Leitsätze zur Orientfrage. I. Allgemeine Leitsätze 1. Der zweite Kongress der Kommunistischen Internationale hat auf Grund der Erfahrung des Sowjetaufbaues im Osten und des Anwachsens der nationalistisch-revolutionären Bewegungen in den Kolonien eine allgemeine prinzipielle Darstellung der nationalen Kolonialfrage in der Epoche des langwierigen Kampfes zwischen dem Imperialismus und der proletarischen Diktatur gegeben. Seit dieser Zeit ist eine bedeutende Verschärfung des Kampfes gegen die imperialistische Bedrückung in den Kolonial- und Halbkolonialländern eingetreten, auf Grund einer Vertiefung der politischen und wirtschaftlichen Nachkrise des Imperialismus. Als Beweis dafür dient: 1. der Bankrott des Friedensvertrages von Sèvres über die Aufteilung der Türkei und die Möglichkeit einer völligen Wiederherstellung ihrer nationalen und politischen Unabhängigkeit. 2. das stürmische Anwachsen der nationalistisch-revolutionären Bewegung in Indien, Mesopotamien, Ägypten, Marokko, China und Korea 3. die ausweglose innere Krise des japanischen Imperialismus, die im Lande ein rasches Anwachsen der Elemente der bürgerlich-demokratischen Revolution und den jetzigen Übergang des japanischen Proletariats zum selbständigen Klassenkampf hervorruft; 4. das Erwachen der Arbeiterbewegung in allen Ländern des Ostens und die Bildung kommunistischer Parteien fast in allen diesen Ländern. Die aufgezählten Tatsachen sind gleichbedeutend mit einer Veränderung der sozialen Basis der revolutionären Bewegung der Kolonien; diese Veränderung führt zu einer Verschärfung des anti-imperialistischen Kampfes, dessen Leitung somit nicht mehr ausschließlich in den Händen der feudalen Elemente und der nationalen Bourgeoisie verbleibt, die zu Kompromissen mit dem Imperialismus bereit sind. Der imperialistische Krieg von 1914-18 und die darauffolgende Dauerkrise des Imperialismus — vor allem des europäischen — haben die wirtschaftliche Vormundschaft der Großmächte über die Kolonien geschwächt. Andererseits haben dieselben Elemente, die zu einer Verengerung der wirtschaftlichen Basis und der politischen Einflusssphäre des europäischen Kapitalismus führten, eine Verschärfung des imperialistischen Konkurrenzkampfes um die Kolonien zur Folge gehabt, und dadurch das Gleichgewicht des ganzen imperialistischen Weltsystems gestört. (Der Kampf um die Erdölquellen, der englisch-französische Konflikt in Kleinasien, die japanisch-amerikanische Rivalität im Stillen Ozean usw.). Eben diese Schwächung des imperialistischen Druckes auf die Kolonien hat zusammen mit der ständigen Verschärfung der Rivalität zwischen den verschiedenen imperialistischen Gruppen die Entwicklung des einheimischen Kapitalismus in den Kolonial- und Halbkolonialländern erleichtert, der über die engen und hemmenden Schranken der imperialistischen Herrschaft der Großmächte hinausgewachsen ist und immer weiter hinauswächst. Bisher war das Kapital der Großmächte bestrebt. die rückständigen Länder vom weltwirtschaftlichen Umsatz zu isolieren, um auf diese Weise seine Monopolrechte auf die Erzielung von Extraprofiten aus der kommerziellen, industriellen und steuerlichen Ausbeutung dieser Länder sicherzustellen. Die von der nationalistischen Bewegung in den Kolonien aufgestellte Forderung der nationalen und wirtschaftlichen Selbständigkeit ist der Ausdruck für die Bedürfnisse der bürgerlichen Entwicklung in diesen Ländern. Die Aufwärtsbewegung der einheimischen Produktivkräfte in den Kolonien gerät somit in einen unversöhnlichen Gegensatz zu den Interessen des Weltimperialismus; denn das Wesen des Imperialismus besteht in der Ausnutzung der verschiedenen Entwicklungsstufen der Produktivkräfte in den verschiedenen Gebieten der Weltwirtschaft zwecks Erzielung monopolistischer Extraprofite. II. Die Kampfbedingungen. Die Rückständigkeit der Kolonien äußert sich in jener Mannigfaltigkeit nationalistisch-revolutionärer Bewegungen gegen den Imperialismus, die die verschiedenen Stadien des Überganges von feudalen und feudal-patriarchalischen Verhältnissen zum Kapitalismus widerspiegeln. Diese Mannigfaltigkeit drückt der Ideologie dieser Bewegung einen bestimmten Stempel auf. Insoweit der Kapitalismus in den Kolonialländern auf feudaler Grundlage in verkrüppelten und unvollständigen Übergangsformen entsteht und sich entwickelt, die in erster Linie dem Handelskapital zur Vorherrschaft verhelfen, geht auch die Abtrennung der bürgerlichen Demokratie von den feudal-bürokratischen und feudal-agrarischen Elementen häufig auf verwickeltem und langwierigem Wege vor sich. Darin liegt das Haupthindernis für einen erfolgreichen Massenkampf gegen die imperialistische Bedrückung, da der fremdländische Imperialismus in allen rückständigen Ländern die feudale (und zum Teil auch halbfeudale, halbbürgerliche) Oberschicht der einheimischen Gesellschaft zum Werkzeug der Verwirklichung seiner Herrschaft macht (die einheimischen Militärgouverneure — Tschune — in China, die einheimische Aristokratie und die Pächter der Bodensteuer in Indien — Semindare und Talukdare — die feudale Bürokratie und Aristokratie in Persien, die Agrarier und Plantagenbesitzer kapitalistischer Art in Ägypten usw.). Daher erweisen sich die herrschenden Klassen der Kolonial- und Halbkolonialvölker als unfähig und abgeneigt, den Kampf gegen den Imperialismus zu führen, soweit dieser Kampf die Form einer revolutionären Massenbewegung annimmt. Nur dort, wo die feudal-patriarchalischen Verhältnisse noch nicht genügend zersetzt sind, um die einheimische Aristokratie von den Volksmassen vollkommen zu trennen, wie beispielsweise bei den Nomaden und Halbnomaden, können die Vertreter dieser Oberschichten als aktive Führer im Kampfe mit der imperialistischen Gewaltpolitik auftreten (Mesopotamien, Mongolei). In den mohammedanischen Ländern findet die nationale Bewegung anfangs ihre Ideologie in den religiös-politischen Losungen des Panislamismus und dies gewährt den Beamten und Diplomaten der Großmächte die Möglichkeit, die Vorurteile und die Unwissenheit der breiten Massen zum Kampf gegen diese Bewegung auszunutzen (das Spiel der englischen Imperialisten mit dem Panislamismus und Pan-Arabismus, die englischen Pläne einer Verlegung des Kalifats nach Indien, die Spekulation des französischen Imperialismus mit seinen „mohammedanischen Sympathien“). Doch in dem Maße, wie das Wachstum der nationalen Befreiungsbewegungen sich ausbreitet, werden auch die religiös-politischen Losungen des Panislamismus immer mehr durch konkrete politische Forderungen ersetzt. Der kürzlich in der Türkei ausgefochtene Kampf für die Trennung der weltlichen Macht vom Kalifat bestätigt dies. Die Hauptaufgabe, die allen nationalrevolutionären Bewegungen gemeinsam ist, besteht in der Verwirklichung der nationalen Einheit und in der Erreichung der staatlichen Unabhängigkeit. Die reale und folgerichtige Lösung der Aufgabe hängt davon ab, inwieweit diese oder jene nationale Bewegung imstande sein wird, jede Verbindung mit den reaktionären feudalen Elementen abzubrechen und so breite werktätige Massen für sich zu gewinnen und in ihrem Programm den sozialen Forderungen dieser Massen Ausdruck zu verleihen. Indem die Kommunistische Internationale dem Umstande vollauf Rechnung trägt, dass Träger des Willens der Nation zu staatlicher Selbständigkeit unter verschiedenen geschichtlichen Verhältnissen die verschiedenartigsten Elemente sein können, unterstützt sie jede national-revolutionäre Bewegung gegen den Imperialismus. Gleichzeitig aber lässt sie nicht außer acht, dass nur eine konsequente revolutionäre Linie, die darauf abzielt, die breitesten Massen in den aktiven Kampf hineinzuziehen, und der unbedingte Bruch mit allen Anhängern einer Aussöhnung mit dem Imperialismus, im Interesse der eigenen Klassenherrschaft, die bedrückten Massen zum Siege zu führen vermag. Die Verbindung der einheimischen Bourgeoisie mit den feudalreaktionären Elementen gestattet den Imperialisten eine weitgehende Ausnützung der feudalen Anarchie, der Rivalität zwischen den einzelnen Führern, Geschlechtern und Stämmen, des Antagonismus zwischen Dorf und Stadt, des Kampfes der Stände und nationalreligiösen Sekten im Interesse einer Desorganisation der Volksbewegung (siehe China, Persien, Kurdistan, Mesopotamien). III. Die Agrarfrage. In den meisten Ländern des Ostens (Indien, Persien Ägypten, Syrien und Mesopotamien) ist die Agrarfrage im Kampfe für die Befreiung vom Joch des Despotismus der Großmächte von hervorragender Bedeutung. Indem der Imperialismus die bäuerliche Mehrheit der rückständigen Nationen ausbeutet und ruiniert, beraubt er sie ihrer elementarsten Existenzmittel, während die schwach entwickelte und nur an einzelne Knotenpunkte des Landes gebundene Industrie nicht imstande ist, den entstehenden Überschuss der Landbevölkerung aufzunehmen, der auch jede Auswanderungsmöglichkeit genommen ist. Die auf ihrem Grund und Boden verbleibenden verarmten Bauern werden zu Hörigen. Wenn in den fortgeschrittenen Ländern die Industriekrisen vor dem Kriege die Rolle eines Regulators der gesellschaftlichen Produktion spielten, so fällt in den Kolonien die Rolle eines solchen Regulators dem Hunger zu. Da der Imperialismus das stärkste Interesse daran hat, bei geringstem Kapitaleinsatz größte Gewinne zu erzielen, unterstützt er in den rückständigen Ländern solange nur irgend möglich die feudalwucherischen Formen der Ausbeutung der Arbeitskraft. In einigen Ländern, z. B. in Indien, übernimmt er das Monopol des einheimischen Feudalstaates auf den Grund und Boden und verwandelt die Grundsteuer in einen Tribut an das großmächtige Kapital und seine Diener —die Semindare und Talukdare; in anderen sichert er sich die Grundrente durch die einheimischen Organisationen des Großgrundbesitzes, z. B. in Persien, Marokko, Ägypten usw. Der Kampf für die Befreiung des Bodens von den feudalen Abgaben und Schranken nimmt somit den Charakter eines nationalen Befreiungskampf es gegen den Imperialismus und den feudalen Großgrundbesitz an. Als Beispiel können dienen: der Aufstand der Moplah gegen die Gutsbesitzer und Engländer in Indien im Herbst 1921 und der Sikhaufstand im Jahre 1922. Nur die Agrarrevolution, die sich die Expropriation des Großgrundbesitzes zum Ziel setzt, vermag die gewaltigen Bauernmassen !n Bewegung zu setzen und ist berufen, einen entscheidenden Einfluss auf den Kampf mit dem Imperialismus auszuüben. Die Angst der bürgerlichen Nationalisten (in Indien, Persien, Ägypten) vor den agrarischen Losungen und ihr Bestreben, sie auf jede Weise zu beschneiden, zeugt von der engen Verbindung der einheimischen Bourgeoisie mit dem feudalen und feudal-bürgerlichen Großgrundbesitz und von ihrer ideellpolitischen Abhängigkeit von letzterem. Dieses Wanken und Schwanken muss von allen revolutionären Elementen zu systematischer Kritik und zur Entlarvung der Halbheit der bürgerlichen Führer der nationalistischen Bewegungen ausgenutzt werden. Gerade diese Halbheit behindert die Organisierung und den Zusammenschluss der werktätigen Massen, wie der Bankrott der Taktik des passiven Widerstandes („Non-Cooperation‘) in Indien beweist. Die revolutionäre Bewegung in den rückständigen Ländern des Ostens kann nicht erfolgreich sein, wenn sie sich nicht auf die Aktionen der breiten Bauernmassen stützt. Daher müssen die revolutionären Parteien aller orientalischen Länder ein klares Agrarprogramm formulieren in dem die völlige Beseitigung des Feudalsystems und seiner Überbleibsel in Form von Großgrundbesitz und Grundsteuerpacht gefordert werden muss. Zwecks aktiver Heranziehung der Bauernmassen zum Kampfe für die nationale Befreiung muss eine radikale Änderung der Grundlagen der Bodenbesitzrechte propagiert werden; ebenso ist es notwendig, die bürgerlich-nationalen Parteien zu zwingen, sich dieses revolutionäre Agrarprogramm in weitestgehendem Maße zu eigen zu machen. IV. Die Arbeiterbewegung im Osten. Die junge Arbeiterbewegung im Osten ist ein Produkt der Entwicklung des einheimischen Kapitalismus der letzten Zeit. Bisher befindet sich dort die Arbeiterklasse, selbst wenn man ihre fortgeschrittensten Elemente ins Auge fasst, noch in einem Übergangsstadium, noch auf dem Wege von zünftigen Kleinhandwerk zur großkapitalistischen Fabrik. Soweit die bürgerlich-nationalistische Intelligenz die revolutionäre Bewegung der Arbeiterklasse in den Kampf gegen den Imperialismus hineinzieht, leiten ihre Vertreter anfangs auch die aufkeimenden gewerkschaftlichen Organisationen und der Aktionen. Anfangs geht das Proletariat bei solchen Aktionen nicht über den Rahmen der „allgemeinen nationalen“ Interessen der bürgerlichen Demokratie hinaus (siehe die Streiks gegen die imperialistische Bürokratie und Administration in China und Indien). Häufig kommt es vor — schon der zweite Kongress der Kommunistischen Internationale hat darauf hingewiesen —‚ dass die Vertreter des bürgerlichen Nationalismus unter moralischer Ausnutzung der politischen Autorität Sowjetrusslands und in Anpassung an den Klasseninstinkt der Arbeiter ihre bürgerlich-demokratischen Bestrebungen in eine „sozialistische“ und „kommunistische“ Form kleiden, um auf diese Weise, zuweilen ohne sich selbst dessen bewusst zu sein, die ersten aufkeimenden proletarischen Vereinigungen von den unmittelbaren Aufgaben einer Klassenorganisation abzulenken (so die Partei Eschil-Ordu, die den Pantürkismus in der Türkei kommunistisch verbrämt hat, so der „Staatssozialismus“, der von einigen Vertretern der Partei „Kuomintang“ in China gepredigt wird). Trotzdem hat sowohl die gewerkschaftliche, als auch die politische Bewegung der Arbeiterklasse in den rückständigen Ländern im Laufe der letzten Jahre große Fortschritte gemacht. Die Bildung selbständiger proletarischer Klassenparteien fast in allen Ländern des Ostens ist eine bedeutsame Tatsache, wenn auch die überwältigende Mehrheit dieser Parteien noch eine große innere Arbeit leisten muss, um sich von Dilettantismus, Sektiererei und vielen anderen Mängeln zu befreien. Der Umstand, dass die Kommunistische Internationale von Anfang an die Zukunftsmöglichkeiten der Arbeiterbewegung im Osten gebührend gewürdigt hat, ist eine ungemein bedeutungsvolle Tatsache, denn in ihr findet die wahrhafte internationale Vereinigung der Proletarier der ganzen Welt unter dem Banner des Kommunismus beredten Ausdruck. Die 2. und 2½ Internationale haben bisher noch in keinem einzigen rückständigen Lande Anhänger gefunden, eben deshalb, weil sie gegenüber dem europäisch-amerikanischen Imperialismus nur die Rolle seiner „Angestellten“ spielen. V. Die allgemeinen Aufgaben der Kommunistischen Parteien im Osten. Während die bürgerlichen Nationalisten die Arbeiterbewegung von dem Standpunkt aus beurteilen, ob sie für den Sieg des Bürgertums von Wichtigkeit ist, bewertet das internationale Proletariat die junge Arbeiterbewegung des Ostens vom Standpunkt ihrer revolutionären Zukunft. Unter der Herrschaft des Kapitalismus können die rückständigen Länder der Errungenschaften der modernen Technik und Kultur nicht teilhaftig werden, ohne durch ihre barbarische Ausbeutung und Bedrückung an das Kapital der Großmächte einen gewaltigen Tribut zu entrichten. Das Bündnis mit dem Proletariat der fortgeschrittenen Länder diktieren ihnen nicht nur die Interessen des gemeinsamen Kampfes gegen den Imperialismus, sondern auch die Tatsache, dass die Arbeiter des Ostens nur von dem siegreichen Proletariat der fortgeschrittenen Länder eine uneigennützige Hilfe für die Entwicklung ihrer zurückgebliebenen Produktivkräfte erhalten werden. Das Bündnis. mit dem Proletariat des Westens bahnt den Weg zur internationalen Föderation der Sowjetrepubliken. Die Sowjetordnung bildet für die rückständigen Völker die schmerzloseste Übergangsform von den primitiven Existenzbedingungen zur Hochkultur des Kommunismus, die berufen ist, in der ganzen Weltwirtschaft die kapitalistische Produktions- und Distributionsmethode zu ersetzen. Davon zeugt die Erfahrung des Sowjetaufbaus in den befreiten Kolonien des russischen Reiches. Nur die Sowjetform der Regierung ist imstande, die konsequente Durchführung der bäuerlichen Agrarrevolution zu sichern. Die spezifischen Bedingungen der Landwirtschaft in einem bestimmten Teil der Orientländer (künstliche Bewässerung), die früher durch die eigenartige Organisation einer kollektiven Arbeitsgemeinschaft auf feudal-patriarchalischer Grundlage aufrechterhalten, später vom System kapitalistischen Raubbaus untergraben wurden, fordern ebenfalls eine staatliche Organisation, die den gesellschaftlichen Bedürfnissen in planmäßiger und organisierter Form nachzukommen vermag. Infolge der besonderen klimatischen und speziellen geschichtlichen Verhältnisse werden Genossenschaften der Kleinproduzenten im Osten überhaupt eine bedeutende Rolle in der Übergangszeit spielen. Die objektiven Aufgaben der kolonialen Revolution sprengen schon deshalb den Rahmen der bürgerlichen Demokratie, weil ein entscheidender Sieg dieser Revolution unvereinbar ist mit der Herrschaft des Weltimperialismus. Wenn ursprünglich die einheimische und die bürgerliche Intelligenz die Vorkämpfer der kolonialen revolutionären Bewegungen sind, so beginnt mit der Einbeziehung der proletarischen und halbproletarischen bäuerlichen Massen in diese Bewegungen die Abkehr der großbürgerlichen und bürgerlich-agrarischen Elemente von der Bewegung, in dem Maße, wie die sozialen Interessen der unteren Volksschichten in den Vordergrund treten. Dem jungen Proletariat der Kolonien steht noch ein langer Kampf im Verlaufe einer ganzen geschichtlichen Epoche bevor — der Kampf mit der imperialistischen Ausbeutung und mit seinen eigenen herrschenden Klassen, die alle Vorteile der industriellen und kulturellen Entwicklung in ihrem Besitz zu monopolisieren und die breiten werktätigen Massen in ihrem früheren „prähistorischen“ Zustand festzuhalten suchen. Dieser Kampf um den Einfluss bei den bäuerlichen Massen muss für das einheimische Proletariat als Vorbereitung für die Rolle des politischen Führers dienen. Erst wenn es diese Arbeit an sich selbst und an den ihm nächststehenden Gesellschaftsschichten vollzogen hat, wird es imstande sein, gegen die bürgerliche Demokratie aufzutreten, die unter den Verhältnissen des rückständigen Ostens einen noch viel heuchlerischeren Charakter trägt als im Westen. Die Weigerung der Kommunisten der Kolonien, am Kampf gegen die imperialistische Vergewaltigung teilzunehmen, unter Vorgabe angeblicher „Verteidigung“ selbständiger Klasseninteressen, ist Opportunismus schlimmster Sorte, der die proletarische Revolution im Osten nur diskreditieren kann. Als nicht minder schädlich muss auch der Versuch bezeichnet werden, dem Kampf für die dringendsten und alltäglichen Interessen der Arbeiterklasse zugunsten der „nationalen Einigung“ oder des „Burgfriedens“ mit den bürgerlichen Demokraten fernzubleiben. Die Kommunistischen Arbeiterparteien der kolonialen und halbkolonialen Länder stehen vor einer zweifachen Aufgabe: einerseits kämpfen sie für eine möglichst radikale Lösung der Aufgaben einer bürgerlich-demokratischen Revolution, die auf die Eroberung der staatspolitischen Unabhängigkeit gerichtet ist; andererseits organisieren sie die Arbeiter- und Bauernmassen zum Kampfe für ihre besonderen Klasseninteressen, wobei sie alle Gegensätze im nationalistischen bürgerlich-demokratischen Lager ausnutzen. Durch Aufstellung sozialer Forderungen lösen sie die revolutionäre Energie aus, die in den bürgerlich-liberalen Forderungen keinen Ausweg findet, und spornen ihre Entwicklung an. Die Arbeiterklasse der Kolonien und Halbkolonien muss sich bewusst sein, dass nur die Erweiterung und Vertiefung des Kampfes gegen das imperialistische Joch der Großmächte ihr die Rolle eines revolutionären Führers zu sichern vermag und umgekehrt ist nur die wirtschaftliche und politische Organisierung und politische Erziehung der Arbeiterklasse und der halbproletarischen Schichten imstande, den revolutionären Schwung des Kampfes gegen den Imperialismus zu vergrößern. Die kommunistischen Parteien der kolonialen und halbkolonialen Länder des Ostens die sich noch mehr oder minder in einem Embryonalzustande befinden, müssen an jeder Bewegung teilnehmen, die ihnen Zutritt zu den Massen eröffnet. Dessen ungeachtet müssen sie einen energischen Kampf führen gegen die patriarchalischen und zünftigen Vorurteile und gegen die bürgerliche Ideologie, die in den Arbeiterverbänden vorherrscht, um diese unentwickelten Formen der Gewerkschaftsorganisation vor reformistischen Tendenzen zu bewahren und sie in Kampforgane der Massen zu verwandeln. Sie müssen alle Anstrengungen machen zur Organisierung der zahlreichen landwirtschaftlichen Tagelöhner und Tagelöhnerinnen und Lehrlinge beiderlei Geschlechts auf dem Boden des Schutzes ihrer Tagesinteressen. VI. Die anti-imperialistische Einheitsfront. Wenn im Westen unter den Verhältnissen einer Übergangsperiode, die mit einer organisierten Ansammlung der Kräfte verbunden ist, die Losung der proletarischen Einheitsfront aufgestellt wurde, so muss im kolonialen Osten gegenwärtig die Losung der anti-imperialistischen Einheitsfront betont werden. Die Zweckmäßigkeit dieser Losung ergibt sich aus der Perspektive eines dauernden und langwierigen Kampfes mit dem Weltimperialismus, der die Mobilisierung aller revolutionären Elemente erfordert. Diese Mobilisierung ist um so notwendiger, als die einheimischen herrschenden Klassen geneigt sind, mit dem ausländischen Kapital Kompromisse zu schließen, die sich gegen die Lebensinteressen der Volksmassen richten. Und wie die Losung der proletarischen Einheitsfront im Westen zur Entlarvung des sozialdemokratischen Verrates an den Interessen des Proletariats beigetragen hat und weiter noch beiträgt, so wird die Losung der anti-imperialistischen Einheitsfront zur Entlarvung des Schwankens der einzelnen Gruppen des bürgerlichen Nationalismus beitragen. Diese Losung wird auch die Entwicklung des revolutionären Willens und die Klärung des Klassenbewusstseins der werktätigen Massen fördern und sie in die vordersten Reihen der Kämpfer nicht nur gegen den Imperialismus, sondern auch gegen die Überbleibsel des Feudalismus stellen. Die Arbeiterbewegung in den kolonialen und halbkolonialen Ländern muss sich vor allem die Stellung eines selbständigen revolutionären Faktors in der anti-imperialistischen Gesamtfront erkämpfen. Erst wenn ihr diese selbständige Bedeutung zuerkannt wird und sie sich dabei ihre politische Unabhängigkeit bewahrt, sind zeitweilige Verständigungen mit der bürgerlichen Demokratie zulässig und notwendig. Das Proletariat unterstützt und stellt auch selbst Teilforderungen auf, wie z.B. die Forderung einer unabhängigen demokratischen Republik, die Beseitigung der Rechtlosigkeit der Frauen usw., insofern das gegenwärtig bestehende Kräfteverhältnis es ihm nicht gestattet, die Verwirklichung seines Sowjetprogramms zur Gegenwartsaufgabe zu machen. Gleichzeitig sucht es seinerseits Losungen aufzustellen, die die Herstellung einer politischen Verbindung der bäuerlichen und halbproletarischen Massen mit der Arbeiterbewegung fördern. Es gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Taktik der anti-imperialistischen Einheitsfront, den breiten werktätigen Massen die Notwendigkeit eines Bündnisses mit dem internationalen Proletariat und mit den Sowjetrepubliken klarzumachen. Die koloniale Revolution kann nur zusammen mit der proletarischen Revolution in den hochentwickelten Ländern siegen und ihre Eroberungen behaupten. Die Gefahr einer Verständigung zwischen dem bürgerlichen Nationalismus und einer oder mehreren sich einander befehlenden imperialistischen Mächten ist in den halbkolonialen Ländern (China, Persien) oder in den Ländern, die um ihre staatliche Selbständigkeit ringen, infolge der Rivalität der Imperialisten untereinander (Türkei) weitaus größer als in den Kolonien. Ein jedes derartiges Abkommen bedeutet eine recht ungleiche Teilung der Macht zwischen den einheimischen herrschenden Klassen und dem Imperialismus und belässt unter dem Deckmantel einer formalen Selbständigkeit das Land in seiner früheren Lage eines halbkolonialen Pufferstaates im Dienste des Weltimperialismus. Die Arbeiterklasse kann die Zulässigkeit und die Notwendigkeit von teilweisen und zeitweiligen Kompromissen zur Herstellung einer Atempause in dem revolutionären Befreiungskampf für den Imperialismus anerkennen, muss aber mit absoluter Unversöhnlichkeit gegen jeden Versuch einer offenen oder versteckten Teilung der Macht zwischen dem Imperialismus und den einheimischen herrschenden Klassen zur Aufrechterhaltung der Klassenprivilegien der letzteren auftreten. Die Forderung eines engen Bündnisses mit der proletarischen Sowjetrepublik ist das Wahrzeichen der anti-imperialistischen Einheitsfront. Zugleich mit der Aufstellung dieser Losung muss der entschiedenste Kampf geführt werden für die weitestgehende Demokratisierung des politischen Regimes, um die in politischer und sozialer Hinsicht reaktionärsten Elemente ihrer Stütze im Lande zu berauben und den Werktätigen organisatorische Freiheit im Kampf für ihre Klasseninteressen zu sichern (für die Forderungen: demokratische Republik, Agrarreform, Steuerreform, Organisierung des Verwaltungsapparates auf der Grundlage weitgehender Selbstverwaltung, Arbeitergesetzgebung, Schutz der Kinderarbeit, Mutter- und Kinderschutz usw.). Sogar in der unabhängigen Türkei genießt die Arbeiterklasse keine Koalitionsfreiheit, was für das Verhalten der bürgerlichen Nationalisten gegenüber dem Proletariat bezeichnend ist. VII. Die Aufgaben des Proletariats der Länder am Stillen Ozean. Die Notwendigkeit einer Organisierung der anti-imperialistischen Einheitsfront ist weiter auch durch die ständige und ununterbrochene Verschärfung der imperialistischen Rivalität bedingt. Diese Rivalität hat gegenwärtig ein so akutes Stadium erreicht, dass ein neuer Weltkrieg, dessen Schauplatz der Stille Ozean sein wird, unvermeidlich ist, sofern die internationale Revolution dem nicht zuvorkommt. Die Washingtoner Konferenz war ein Versuch, die drohende Gefahr zu bannen, in Wirklichkeit hat sie jedoch die imperialistischen Gegensätze nur vertieft und zugespitzt. Der jüngste Kampf zwischen Wu Pei-fu und Tschan Tao-lin in China war eine direkte Folge des missglückten Versuches des japanischen und anglo-amerikanischen Kapitalismus, die gegenseitigen Interessen in Washington in Einklang zu bringen. In den die Welt bedrohenden neuen Krieg werden nicht nur Japan, Amerika und England, sondern auch andere kapitalistische Staaten (Frankreich, Holland u. a.) verwickelt werden. Er droht noch größere Zerstörungen anzurichten als der Krieg von 1914-18. Die Aufgabe der Kommunistischen Parteien der kolonialen und halbkolonialen Länder am Stillen Ozean hat in einer energischen Propaganda, die den Massen die Gefahr klar macht, sie zum aktiven Kampf für die nationale Befreiung aufruft, und auf der Orientierung nach Sowjetrussland als dem Schutzwall aller bedrückten und ausgebeuteten Massen zu bestehen. Die Kommunistischen Parteien der imperialistischen Länder Amerika, Japan, England, Australien und Kanada sind verpflichtet, sich angesichts der drohenden Gefahr nicht nur auf eine Propaganda gegen den Krieg zu beschränken, sondern alle Anstrengungen zur Beseitigung der Faktoren zu machen, die die Arbeiterbewegung in diesen Ländern desorganisieren und die Ausnützung der Gegensätze zwischen den Nationen und Rassen durch die Kapitalisten verstärken. Diese Faktoren sind: die Einwanderungsfrage und die Frage der billigen farbigen Arbeitskräfte. Das Kontraktsystem bildet noch heute die Hauptmethode für die Anwerbung farbiger Arbeiter auf den Zuckerplantagen im südlichen Teil des Stillen Ozeans, wohin die Arbeiter aus China und Indien gebracht werden. Dieser Umstand veranlasste die Arbeiter der imperialistischen Länder, eine Einführung von Gesetzen gegen die Einwanderung und gegen die farbigen Arbeiter zu fordern, sowohl in Amerika als auch in Australien. Diese Gesetze vertiefen den Gegensatz zwischen den farbigen und den weißen Arbeitern, zersplittern und schwächen die Einheit der Arbeiterbewegung. Die Kommunistischen Parteien Amerikas, Kanadas und Australiens müssen eine energische Kampagne führen gegen die Gesetze zur Verhinderung der Einwanderung und müssen den proletarischen Massen dieser Länder klarmachen, dass solche Gesetze, indem sie den Rassenhass schüren, letzten Endes ihnen selbst zum Schaden gereichen. Andererseits verzichten die Kapitalisten auf Gesetze gegen die Einwanderung, um die freie Einfuhr billiger farbiger Arbeitskräfte zu ermöglichen und auf diese Weise die Arbeitslöhne der weißen Arbeiter herabzudrücken. Diese Absicht der Kapitalisten, zum Angriff überzugehen, kann nur durch ein Mittel erfolgreich vereitelt werden: die einwandernden Arbeiter müssen in die bestehenden Gewerkschaften der weißen Arbeiter aufgenommen werden, Gleichzeitig muss gefordert werden, dass die Entlohnung der farbigen Arbeiter den Arbeitslöhnen der weißen Arbeiter gleichgestellt wird. Ein solcher Schritt der Kommunistischen Parteien wird die Absichten der Kapitalisten entlarven und den farbigen Arbeitern gleichzeitig anschaulich zeigen, dass das internationale Proletariat keine Rassenvorurteile kennt. Zur Durchführung der erwähnten Schritte müssen die Vertreter des revolutionären Proletariats der Länder des Stillen Ozeans eine ozeanische Konferenz einberufen, um die richtige Taktik auszuarbeiten und die entsprechenden organisatorischen Formen zu einer tatsächlichen Einigung des Proletariats aller Rassen am Stillen Ozean zu finden. VIII. Die Aufgaben der Parteien der Metropolen in den Kolonien. Die außerordentliche Bedeutung der kolonialen Revolutionsbewegungen für die internationale proletarische Revolution macht es notwendig, dass die Arbeit in den Kolonien gesteigert wird, vor allem seitens der Kommunistischen Parteien der imperialistischen Mächte. Der französische Imperialismus gründet alle seine Berechnungen auf die Unterdrückung des proletarischen Revolutionskampfes in Frankreich und Europa durch Ausnützung seiner kolonialen Arbeiter als Kampfreserve der Konterrevolution. Der englische und der amerikanische Imperialismus fahren noch immer fort, die Arbeiterbewegung zu spalten, indem sie die Arbeiteraristokratie auf ihre Seite bringen durch das Versprechen, ihr einen bestimmten Anteil an den aus der kolonialen Ausbeutung gezogenen Extraprofiten zuzuweisen. Jede kommunistische Partei der kolonialbesitzenden Länder muss die Aufgabe übernehmen, eine systematische ideelle und materielle Hilfe für die proletarische und revolutionäre Bewegung in den Kolonien zu organisieren. Die quasi-sozialistischen kolonisatorischen Tendenzen einiger Kategorien gut bezahlter europäischer Arbeiter in den Kolonien müssen entschlossen und hartnäckig bekämpft werden. Die europäischen kommunistischen Arbeiter in den Kolonien müssen die einheimischen Proletarier zu organisieren suchen und ihr Vertrauen durch konkrete wirtschaftliche Forderungen erobern. (Anpassung des Arbeitslohnes der eingeborenen Arbeiter an die Entlohnung der europäischen Arbeiter, Arbeitsschutz, Versicherung usw.) Die Schaffung gesonderter europäischer kommunistischer Organisationen in den Kolonien (Ägypten, Algier) ist eine versteckte Form der Kolonisierung und unterstützt nur die Interessen der Imperialisten. Jeglicher Aufbau von kommunistischen Organisationen auf Grund des nationalen Merkmals widerspricht den Prinzipien des proletarischen Internationalismus. Alle Parteien der Kommunistischen Internationale sind verpflichtet, den breiten werktätigen Massen die ganze Wichtigkeit des Kampfes gegen die imperialistische Herrschaft in den rückständigen Ländern klarzumachen. Die kommunistischen Parteien, die in den Ländern der Großmächte arbeiten, müssen aus dem Bestande ihrer Zentralkomitees ständige Kolonialkommissionen zur Verfolgung der erwähnten Ziele bilden. Die Hilfe der Kommunistischen internationale muss sich vor allem in einer Unterstützung zur Organisierung des Pressewesens, zur Herausgabe von periodischen Druckerzeugnissen und von Organen in den Landessprachen äußern. Besondere Aufmerksamkeit muss der Arbeit unter den europäischen Arbeiterorganisationen und unter den Besatzungstruppen in den Kolonien zugewandt werden. Die kommunistischen Parteien der Länder der Großmächte dürfen keine Gelegenheit zur Entlarvung der räuberischen Kolonialpolitik ihrer imperialistischen Regierungen, sowie der bürgerlichen und reformistischen Parteien unbenutzt lassen.
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