befreiung des Proletariats der andern Länder von der Blutherrschaft ihrer Regierungen zu dienen. Kein Krieg aber kann diese Wirkungen hervorrufen. Die Unterdrückten können sich die Freiheit nicht erringen im Kampf für ihre Unterdrücker und gegen die unterdrückten Klassen anderer Länder.

Diese alten Grundsätze der proletarischen Internationale zu verkünden, ist heute, wo die internationalen Beziehungen der Arbeiter unterbrochen sind, mehr denn je die Pflicht der Sozialisten jener Länder, die von den Kriegsgräueln verschont geblieben sind. Demgemäß betrachten es die unterzeichneten Vertreter der sozialistischen Parteien Italiens und der Schweiz als ihre Aufgabe, mit dem Aufgebot ihrer letzten Kraft gegen eine weitere Ausdehnung des Krieges auf andere Länder anzukämpfen und jeden Versuch, neue Völker in den Krieg hinein zu hetzen, als ein Verbrechen an der arbeitenden Bevölkerung und an der Kultur zu brandmarken.

In diesem Sinne wenden sich die Vertreter Italiens und der Schweiz an die sozialistischen Parteien der übrigen Staaten. Indem sie so die Grundlage für eine gemeinsame Aktion unter den am Kriege unbeteiligten, aber von seinen Wirkungen betroffenen Völkern gegen die Fortführung der furchtbaren Schlächterei schaffen, ersuchen sie die sozialistischen Parteien der neutralen Länder gleichzeitig, von ihren Regierungen unverzüglich die Einleitung diplomatischer Unterhandlungen mit den Regierungen der im Kriege stehenden Staaten zu fordern, um eine rasche Beendigung des Völkermordens anzustreben.

Lugano, den 27. September 1914.

Die italienischen Delegierten: Armuzzi, Balabanowa, de Falco, Lazzari, Modigliani, Morgari, Musatti, Ratti, Serrati, Turati.

Die schweizerischen Delegierten: Albisser, Ferri, Greulich, Grimm, Naine, Pflüger, Rimathe, Schenkel."

Wir richten daher an die sozialistischen Parlamentsfraktionen der neutralen Länder die Einladung, ihre Regierungen aufzufordern, bei den kriegführenden Mächten für baldige Beendigung des Blutvergießens durch Abschluss eines Waffenstillstandes zu intervenieren. Wir ersuchen Sie in diesem Sinne, unverzüglich an Ihre Parlamentsfraktion zu gelangen.

Sodann beauftragte die Konferenz in Lugano die Geschäftsleitung der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz, die Vermittlung zwischen den Bruderparteien und einen Nachrichtendienst während der Kriegszeit zu übernehmen, und wenn Sie damit einverstanden sind, eine Konferenz von Vertretern der neutralen Staaten womöglich noch im November in die Schweiz einzuberufen zur Verständigung über den weiteren Zusammenhang. Es soll auch Verbindung mit den Beamten des Internationalen Sozialistischen Büros gesucht werden.

Wir wollen gerne diesen Aufträgen nach Kräften nachkommen und, sofern die Bruderparteien damit einverstanden sind, während des Krieges eine Verbindung einrichten, so dass nach Beendigung desselben die Weiterführung der proletarischen Internationale sobald wie möglich erfolgen kann. – Daher bitten wir um möglichst baldige Antwort auf folgende Fragen:

1. Ist die sozialistische Parlamentsfraktion Ihres Landes geneigt, ihre Regierung aufzufordern, bei den kriegführenden Mächten um baldige Beendigung des Blutvergießens durch Abschluss eines Waffenstillstandes zu intervenieren?

2. Ist Ihre Partei geneigt, eine Konferenz der Parteien der neutralen Länder in der Schweiz zu besuchen? Wenn Ja

a. welche Tage des Monats November würden Ihnen genehm sein?

b. welche Wünsche haben Sie für die Tagesordnung der Konferenz?

c. welche Anträge stellen Sie?

3. Haben Sie noch eine Verbindung mit dem Internationalen Sozialistischen Büro in Brüssel, oder können Sie eine solche für uns vermitteln?

4. Sind Sie einverstanden, dass wir die internationale Vermittlung solange übernehmen, bis das Internationale Sozialistische Büro seine Tätigkeit wieder aufnehmen kann?

Wir bitten Sie um baldmögliche Beantwortung unserer Fragen und begrüßen Sie mit dem Rufe: Hoch die proletarische Internationale!

Zürich, den 5. Oktober 1914.

Namens der Geschäftsleitung der Sozial[demokratischen] Partei d. Schweiz,

Der Parteipräsident: [Fritz Studer]

Der Parteisekretär: [M. Fähndrich]

1 Veröffentlichung erfolgt nach einem Manuskript aus dem Archiv des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, Bern. Eine gleichlautende Fassung dieses Protokolls aus dem Archiv des belgischen Sozialisten Camille Huysmans publizierte Aldo Romano in: Rivista storica del Socialismo 18 (1963), S. 81 ff. (deutsches Original und italienische Übersetzung).

2 S. hierzu den 3. und 4. Absatz der am Schluss dieses Protokolls beigefügten Resolution.

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