Vorbereitende Sitzung zur 1. Zimmerwalder Konferenz 19150711

Vorbereitende Sitzung zur 1. Zimmerwalder Konferenz

[nach: Horst Lademacher (Hg.): Die Zimmerwalder Bewegung. I. Protokolle. Den Haag - Paris 1967, S. 31-41. Dort weitere Fußnoten]

Hschr.

Bern, den 11. Juli 1915.

Volkshaus, Zimmer 4 2 ½ Uhr nachmittags.

Anwesend: Russland Axelrod, Sinowjew

Polen Warski, Walecki

Schweiz Grimm

Italien Morgari, Balabanowa

Protokollführer: Balabanowa

Grimm wird einstimmig zum Vorsitzenden ernannt.

Grimm berichtet über alles, was seit August vorgenommen wurde, um die Tätigkeit der Internationale wiederaufzunehmen bzw. eine Zusammenkunft der der Internationalen angehörigen Parteien zu veranstalten.

Sinowjew erinnert daran, dass die Lettische Partei und die dritte Fraktion der Polnischen Partei hätten eingeladen werden sollen.

Grimm fasst das Ziel der heutigen Zusammenkunft zusammen. Es ist eine Besprechung über eine abzuhaltende internationale sozialistische Konferenz, zu der diejenigen Parteien oder Fraktionen der Parteien einzuladen sind, die für die Wiederaufnahme bzw. Fortsetzung des Klassenkampfes sind, gegen den Burgfrieden sind, den Kampf für den Frieden aufzunehmen bereit sind. Sollen zur genannten Konferenz die Parteien der kriegführenden Länder allein oder auch die der neutralen Länder eingeladen werden? Soll sich die Einladung an die Parteien als solche oder nur an die Opposition innerhalb der Parteien richten? Soll sie sich auch auf die Gewerkschaften erstrecken?

Morgari betont, die Einladung soll so weitgehend wie möglich gefasst werden, die Konferenz würde dadurch an Bedeutung und Einfluss gewinnen. Die Parteien der neutralen Länder sollen somit auch eingeladen werden.

Walecki: Man muss unterscheiden: die Parteien der kriegführenden Länder werden zur Aktion aufgefordert, die der neutralen Länder kommen hingegen nur insofern in Betracht, als durch sie die Presse, die öffentliche Meinung beeinflusst werden. Selbstverständlich ist es notwendig, die möglichst große Zahl in den Kreis unseres Einflusses zu bringen, zwischen denjenigen, die uns gegnerisch gesinnt sind, und denjenigen, die mit uns sind, gibt es noch eine große Zahl, die unserer Tätigkeit sympathisch gegenüberstehen und die eventuell für unsere Stellung gewonnen werden können.

Sinowjew: Als Basis der Verständigung und Zusammenkunft könnte die vom ital. Parteivorstand angenommene Resolution dienen. Es kann keine Rede davon sein, die offiziellen Parteien einzuladen, nur die Opposition kommt in Betracht, auch in den neutralen Ländern.

Morgari fragt, ob sich die Einladung auch auf die Gewerkschaften erstreckt, dass käme besonders für Frankreich in Betracht, wo ein Teil der Syndikalisten entschieden auf unserem Boden stehe, überhaupt existieren jetzt die früheren Partei- und Organisationsgruppierungen nicht mehr.

Walecki: Man sollte sich der Gefahr des Beitrittes nichtsozialistischer bzw. anarchistischer Elemente nicht aussetzen, das könnte den zu gründenden Block schädigen. Es handelt sich um eine grundsätzliche Frage, nicht nur um eine Formfrage.

Sinowjew meint, die Gefahr von den Anarchisten existiert nicht. Die Anarchisten als Partei haben sich auch in Chauvinisten und Internationalisten geteilt.

Hauptbedingung ist: die Anerkennung des Klassenkampfes, so dass die Anarchisten sowieso nicht beitreten werden, denn sie erkennen den Klassenkampf nicht an.

Der Parlamentarismus als solcher ist keine genügende Garantie zum Beitritte.

Balabanowa: Es kann keine Rede davon sein, dass die Anerkennung des Parlamentarismus als solcher genüge, er wird nur als Begleiterscheinung des Klassenkampfes von den Sozialdemokraten anerkannt. In den romanischen Ländern gibt es schon Anarchisten, die den Klassenkampf anerkennen; es handelt sich darum, genau festzustellen, welche Organisationen mitarbeiten können. Diejenigen französischen Syndikalisten, die auf unserem Boden jetzt stehen, sind tatsächlich schon mit uns und sind schon eingeladen worden (Merrheim etc.).

Grimm: Die Einladung soll an die proletarischen Organisationen erlassen werden. Die Konferenz muss geheim gehalten werden, damit die Regierungen sie nicht verhindern können, andererseits durch die Veröffentlichung vor der Konferenz dieselbe nur an Ernst einbüßen [würde]; so war es mit der Konferenz in Lugano, von der sich die Leute wer weiß was Großes gedacht haben, nachdem sie in der Presse annonciert wurde.

Nun müssen wir beschließen, ob die heutige Besprechung schon eine endgültige ist, oder aber noch eine andere einzuberufen sei. Im letzten Falle sollten Frankreich, England und Deutschland aufgefordert werden, je einen Delegierten zur zweiten Konferenz zu schicken. Die Delegierten, die zur zweiten Vorbesprechung kommen, werden beauftragt, die Delegierten zur Konferenz einzuladen; das Rundschreiben, das zur Konferenz einladet, wird ausgearbeitet werden an der zweiten Besprechung, und zwar muss das Rundschreiben so abgefasst werden, dass man aus ihm ersieht, dass es sich nicht um eine neue, beständige, sondern lediglich um eine provisorische Zusammenfassung der internationalistischen Elemente handelt, deren praktisches Ziel der Kampf gegen den Krieg und für mit sozialistischen Mitteln errungenen Frieden ist.

Sinowjew widerspricht der Auffassung Grimms. Es kommt vor allem darauf an, eine klare, prinzipielle Stellung einzunehmen, die theoretische Klarheit ist noch wichtiger als der Frieden. Die sich in D.land um Haase, Kautsky usw. gruppierenden Elemente sollen nicht zugelassen werden.

Morgari berichtet über die Verhältnisse in Frankreich. Die Opposition ist stärker, als man gewöhnlich annimmt. Von 12 bis 15 Föderationen erklären sich mit dem Rundschreiben der Haute Vienne einverstanden. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die französische Minorität einen Vertreter zur Konferenz senden wird, jedenfalls sind die Syndikalisten energischer in ihrer Opposition als die Parteiminderheit, die sich vor einer Parteispaltung fürchtet. Der Ausgang der Beratungen des 14. Juli wird entscheidend sein. Was England betrifft, so ist dort die Independent Labour Party zwar entschieden für eine internationale Friedensaktion, ist aber nicht selbständig und hängt viel von den Trade-Unions und von der Labour Party ab. Auch hier ist der nächstabzuhaltende Parteitag der ILP abzuwarten – MacDonald wäre der Meinung, den Herbst abzuwarten. Auch die Majorität der Komitees der British Socialist Party ist gegen den Krieg. Das Reisen ins Ausland aus England ist äußerst schwer. Trotzdem ist die Beschickung der Konferenz sicher.

Axelrod erachtet die Einberufung einer zweiten Vorbereitungsbesprechung für erwünscht, mehr Zeit würde zur Vorarbeit zu Verfügung stehen und die Besprechung selbst würde größeren Einfluss haben.

Sinowjew schlägt vor, folgende Organisationen zur zweiten Vorbesprechung einzuladen:

Holland (Tribunisten) – Bulgaren (Tesnije) – Serbische Partei – Skandinavien (Gruppe Höglund) – Deutschland (Lichtstrahlen) – Lettische S-D und III. Richtung der Polnischen Partei.

Axelrod betont die Notwendigkeit einer radikalen theoretischen Stellungnahme und einer internationalen Verständigung, um eine Aktion einleiten zu können. Betrachtet die Einladung von Haase und der sich um ihn gruppierenden Elemente für äußerst wünschenswert.

Walecki ist gegen die von Sinowjew vorgeschlagene Ergänzungsliste. Die kriegführenden Länder sollen eingeladen werden, wobei Haase über die Ziele der Zusammenkunft zu informieren ist, um feststellen zu können, ob Verständnis mit breiteren Parteikreisen möglich sei. Die Einladung an Haase braucht nicht offiziell zu sein.

Warski: Wenn so zahlreiche Einladungen für die zweite Besprechung stattfinden, so wird aus ihr eine Konferenz. Zu jedem Lande müssen die eingeladenen Gruppen oder Genossen bestimmen, wen sie aus ihrem Lande zur Konferenz einladen. Was den Ausschluss der Haase-Gruppe betrifft, so wären weder Luxemburg noch Mehring für ihn.

Sinowjew: Der Unterschied zwischen der zweiten Besprechung und der Konferenz ist rein numerisch, die Besprechung ist wichtiger als die Konferenz. Das Zentrum der deutschen Partei ist gefährlicher als Südekum, Scheidemann usw. Die Besprechung soll eine Resolution fassen.

Grimm: Die Konferenz hat nicht die Abfassung einer Resolution zum Zweck – sondern ein Rundschreiben, das sich an alle internationalistischen Elemente zu wenden hat. Je ein Vertreter Frankreichs, Deutschlands und Englands sollen noch hinzugezogen werden. Wir müssen so viel als möglich Elemente heranziehen, um eine praktische, proletarische Bewegung einleiten zu können für den Frieden und gegen den Burgfrieden.

Sinowjew stellt folgende Anträge: 1) Die Versammelten erklären sich im Prinzip mit dem Beschluss des italienischen Parteivorstands [einverstanden] (Einstimmig angenommen.)

b) Die Versammelten beschließen zur II-ten Vorkonferenz (8/ VIII) noch einzuladen je einen Vertreter von: Holland (Tribunisten), Bulgarien (Blagojew) Skandinavien (Höglund), Deutschland (Lichtstrahlen), Polnische SD Partei (Opposition), Lettische Sozialdemokratische] Arbeiterpartei. (Abgelehnt: 1 Stimme dafür, 1 Enthaltung, 5 dagegen.)

c) Die Frage der Einladung der Gruppe Haase wird den deutschen Linken („Internationale" und „Lichtstrahlen") überlassen. Abgelehnt mit 6 gegen 1 Stimmen.

d) Provisorische Tagesordnung: I. Berichte:

1) Pazifismus und revolutionärer Kampf des Proletariats für die Beendigung des Krieges.

2) Imperialistische Kriege und revolutionäre Massenaktion des Proletariats.

3) Ist eine gemeinsame Internationale mit den Sozialchauvinisten möglich? (Prinzipielle Grundlage der III-ten Internationale).

II. Diejenigen Parteien oder Bestandteile der Parteien werden eingeladen (ebenso wie Syndikate und andere Arbeiterorganisationen), die bereit sind:

1) gegen den Burgfrieden d.h. Ministerialismus, Kreditbewilligung usw. aufs entschiedenste zu kämpfen;

2) gegen den Sozialchauvinismus zu kämpfen;

3) die Erneuerung und Fortsetzung des Klassenkampfes und seine Entwicklung zur revolutionären Massenaktion zu erstreben. (Wird zu den Akten überwiesen.)

Morgari wünscht, dass das in Zürich gebildete internationale Komitee berücksichtigt bzw. herangezogen wird, da es den ersten Versuch proletarischer internationaler Aktion seit dem Kriegsausbruche vorstellt.

Balabanowa betont, dass das Komitee trotz seinem bescheidenen Vorhaben stets allen Genossen zur Verfügung stehen wird, die es [in] Anspruch nehmen könnten in Interesse der internationalen proletarischen Friedensbewegung, wobei es selbstverständlich weder eine Sonderaktion noch Sonderorganisation irgendwie zu treiben beabsichtigt.

Walecki wirft die Frage der Mittel auf, ob es nicht zu empfehlen wäre, sich an Amerika zu wenden, da die dortigen sozialistischen Organisationen über Geldmittel verfügen.

Morgari schlägt eine Reise nach Amerika vor.

Grimm berichtet über die Schritte, die er persönlich unternommen und die bis jetzt keinen Erfolg gehabt haben.

Morgari wird beauftragt, nochmals nach England und Frankreich zu gehen um die Beschickung der II-ten Besprechung, die provisorisch auf den 8. August festgesetzt wird.

Schluss der Besprechung 6 ½ Uhr.

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