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Wladimir I. Lenin 19010500 Womit beginnen?

Wladimir I. Lenin: Womit beginnen?1

[„Iskra" Nr. 4, Mai 1901. Nach Sämtliche Werke, Band 4.1, Wien-Berlin 1928, S. 122-131]

Die Frage: „Was tun?" drängt sich in den letzten Jahren den russischen Sozialdemokraten mit besonderer Stärke auf. Es handelt sich dabei nicht um die Wahl des Weges (wie das zu Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre der Fall war), sondern darum, welche praktischen Schritte zu unternehmen sind, und wie wir sie auf dem uns bekannten Wege tun sollen. Es handelt sich um das System und den Plan der praktischen Tätigkeit. Und man muss anerkennen, dass diese für eine praktisch arbeitende Partei grundlegende Frage nach dem Charakter und den Methoden des Kampfes bei uns immer noch ungelöst ist, noch immer ernste Meinungsverschiedenheiten hervorruft, die eine bedauerliche Unsicherheit und ein Schwanken im Denken offenbaren. Einerseits ist die „ökonomische" Richtung, die die Arbeit der politischen Organisation und Agitation beschneiden und einengen will, noch lange nicht tot. Andererseits erhebt nach wie vor stolz ihr Haupt die Richtung eines prinzipienlosen Eklektizismus, die sich jeder neuen „Strömung" anpasst, die es nicht versteht, die Erfordernisse des Augenblicks von den Grundaufgaben und den ständigen Bedürfnissen der Bewegung in ihrer Gesamtheit zu unterscheiden. Bekanntlich hat sich diese Richtung in der Zeitung „Rabotscheje Djelo" ihr Nest gebaut. Ihre letzte „programmatische" Erklärung – ein hochtrabender Artikel unter dem hochtrabenden Titel „Ein historischer Wendepunkt" (Nummer 6 der „Blätter des Rabotscheje Djelo") – bestätigt besonders anschaulich die eben gegebene Charakteristik. Gestern noch liebäugelte man mit dem „Ökonomismus", empörte man sich über die entschiedene Verurteilung der „Rabotschaja Mysl", „milderte" man die Plechanowsche Stellung der Frage des Kampfes gegen den Absolutismus2, – heute zitiert man bereits die Worte Liebknechts: „Wenn die Umstände sich in 24 Stunden ändern, so muss sich auch die Taktik in 24 Stunden ändern", heute spricht man bereits von einer „starken Kampforganisation" zur direkten Attacke, zum Sturm auf den Absolutismus, von einer „umfassenden, revolutionären politischen (wie energisch: – sowohl revolutionären als auch politischen!) Agitation in der Masse", von „unermüdlichen Aufrufen zu Straßenprotesten", von der „Veranstaltung von Straßenkundgebungen" streng (sie!) politischen Charakters usw. usw.

Wir könnten freilich unsere Zufriedenheit darüber zum Ausdruck bringen, dass das „Rabotscheje Djelo" das von uns schon in der ersten Nummer der „Iskra" aufgestellte Programm zur Schaffung einer straff organisierten Partei, die auf die Eroberung nicht nur einzelner Zugeständnisse, sondern der Zwingburg des Absolutismus selbst gerichtet ist, sich so rasch angeeignet hat, aber das Fehlen eines jeden festen Standpunktes bei diesen Leuten ist imstande, einem das ganze Vergnügen zu verderben.

Auf den Namen Liebknechts beruft sich das „Rabotscheje Djelo" natürlich vergebens. Man kann in 24 Stunden die Taktik der Agitation in Bezug auf irgendeine besondere Frage ändern, z. B. die Taktik der Durchführung irgend eines Details der Parteiorganisation; aber in 24 Stunden, ja meinetwegen sogar in 24 Monaten seine Anschauung zu ändern darüber, ob eine Kampforganisation und eine politische Agitation in den Massen überhaupt, ob sie immer und unbedingt notwendig sei – das können nur Leute ohne jedes feste Prinzip. Es ist lächerlich, sich auf die Verschiedenheit der Verhältnisse, auf einen Wechsel der Zeiten zu berufen: an der Schaffung einer Kampforganisation zu arbeiten, politische Agitation zu treiben, ist eine Notwendigkeit in jeder beliebigen, auch der „eintönigsten, friedlichsten" Lage, auch in der Periode eines wie immer großen Niedergangs des revolutionären Geistes; mehr als das: gerade in einer solchen Lage und in solchen Perioden ist die genannte Arbeit besonders notwendig, denn in den Momenten der Ausbrüche und der Entladungen ist es schon zu spät, eine Organisation zu schaffen; sie muss bereitstehen, um auf einen Schlag ihre Tätigkeit entfalten zu können. „In 24 Stunden die Taktik ändern!" Um die Taktik zu ändern, muss man vor allem eine Taktik haben, wenn aber keine straffe, im politischen Kampf unter allen Verhältnissen und in allen Perioden erprobte Organisation vorhanden ist, dann kann auch keine Rede sein von jenem systematischen, durch feste Prinzipien beleuchteten und unbeirrt durchgeführten Tätigkeitsplan, der einzig und allein die Bezeichnung Taktik verdient. In der Tat, man überlege: jetzt sagt man bereits, dass der „historische Moment" unsere Partei vor eine „völlig neue" Frage stelle – die Frage des Terrors. Gestern war die Frage der politischen Organisation und Agitation „völlig neu" – heute ist es die Frage des Terrors. Ist es nicht seltsam, zu hören, wie Leute, die in solchem Maße ihre Vergangenheit vergessen haben, über grundlegende Änderungen der Taktik diskutieren.

Glücklicherweise ist „Rabotscheje Djelo" im Unrecht. Die Frage des Terrors ist durchaus keine neue Frage, und wir brauchen nur an die feststehenden Ansichten der russischen Sozialdemokraten in dieser Frage zu erinnern.

Grundsätzlich haben wir den Terror nie abgelehnt und können wir ihn nicht ablehnen. Er ist eine der Kriegshandlungen, die in einem bestimmten Augenblick des Gefechts, bei einem bestimmten Zustand des Heeres und unter bestimmten Verhältnissen durchaus tauglich und sogar notwendig sein kann. Das Wesen der Sache aber besteht darin, dass der Terror gegenwärtig keineswegs in den Vordergrund geschoben wird als eine der Operationen einer kämpfenden Armee, die mit dem gesamten Kampfsystem eng verbunden und koordiniert ist, sondern als ein selbständiges und von jeder Armee unabhängiges Mittel des Einzelüberfalls. Ja, bei dem Fehlen einer zentralen und der Schwäche der örtlichen revolutionären Organisationen kann der Terror auch nichts anderes sein. Eben deshalb erklären wir entschieden, dass ein solches Kampfmittel unter den gegebenen Umständen unzeitgemäß und unzweckmäßig ist, dass es die aktivsten Kämpfer von ihrer wirklichen, für das Interesse der Gesamtbewegung wichtigsten Aufgabe ablenkt und nicht die Kräfte der Regierung, sondern der Revolution desorganisiert. Man rufe sich die letzten Ereignisse ins Gedächtnis: wir sehen, wie die breiten Massen der städtischen Arbeiter und des „niederen Volkes" der Städte vor Kampflust brennen, es zeigt sich aber, dass die Revolutionäre nicht über einen Stab von Leitern und Organisatoren verfügen. Birgt nicht unter solchen Bedingungen die Abwanderung der energischsten Revolutionäre zum Terror die Gefahr in sich einer Schwächung der Streitkräfte, auf die einzig und allein man ernstliche Hoffnungen setzen kann? Droht dies nicht, die Verbindung zu zerreißen zwischen den revolutionären Organisationen und jenen zersplitterten Massen der Unzufriedenen, Protestierenden und Kampfwilligen, deren Schwäche gerade in ihrer Zersplitterung besteht? In dieser Verbindung liegt aber die einzige Gewähr für unseren Erfolg. Wir sind weit entfernt von dem Gedanken, einzelnen heldenmütigen Taten jede Bedeutung abzusprechen, aber es ist unsere Pflicht, mit aller Energie davor zu warnen, sich am Terror zu berauschen, ihn als wichtigstes und hauptsächlichstes Kampfmittel anzuerkennen, wozu heute sehr viele Revolutionäre so stark neigen. Der Terror kann nie eine alltägliche Kriegshandlung werden: im besten Fall eignet er sich nur als eine der Methoden des entscheidenden Sturmangriffs. Es fragt sich, ob wir im gegebenen Moment zu solchem Sturmangriff aufrufen können? „Rabotscheje Djelo" bejaht augenscheinlich diese Frage. Wenigstens ruft es aus: „Bildet Sturmkolonnen!" Aber wiederum ist hier der Eifer größer als der Verstand. Die Hauptmasse unserer militärischen Kräfte sind Freiwillige und Aufständische. An stehendem Heer besitzen wir nur wenige, kleine Trupps, und auch diese sind nicht mobilisiert, miteinander nicht verbunden, nicht dazu ausgebildet, militärische Kolonnen überhaupt, geschweige denn Sturmkolonnen zu bilden. Unter solchen Bedingungen muss es für jeden klar sein, der fähig ist, die allgemeinen Bedingungen unseres Kampfes zu überblicken, ohne sie bei jeder „Wendung" der historischen Ereignisse zu vergessen, dass unsere Parole im gegebenen Moment nicht lauten kann: „Auf zum Sturm!", sondern: „regelrechte Belagerung der feindlichen Festung". Mit anderen Worten: es kann nicht die unmittelbare Aufgabe unserer Partei sein, alle vorhandenen Kräfte jetzt schon zu einem Angriff aufzurufen; sie muss vielmehr bestehen in der Aufforderung, eine revolutionäre Organisation zu schaffen, die fähig wäre, alle Kräfte zu vereinigen und die Bewegung nicht nur dem Namen nach, sondern tatsächlich zu leiten, d. h. stets bereit zu sein zur Unterstützung eines jeden Protestes und revolutionären Ausbruches, die ausgenützt werden müssen zur Vermehrung und Stärkung der für den entscheidenden Kampf tauglichen Streitkräfte.

Die Lehre der Februar- und Märzereignisse ist so eindringlich, dass man jetzt schwerlich auf prinzipielle Einwände gegen eine solche Schlussfolgerung stoßen kann. Aber von uns wird gegenwärtig nicht eine prinzipielle, sondern eine praktische Entscheidung der Frage verlangt. Erforderlich ist nicht allein, sich klar darüber zu werden, welche Organisation und für welche Arbeit sie notwendig ist – erforderlich ist auch, einen bestimmten Plan der Organisation auszuarbeiten, damit von allen Seiten an ihren Aufbau herangegangen werden kann. In Anbetracht der unaufschiebbaren Dringlichkeit der Frage entschließen wir uns, von uns aus den Genossen den Entwurf eines Planes zu unterbreiten, den wir in einer Broschüre, die für den Druck vorbereitet wird, ausführlicher entwickeln wollen.

Unserer Meinung nach muss der Ausgangspunkt unserer Tätigkeit, der erste praktische Schritt zur Schaffung der erwünschten Organisation, der Leitfaden schließlich, an Hand dessen wir die Organisation unbeirrt entwickeln, vertiefen und erweitern können, – die Schaffung einer zentralen politischen Zeitung sein. Wir brauchen vor allem eine Zeitung – ohne sie ist die systematische Durchführung einer grundsätzlichen konsequenten und allseitigen Propaganda und Agitation unmöglich, die die ständige und wichtigste Aufgabe der Sozialdemokratie im Allgemeinen und eine besonders dringliche Aufgabe des gegenwärtigen Moments darstellt, wo das Interesse für Politik, für Fragen des Sozialismus in den breitesten Bevölkerungsschichten wach geworden ist. Niemals noch machte sich mit solcher Kraft wie heute das Bedürfnis geltend, die zersplitterte Agitation durch persönliche Einwirkung, durch örtliche Flugblätter, Broschüren usw. zu ergänzen durch die verallgemeinerte und regelmäßige Agitation, die nur mit Hilfe einer periodischen Presse möglich ist. Man darf wohl ohne Übertreibung sagen, dass das mehr oder weniger häufige und regelmäßige Erscheinen einer Zeitung (und ihre Verbreitung) als genauestes Maß dafür dienen kann, wie solide wir diesen ursprünglichsten und wichtigsten Zweig unserer Kriegstätigkeit ausgebaut haben. Ferner brauchen wir eben eine allgemein-russische Zeitung. Wenn wir es nicht verstehen, und solange wir es nicht verstehen, unsere Einwirkung auf das Volk und auf die Regierung mit Hilfe des gedruckten Wortes zusammenzufassen, wird der Gedanke an die Vereinheitlichung anderer, komplizierterer, schwierigerer, dafür aber entscheidenderer Mittel der Beeinflussung eine Utopie sein. Unsere Bewegung leidet sowohl in ideeller als auch in praktischer, organisatorischer Hinsicht vor allem unter ihrer Zersplitterung, unter dem Umstand, dass die übergroße Mehrheit der Sozialdemokraten fast gänzlich absorbiert wird von der rein örtlichen Arbeit, durch die sowohl ihr Gesichtskreis als auch der Umfang ihrer Tätigkeit, ihre konspirative Geschicklichkeit und Schulung beschränkt werden. Eben in dieser Zersplitterung müssen die tiefsten Wurzeln jener Unsicherheit und jenes Schwankens gesucht werden, die wir oben erwähnt haben. Und der erste Schritt auf dem Wege zur Beseitigung dieses Fehlers, auf dem Wege zur Verwandlung mehrerer örtlicher Bewegungen in eine einheitliche allgemein-russische Bewegung, muss die Gründung einer allgemein-russischen Zeitung sein. Schließlich brauchen wir unbedingt eine politische Zeitung. Ohne ein politisches Organ ist im heutigen Europa eine Bewegung, die den Namen einer politischen Bewegung verdient, undenkbar. Ohne sie ist unsere Aufgabe – alle Elemente der politischen Unzufriedenheit und des Protestes zu konzentrieren und mit ihnen die revolutionäre Bewegung des Proletariats zu befruchten – absolut undurchführbar. Wir haben den ersten Schritt getan, wir haben in der Arbeiterklasse die Leidenschaft für „ökonomische" Enthüllungen der Übelstände in den Fabriken geweckt. Wir müssen den nächsten Schritt tun und in allen einigermaßen denkenden Volksschichten die Leidenschaft für politische Enthüllungen wecken. Man darf sich nicht dadurch abschrecken lassen, dass die politisch anklagenden Stimmen heute so schwach, selten und zaghaft sind. Der Grund hierfür liegt durchaus nicht darin, dass sich die Massen mit der Polizeiwillkür abgefunden hätten. Der Grund ist der, dass die Leute, die fähig und bereit sind zu enthüllen und anzuklagen, keine Tribüne haben, von der herab sie sprechen könnten, dass kein Auditorium vorhanden ist, das den Rednern leidenschaftlich zuhört und sie ermuntert, dass sie nirgends im Volke die Kraft sehen, an die sich mit einer Anklage gegen die „allmächtige" russische Regierung zu wenden der Mühe wert wäre. Jetzt aber ändert sich all das mit ungeheurer Geschwindigkeit. Eine solche Kraft ist vorhanden, das ist das revolutionäre Proletariat, das bereits seine Bereitwilligkeit gezeigt hat, die Aufforderung zum politischen Kampf nicht nur zu hören und zu unterstützen, sondern sich auch mutig in den Kampf zu stürzen. Wir sind jetzt imstande, und wir sind verpflichtet, eine Tribüne zu schaffen, die die Aufgabe hat, die Zarenregierung vor dem ganzen Volke zu entlarven, – eine solche Tribüne muss die sozialdemokratische Zeitung sein. Die russische Arbeiterklasse bekundet – zum Unterschied von den übrigen Klassen und Schichten der russischen Gesellschaft – ein ständiges Interesse für politisches Wissen; in ihr ist ständig (und nicht nur zu Zeiten besonderer Erregung) eine ungeheuer starke Nachfrage nach illegaler Literatur lebendig. In Anbetracht einer solchen Massennachfrage, in Anbetracht der bereits begonnenen Heranbildung erfahrener revolutionärer Führer, in Anbetracht der Konzentration der Arbeiterklasse in den Arbeitervierteln der Großstadt, in der Arbeitersiedlung, in der kleinen Fabrikstadt, die sie dort tatsächlich zum Herrn der Lage macht, ist die Herausgabe einer politischen Zeitung eine Sache, der das Proletariat durchaus gewachsen ist. Durch Vermittlung des Proletariats wird die Zeitung in die Reihen des städtischen Kleinbürgertums, der Heimgewerbetreibenden und Bauern eindringen und so zu einer wirklichen politischen Volkszeitung werden.

Die Rolle der Zeitung beschränkt sich jedoch nicht allein auf die Verbreitung von Ideen, nicht allein auf die politische Erziehung und die Gewinnung politischer Bundesgenossen. Die Zeitung ist nicht nur ein kollektiver Propagandist und kollektiver Agitator, sondern auch ein kollektiver Organisator. In dieser Beziehung kann sie mit einem Gerüst verglichen werden, das um ein im Bau befindliches Gebäude errichtet wird; es zeigt die Umrisse des Gebäudes an, erleichtert die Verbindung zwischen den einzelnen Bauarbeitern, hilft ihnen, die Arbeit zu verteilen und die allgemeinen Resultate zu überblicken, die durch organisierte Arbeit erreicht worden sind. Mit Hilfe der Zeitung und im Zusammenhang mit ihr wird sich ganz von selbst eine beständige Organisation herausbilden, die sich nicht nur mit örtlicher, sondern auch mit regelmäßiger allgemeiner Arbeit befasst, die ihre Mitglieder lehrt, die politischen Ereignisse aufmerksam zu verfolgen, deren Bedeutung und Einfluss auf die verschiedenen Bevölkerungsschichten richtig zu bewerten, zweckmäßige Methoden herauszuarbeiten, durch die die revolutionäre Partei auf diese Ereignisse einwirken kann. Schon allein die technische Aufgabe – die richtige Versorgung der Zeitung mit Material und ihre gute Verbreitung – zwingt dazu, ein Netz von örtlichen Vertrauensleuten der einheitlichen Partei zu schaffen, von Vertrauensleuten, die lebendige Beziehungen zueinander unterhalten, die mit der allgemeinen Lage der Dinge vertraut sind, die sich daran gewöhnen, die Teilfunktionen der allgemein-russischen Arbeit regelmäßig auszuführen, die ihre Kräfte an der Organisierung dieser oder jener revolutionären Aktionen erproben. Dieses Netz von Vertrauensleuten* wird das Gerippe der Organisation bilden, die wir brauchen: genügend groß, um das ganze Land zu erfassen; genügend weit verzweigt und vielseitig, um eine strenge und detaillierte Arbeitsteilung durchzuführen; genügend konsequent, um unter allen Umständen, bei jedem „Wendepunkt" und bei allen Überraschungen die eigene Arbeit unbeirrt fortzusetzen, genügend elastisch, um es zu verstehen, einerseits einer offenen Schlacht gegen einen an Kraft überlegenen Gegner, wenn er alle seine Kräfte an einem Punkt gesammelt hat, auszuweichen und andererseits die Schwerfälligkeit dieses Gegners auszunutzen und ihn dann und dort anzugreifen, wo der Überfall am wenigsten erwartet wird. Heute erwächst uns die verhältnismäßig leichte Aufgabe, die Studenten zu unterstützen, die in den Straßen der Großstädte demonstrieren. Morgen wird vielleicht eine schwierigere Aufgabe vor uns stehen, z. B. eine Arbeitslosenbewegung in irgendeinem bestimmten Bezirk zu unterstützen. Übermorgen müssen wir auf dem Posten sein, um an einem Aufruhr der Bauern revolutionären Anteil zu nehmen. Heute müssen wir die Verschärfung der politischen Lage ausnutzen, die die Regierung durch ihren Feldzug gegen das Semstwo geschaffen hat. Morgen müssen wir die Empörung der Bevölkerung gegen diesen oder jenen toll gewordenen zaristischen Schergen unterstützen und durch Boykott, Aufstachelung, Kundgebungen usw. dazu mithelfen, ihm eine solche Lektion zu verabfolgen, dass er zu einem offenen Rückzug gezwungen wird. Ein solcher Grad von Gefechtsbereitschaft lässt sich nur durch die regelmäßige Tätigkeit eines regulären Heeres erzielen. Und wenn wir unsere Kräfte für die Herausgabe einer allgemeinen Zeitung vereinigen, so wird eine solche Arbeit nicht nur die tüchtigsten Propagandisten schulen und an die Oberfläche tragen, sondern auch die geschicktesten Organisatoren, die talentvollsten politischen Führer der Partei, die imstande sind, im notwendigen Moment die Parole zum entscheidenden Kampf auszugeben und den Kampf zu leiten.

Zum Schluss noch ein paar Worte zur Vermeidung eines möglichen Missverständnisses. Wir haben die ganze Zeit nur von einer systematischen, planmäßigen Vorbereitung gesprochen, doch wollten wir damit keineswegs sagen, dass der Absolutismus einzig und allein durch eine regelrechte Belagerung oder einen organisierten Sturmangriff gestürzt werden kann. Eine solche Auffassung wäre sinnloser Doktrinarismus. Im Gegenteil: es ist vollkommen möglich und historisch weitaus wahrscheinlicher, dass der Absolutismus unter dem Druck eines jener elementaren Ausbrüche oder unvorhergesehener politischer Komplikationen fallen wird, die ständig von allen Seiten her drohen. Aber keine einzige politische Partei kann, ohne in Abenteurertum zu verfallen, ihre Tätigkeit aufbauen auf der Erwartung solcher Ausbrüche und Komplikationen. Wir müssen unseren Weg gehen, unsere systematische Arbeit unbeirrt verrichten, und je weniger wir uns auf Überraschungen verlassen, um so größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass keinerlei „historische Wendepunkte" uns unvorbereitet finden werden.

1 Der Artikel „Womit beginnen?", dessen organisatorische und taktische Ideen später der Arbeit „Was tun?" zugrunde gelegt wurden, war von Axelrod im Manuskript oder im Korrekturabzug nicht durchgesehen worden. Axelrod erklärte Lenin nach der Veröffentlichung des Artikels, dass er, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, den Artikel vorher zu sehen, einige Bedenken gegen die „Skizze zum Entwurf" geäußert haben würde, obgleich übrigens Axelrod sofort hinzufügte, dass „nicht nur der ganze Artikel, sondern insbesondere auch diese ,Skizze' mir sehr gefallen hat" (Brief vom 12. Juni). Der Artikel widersprach jedoch so sehr den traditionellen Vorstellungen, die auf taktischem und noch mehr auf organisatorischem Gebiete herrschten, dass, als J. Newsorow (Steklow), der damals der „Iskra"-Richtung angehörte, einen gegen „Womit beginnen?" gerichteten Artikel unter dem Titel „Womit also beginnen?" der „Sarja" zusandte, die Hälfte der Redaktion (Martow, Potressow, Axelrod) für die Veröffentlichung des Newsorowschen Artikels, allerdings mit einer gleichzeitig erscheinenden kritischen Analyse dieses Artikels, stimmte. Die Stimmen waren gleichmäßig verteilt (Lenin, Sassulitsch und Plechanow hatten dagegen gestimmt) und der Artikel Newsorows wurde nicht veröffentlicht.

Besonders heftige Angriffe rief der Artikel „Womit beginnen?" von Seiten des „Rabotscheje Djelo" hervor (Artikel A. Martynows: „Die Enthüllungsliteratur und der proletarische Kampf" in Nr. 10 des „Rabotscheje Djelo").

Die Broschüre", die Lenin in seinem Artikel erwähnt, ist „Was tun?"

2 Die Redaktion des „Rabotscheje Djelo" brachte eine im Vergleich zur Plechanowschen „gemilderte" Formulierung der Frage des Kampfes gegen den Absolutismus in ihrer „Antwort auf den Brief P. Axelrods und auf das Vademecum G. Plechanows" (Genf 1900). Die Redaktion des „Rabotscheje Djelo", die in jeder Weise bemüht war, Axelrod gegenüber den Nachweis zu erbringen, dass die Meinungsverschiedenheiten zwischen den „jungen" Sozialdemokraten und der Gruppe „Befreiung der Arbeit" ausschließlich organisatorische Fragen beträfen und nichts zu tun hätten mit der „antipolitischen Strömung" (d. h. dem Ökonomismus), war jedoch gezwungen, das Vorhandensein von Meinungsverschiedenheiten „programmatisch-taktischer" Natur festzustellen, die aber angeblich nur „verhältnismäßig nebensächliche" Fragen betrafen. Unter den von der Redaktion des „Rabotscheje Djelo" aufgezählten Meinungsverschiedenheiten mit der Gruppe „Befreiung der Arbeit" in „verhältnismäßig nebensächlichen", in Wirklichkeit aber prinzipiellen Fragen befand sich auch die Frage des Kampfes der Arbeiterklasse gegen den Absolutismus. Das Programm der Gruppe, das im Jahre 1885 erschien, formulierte die Aufgaben des Proletariats auf diesem Gebiete folgendermaßen: „Darum wird der Kampf gegen ihn (den Absolutismus) zur Pflicht auch jener Arbeiterzirkel, die jetzt die Keimzellen der künftigen russischen Arbeiterpartei darstellen. Die Niederwerfung des Absolutismus muss ihre erste politische Aufgabe sein." Dieses Prinzip der Gruppe „Befreiung der Arbeit" wurde vom „Rabotscheje Djelo" einer Kritik, einer Revision und einer opportunistischen Korrektur unterzogen. „Unseres Erachtens – erklärte die Redaktion des ,Rabotscheje Djelo' – kann die Niederwerfung des Absolutismus nicht die erste politische Aufgabe der Arbeiterzirkel sein." Die Arbeiterzirkel sind politischen Aufgaben im wirklichen, praktischen Sinne dieses Wortes, d. h. im Sinne eines zweckmäßigen und erfolgreichen Kampfes für politische Forderungen, überhaupt nicht gewachsen. Dadurch wurde der Kampf gegen den Absolutismus in die Ferne gerückt und hörte auf, die Hauptaufgabe der Arbeiterklasse für die nächste historische Periode zu sein.

* Selbstverständlich könnten solche Vertrauensleute nur unter der Bedingung engster Fühlung mit den Ortskomitees (Gruppen, Zirkeln) unserer Partei erfolgreich arbeiten. Und überhaupt kann der ganze von uns entworfene Plan nur bei aktivster Unterstützung durch die Komitees verwirklicht werden, die schon mehrfach Schritte zur Einigung der Partei getan haben, und die – davon sind wir überzeugt – diese Einigung wenn nicht heute, dann morgen, wenn nicht in dieser, dann in einer anderen Form erreichen werden.

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