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Wladimir I. Lenin 19010700 Ein wertvolles Geständnis

Wladimir I. Lenin: Ein wertvolles Geständnis

[„Iskra" Nr. 6, Juli 1901. Nach Sämtliche Werke, Band 4.1, Wien-Berlin 1928, S. 192-200]

Die Arbeiterunruhen machen in letzter Zeit wieder überall sehr viel von sich reden. Auch die regierenden Kreise sind beunruhigt, und zwar sehr ernstlich beunruhigt: das ist aus der Tatsache zu ersehen, dass man es für notwendig gefunden hat, sogar eine so überaus gutgesinnte, der Obrigkeit gegenüber so diensteifrige Zeitung, wie das „Nowoje Wremja", für den Artikel in Nummer 9051 (vom 11. Mai) „Aus Anlass der Arbeiterunruhen" durch ein einwöchentliches Verbot zu „strafen". Die Strafe ist natürlich nicht durch den Inhalt des Artikels hervorgerufen worden, der von den allerbesten Gefühlen für die Regierung, von aufrichtigster Besorgnis für ihre Interessen erfüllt ist. Als gefährlich gilt jede Erörterung dieser „die Gesellschaft aufregenden" Ereignisse, jedes Erinnern an ihre Ausdehnung und ihre Bedeutung. Das weiter unten von uns angeführte Geheimzirkular (ebenfalls vom 11. Mai1), in dem es heißt, dass Artikel über Unruhen in unseren Fabriken und Betrieben und über das Verhalten der Arbeiter gegenüber den Unternehmern nur mit Erlaubnis des Polizeidepartements gedruckt werden dürfen, beweist besser als alle Auseinandersetzungen, wie sehr die Regierung selber die Arbeiterunruhen als ein staatswichtiges Ereignis zu beurteilen geneigt ist. Und der Artikel des „Nowoje Wremja" ist eben darum von besonderem Interesse, weil in ihm ein ganzes Staatsprogramm entworfen ist, das im Wesentlichen darauf hinausläuft, die Unzufriedenheit zu beseitigen durch einige kleine und zum Teil betrügerische Almosen, die mit dem laut schreienden Aushängeschild der Fürsorglichkeit, Herzlichkeit usw. versehen sind und Anlass zu einer verstärkten Aufsicht durch die Beamten geben. Aber dieses nicht neue Programm verkörpert gewissermaßen das „Höchstmaß" der Klugheit der heutigen Staatsmänner, und zwar nicht nur in Russland, sondern auch im Westen: in einer Gesellschaft, die auf dem Privateigentum und auf der Versklavung von Millionen Besitzloser und Werktätiger durch ein Häuflein Reicher aufgebaut ist, muss die Regierung der treueste Freund und Bundesgenosse der Ausbeuter, der treueste Wächter ihrer Herrschaft sein. Für einen zuverlässigen Wächter genügen aber heutzutage nicht mehr Kanonen, Bajonette und Gummiknüppel: man muss sich Mühe geben, den Ausgebeuteten zu suggerieren, dass die Regierung über den Klassen stehe, dass sie nicht den Interessen des Adels und der Bourgeoisie diene, sondern den Interessen der Gerechtigkeit, dass sie besorgt sei um den Schutz der Armen und Schwachen gegen die Reichen und Starken u. ähnl. mehr. Napoleon III. in Frankreich, Bismarck und Wilhelm II. in Deutschland haben nicht wenig Mühe auf ein solches Liebäugeln mit der Arbeiterschaft verwandt. Aber in Europa, wo mehr oder weniger große Pressefreiheit und Volksvertretungen bestehen, wo es einen Wahlkampf und organisierte politische Parteien gibt, ist dieses heuchlerische Getue sehr rasch entlarvt worden. In Asien und darunter auch in Russland sind die Volksmassen so eingeschüchtert und unwissend, die Vorurteile, die den Glauben an das Väterchen Zar aufrecht erhalten, so tief verwurzelt, dass solche Machenschaften von großem Erfolg begleitet sind. Aber ein sehr charakteristisches Anzeichen dafür, dass der europäische Geist nun auch nach Russland eindringt, ist der Misserfolg einer solchen Politik in den letzten zehn bis zwanzig Jahren. Diese Politik wurde immer und immer wieder angewandt, und stets erwies es sich, dass mehrere Jahre nach Erlass irgendeines Gesetzes zum „Schutze" (zum angeblichen Schutze) der Arbeiter alles wieder in den alten Zustand zurückkehrte – die Zahl der unzufriedenen Arbeiter mehrte sich, die Gärung stieg und die Unruhen wurden stärker – wieder wird mit viel Geschrei und Krach eine „Schutz"-Politik verkündet, es ertönen schönklingende Phrasen von herzlichem Wohlwollen für die Arbeiter, man erlässt irgendein Gesetz, das den Arbeitern mit sehr viel leeren und verlogenen Worten wenig Nutzen gibt – und nach mehreren Jahren wiederholt sich die alte Geschichte. Die Regierung dreht sich wie ein Eichhörnchen im Kreise, sie kriecht aus der Haut, um bald hier, bald dort den unzufriedenen Arbeitern mit irgendeinem Fetzen Papier den Mund zu stopfen –, aber die Unzufriedenheit bricht an einer anderen Stelle, und zwar noch verstärkt hervor.

In der Tat, man rufe sich die wichtigsten Merksteine ins Gedächtnis, die die Geschichte der „Arbeiter-Gesetzgebung" in Russland kennzeichnen. Am Ende der siebziger Jahre finden in Petersburg sehr große Streiks statt, die Sozialisten machen den Versuch, diese Gelegenheit für eine verstärkte Agitation auszunutzen. Alexander III. dehnt seine sogenannte „Volks"-Politik (die in Wirklichkeit eine Adels- und Polizeipolitik ist) auf die Fabrik-Gesetzgebung aus. Im Jahre 1882 wird die Fabrikinspektion gegründet, die anfangs sogar ihre Berichte veröffentlichte. Der Regierung gefielen natürlich die Berichte nicht, und sie stellte ihre Veröffentlichung ein. Die Gesetze über die Fabrikaufsicht erwiesen sich eben als Fetzen Papier. Es kommen die Jahre 1884/85. Die Krise in der Industrie ruft eine ungeheure Bewegung der Arbeiter und eine Reihe stürmischer Streikkämpfe im Zentralgebiet hervor. (Besonders bemerkenswert ist der Morosowsche Streik.) Wieder wird eine „Schutz"-Politik verkündet –, diesmal mit besonderem Nachdruck von Katkow in den „Moskowskije Wjedomosti2". Katkow ist außer sich darüber, dass man die Streikenden der Morosowschen Werke dem Geschworenengericht überwiesen hat, er bezeichnet die 101 Fragen, die das Gericht den Geschworenen zur Entscheidung vorgelegt hat, – als „101 Salutschüsse zu Ehren der in Russland aufgetauchten Arbeiterfrage"; aber er fordert gleichzeitig, der „Staat" solle für die Arbeiter eintreten und die unerhörten Strafen verbieten, die die Morosowschen Weber schließlich zum Explodieren gebracht hatten. Das Gesetz vom Jahre 1886 wird erlassen, das die Fabrikkontrolle um ein vielfaches verstärkt und willkürliche Strafzahlungen zugunsten des Fabrikbesitzers verbietet. Es vergehen zehn Jahre, – und wieder brechen Arbeiterunruhen aus. Die Streiks des Jahres 1895 und insbesondere der große Streik von 1896 versetzen die Regierung in Schrecken (vor allem, weil Hand in Hand mit den Arbeitern jetzt bereits systematisch die Sozialdemokraten gehen), und mit einer früher nie dagewesenen Geschwindigkeit wird das „Schutz"-Gesetz (vom 2. Juni 1897) über die Verkürzung des Arbeitstages erlassen; in der Kommission, in der dieses Gesetz zur Diskussion stand, schrien die Beamten des Innenministeriums und mit ihnen der Direktor des Polizeidepartements aus vollem Halse, es sei unbedingt notwendig, dass die Fabrikarbeiter in der Regierung ihren ständigen Verteidiger und einen gerechten und barmherzigen Beschützer sähen (siehe die Broschüre „Geheimdokumente, betreffend das Gesetz vom 2. Juni 1897"). Dem Schutzgesetz aber wird ein Dämpfer aufgesetzt, durch Zirkulare derselben Regierung wird es auf jede Weise beschnitten und aufgehoben. Es beginnt eine neue Krise in der Industrie, – die Arbeiter überzeugen sich zum hundertsten Male, dass kein von der Polizeiregierung gewährter „Schutz" ihnen eine ernsthafte Erleichterung und die Freiheit, allein für sich zu sorgen, schaffen kann, – es entstehen neue Unruhen und Straßenkämpfe, – wiederum ist die Regierung beunruhigt, – von neuem werden Polizeireden über „staatlichen Schutz", diesmal in der Zeitung „Nowoje Wremja", gehalten. Werdet ihr es denn nicht endlich satt bekommen, ihr Herren, Wasser ins Sieb zu gießen?

Nein, die Regierung wird es natürlich nie satt bekommen, ihre Versuche zu wiederholen, die unversöhnlichen Arbeiter einzuschüchtern und die Schwächeren, Dümmeren und Ängstlicheren durch irgendein Almosen an sich zu locken. Aber auch wir werden es nie überdrüssig werden, den wahren Sinn dieser Versuche aufzudecken, die „Staatsmänner" zu entlarven, die heute über Schutz der Arbeiter schreien, nachdem sie gestern den Soldaten befohlen hatten, auf Arbeiter zu schießen, – die gestern ihre Gerechtigkeit und ihre Fürsorglichkeit für die Arbeiter beteuerten und heute die Besten aus den Reihen der Arbeiterschaft und der Intellektuellen ergreifen, um sie ohne Gericht der Polizeigewalt preiszugeben. Und darum halten wir es für notwendig, uns mit dem „Regierungsprogramm" des „Nowoje Wremja" zu befassen, bevor irgendein neues „Schutz"-Gesetz erlassen wird. Auch schon allein die Geständnisse, die das auf innerpolitischem Gebiet so „autoritative" Blatt bei dieser Gelegenheit macht, verdienen Beachtung.

Nowoje Wremja" ist gezwungen zuzugeben, dass die „bedauerlichen Erscheinungen auf dem Gebiet der Arbeiterfrage" – kein Zufall sind. Gewiss seien hier auch die Sozialisten schuld (die Zeitung vermeidet dieses furchtbare Wort und zieht es vor, etwas unklar von „schädlichen Irrlehren", von der „Propaganda antistaatlicher und antisozialer Ideen" zu reden), aber … aber weshalb haben gerade die Sozialisten in Arbeiterkreisen Erfolg? „Nowoje Wremja" nutzt natürlich die Gelegenheit aus, um die Arbeiter zu beschimpfen: sie sind so „unwissend und ungebildet", dass sie lieber auf die der Polizeiordnung schädlichen Predigten der Sozialisten hören. Schuld sind also beide, die Sozialisten ebenso wie die Arbeiter, – und gegen diese Schuldigen führen die Gendarmen schon seit langem einen verzweifelten Krieg, mit ihnen füllen sie Gefängnisse und Verbannungsorte. Das hilft aber nichts. Augenscheinlich gibt es in der Lage der Arbeiter in den Fabriken und Betrieben Umstände, die „die Unzufriedenheit mit den gegenwärtigen Zuständen hervorrufen und aufrechterhalten" und auf diese Weise den „Erfolg" des Sozialismus „begünstigen".

Die schwere Arbeit des Fabrikarbeiters, der unter äußerst ungünstigen Bedingungen lebt, bringt ihm, solange er arbeitsfähig ist, nicht mehr ein, als er gerade zur Ernährung braucht; bei jedem Zufall aber, der ihm für kürzere oder längere Zeit die Arbeit nimmt, gerät er in eine hilflose Lage, ähnlich, wie dieser Tage Zeitungsberichte über die Lage der Arbeiter der Naphthawerke in Baku schilderten."

Somit müssen die Anhänger der Regierung zugeben, dass die Erfolge des Sozialismus tatsächlich in der schlechten Lage der Arbeiter ihre Ursache haben. Doch wird das nur sehr unbestimmt und ausweichend zugegeben, mit Ausflüchten, die deutlich zeigen, dass diese Sorte von Menschen nicht die geringste Absicht haben kann, das „geheiligte Eigentum" der Kapitalisten anzutasten, durch das die Arbeiter geknechtet werden. „Leider – schreibt „Nowoje Wremja" – kennen wir die tatsächliche Lage auf dem Gebiet der Arbeiterfrage bei uns in Russland zu wenig." Ja, leider! „Wir" wissen so wenig, weil wir der Polizeiregierung gestatten, die gesamte Presse zu knebeln, jedem das Maul zu stopfen, der die bei uns herrschende Misswirtschaft ehrlich zu brandmarken sucht. Dafür bemühen „wir" uns, den Hass des Arbeitsmannes nicht auf die asiatische Regierung zu lenken, sondern auf die „Fremdstämmigen". „Nowoje Wremja" weist auf die „nichtrussischen" Fabrikverwaltungen hin und nennt sie „brutal und habgierig". Mit solchen Mätzchen kann man nur die unwissendsten und rückständigsten Arbeiter ködern, die glauben, am ganzen Elend sei der „Deutsche" oder der „Jude" schuld, die nicht wissen, dass auch die deutschen und die jüdischen Arbeiter sich zum Kampfe gegen ihre deutschen und jüdischen Ausbeuter verbünden. Aber auch die Arbeiter, die das nicht wissen, sehen an tausend Beispielen, dass die russischen Kapitalisten die „habgierigsten" und rücksichtslosesten, dass die russische Polizei und die russische Regierung die „brutalsten" sind.

Interessant ist auch, wie „Nowoje Wremja" mit Bedauern davon spricht, dass der Arbeiter nicht mehr so unwissend und so gefügig sei, wie der Bauer. „Nowoje Wremja" vergießt Tränen darüber, dass der Arbeiter „von seinem dörflichen Nest losgerissen wird", dass sich „in den Industriebezirken Massen aus allen Gegenden ansammeln", dass „der Bauer dem Dorfe mit seinen bescheidenen (darum also handelt es sich), aber selbständigen sozial-ökonomischen Interessen und Verhältnissen entfremdet wird". Und da sollte man wahrhaftig nicht weinen? – Der Bauer ist an sein Nest gebunden, und aus Furcht, dieses Nest zu verlieren, wagt er es nicht, dem Gutsbesitzer Forderungen zu stellen, ihn durch einen Streik einzuschüchtern und dergleichen mehr; der Dorfbewohner kennt die Verhältnisse anderer Gegenden nicht, interessiert sich nur für sein Dörfchen (die Anhänger der Regierung nennen das die „selbständigen Interessen" der Bauern; das Heimchen kennt seinen Herd und steckt seine Nase nicht in die Politik, was können sich die Behörden besseres wünschen?) – in diesem kleinen Dorf aber kennt der örtliche Blutsauger, der Gutsbesitzer oder Kulak seine Leute genau; sie haben alle noch die vom Vater und Großvater überkommene sklavische Lehre der Unterordnung im Blute, und es ist niemand da, der ihnen ihre Lage zum Bewusstsein bringen könnte. In den Fabriken aber kommen Leute „aus allen Gegenden" zusammen, Leute, die nicht an ein Nest gebunden (es ist gleichgültig, wo man arbeitet), die erfahren, kühn und voller Interesse für alle Vorgänge der Welt sind.

Trotz dieser betrüblichen Verwandlung des schlichten Bauern in einen klassenbewussten Arbeiter hoffen unsere Polizeiweisen noch, die Arbeitermasse durch die „staatliche Fürsorge für das Wohlergehen der Arbeiter" betrügen zu können. „Nowoje Wremja" stärkt diese Hoffnung durch folgende abgedroschene Betrachtung:

Der Kapitalismus, im Westen stolz und allmächtig, ist bei uns vorläufig noch ein schwaches Kind, das nur am Gängelband laufen kann, am Gängelband aber von der Regierung geführt wird…"

Nun, diesem alten Lied von der Allmacht der Staatsgewalt glaubt vielleicht noch der schlichte Bauer! Der Arbeiter aber sieht nur zu oft, wie die Kapitalisten Polizei und Geistlichkeit, Militär und Staatsbeamte „am Gängelband führen". Und nun handelt es sich darum – fährt „Nowoje Wremja" fort –, dass die Regierung auf die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter „besteht", d. h. dass sie von den Fabrikbesitzern diese Verbesserung fordert. Die Sache ist ja ganz einfach: man befiehlt – und alles ist in Butter. Einfach ist allerdings nur, das zu sagen, in Wirklichkeit aber werden die Befehle der Behörden, selbst die „bescheidensten", wie z. B. die Einrichtung von Krankenhäusern bei den Fabriken, von den Kapitalisten jahrzehntelang nicht ausgeführt. Die Regierung würde es auch nie wagen, etwas Ernstes von den Kapitalisten zu fordern, da sie ja sonst das „geheiligte" Privateigentum verletzen würde. Die Regierung will aber auch gar keine ernste Aufbesserung der Lage der Arbeiter, denn sie selbst tritt ja in tausend Fällen als Arbeitgeber auf, sie übervorteilt und unterdrückt die Arbeiter des Obuchow-Werkes und hundert anderer Fabriken, Zehntausende von Post- und Eisenbahnangestellten usw. usw. „Nowoje Wremja" fühlt auch selber, dass niemand an die Befehle unserer Regierung glauben wird, und sie ist darum bemüht, sich auf erhabene historische Beispiele zu stützen. Man müsse es so machen – sagt die Zeitung über die Verbesserung der Lage der Arbeiter – „wie vor einem halben Jahrhundert, als die Regierung die Bauernfrage in ihre Hand nahm und sich von der klugen Überzeugung leiten ließ, dass es besser sei, durch Reformen von oben den Forderungen von unten vorzugreifen, als abzuwarten, bis sie gestellt werden". Das ist in der Tat ein wertvolles Geständnis! Vor der Befreiung der Bauern deutete der Zar dem Adel die Möglichkeit eines Volksaufstandes an, als er sagte: es ist besser, von oben her zu befreien, als zu warten, bis man sich selbst von unten zu befreien beginnt. Und nun gesteht die der Regierung lakaienhaft ergebene Zeitung ein, dass die Stimmung der Arbeiter ihr nicht weniger Furcht einflößt als die Stimmung der Bauern „vor der Befreiung". „Lieber von oben als von unten!" Die Zeitungslakaien des Absolutismus befinden sich in einem großen Irrtum, wenn sie eine „Ähnlichkeit" finden zwischen den Reformforderungen von damals und denen von heute. Die Bauern verlangten die Aufhebung der Leibeigenschaft, ohne etwas gegen die Zarengewalt einzuwenden und im Glauben an den Zaren. Die Arbeiter sind vor allem und hauptsächlich gegen die Regierung; sie sehen, dass ihre Rechtlosigkeit gegenüber der Polizeiwillkür ihnen in ihrem Kampf gegen die Kapitalisten die Hände bindet. Die Arbeiter fordern daher Befreiung von der Willkür der Regierung und ihren Exzessen. Auch die Arbeiter befinden sich „vor der Befreiung" im Zustand der Erregung, doch wird das die Befreiung des ganzen Volkes sein, das seine politische Freiheit dem Despotismus entreißt.

Wisst ihr, mit welcher gewaltigen Reform man die Unzufriedenheit der Arbeiter beseitigen und wie man ihnen den „staatlichen Schutz" angedeihen lassen will? Wenn man ziemlich hartnäckigen Gerüchten glauben darf, so geht eben ein Kampf zwischen Finanz- und Innenministerium vor sich: dieses verlangt, dass die Fabrikinspektion ihm unterstellt werde, und versichert, dass es dann den Kapitalisten gegenüber weniger nachsichtig sein und sich mehr um die Arbeiter kümmern würde, um auf diese Weise Unruhen zu verhüten. Mögen sich die Arbeiter auf diese neue Zarenhuld vorbereiten: die Fabrikinspektoren werden neue Uniformen anziehen und (wahrscheinlich mit erhöhtem Gehalt) einem anderen Ressort überwiesen werden, und zwar demselben Ressort, das sich schon so lange und so liebevoll (zumal das Polizeidepartement) um die Arbeiter sorgt.

1 Das von Lenin erwähnte Zirkular der „Hauptverwaltung für Presseangelegenheiten", vom 2. Mai 1901, ist in der Notiz „Sankt-Petersburg" in der Rubrik: „Aus unserem politischen Leben" („Iskra" Nr. 6, Juli 1901) enthalten. Das Zirkular wurde den Redaktionen der Zeitungen und Zeitschriften übersandt, nachdem in der Zeitung „Nowoje Wremja" der Artikel „Die Arbeiterunruhen" erschienen war.

2 „Moskowskije Wjedomosti" – eine der ältesten russischen Zeitungen, die zu Beginn (von 1756 ab) von der Moskauer Universität als kleines Blatt herausgegeben wurde. Um die Hälfte des vorigen Jahrhunderts wurde das Blatt zum Organ der reaktionärsten Kreise des feudalen Adels, von 1863 ab wurde es von dem ultrareaktionären und jeder leisesten fortschrittlichen Regung des sozialen Gedankens mit wütender Feindschaft gegenüberstehenden M. N. Katkow redigiert, später von Gringmut, der alle Maßnahmen der Regierung zum Schutze und zur Festigung des Absolutismus und zur Unterdrückung jeder gesellschaftlichen Bewegung billigte. Die Zeitung „Moskowskije Wjedomosti" existierte bis zur Oktoberrevolution.

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