Vierter Verhandlungstag (8. September) [nach: Horst Lademacher (Hg.): Die Zimmerwalder Bewegung. I. Protokolle. Den Haag - Paris 1967, S. 150-165. Dort weitere Fußnoten] Mittagssitzung1 Vorsitzender: Grimm Grimm begründet kurz das aus den Debatten in der Kommission hervorgegangene Manifest, das er in der deutschen Fassung verliest. Nachdem Merrheim die Lektüre der französischen Fassung übernommen hat, wendet er sich an Lenin und bittet ihn, um der Einigkeit willen, die taktischen Differenzen nicht auf die Spitze zu treiben. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm, der Mehrheit der Kommission und Lenin, bestehen bloß in Bezug auf die Frage der Erläuterung der Kampfesmittel, sie sind also nicht prinzipieller Natur. Es wird in die allgemeine Diskussion eingetreten. Roland Holst schlägt im Namen von Borchardt, Höglund, Lenin, Nerman, Platten, Radek, Winter und Sinowjew den folgenden Zusatz vor: Und an erster Stelle fordern wir die Abgeordneten aller kriegführenden Länder auf, die Kriegskredite ihrer Regierungen unerbittlich zu verweigern. Sie hält es für überflüssig, diesen Antrag weiter zu begründen. Er ergibt sich als ganz selbstverständlich, da in ihm die Meinung der großen Mehrheit der Konferenz zum Ausdruck kommt, wie die allgemeine Debatte erwiesen hat. (Stimmen: sehr richtig). Morgari wird sich zu seinem großen Bedauern der Abstimmung enthalten müssen. Das Manifest ist seines Erachtens simplistisch und ungerecht. Simplistisch, weil es nur den ökonomischen Tatsachen Rechnung trägt und alle andern Faktoren ignoriert, so die nationalen, psychologischen usw., die ebenfalls zum Ausbruch des Krieges beigetragen haben. Ungerecht, weil es die Schuld des Krieges in gleichem Maße allen Regierungen aufladet, während in Wirklichkeit die Zentralmächte die Hauptschuldigen sind. Diese fingen den Angriffskrieg an, während Frankreich, Belgien und Serbien sich im Verteidigungszustande befinden. Auch genügt es nicht, keine neuen Annexionen zu fordern, man soll sich auch positiv aussprechen zugunsten der Befreiung all jener Nationen und nationalen Gruppen, die von mächtigeren Nationen unterdrückt werden. In der nunmehr folgenden Geschäftsordnungs-Debatte beantragt Lenin, es soll ohne weitere Diskussion abgestimmt werden. Die Kommission erklärt sich dagegen, der Antrag wird abgelehnt. Martow beantragt im Namen von einigen russischen und polnischen Delegierten ein längeres Amendement. Der größte Fehler des Manifestes scheint ihm zu sein, dass es nichts enthalte über die Perspektiven, welche sich dem Proletariat nach dem Kriege eröffnen; es wird dadurch seine propagandistische Wirkung sehr geschwächt. Um die Transformierung des Kampfes für den Frieden in einen Kampf für die sozialistische Weltordnung zu beschleunigen, ist es notwendig, auf die Verhältnisse hinzuweisen, in denen sich das Proletariat nach dem Kriege befinden wird. Unser Zusatz begründet das Manifest in diesem Sinne. Herzfeld empfiehlt aus strafrechtlichen Gründen den Ausdruck „Massenkampf gegen den Krieg" durch einen andern zu ersetzen. Tschernow muss leider auf zwei schwerwiegende Unterlassungen hinweisen. Erstens werden im Manifest bloß die ökonomischen Ursachen des Krieges erwähnt. Er hat jedoch speziell in Russland, noch andere wichtige Gründe und zwar die dynastischen Interessen. Er wird einen Zusatz in diesem Sinne formulieren. Zweitens hält er den Ausdruck, dass das Proletariat die Kosten des Krieges zu zahlen habe, für zu eng gefasst. Er möchte stattdessen Ausdrücke wie „die Welt der Arbeit" oder „die Massen der arbeitenden Bevölkerung" vorschlagen. In Russland sind es in erster Linie die Bauern, welche die Kosten zu zahlen haben werden. Serrati weist darauf hin, dass die deutsche und die französische Fassung nicht ganz gleichlautend sind. Die deutsche Fassung z.B. enthält zwar die Worte „keine Annexionen", aber nicht die ausdrückliche Hervorhebung des Selbstbestimmungsrechtes. Rakowski: Die deutsch-französische Deklaration enthält gewisse wichtige Erklärungen, wie z.B. die Verurteilung der Verletzung der belgischen Neutralität, welche sich nicht im Manifest selbst befinden. Es scheint ihm deshalb unerlässlich, dass die Konferenz der deutsch-französischen Deklaration ausdrücklich beistimmt. Weitere Amendements sind nicht eingereicht. Es wird die Sitzung unterbrochen, damit die Beantrager von Änderungen oder Zusätzen diese formulieren und der Kommission zur Prüfung einreichen können. Abendsitzung: 9 Uhr Vorsitzender: Grimm Grimm: Die Einreicher der verschiedenen Zusätze kommen jetzt ans Wort. Eine Diskussion darüber findet nicht statt. Über die endgültige Fassung wird das Büro entscheiden. Roland Holst verliest die folgende Erklärung im Namen der Unterzeichner des Zusatzes über die Verweigerung der Kriegskredite: „Da durch Annahme unseres Amendements der Erfolg der Konferenz teilweise in Frage gestellt würde, weil Ledebour seine Ablehnung als Ultimatum stellt, ziehen wir unter Protest unsern Antrag zurück und begnügen uns mit der Erklärung Ledebours in der Kommission, dass was der Antrag wolle, schon im Manifest gesagt sei". (Fr. Platten, H. Roland Holst, Lenin, Gr. Sinowjew, K. Radek, Z. Höglund, T. Nerman, P Winter, Trotzki).2 Ledebour sagt, dass in dieser Erklärung seine Worte nicht getreu wiedergegeben sind. Er liest die folgende Berichtigung: Was ich in der Kommission erklärt habe, war folgendes: „Da in dem Manifest die Stellungnahme in der Frage der Kriegskredite vollkommen klar und unzweideutig ausgedrückt ist, ist jeder weitere Zusatz überflüssig". Infolge dieser Erklärung Ledebours entsteht große Unruhe bei einem Teile der Delegierten. Trotzki erklärt nach dieser Erklärung Ledebours, gleichfalls den Protest – Roland Holst und Genossen zu unterzeichnen. Tschernow erhält das Wort zur Begründung des folgenden Zusatzes: In zweiter Linie die wichtigste Quelle dieses Krieges ist das Fortbestehen im modernen Europa von Überresten der vergangenen Zeiten, der monarchischen Dynastien, des Adels, des Junkertums, welche mit ihrem Einfluss alle die dunkelsten Seiten der bürgerlichen Gesellschaft noch verstärken. Tschernow Bobrow Roland Holst Grimm erklärt im Namen der Kommission, dass sie den Zusatz nicht annehmen kann, weil es nur darauf ankommt, im Manifest die allgemeinsten, für alle Länder gültigen Ursachen des Krieges anzugehen. Es wird darauf das Amendement mit großer Mehrheit verworfen. Mit Bezug auf den Zusatz Martow und Genossen erklärt Grimm im Namen der Kommission, dass die Einverleibung seiner großen Länge wegen im Manifest unmöglich sei, die Annahme dieses Zusatzes mache die vermehrte Umarbeitung des ganzen Manifestes notwendig. Jedoch anerkennt die Kommission, dass es prinzipiell erwünscht sei, Stellung zu nehmen zu den Perspektiven, die sich nach Ende des Krieges für das Proletariat eröffnen werden. Er schlägt deshalb vor, das Amendement dazu zu errichten, der Vermittlungsstelle zu überweisen. Wenn diese zur Erarbeitung einer prinzipiellen Resolution vorgehe, wird sie das Amendement Martow und Genossen als Material zuziehen können. Ledebour muss im Hinblick auf diese Erklärung Grimms ausdrücklich betonen, er könne die Überweisung der Resolution Lenin und Genossen an das Büro nur akzeptieren, wenn darin kein Binden irgendwelcher Art diese als Entwurf zu einer prinzipiellen allgemeinen Resolution gebrauchen ließe. Grimm: Selbstverständlich nicht. Tschernow verzichtet auf die Formulierung des zweiten von ihm vorgeschlagenen Amendements („Proletariat" durch arbeitende Massen zu ersetzen usw.), weil er nach Ablehnung seines Zusatzes über die dynastischen Gründe des Krieges sowieso nicht für das Manifest stimmen könne. Im Namen Lenins und Genossen wird die folgende Erklärung zu Protokoll gegeben: Erklärung: Die Unterzeichneten erklären: Das Manifest der Konferenz befriedigt uns nicht vollständig. Es enthält keine Charakteristik des offenen wie mit radikalen Phrasen zugedeckten Opportunismus, der nicht nur der Hauptschuldige des Zusammenbruches der Internationale ist, sondern ihn verweigern will. Es enthält keine klare Charakteristik der Hauptkampfesmittel gegen den Krieg. Wir werden wie bisher in der Presse der Internationale wie in ihren Tagungen für eine entschiedene marxistische Stellungnahme zu den durch die Epoche des Imperialismus dem Proletariat gestellten Aufgaben, eintreten. Für das Manifest stimmen wir, weil wir es als Aufruf zum Kampfe auffassen und bei diesem Kampfe Arm bei Arm mit den andern Taten der Internationale vorgehen wollen. Wir bitten, diese Erklärung dem offiziellen Bericht der Konferenz einzuverleiben. Lenin Sinowjew Radek Nerman Höglund Winter Grimm: Wie Sie wissen, sind die englischen Genossen, welche die ILP vertreten bloß nicht hier, weil sie keinen Pass von ihrer Regierung bekommen konnten. In der Frage des Kampfes gegen den Krieg sind sie grundsätzlich mit uns einverstanden. Wir werden also versuchen, auch ihre Unterschriften zu bekommen. Rakowski versteht die schwierige Lage Tschernows. So wie in Russland hat auch auf dem Balkan das Wort Imperialismus einen andern Sinn als in West- und Zentraleuropa. Auch wir betonen in unserer Agitation die Notwendigkeit des Kampfes gegen die Oligarchie, die Dynastie usw. Er möchte jedoch Tschernow sowohl wie Morgari auf die große Wichtigkeit der Einigkeit in der Abstimmung hinweisen. Dieser Einigkeit sollen auch berechtigte Wünsche und Einwendungen zum Opfer gebracht werden. Wie Morgari ist er der Meinung, dass die unmittelbare Verantwortlichkeit für den Krieg nicht gleich groß sei bei allen Ländern, jedoch im Manifest gilt es nur, die allgemeine, mittelbare Verantwortlichkeit der kapitalistischen Klassen und Regierungen festzustellen. Er will ihm zurufen: „Morgari, Sie sind es, der am meisten zu dem Zustandekommen der Konferenz beigetragen hat, stimmen Sie mit uns für das Manifest." (Allgemeine Zustimmung). Modigliani schließt sich den Ausführungen Rakowskis an. Er bittet Morgari, sich zu vergegenwärtigen, was es für die italienische Partei bedeuten würde, wenn er seine Stimme dem Manifeste vorenthielte. Er soll nicht vergessen, dass es auch in den Reihen der italienischen Sozialisten Schwankende und Unentschlossene gibt: die Stimmenthaltung Morgaris wird diese Genossen geradezu ermuntern zur Indisziplin. Tschernow ist sich der großen Bedeutung der einstimmigen Annahme des Manifestes bewusst, das die Aufforderung zur Tat zum Kampfe für den Frieden enthält. Es ist kein Starrsinn, der ihn zu einer Stellungnahme treibt. Er ist überzeugt davon, dass die Konferenz nicht verstanden hat, warum es sich bei seinem Zusatz eigentlich handelt. Dies gehe schon aus der großen Zahl derjenigen hervor welche sich der Abstimmung enthalten haben. Wir müssen nicht nur die unpersönliche Schuld der kapitalistischen Gesellschaft, sondern auch die persönliche aller Dynastien feststellen. Es fragt sich, was Sie eigentlich gegen unsern Text haben? Eine eigentliche Einwendung habe ich von Ihnen nicht gehört. Deshalb möchte ich Sie noch bitten unsern Zusatz anzunehmen. Grimm: Im Ausdruck des Imperialismus fassen wir alles zusammen – wir verstehen darunter auch die Dynastien, welche in der heutigen Epoche ein Werkzeug des Imperialismus sind. Wie gegen Morgari so erkläre ich auch Ihnen gegenüber, dass wir Ihr Amendement deshalb nicht aufnehmen können, weil sonst von allen Seiten spezielle Wunsche und Forderungen angebracht werden könnten Morgari: Ich weiß, dass verschiedene Genossen Opfer bringen müssen, um fur das Manifest zu stimmen. Bei ihnen allen handelt es sich bloß darum, ihre besonderen Anschauungen in Bezug auf diesen oder jenen Punkt der Einheit zu opfern. Von mir jedoch verlangt man das Opfer meiner politischen Ehre. Seit Anfang des Krieges werden wir beschuldigt, zugunsten der deutschen Politik zu arbeiten. Die Fassung des Manifestes gibt dieser Beschuldigung neue Nahrung. Es heißt m ihm: keine Kriegsentschädigungen, keine Annexionen – es wird jedermann mit dem gleichen Masse gemessen. Schon aus der Zeitfolge der KriegserkIärungen geht hervor, dass die unmittelbare Schuld bei den Zentralmächten liegt. Hier unterbricht Trotzki den Redner: „Und der russische Zarismus, trifft den keine unmittelbare Schuld?" Morgari: Wenn man nur die Formel aufstellt: „keine Annexionen" wird das Selbstbestimmungsrecht der Nationen beeinträchtigt (Modigliani: Pas de violence . ..)3 Merrheim wendet sich zuerst an die Russen. Auch wir befinden uns in einer ähnlichen Lage wie ihr, und das Manifest erfüllt ebenso wenig unsere Wunsche. Es ist jedoch das Manifest nicht eine Broschüre, in der jeder besondere Punkt über die Veranlassung des Krieges hervorgehoben werden kann. Ich bitte Sie, die Einheit der Abstimmung nicht zu gefährden. Dann wendet er sich an Morgari: Wir sind wie Sie abscheulichen Verdächtigungen ausgesetzt, wie Sie sind wir in jeder erdenklichen Art beleidigt; man soll dies alles jedoch über sich ergehen lassen, der großen gemeinsamen Sache des Sozialismus zuliebe. Hier unterbricht Morgari den Redner: „Die deutsche Delegation besteht auf dieser Fassung, weil sie eintritt für ihr Vaterland". Bei diesen Worten entsteht ein großer Tumult. Die große Zahl Delegierter ruft Morgari Ausdrücke der Missbilligung seiner Worte zu. Merrheim zu Morgari: Ich kann Ihre Auffassung unmöglich akzeptieren, da sie der Wahrheit nicht entspricht. Serbien war nichts als ein Werkzeug in den Händen Russlands, und alle Handlungen der französischen Regierung in den letzten zehn Jahren waren darauf abgezielt, zum Kriegsausbruch zu führen. Wir halten fest an der allgemeinen Verantwortlichkeit aller kapitalistischen Staaten, wir lehnen es ab, gewisse Einschränkungen zu machen bezüglich des Imperialismus des einen oder des anderen, der Krieg ergibt sich aus der Gesamtpolitik aller Regierungen. Morgari hat die Pflicht, seine persönliche Empfindlichkeit zu überwinden, er darf seine Haltung nicht bestimmen lassen von seiner Erbitterung gegen jede gemeinen Beschuldigungen, die gegen ihn erhoben werden. Nur das Allgemeine wollen wir zum Ausdruck bringen. Auch wir Franzosen hätten ja fordern können, dass man im Manifest eine spezielle Frage erwähnte, und zwar die Frage Elsass-Lothringen. Wir haben dies nicht getan, weil wir dieser Frage keine große Bedeutung beimessen: wir halten dafür, dass sie nicht von den Waffen, sondern in friedlicher Vereinbarung von den freien Völkern, vom Sozialismus, entschieden werden soll. (Allgemeine Zustimmung, Rufe: sehr richtig, bravo). Redner zählt die Hauptpunkte der deutsch-französischen Deklaration auf; er erklärt, dass obgleich die Franzosen den heißen Wunsch hatten, dass die Deklaration einen Passus über die Verletzung der Neutralität Belgiens enthalte, sie sich jedoch entschlossen hatten, diesen Punkt im Interesse der Einigkeit nicht zur Sprache zu bringen. Sie waren jedoch sehr glücklich, als die deutschen Genossen selbst vorschlugen, eine scharfe Missbilligung der Verletzung der Neutralität Belgiens in der gemeinsamen Deklaration aufzunehmen. Er will schließen mit der Aufforderung an alle Delegierten, sich im sozialistischen und internationalistischen Standpunkt zu vereinigen. (Lebhafte allgemeine Zustimmung). Grimm: Wir halten also fest an der jetzigen Fassung des Manifestes; erweist es sich, dass die Meinungsdifferenzen unter uns zu groß sind, um eine gemeinsame Abstimmung zu ermöglichen so wollen wir diese Tatsache nicht verkleistern. Jetzt müssen wir zum Ziel und Ende kommen. Balabanow gibt der Meinung Ausdruck, es seien die Differenzen nicht zu groß. Morgari weiß, dass wir seine Entrüstung den Verdächtigungen gegenüber, womit man ihn verfolgt, vollkommen verstehen. Ich selbst habe unter ähnlichen Verdächtigungen gelitten aber es hat mich nicht davon abgehalten, im Kampfe gegen den Krieg auszuharren. Was auch der Wortlaut des Manifestes sei, das wir veröffentlichen es werden jene Verdächtigungen nicht aufhören. Immer wieder wird man die Franzosen beschuldigen, sich den Deutschen verkauft zu haben, die Deutschen, vom englischen Gold bestochen zu sein usw. Morgari weiß dies ebenso gut wie ich. Unsere Haltung soll ausschließlich bestimmt werden von der Überlegung, was das Proletariat von uns zu erwarten hätte, was seiner Einheit und seiner Macht förderlich sei. Sagen Sie nur, Morgari was ist fur Sie das wichtigste: dass man Sie auch weiter beschuldigen wird, von den Deutschen gekauft zu sein oder dass Ihre Stimmenthaltung gegen die sozialistische Internationalität ausgebeutet werden wird? Wie sehr ich auch mit Ihnen mitfühle, so halte ich dafür, dass es gerade die doppelte Pflicht ist für Sie, die Verleumdungen, deren Opfer Sie sind, nicht zu berücksichtigen. Was werden die Resultate sein, wenn Sie nicht mit uns gemeinsam vorgehen? Sie sind hier nicht nur Delegierter, sondern in ihrer Person kommen die Einheitsbestrebungen des internationalen Proletariats zum Ausdruck. Es wir zur Abstimmung geschritten. Grimm bittet die Delegierten ihre Zustimmung zum Manifest dadurch zum Ausdruck zu bringen, dass sie sich von ihren Sitzen erheben. Als Morgari und Tschernow sich mit den andern erheben, bricht großer Jubel aus. (Als Morgari sich mit den anderen erhebt, bricht großer Jubel aus. Nur die Vertreter der russischen So-Re, Tschernow und Bobrow haben sich nicht erhoben; die Delegierten verschiedener Nationalitäten dringen lebhaft auf sie ein mit Rufen des Aufforderns und Bittens. Als auch sie schließlich der Aufforderung zur Einheit nachgeben und sich erheben, fängt der Jubel von neuem an).4 Grimm konstatiert unter großer Begeisterung, es sei das Manifest mit allgemeinen Stimmen angenommen. Die Anwesenden stimmen in die „Internationale" ein Grimm: Wir kommen jetzt zu der Frage der Unterschriften. Die Franzosen und die Deutschen bestehen darauf, es soll das Manifest nicht anonym in die Welt hinaus geschickt werden. Ich messe dieser Forderung im Hinblick auf die prinzipielle Bedeutung des Manifestes mehr Gewicht bei als der schärfsten Formulierung. In ihr liegt die Gewähr einer rücksichtslosen gemeinsamen internationalen proletarischen Friedensaktion. Es erfordert heute in Deutschland und Frankreich großen Mut, um das Manifest zu unterschreiben. (Zustimmung) Das Büro schlägt des Weiteren vor, es sollen von der französischen und der deutschen Delegation je zwei Delegierte das Manifest unterzeichnen. Die verschiedenen russischen Delegationen sollen drei Unterschriften stellen, die Polen zwei, die Balkanländer und die übrigen kleinen Nationen je eine. Lenin ist dafür, dass auch die lettische Delegation unterschreibt und je ein Delegierter der drei polnischen Parteien. Winter (Letten) tritt das Recht der Unterschrift für seine Organisation dem ZK ab. Radek: Die polnische Delegation umfasst drei verschiedene Parteien, die in der Vergangenheit durch prinzipielle wie persönliche Fragen scharf getrennt waren. Er versteht die Schwierigkeit für das Büro, jedoch muss er, wenn es ihm auch leid tut, darauf bestehen, dass jede der drei polnischen Organisationen das Recht der Unterschrift erhalte. Grimm: Das Büro ist im Augenblick nicht in der Lage, einen Vorschlag zu machen, es werden jedoch einige seiner Mitglieder gemeinsam mit den Polen beraten und eine Verständigung herbeiführen. Er bittet die Konferenz, jetzt die deutsch-französische Erklärung anzuhören. Bourderon: Die französische Delegation hatte der deutschen die Abfassung einer gemeinsamen Deklaration vorgeschlagen. Wir trugen so großes Verlangen, uns zu verständigen, dass wir in unserem Entwurf Belgien gar nicht erwähnten. Es ist dieser Passus in der Erklärung von der deutschen Delegation hereingebracht und von ihr einstimmig formuliert worden. (Beifall). Die deutsch-fanzösische Erklärung wird vorgelesen und mit allgemeiner Zustimmung begrüßt. (Vogtherr liest die Erklärung vor).5 Grimm: Es ist nicht notwendig, über diese Erklärung abzustimmen. Zu unserer aller großer Freude kann ich konstatieren, sie sei einstimmig angenommen. Das gemeinsame Vorgehen der Deutschen und Franzosen wird zweifellos einen tiefen Eindruck machen auf die Öffentlichkeit und gute Erfolge hervorbringen. - Ich bitte Sie jetzt, der Vorlesung des von der französischen Delegation eingebrachten Antrages zur Ehrung des Andenkens Jaurès' und der andern Kämpfer für den Frieden in der vom Büro umgeänderten Fassung zuzuhören. Der Antrag wird vorgelesen und findet allgemeine Zustimmung. Grimm bittet die Delegierten, das Manifest auf Blanko-Papier zu unterzeichnen, da dies in den gegebenen Umständen die einzige Möglichkeit sei. Sie können sich auf das Büro verlassen, dass es in der endgültigen Fassung nichts aufnehmen wird, was nicht haarscharf dem gemeinsam gefassten Entschluss entspricht. Die Namen der Unterzeichner werden bekannt gegeben. Es sind: für Deutschland G. Ledebour und Adolf Hoffmann, für Frankreich A. Bourderon und A. Merrheim, für Italien C. Lazzari und G. Modigliani, für Russland P. Axelrod, Bobrow und N. Lenin, für die Balkanföderation Rakowski und W. Kollarow, für Schweden und Norwegen K. Höglund und T. Nerman, für die Schweiz R. Grimm und für Holland H. Roland Holst. Nachdem noch beschlossen worden ist, die drei der Kommission eingereichten Entwürfe zum Manifest im Protokoll aufzunehmen, tritt die Konferenz in Beratung über Punkt VIII der Tagesordnung (Vermittlungsstelle) ein. Ledebour: Es ist unmöglich, eine Vermittlungsstelle einzurichten, wenn wir den Kampf gegen den Krieg fortsetzen wollen. Wir möchten jedoch vor allem davor warnen, dieser einen prätentiösen Namen zu geben. Die neue Institution wird sich historisch entwickeln, ihre Funktionen sind im jetzigen Augenblick noch nicht zu definieren. Wir müssen alles vermeiden, was den Anschein erwecken könnte, es liege in unserer Absicht, das noch bestehende, wenn auch in die vierte Dimension verschwundene Internationale Sozialistische Büro zu ersetzen oder ihm Konkurrenz zu machen. Als Mitglieder der zu errichtenden Zentralstelle schlagen wir auch die Genossen Grimm, Naine und Morgari vor und die Genossin Balabanow als Sekretärin. Wie Sie sehen, befindet sich kein Minister darunter. Zu den Aufgaben der Zentralstelle würde es gehören, in den verschiedenen Ländern Korrespondenten zu ernennen, die mit ihr in ständiger Berührung bleiben und das Zwischenglied bilden zwischen ihr und der ganzen sozialistischen Opposition. Der Antrag wird einstimmig, ohne Diskussion, angenommen. Es folgt als 9. Punkt die Geldmittelfrage. Grimm berichtet, dass die italienische Partei, die außerdem schon viele Kosten hatte, um das Zustandekommen der Konferenz zu ermöglichen, der Zentralstelle noch frs. 200,- zur Verfügung stellt. Sie werden selbst darüber zu entscheiden haben, inwieweit den oppositionellen Gruppen die Pflicht obliegt zur Zahlung von Beiträgen an die Zentralstelle. Es wird zweifellos zu den wichtigsten Aufgaben des Büros gehören, ein periodisches Bulletin herauszugeben. Selbstverständlich ist dazu die Verfügung über gewisse Geldmittel erforderlich. Axelrod: Zwar sind wir russischen Sozialisten sehr arm, jedoch hoffe ich, dass es uns gelingen wird, in dieser Sache einen ganz netten Beitrag zu spenden. Rakowski: Das Büro muss existieren können von den Beiträgen der Organisationen, die sich ihm anschließen. Im Namen der bulgarischen und rumänischen Sozialdemokratie erklärt er sich bereit, zu den Kosten der Konferenz wie der Zentralstelle beizutragen. Grimm: Die Kosten der Konferenz werden nicht groß sein. Höglund erklärt, dass die Verbände der schwedischen und norwegischen Jugend mindestens frs. 300,- beitragen werden. Ledebour: Ebenso wird die gesamte deutsche Opposition Beiträge spenden. Kollarow: Die bulgarische Partei ist bereit, den Beitrag, zu dem sie an das Internationale Sozialistische Büro verpflichtet war, jedoch für das letzte Kriegsjahr nicht gezahlt hat, der neuen Zentralstelle zur Verfügung zu stellen. Bourderon: Wir fühlen uns angesichts dieser verschiedenen Zusagen unbehaglich in unserer Armut. Die syndikalistischen Organisationen werden jedoch schon etwas beitragen. Wir hoffen, dass eine zweite Konferenz von einer größeren Zahl von französischen Delegierten beschickt sein wird und sich unter ihnen auch Mitglieder der Partei befinden werden. Es werden in dem Falle die Parteiorganisationen auch etwas beitragen. Bobrow erklärt, dass die Partei der Sozial-Revolutionäre in kurzem auch einige hundert Franken beitragen wird. Warski: Wie Sie wissen, befinden sich unsere Finanzen immer in ziemlicher Unordnung; in der Zahlung unserer Beiträge an das Büro sind wir nicht gerade sehr pünktlich gewesen. Jedoch, insoweit es uns auch künftig gelingt, um eine Kontribution zu zahlen, werden wir sie diesem Büro abtragen. Grimm: Es sind gewisse Kosten schon im Voraus gemacht worden, weil es sich vor einigen Wochen notwendig erwies, einige Genossen zu unterstützen, die mit der Angelegenheit in einem gewissen Zusammenhange standen. Vor einiger Zeit habe ich nach Amerika geschrieben und Genossen drüben gebeten, eine Vortragstournee über den Krieg zu arrangieren, um auf diesem Wege etwas Geld zusammen zu bringen. Ich habe jedoch keine Antwort erhalten. Lazzari schlägt der Konferenz vor, der zu errichtenden Zentralstelle den folgenden Namen zu geben „Internationales sozialistisches Komitee gegen den Krieg", damit deutlich hervortrete, es sei dieses Komitee nur geschaffen, um gegen den Krieg zu wirken. Modigliani will bemerken, dass dieselben juridischen Gründe, welche die Ersetzung gewisser Ausdrücke im Manifest wünschenswert erscheinen lassen, für den Namen, der das Komitee tragen wird, zutreffen. Er ist gegen den Zusatz „gegen den Krieg" und findet den vorgeschlagenen Namen überhaupt etwas prätentiös. Unsere Aufgabe ist es, nicht nur den Krieg zu bekämpfen, sondern die Verbindungen zwischen dem Proletariat der verschiedenen Länder wieder herzustellen. Er schlägt den Namen vor „Korrespondenz-Büro" oder „Int. Soz. Korrespondenz-Komitee". Grimm wäre für den Namen „Internationale Vermittlungsstelle". Hoffmann: Das Büro wird wahrscheinlich den Krieg überleben, deshalb sei der Vorschlag Grimms anzunehmen. Bourderon: Weder der Name der neuen Zentralstelle noch der Wortlaut des Manifestes sind es, die uns Unannehmlichkeiten und Verfolgungen einbringen werden, sondern die Sache selbst. Es ist sehr wohl möglich, dass die hier beschlossene Aktion sich nicht der Zustimmung der französischen Regierung erfreuen wird; uns ist jeder Namen recht. Grimm: Es wird der Name „Internationales Sozialistisches Komitee von Bern" vorgeschlagen. Die Konferenz einigt sich auf diesen Vorschlag. Grimm: Ich möchte alle Teilnehmer noch dringend davor warnen, auf die Konferenz bezügliche Papiere über die Grenze mitzunehmen. Ledebour: Auch keinen Fetzen Papier sollen sie versuchen, über die Grenze zu bringen. Die Untersuchung ist in gewissen Fällen äußerst streng; es kann jedem passieren, sich einer solch strengen Untersuchung unterwerfen zu müssen. Vor allem soll man auch keine Namensliste der Teilnehmer an der Konferenz mitnehmen. Grimm: Ein kurzer, offizieller Bericht über die Verhandlungen ohne Namen wird seitens des Büros in Bälde erscheinen, und weil es für die Agitation wichtig ist, auch eine Publikation der Beschlüsse. Das ausführliche Protokoll über die Konferenz, die eine historische Begebenheit ist, wird ja erst später, nach Beendigung des Krieges, erscheinen können. Martow: Das Manifest soll ja mit den Namen unterzeichnet werden. Ich sehe nicht ein, weshalb man da auch nicht im Berichte die Namen der Teilnehmer anführen kann. Trotzki: Das Manifest soll ja nur von einigen der Teilnehmer an der Konferenz unterzeichnet werden. Es ist ja überflüssig, die Namen der anderen ebenfalls bekannt zu geben. Man könnte sie vielleicht im Bericht durch Pseudonyme ersetzen. Bourderon: Ich weiß nicht, ob unsere deutschen Genossen wünschen, dass ihre Namen nicht alle genannt werden; unsere dürfen ruhig bekannt gegeben werden. Modigliani schlägt vor, die Beschlüsse nicht nur der sozialistischen, sondern auch der bürgerlichen Presse mitzuteilen. Grimm: Keiner von den Teilnehmern an der Konferenz soll der Presse, auch nicht der bürgerlichen Presse, die mindeste Mitteilung bezüglich der Konferenz machen, bevor die Mitteilungen des Büros erschienen sind. Wir müssen mindestens 14 Tage warten, damit wir die Gewissheit haben, dass alle Teilnehmer an ihrem Wohnort angelangt sind. Von Radek wird die folgende Erklärung zu Protokoll gegeben: Erklärung zum internen Protokoll: Da im Namen des Landesvorstandes der Organisation, die ich vertrete, nach unsern internen Beschlüssen nur Mitglieder des Landesvorstandes selbst zeichnen können, zeichne ich unter dem Manifest, für die von mir vertretenen Organisationen, den Namen des Genossen Cz Hanecki, Mitglied des Landesvorstandes unserer Partei. 8. 9. 1915 Karl Radek Grimm: Es ist dem Büro nicht möglich gewesen, den Fall Borchardt zu prüfen. Ich hoffe, dass die deutsche Delegation ihn für erledigt betrachtet und die Konferenz nicht mit einem Missklang schließen wird. Ledebour: Wir können unsere Forderung nicht zurückziehen, jedoch wir geben uns zufrieden mit dem Gang der Verhandlungen und statieren, dass Borchardt nicht an den Abstimmungen teilgenommen hat. Borchardt seinerseits erklärt, an den Abstimmungen teilgenommen zu haben. Grimm: Das Büro steht noch auf demselben Standpunkt, den es am ersten Tage eingenommen hat. Tatsache ist, dass Borchardt als Vertreter der Konferenz beigewohnt hat. Hoffmann: Der Beschluss war, dass Borchardt nicht an den Abstimmungen teilnehmen sollte, ehe sein Mandat geprüft wurde. Wir werden seine Anwesenheit hier nicht erwähnen. Grimm: Die Sache ist erledigt. Wir sind am Schlusse unserer Verhandlungen angelangt. Ich danke den Beisitzerinnen für ihre Arbeit und rufe für mich selbst mildernde Umstände an, wenn ich hier und dort etwas schroff war. Wir wollen uns unterscheiden von jenen zahlreichen Veranstaltungen der alten Internationale, wobei glänzende Reden gehalten wurden, schwungvolle Beschlüsse gefasst wurden, wobei aber nichts herauskam. Unsere Anfänge sind bescheiden. Wir wollen die Tragweite unserer Verhandlungen und Beschlüsse nicht überschätzen. Den französischen und deutschen Delegierten sind wir zu herzlichem Danke verpflichtet. In der Tatsache ihres gemeinsamen Unterschreibens finden wir das Unterpfand, dass es uns gelingen wird, die Agitation gegen den Krieg in die Massen zu tragen. Unsere Beschlüsse werden zu einem Mittel werden, sie gegen ihre Bedrücker und Peiniger aufzurütteln. Die Herrschenden werden versuchen, sich zu retten, indem sie alles aufs Spiel setzen. Weder Drohungen noch Verfolgungen jedoch werden uns davon abhalten, unsere sozialistische Pflicht zu erfüllen. Es gibt nichts, was uns davon abhalten kann. In den letzten Jahre vor dem Kriege entfernte sich die Internationale immer mehr von den revolutionären Auffassungen. Die jetzige Generation in Westeuropa hatte nicht revolutionäre Zeiten erlebt, die Tatsache, dass der Sozialismus nicht ohne große Opfer und große Kämpfe ans Ziel kommen könne, geriet immer mehr in Vergessenheit, man glaubte ohne solche hineinwachsen zu können in die sozialistische Gesellschaftsordnung. Dies vor allem gilt es, der Arbeiterklasse beizubringen, dass es nicht genug sei, an die Wahlurne zu gehen und seinen Gewerkschaftsbeitrag zu zahlen, sondern dass man die ganze Person einzusetzen habe und bereit sein müsse, Gut und Blut für die Sache des Proletariats zu geben. Es ist jetzt schwerer als je, diesen Gedanken in die Massen zu tragen, weil die Massen entmutigt und enttäuscht sind. Der Zusammenbruch der Internationale war für Millionen Proletarier ein furchtbarer Schlag, eine Zertrümmerung alles desjenigen, woraus sie Hoffnung, Kampfesmut, Zuversicht geschöpft hatten. Die Gebeugten aufrichten und die Zersprengten wieder sammeln können wir nur, wenn wir vor der Tat nicht zurückweichen wie die Burgfriedenspolitiker des 4. August. Aus der Tatsache unsres Zusammenkommens sowie aus unsern Beschlüssen ergibt es sich, dass wir vor der Tat nicht zurückschrecken und den Kampf führen wollen, wie er geführt werden muss. Unsere Aktion wird hinüber leiten zu neuen Formen der politischen Organisation, zu den großen sozialen Kämpfen, in denen es sich nicht darum handelt, der bürgerlichen Gesellschaft einige Fetzen abzuringen, einige Reformen von untergeordnetem Wert, sondern in denen die Erlösung aller Unterdrückten unser unmittelbares Ziel sein wird. (Begeisterte Zustimmung). Schluss der Sitzung: 2½ Uhr morgens. 1 Protokollnotizen, S. 67 hat „Abendsitzung". 2 Einfügung Protokollnotizen, S. 70 v. 3 Einfügung Protokollnotizen S. 74. 4 Hschr. Text S. 163. 5 Einfügung Protokollnotizen S. 79. |