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Wladimir I. Lenin 19020900 Brief an einen Genossen über unsere organisatorischen Aufgaben

Wladimir I. Lenin: Brief an einen Genossen über unsere organisatorischen Aufgaben1

[Geschrieben im September 1902 Zum ersten Mal als Sonderbroschüre gedruckt im Januar 1904, in Genf, im Verlag des ZK der SDAPR. Nach Sämtliche Werke, Band 5, Wien-Berlin 1930, S. 251-272]

Lieber Genosse! Mit Vergnügen erfülle ich Ihre Bitte, an Ihrem Entwurf zur „Organisation der St. Petersburger revolutionären Partei" Kritik zu üben. (Sie hatten wahrscheinlich die Organisierung der Petersburger Arbeit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands im Auge.) Die von Ihnen aufgeworfene Frage ist so wichtig, dass sich an ihrer Erörterung alle Mitglieder des Petersburger Komitees und sogar alle russischen Sozialdemokraten überhaupt beteiligen müssen.

Vor allem will ich feststellen: ich bin vollkommen damit einverstanden, dass Sie die frühere („bündlerische", wie Sie sie nennen) Organisation des „Kampfbundes" für untauglich erklären. Sie weisen auf das Fehlen einer ernsten Vorbereitung und revolutionären Erziehung bei den vorgeschrittenen Arbeitern hin und auf das sogenannte Wahlsystem, das die „Rabotscheje Djelo"-Leute unter Berufung auf die „demokratischen" Grundsätze so stolz und hartnäckig verteidigen, ferner auf die Ausschließung der Arbeiter von einer wirklichen Betätigung.

Ja, so ist es: 1. das Fehlen einer ernsten Vorbereitung und revolutionären Schulung (nicht nur bei den Arbeitern, sondern auch bei den Intellektuellen), 2. eine unangebrachte und übermäßige Anwendung des Wahlgrundsatzes und 3. die Ausschließung der Arbeiter von der wirklichen revolutionären Tätigkeit, – darin besteht tatsächlich der Hauptmangel nicht nur der St. Petersburger, sondern auch vieler anderer örtlicher Organisationen unserer Partei. Ich teile vollständig Ihre Grundauffassung der organisatorischen Aufgaben und schließe mich auch Ihrem Organisationsentwurf an, soweit seine Hauptzüge mir aus Ihrem Brief klar geworden sind.

Und zwar bin ich vollkommen Ihrer Ansicht, dass die Aufgaben der allgemeinen russischen Arbeit und der gesamten Partei überhaupt besonders betont werden müssen; bei Ihnen kommt das darin zum Ausdruck, dass der erste Punkt Ihres Entwurfs lautet: „Die leitende Stelle der Partei (und nicht nur eines Komitees oder Bezirks) ist die Zeitung „Iskra", die ständige Berichterstatter unter den Arbeitern hat und mit der inneren Arbeit der Organisation eng verbunden ist". Ich möchte nur bemerken, dass die Zeitung der ideologische Führer der Partei sein kann und muss, dass sie die theoretischen Wahrheiten und die taktischen Grundsätze, die allgemeinen organisatorischen Gedanken, die allgemeinen Aufgaben der gesamten Partei in diesem oder jenem Augenblick zu entwickeln hat. Die unmittelbare praktische Führung der Bewegung aber kann nur in den Händen einer besonderen zentralen Gruppe liegen (nennen wir sie z. B. Zentralkomitee), die mit allen Komitees persönlich in Verbindung steht, alle besten revolutionären Kräfte der russischen Sozialdemokraten in sich aufnimmt und über alle allgemeinen Parteiangelegenheiten zu entscheiden hat, wie z. B. über die Verteilung von Literatur, die Herausgabe von Flugblättern, die Verteilung der Kräfte, die Betrauung von Einzelnen und Gruppen mit der leitenden Arbeit in besonderen Betrieben, die Vorbereitung der Demonstrationen im Reichsmaßstabe und des Aufstandes usw. Angesichts der Notwendigkeit strengster Konspiration und der Wahrung der Stetigkeit der Bewegung kann und muss unsere Partei zwei führende Zentren haben: das ZO (Zentralorgan) und das ZK (Zentralkomitee). Das erste muss die ideologische, das zweite die unmittelbare und praktische Führung in Händen haben. Die Einheit der Aktion und die notwendige Verbundenheit dieser Gruppen müssen nicht nur durch das einheitliche Parteiprogramm, sondern auch durch die Zusammensetzung beider Gruppen (es ist erforderlich, dass in beiden Gruppen, im ZO sowohl wie im ZK, Leute sitzen, die in vollkommener Eintracht zusammenarbeiten) und durch die Veranstaltung regelmäßiger und ständiger Besprechungen dieser Gruppen gesichert sein. Erst dann wird einerseits das ZO dem Wirkungsbereich der russischen Gendarmen entrückt und ihm ein konsequentes Verhalten und Stetigkeit gesichert sein, – anderseits wird das ZK stets in allen wesentlichen Fragen mit dem ZO einverstanden sein und genug Freiheit haben, über die gesamte praktische Seite der Bewegung unmittelbar Verfügungen zu treffen.

Es wäre darum wünschenswert, dass der erste Punkt des Statuts (gemäß Ihrem Entwurf) nicht nur darauf hinweist, welches Parteiorgan als führend anerkannt wird (das ist natürlich ein notwendiger Hinweis); es müsste auch darauf hingewiesen werden, dass jede Ortsorganisation es sich zur Aufgabe macht, an der Schaffung, Unterstützung und Festigung der leitenden Stellen mitzuarbeiten, ohne die unsere Partei als Partei nicht bestehen kann.

Weiter sagen Sie im zweiten Punkt vom Komitee, dass es „die Führung über die Ortsorganisation innehaben muss" (vielleicht wäre es besser, zu sagen: „über die gesamte örtliche Arbeit und alle örtlichen Organisationen der Partei", aber ich will mich bei den Einzelheiten der Fassung nicht aufhalten), und dass es sowohl aus Arbeitern wie aus Intellektuellen bestehen müsse, dass aber die Teilung in zwei Komitees schädlich sei. Das ist durchaus und unbedingt richtig. Es kann nur ein Komitee der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands geben, und es müssen ihm vollkommen zielbewusste Sozialdemokraten angehören, die der sozialdemokratischen Tätigkeit ihre ganze Kraft widmen. Man muss sich ganz besonders darum bemühen, dass möglichst viele Arbeiter zu vollkommen klassenbewussten Berufsrevolutionären werden und ins Komitee kommen.* Besteht ein einheitliches und nicht zwiespältiges Komitee, so gewinnt die Forderung, dass die Komiteemitglieder viele Arbeiter persönlich kennen sollen, besondere Bedeutung. Um die Führung über all das in Händen zu haben, was in der Arbeiterschaft vor sich geht, muss man die Möglichkeit haben, überall hin zu gelangen, muss man sehr viele Arbeiter kennen, alle Mittel und Wege usw. wissen. Darum müssen dem Komitee nach Möglichkeit alle Hauptführer der Arbeiterbewegung aus der Mitte der Arbeiter selbst angehören, das Komitee muss die örtliche Bewegung auf allen Gebieten leiten und alle örtlichen Einrichtungen, Kräfte und Mittel der Partei verwalten. Sie sagen nichts darüber, wie das Komitee gebildet werden muss, – wahrscheinlich werden wir auch hier miteinander darüber übereinstimmen, dass hierfür kaum besondere Regeln erforderlich sind. Wie das Komitee zusammenzustellen ist, – das ist schon Sache der Sozialdemokraten in den einzelnen Orten. Vielleicht könnte man nur darauf hinweisen, dass das Komitee auf Beschluss der Mehrheit (oder Zweidrittelmehrheit usw.) seiner Mitglieder ergänzt wird, dass das Komitee dafür zu sorgen hat, dass sein Verbindungsmaterial an einem (in revolutionärer Beziehung) zuverlässigen und (in politischer Beziehung) sicheren Ort aufbewahrt wird, dass es ferner von vornherein für Ersatzmitglieder Sorge zu tragen hat. Wenn wir ein ZO und ein ZK haben werden, dann dürfen neue Komitees nur unter ihrer Mitwirkung und mit ihrer Zustimmung gebildet werden. Die Zahl der Komiteemitglieder soll nach Möglichkeit nicht sehr groß sein (damit man Mitglieder nehmen kann, die besser geschult sind und sich ganz auf den revolutionären Beruf geworfen haben), doch muss diese Zahl groß genug sein, um alle Gebiete der Arbeit zu erfassen und die gute Beschickung der Konferenzen und die Festigkeit der Beschlüsse zu gewährleisten. Wenn es sich erweisen sollte, dass die Komiteemitglieder ziemlich zahlreich sind und dass es für sie gefährlich ist, häufig zusammenzukommen, – dann könnte man vielleicht aus dem Komitee eine besondere, sehr kleine (sagen wir fünf Leute, oder noch weniger) geschäftsführende Gruppe aussondern, der unbedingt der Sekretär und die Mitglieder, die sich für die praktische Leitung der gesamten Arbeit am besten eignen, angehören müssten. Für diese Gruppe wäre es ganz besonders wichtig, sich für den Fall der Verhaftung Ersatzleute zu sichern, damit die Arbeit keinen Stillstand erleide. Die allgemeinen Zusammenkünfte des Komitees würden die Maßnahmen der geschäftsführenden Gruppe bestätigen, ihre Zusammensetzung bestimmen usw.

Weiterhin schlagen Sie neben dem Komitee folgende, ihm unterstellte Einrichtungen vor: 1. Diskussion (Beratungen der „besten" Revolutionäre), 2. bezirksweise organisierte Zirkel mit 3. jedem von ihnen angegliederten Propagandistenzirkel, 4. Betriebszirkel und 5. „Vertreterversammlungen" von Delegierten der Betriebszirkel des betreffenden Bezirks. Ich bin ganz wie Sie der Meinung, dass alle weiteren Einrichtungen (und es muss außer den von Ihnen genannten noch sehr viele und sehr verschiedenartige geben) dem Komitee untergeordnet sein müssen, und dass es Bezirksgruppen (für sehr große Städte) und Betriebsgruppen (stets und überall) geben muss. In einigen Einzelheiten aber bin ich, wie mir scheint, mit Ihnen nicht einverstanden. Was z. B. die „Diskussion" anbelangt, so denke ich, dass diese Einrichtung überhaupt überflüssig ist. Alle „besten Revolutionäre" müssen dem Komitee angehören oder besondere Funktionen ausüben (Druckerei, Transport, Wanderagitation, Organisation z. B. eines Passbüros oder von Stoßtrupps zum Kampf gegen Spione und Lockspitzel, oder von Gruppen im Heer usw.).

Beratungen" werden sowohl im Komitee als auch in jedem Bezirk stattfinden, in jedem Betriebszirkel, Propagandistenzirkel, Gewerkschaftszirkel (der Weber, Mechaniker, Lederarbeiter u. a.), Studentenzirkel, Literatenzirkel usw. Wozu die Einrichtung von besonderen Beratungen?

Weiter. Sie haben vollständig recht, wenn Sie verlangen, dass „allen, die es wünschen", die Möglichkeit gegeben werde, unmittelbar an die „Iskra" Berichte zu senden. Nur darf man dieses „Unmittelbar" nicht so verstehen, dass man „allen, die es wünschen", die Adresse der Redaktion mitteilt und Zutritt zu ihr gibt, sondern es ist so aufzufassen, dass der Redaktion die Briefe von allen, die es wünschen, zu übergeben (oder zu übersenden) sind. Die Adressen müssen zwar einem ziemlich breiten Kreis zugänglich gemacht werden, doch nicht allen denen, die es wünschen, sondern nur Revolutionären, die zuverlässig sind und sich durch konspirative Geschicklichkeit auszeichnen, – vielleicht auch nicht nur eine Adresse auf jeden Bezirk, wie Sie es vorschlagen, sondern mehrere; ferner ist es notwendig, dass alle, die an der Arbeit teilnehmen, dass alle Zirkel das Recht haben, ihre Beschlüsse, Wünsche, Anfragen sowohl dem Komitee als auch dem ZO und dem ZK zur Kenntnis zu bringen. Wenn wir das gewährleisten, so werden wir die Teilnahme aller Parteiarbeiter an den Beratungen erreichen, ohne so schwerfällige und unkonspirative Einrichtungen zu schaffen, wie es die „Diskussion" ist. Natürlich muss man außerdem noch bemüht sein, persönliche Besprechungen von möglichst vielen aktiven Parteigenossen zu veranstalten, – aber das ist ja eine Frage der Konspiration. Allgemeine Versammlungen und Zusammenkünfte sind in Russland nur ab und zu in Ausnahmefällen möglich, und man muss außerordentlich vorsichtig sein, wenn man zu diesen Versammlungen „die besten Revolutionäre" heranzieht, denn in allgemeine Versammlungen können sich die Lockspitzel überhaupt leichter einschleichen, für den Spitzel wird es einfacher, einen der Versammlungsteilnehmer zu verfolgen. Ich denke, es wäre vielleicht besser, es so zu machen: wenn es möglich ist, müssen große allgemeine Versammlungen (sagen wir 30 bis 100 Leute) veranstaltet werden (z. B. im Sommer im Wald oder in einer eigens zu diesem Zweck eingerichteten konspirativen Wohnung), dann mag das Komitee einen bis zwei der „besten Revolutionäre" dorthin entsenden und für eine gute Zusammensetzung der Versammlung Sorge tragen, d. h. z. B. dafür sorgen, dass eine möglichst große Zahl zuverlässiger Mitglieder der Betriebszirkel usw. eingeladen wird. Man darf aber solche Versammlungen nicht zu einer festen Einrichtung machen, sie nicht ins Statut einführen, man darf sie nicht regelmäßig veranstalten, man muss es vermeiden, dass alle Versammlungsteilnehmer alle Anwesenden kennen, d. h., dass sie wissen, dass alle Vertreter" von Zirkeln sind usw.; aus diesem Grunde bin ich nicht nur gegen „Diskussionen", sondern auch gegen „Vertreter-Versammlungen". An Stelle dieser beiden Einrichtungen würde ich vorschlagen, beispielsweise folgende Regel aufzustellen. Das Komitee sorgt für die Veranstaltung großer Versammlungen, in denen eine möglichst große Anzahl von Genossen, die an der Bewegung tätig teilnehmen, und von Arbeitern überhaupt anwesend ist. Zeit, Ort, Anlass der Versammlung und ihre Zusammensetzung werden von dem Komitee bestimmt, das für die konspirative Organisierung solcher Unternehmungen verantwortlich ist. Es ist selbstverständlich, dass dadurch der Veranstaltung von Arbeiterversammlungen bei Spaziergängen, im Wald usw., die noch weniger den Charakter ständiger Einrichtungen tragen, keine Hindernisse in den Weg gelegt werden. Vielleicht wäre es noch besser, hiervon im Statut gar nicht zu reden.

Was weiter die Bezirksgruppen anbelangt, so bin ich in dieser Beziehung mit Ihnen vollkommen darüber einig, dass eine ihrer wichtigsten Aufgaben die richtige Organisierung der Literaturverteilung ist. Ich denke, die Bezirksgruppen müssen hauptsächlich die Vermittler sein zwischen den Komitees und den Betrieben, Vermittler und sogar in erster Linie Übermittler. Die konspirative Organisierung eines richtigen Vertriebes der Literatur, die sie vom Komitee erhalten, muss ihre wichtigste Aufgabe sein. Und diese Aufgabe ist im höchsten Grade wichtig, denn wenn man eine regelmäßige Verbindung einer besonderen Bezirksgruppe von Austrägern mit allen Betrieben des Bezirks, mit einer möglichst großen Anzahl von Arbeiterwohnungen des Bezirks sichert, so wird das von ungeheurer Bedeutung sowohl für Demonstrationen als auch für einen Aufstand sein. Eine rasche und richtige Verteilung von Literatur, Flugblättern, Aufrufen usw., einrichten, hierfür ein ganzes Netz von Vertrauensleuten schulen – d. h. den größten Teil der Vorbereitungsarbeiten für künftige Demonstrationen oder für den Aufstand leisten. Im Augenblick der Erregung, des Streiks, der Gärung ist es bereits zu spät, den Literaturvertrieb zu regeln – das kann man nur allmählich lernen, indem man es unbedingt zwei- oder dreimal im Monat tut. Wenn es keine Zeitung gibt, so kann und muss man es mit Flugblättern tun, keineswegs aber darf man diesem Vertriebsapparat gestatten, untätig zu sein. Man muss bestrebt sein, diesen Apparat bis zu einem solchen Grad der Vollkommenheit auszubauen, dass man imstande ist, in einer Nacht die gesamte Bevölkerung St. Petersburgs zu informieren und sie sozusagen auf die Beine zu bringen. Das ist durchaus keine utopische Aufgabe, vorausgesetzt, dass die Flugblätter planmäßig aus dem Zentrum an die engeren Vermittlungszirkel und über sie an die Austräger gelangen. Meines Erachtens sollte man die Funktionen der Bezirksgruppe über ihre Rolle als reine Vermittlungs- und Durchgangsstelle hinaus nicht erweitern, oder richtiger, man sollte es nur mit außerordentlicher Vorsicht tun – es könnte sonst die Konspiration und die Einheitlichkeit der Arbeit gefährdet sein. Beratungen über alle Parteifragen würden natürlich auch in den Bezirkszirkeln stattfinden, Entscheidungen aber über allgemeine Fragen der örtlichen Bewegung darf nur das Komitee treffen. Die Selbständigkeit der Bezirksgruppe sollte nur in Fragen der Technik der Übergabe und der Verbreitung der Literatur zugelassen werden. Die Zusammensetzung der Bezirksgruppe muss vom Komitee bestimmt werden, d. h., das Komitee ernennt ein oder zwei seiner Mitglieder (oder auch Nichtmitglieder) zu Delegierten für den einen oder den anderen Bezirk und beauftragt diese Delegierten, eine Bezirksgruppe zu bilden, deren sämtliche Mitglieder wiederum vom Komitee in ihren Funktionen sozusagen bestätigt werden müssen. Die Bezirksgruppe ist eine Unterabteilung des Komitees, die nur von diesem ihre Vollmachten erhält.

Ich gehe zur Frage der Propagandistenzirkel über. Bei der Armut an propagandistischen Kräften dürfte es wohl kaum möglich und auch kaum wünschenswert sein, sie getrennt in jedem Bezirk einzurichten. Die Propaganda muss von dem gesamten Komitee in einheitlichem Geiste durchgeführt werden, sie muss straff zentralisiert sein, darum stelle ich mir die Sache so vor: das Komitee, beauftragt einige seiner Mitglieder, eine Propagandistengruppe zu bilden (die eine Unterabteilung oder eine Körperschaft des Komitees sein wird). Diese Gruppe, die in konspirativer Beziehung die Dienste der Bezirksgruppen in Anspruch nehmen wird, muss in der ganzen Stadt, in dem ganzen Gebiet, das dem Komitee „unterstellt" ist, Propaganda treiben. Sollte es notwendig sein, so kann diese Gruppe noch Untergruppen bilden und diesen den einen oder den anderen Teil ihrer Funktionen übertragen, das alles aber nur mit Zustimmung des Komitees; das Komitee muss stets und unbedingt das Recht haben, seinen Delegierten in jede Gruppe oder Untergruppe und in jeden Zirkel, der nur irgendwie mit der Bewegung in Berührung steht, zu entsenden.

In der gleichen Weise – als Beauftragte, als Unterabteilungen des Komitees oder seiner Körperschaften – müssen alle die mannigfaltigen Gruppen organisiert sein, die im Dienste der Bewegung stehen – sowohl die Gruppen der Studenten- und der Gymnasialjugend als auch die Gruppen der, sagen wir, der Partei nahestehenden Beamten, die Transport-, Druckerei- und Passgruppen, die Gruppen zur Beschaffung von konspirativen Wohnungen, die Gruppen zur Beobachtung der Spitzel, die Gruppen im Militär, die Gruppen zur Beschaffung von Waffen, die Gruppen zur Einrichtung z. B. eines „gewinnbringenden finanziellen Unternehmens" usw. Die ganze Kunst der konspirativen Organisation muss darin bestehen, jeden und alles auszunutzen, „allen und jedem Arbeit zu geben", gleichzeitig aber die Führung über die gesamte Bewegung aufrechtzuerhalten, und zwar selbstverständlich nicht kraft der Gewalt, sondern kraft des Ansehens, der Tatkraft, der größeren Erfahrung, der größeren Vielseitigkeit, der größeren Begabung. Diese Bemerkung bezieht sich auf den möglichen und üblichen Einwand, dass die straffe Zentralisierung zu leicht die Sache zugrunde richten kann, wenn der Leitung zufällig ein über eine zu große Macht verfügender unfähiger Mensch angehört. Das ist natürlich möglich, aber ein Mittel dagegen kann nicht Wählbarkeit und Dezentralisierung sein, die in der revolutionären Arbeit unter der Herrschaft des Absolutismus in irgendwie breitem Umfange ganz unzulässig und geradezu schädlich sind. Das Mittel dagegen kann durch kein Statut gegeben werden, es kann nur gegeben werden durch Maßnahmen der „kameradschaftlichen Einwirkung", mit Resolutionen aller Untergruppen, mit Schreiben, die sich an das ZO und das ZK richten, und schließlich (im schlimmsten Falle) mit dem Sturz der völlig unfähigen Gewalt. Das Komitee muss sich bemühen, eine möglichst vollständige Arbeitsteilung durchzuführen, eingedenk der Tatsache, dass für verschiedene Seiten der revolutionären Arbeit verschiedene Fähigkeiten erforderlich sind, dass manchmal ein Mensch, der als Organisator völlig unbrauchbar ist, ein unersetzlicher Agitator sein kann, oder ein Mensch, der sich für streng konspirative Arbeit nicht eignet, ein ausgezeichneter Propagandist usw.

Übrigens, was die Propagandisten anbelangt, so möchte ich noch einige Worte über die Überfüllung dieses Berufes mit wenig befähigten Leuten und das durch sie verursachte Sinken der Bedeutung der Propaganda sagen. Bei uns gilt manchmal ganz wahllos jeder Student als Propagandist, und die ganze Jugend verlangt, man solle ihr „einen Zirkel geben" usw. Dagegen müsste man kämpfen, da es sehr viel Schaden anrichtet. Wahrhaft grundsatzfeste und fähige Propagandisten gibt es sehr wenig (man muss viel lernen und Erfahrung sammeln, um ein solcher Propagandist zu werden), und aus diesen Leuten muss man Fachleute machen, sie völlig in Anspruch nehmen und ganz besonders hegen und pflegen. Man muss sie jede Woche mehrere Vorlesungen halten lassen und es verstehen, sie rechtzeitig in andere Städte zu schicken, es muss überhaupt dafür gesorgt werden, dass geschickte Propagandisten verschiedene Städte bereisen. Die Masse der Jugend aber, die eben erst zu arbeiten beginnt, muss man mehr zu praktischen Unternehmungen heranziehen, die bei uns – im Vergleich zu der optimistisch als „Propaganda" bezeichneten Studententätigkeit in den Zirkeln oft vernachlässigt werden. Für ernste praktische Aufgaben ist natürlich ebenfalls eine gründliche Vorbereitung erforderlich, doch ist es hier leichter, auch für „Anfänger" eine Beschäftigung zu finden.

Jetzt zu den Betriebszirkeln. Sie sind für uns besonders wichtig: beruht doch die ganze Hauptkraft der Bewegung auf der Organisation der Arbeiter in Großbetrieben, denn die Großbetriebe (und Fabriken) umfassen nicht nur zahlenmäßig, sondern noch viel mehr dem Einfluss, der Entwicklung, der Kampffähigkeit nach den allerwichtigsten Teil der gesamten Arbeiterklasse. Jeder Betrieb muss unsere Festung sein. Darum aber muss jede „Betriebs"organisation der Arbeiter in ihrem Innern ebenso konspirativ und ebenso „verzweigt" nach außen sein, d. h., sie muss in ihren Beziehungen nach außen ihre Fühler ebenso weit und nach den verschiedensten Richtungen ausstrecken, wie jede revolutionäre Organisation. Ich betone, dass auch hier unbedingt eine Gruppe von revolutionären Arbeitern der Kern und der Führer, der „Herr" sein muss. Mit der Tradition des reinen Arbeiter- oder Gewerkschaftstypus der sozialdemokratischen Organisation müssen wir vollständig auch in den „Betriebs"zirkeln brechen. Die Betriebsgruppe oder das Betriebs (Fabrik)komitee (um es von anderen Gruppen, deren es sehr viele geben muss, abzusondern), muss aus einer sehr kleinen Anzahl von Revolutionären bestehen, die ihre Aufträge und Vollmachten zur Entfaltung der gesamten sozialdemokratischen Arbeit im Betrieb unmittelbar von dem Komitee erhalten. Alle Mitglieder des Betriebskomitees müssen sich als Agenten des Komitees betrachten, die verpflichtet sind, sich allen seinen Maßnahmen zu fügen, die verpflichtet sind, alle „Gesetze und Gewohnheiten" der „kämpfenden Armee", in die sie eingetreten sind und die sie zur Kriegszeit ohne Erlaubnis der vorgesetzten Behörde zu verlassen nicht berechtigt sind, zu beachten. Die Zusammensetzung des Betriebskomitees ist darum von außerordentlich großer Bedeutung, und es muss eine der Hauptsorgen des Komitees sein, diese Unterkomitees richtig zu organisieren. Ich stelle mir die Sache so vor: das Komitee beauftragt dieses oder jenes seiner Mitglieder (plus z. B. diesen oder jenen Arbeiter, der aus irgendeinem Grunde dem Komitee nicht angehört, aber dank seiner Erfahrung, seiner Menschenkenntnis, seinem Verstand und seinen Verbindungen nützlich sein kann), überall Betriebs-Unterkomitees zu bilden. Die Kommission berät sich mit den Betriebsbevollmächtigten, beruft eine Reihe von Zusammenkünften ein, prüft die Kandidaten für die Betriebs-Unterkomitees recht gründlich, unterzieht sie „mit Voreingenommenheit" einem Kreuzverhör, erprobt sie, wenn es notwendig ist, indem sie sie einer Versuchung aussetzt, und bemüht sich hierbei, von den Kandidaten für die Betriebs-Unterkomitees des gegebenen Betriebes eine möglichst große Anzahl selbst und unmittelbar kennen zu lernen und zu prüfen; sie schlägt schließlich dem Komitee vor, diese oder jene Zusammensetzung eines jeden Betriebszirkels zu bestätigen oder diesen oder jenen Arbeiter zu beauftragen, ein ganzes Unterkomitee zusammenzustellen, vorzuschlagen, die Auswahl zu treffen. Auf diese Weise wird das Komitee auch bestimmen, wer von diesen Agenten die Verbindung mit ihm aufrecht zu erhalten und wie er es zu tun hat (nach der allgemeinen Regel – durch die Bezirksbevollmächtigten; doch kann diese Regel auch ergänzt oder abgeändert werden). Angesichts der Wichtigkeit dieser Betriebs-Unterkomitees müssen wir, soweit es möglich ist, danach streben, dass jedes Unterkomitee sowohl eine Adresse hat, durch die es sich an das ZO wenden kann, als auch eine sichere Aufbewahrungsstelle für sein Verbindungsmaterial (d. h., dass Informationen, die zur sofortigen Wiederherstellung des Unterkomitees im Falle von Verhaftungen erforderlich sind, möglichst regelmäßig und ausführlich der Parteileitung zur Aufbewahrung an einer Stelle übermittelt werden, wohin die russischen Gendarmen einzudringen nicht imstande sind). Es ist selbstverständlich, dass diese Adressenübermittlung von dem Komitee auf Grund von bestimmtes Erwägungen und Tatsachen vorgenommen wird, nicht aber auf Grund eines nicht bestehenden Rechts auf „demokratische" Verteilung dieser Adressen. Schließlich ist vielleicht der Vorbehalt nicht überflüssig, dass es manchmal notwendig oder bequemer sein wird, anstatt ein Betriebs-Unterkomitee aus mehreren Mitgliedern zu wählen, sich auf die Ernennung eines Agenten des Komitees (und eines Ersatzmannes) zu beschränken. Sobald das Betriebs-Unterkomitee gebildet ist, muss es zur Schaffung einer ganzen Reihe von Betriebsgruppen und -zirkeln mit verschiedenen Aufgaben, mit verschiedenem Konspirationsgrad und mit mehr oder weniger fest gefügter Form schreiten; so z. B. Zirkel zum Austragen und zur Verbreitung von Literatur (eine der wichtigsten Funktionen, die so geregelt werden muss, dass wir unsere eigene richtige Post haben, dass nicht nur die Methoden der Verbreitung, sondern auch das Austragen in die Wohnungen geprüft und erprobt wird, dass man unbedingt alle Wohnungen und alle ihre Zugänge kennt), Zirkel zum Lesen illegaler Literatur, Zirkel zur Beobachtung der Spitzel**, Zirkel eigens zur Leitung der Gewerkschaftsbewegung und des wirtschaftlichen Kampfes, Zirkel von Agitatoren und Propagandisten, die es verstehen, Gespräche anzuknüpfen und sie lange völlig legal zu führen (über Maschinen, über die Inspektion usw.), damit sie ungefährdet und öffentlich sprechen, die Leute aushorchen und die Verhältnisse auskundschaften können usw.***. Das Betriebs-Unterkomitee muss sich Mühe geben, den ganzen Betrieb oder einen möglichst großen Teil der Arbeiter durch ein Netz von allen möglichen Zirkeln (oder Agenten) zu erfassen. Die große Anzahl dieser Zirkel, die Möglichkeit, einen Wanderpropagandisten in sie einzuführen, vor allem aber die richtige und regelmäßige Arbeit für die Verbreitung der Literatur und für die Beschaffung von Informationen und Berichten muss der Maßstab für die erfolgreiche Tätigkeit des Unterkomitees sein.

Der allgemeine Typus der Organisation muss also, meines Erachtens, folgender Art sein: an der Spitze der gesamten örtlichen Bewegung, der gesamten örtlichen sozialdemokratischen Arbeit steht das Komitee. Von ihm gehen folgende, ihm untergeordnete Einrichtungen und Unterabteilungen aus: erstens ein Netz der ausführenden Agenten, die (nach Möglichkeit) die ganze Arbeitermasse erfassen und als Bezirksgruppen und Betriebs-(Fabrik-) Unterkomitees eingerichtet sind. Diese Agenten werden in friedlichen Zeiten Literatur, Flugblätter, Aufrufe verbreiten und die konspirativen Mitteilungen des Komitees übermitteln; in Zeiten des Kampfes werden sie Demonstrationen und ähnliche kollektive Aktionen organisieren. Zweitens gehen von dem Komitee eine Reihe aller möglichen Zirkel und Gruppen aus, die im Dienste der Gesamtbewegung stehen (Propaganda, Transport, allerhand konspirative Unternehmungen usw.). Alle Gruppen, Zirkel, Unterkomitees usw. müssen als Einrichtungen oder Unterabteilungen des Komitees betrachtet werden. Ein Teil von ihnen wird offen den Wunsch aussprechen, der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands beizutreten, und wird ihr, wenn das Komitee es bestätigt, beitreten, sie werden (im Auftrage des Komitees oder im Einverständnis mit ihm) bestimmte Arbeiten übernehmen und sich verpflichten, sich den Verfügungen der Parteiorgane unterzuordnen, sie werden alle Rechte der Parteimitglieder erhalten und als nächste Kandidaten für das Komitee betrachtet werden usw. Andere Gruppen werden der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands nicht beitreten, ihre Stellung wird weiter die von Zirkeln sein, die von Parteimitgliedern geleitet werden oder die sieh an die eine oder die andere Parteigruppe anlehnen usw.

In allen inneren Angelegenheiten sind die Mitglieder aller dieser Zirkel selbstverständlich ebenso gleichberechtigt, wie es die Komiteemitglieder untereinander sind. Die einzige Ausnahme hiervon wird sein, dass das Recht der persönlichen Verbindung mit dem örtlichen Komitee (wie auch mit dem ZO und dem ZK) nur derjenige oder diejenigen haben werden, die von diesem Komitee dafür bestimmt sind. In jeder anderen Beziehung wird ein solcher Verbindungsmann mit den übrigen gleichberechtigt sein, die auch das Recht haben, sich mit Mitteilungen (nur nicht persönlich) sowohl an das Ortskomitee wie an das ZK und an das ZO zu wenden. Die erwähnte Ausnahme wird also eigentlich gar keine Verletzung der Gleichberechtigung sein, sondern nur ein notwendiges Zugeständnis an die unbedingten Erfordernisse der Konspiration. Ein Komiteemitglied, das eine Mitteilung „seiner" Gruppe an das Komitee, das ZK oder das ZO nicht weitergeleitet hat, wird sich geradezu einer Verletzung der Parteipflicht schuldig machen. Was ferner den konspirativen Charakter und die Stärke der Organisation der verschiedenen Zirkel anbelangt, so wird das von der Art ihrer Arbeiten abhängen: dementsprechend wird es hier die verschiedenartigsten Organisationen geben (von der „strengsten", engen, in sich abgeschlossenen bis zur „freiesten", breiten, offenen, nicht fest organisierten). Für die Gruppe der Austräger z. B. ist die größte Konspiration und militärische Disziplin erforderlich. Für die Gruppe der Propagandisten ist Konspiration ebenfalls erforderlich, militärische Disziplin aber in bedeutend geringerem Maße. Für die Gruppe von Arbeitern, die legale Literatur lesen oder Unterhaltungen über die gewerkschaftlichen Nöte und Bedürfnisse veranstalten, ist noch weniger Konspiration erforderlich usw. Die Gruppen der Austräger müssen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands angehören und eine bestimmte Anzahl von Parteimitgliedern und Funktionären kennen. Eine Gruppe, die die Arbeitsbedingungen in verschiedenen Berufen studiert und Entwürfe von gewerkschaftlichen Forderungen ausarbeitet, muss nicht unbedingt der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands angehören. Eine Gruppe von Studenten, Offizieren, Angestellten, die sich, unterstützt von einem oder zwei Parteimitgliedern, mit Selbstbildungsarbeit beschäftigt, darf manchmal sogar überhaupt nicht von deren Zugehörigkeit zur Partei wissen usw. In einer Beziehung aber müssen wir unbedingt den höchsten Grad der Regelung der Arbeit in allen diesen Untergruppen verlangen, und zwar: jedes Parteimitglied, das sich an ihnen beteiligt, ist für die Durchführung der Arbeit in diesen Gruppen formell verantwortlich, es ist auch verpflichtet, alle Maßnahmen zu treffen, damit sowohl die Zusammensetzung jeder einzelnen Gruppe als auch das gesamte Getriebe ihrer Arbeit und der ganze Inhalt dieser Arbeit dem ZK und dem ZO möglichst offen vor Augen liegen. Das ist auch notwendig, damit sich die Leitung ein vollständiges Bild von der gesamten Bewegung machen kann, damit sie aus einem möglichst breiten Kreis von Leuten die Auswahl zur Besetzung der verschiedenen Parteifunktionen treffen kann, damit ferner (mit Hilfe der Leitung) alle ähnlichen Gruppen in ganz Russland an dem Beispiel einer Gruppe lernen können, damit das Auftreten von Lockspitzeln und zweifelhaften Burschen verhindert wird, – mit einem Wort, das ist unbedingt und in allen Fällen dringend erforderlich.

Wie kann das erreicht werden? Regelmäßige Berichte an das Komitee, Mitteilungen an das ZO über einen möglichst großen Teil des Inhalts einer möglichst großen Zahl dieser Berichte, Veranstaltung von Besuchen aller möglichen Zirkel durch Mitglieder des ZK und des Ortskomitees, schließlich pflichtmäßige Weitergabe der Verbindungen mit diesem Zirkel, d. h. der Namen und Adressen einiger Mitglieder dieses Zirkels, an einen sicheren Ort (und ins Parteibüro des ZO und ZK). Erst wenn Berichte einlaufen und Verbindungen übermittelt werden, wird man anerkennen können, dass ein Parteimitglied seine Parteipflicht in seinem Zirkel erfüllt hat; erst dann wird die Partei als Ganzes in der Lage sein, von jedem einzelnen, der praktische Zirkelarbeit leistet, zu lernen; erst dann werden uns Verhaftungen nicht zu schrecken brauchen, denn wenn Verbindungen mit den verschiedensten Zirkeln vorhanden sind, wird es für den Delegierten unseres ZK immer leicht sein, sofort Ersatzleute zu finden und die Arbeit wieder in Gang zu bringen. Der Zusammenbruch des Komitees wird dann nicht den ganzen Apparat zerstören, sondern nur die Führer losreißen, für die aber schon Ersatz vorhanden sein wird. Man soll uns nicht entgegnen, dass die Übermittlung von Berichten und Verbindungen aus Gründen der Konspiration unmöglich sei: man muss nur den Willen haben, dann ist die Möglichkeit, Mitteilungen und Verbindungen zu übergeben (oder zu übersenden) stets vorhanden und wird stets vorhanden sein, solange wir Komitees, ein ZK oder ein ZO haben.

Wir sind jetzt zu einem sehr wichtigen Grundsatz der gesamten Parteiorganisation und Parteitätigkeit gekommen: wenn hinsichtlich der ideologischen und der praktischen Führung der Bewegung und des revolutionären Kampfes des Proletariats eine möglichst große Zentralisation erforderlich ist, so ist hinsichtlich der Berichterstattung an die Parteizentrale (und demnach auch die Gesamtpartei überhaupt) über die Bewegung, hinsichtlich der Verantwortlichkeit vor der Partei eine möglichst große Dezentralisation erforderlich. Die Bewegung führen muss eine möglichst kleine Anzahl möglichst gleichartiger Gruppen erfahrener und erprobter Berufsrevolutionäre. Teilnehmen an der Bewegung muss eine möglichst große Anzahl möglichst verschiedenartiger und mannigfaltiger Gruppen aus den verschiedensten Schichten des Proletariats (und anderer Volksklassen). Die Parteileitung muss von jeder einzelnen dieser Gruppen nicht nur genaue Angaben über ihre Tätigkeit, sondern auch möglichst vollständige Angaben über ihre Zusammensetzung stets in Händen haben. Wir müssen die Führung der Bewegung zentralisieren. Wir müssen auch (und müssen gerade zu diesem Zweck, denn ohne Berichterstattung ist die Zentralisation unmöglich) die Verantwortlichkeit jedes Parteimitgliedes, jedes einzelnen Mitarbeiters, jedes einzelnen der Partei angehörenden oder sich an sie anlehnenden Zirkels der Partei gegenüber so sehr als möglich dezentralisieren. Diese Dezentralisation ist die notwendige Voraussetzung der revolutionären Zentralisation und ihre unbedingt erforderliche Ergänzung. Erst wenn die Zentralisation bis zu Ende durchgeführt ist und wir ein ZO und ein ZK haben werden, wird durch die Möglichkeit des Verkehrs jeder kleinsten Gruppe mit den leitenden Stellen und nicht nur dadurch, sondern auch dank einer durch langjährige Übung herausgearbeiteten Regelmäßigkeit dieses Verkehrs mit dem ZO und dem ZK – die Möglichkeit trauriger Ergebnisse einer zufälligen Zusammensetzung des einen oder des anderen Ortskomitees beseitigt werden. Jetzt, wo wir die tatsächliche Einigung der Partei und die Schaffung einer wirklich führenden Leitung praktisch in Angriff nehmen, müssen wir ganz besonders daran denken, dass diese Leitung machtlos sein wird, wenn wir nicht gleichzeitig die gründlichste Dezentralisation durchführen, sowohl hinsichtlich der Verantwortung ihr gegenüber als auch hinsichtlich ihrer Unterrichtung über alle Räder und Rädchen der Parteimaschine. Eine solche Dezentralisation ist nichts anderes als die Kehrseite jener Arbeitsteilung, die, wie allgemein anerkannt, eine der lebenswichtigsten praktischen Erfordernisse unserer Bewegung ist. Die offizielle Anerkennung einer bestimmten Organisation als der führenden, die Errichtung formaler ZKs werden unsere Bewegung noch lange nicht wirklich einheitlich machen, werden noch keine festgefügte Kampfpartei schaffen, wenn die Parteileitung nach wie vor von der unmittelbaren praktischen Arbeit getrennt sein wird durch die Ortskomitees vom alten Schlag, d. h. durch Komitees, denen einerseits ein ganzer Haufen von Leuten angehört, die sich mit allen möglichen Angelegenheiten befassen, ohne sich einzelnen Funktionen der revolutionären Arbeit zu widmen, ohne für besondere Aktionen verantwortlich zu sein, die die einmal begonnene, gut durchdachte und gut vorbereitete Sache nicht zu Ende führen, die eine Unmenge von Zeit und Kraft in scheinradikaler Geschäftigkeit vergeuden. Andererseits aber gibt es eine ganze Menge Studenten- und Arbeiterzirkel, von denen die Hälfte dem Komitee überhaupt nicht bekannt ist, von denen die Hälfte ebenso schwerfällig, ebenso wenig für eine bestimmte Arbeit geschult ist wie das Komitee, keine berufliche Erfahrung herausarbeitet, die Erfahrung der anderen Gruppen nicht ausnutzt und ebenso, wie das Komitee, mit endlosen Beratungen „über alles", mit Wahlen und mit der Aufstellung von Statuten beschäftigt ist. Damit die Zentrale gut arbeiten kann, müssen sich die Ortskomitees umgestalten, sich einem besonderen Arbeitszweig widmen und mehr zu „sachlich arbeitenden" Organisationen werden, die es in der einen oder in der anderen praktischen Funktion zu einer wirklichen „Vollendung" bringen. Damit die Zentrale nicht nur (wie es bisher der Fall war) raten, überzeugen, diskutieren, sondern wirklich das Orchester dirigieren kann, ist es erforderlich, dass man genau weiß, wer wo und welche Geige spielt, wo und wie er ein Instrument spielen gelernt hat oder lernt, wer wo und warum falsch spielt (wenn die Musik in den Ohren kratzt) und wen und wie man zur Beseitigung des Missklangs an eine andere Stelle versetzen muss usw. Heute – das muss offen gesagt werden – wissen wir entweder gar nichts über die wirkliche innere Arbeit des Komitees, – abgesehen von seinen Aufrufen und allgemeinen Schreiben, oder wir wissen es von Freunden oder guten Bekannten. Es wäre aber doch lächerlich, anzunehmen, dass sich eine große Partei hierauf beschränken kann, die fähig sein soll, die russische Arbeiterbewegung zu führen, und die den allgemeinen Ansturm auf den Absolutismus vorbereitet. Die Verringerung der Zahl der Komiteemitglieder, die Betrauung nach Möglichkeit eines jeden einzelnen von ihnen mit einer bestimmten besonderen Funktion, für die er verantwortlich ist und Rechenschaft ablegen muss, die Schaffung einer besonderen, zahlenmäßig sehr geringen geschäftsführenden Hauptstelle, die Herausarbeitung eines Netzes von ausführenden Agenten, die das Komitee mit jedem Großbetrieb und jeder Fabrik verbinden, regelmäßig für die Verbreitung der Literatur sorgen und der Leitung ein genaues Bild dieser Verbreitung und des ganzen Getriebes der Arbeit geben, schließlich die Gründung von zahlreichen Gruppen und Zirkeln, die verschiedene Arbeiten übernehmen oder Leute zusammenfassen, die der Sozialdemokratie nahestehen, ihr helfen und sich zu Sozialdemokraten schulen, von Gruppen und Zirkeln, die so arbeiten, dass ihre Tätigkeit (und ihre Zusammensetzung) dem Komitee stets bekannt ist, – darin muss die Umgestaltung des St. Petersburger und aller übrigen Parteikomitees bestehen und darum ist die Frage des Statuts von so geringer Bedeutung.

Ich habe mit der Analyse des Statutenentwurfs begonnen, um anschaulicher zu zeigen, worauf meine Vorschläge hinzielen. Und schließlich wird es dem Leser hoffentlich klar geworden sein, dass man eigentlich auch ohne Statut auskommen kann, wenn man es durch regelmäßige Berichterstattung über jeden Zirkel, über jedes Gebiet der Arbeit ersetzt. Was kann man im Statut schreiben? Das Komitee hat die Führung über alles (das ist auch ohnehin klar). Das Komitee wählt eine geschäftsführende Gruppe (das ist nicht immer notwendig, wenn es aber notwendig ist, so kommt es nicht auf das Statut an, sondern auf eine Mitteilung an die Leitung über die Zusammensetzung dieser Gruppe und die Ersatzleute). Das Komitee verteilt die einzelnen Arbeitsgebiete unter seine Mitglieder und beauftragt jedes einzelne, dem Komitee regelmäßig Bericht zu erstatten und dem ZO und dem ZK über den Gang der Arbeit Mitteilung zu machen (auch hier ist es wichtiger, die Leitung von einer solchen Verteilung der Arbeit zu unterrichten, als im Statut eine Regel festzulegen, die bei unserer Armut an Kräften häufig nicht zur Anwendung gelangen wird). Das Komitee muss genau bestimmen, wer ihm als Mitglied angehört. Das Komitee wird durch Kooptierung ergänzt. Das Komitee ernennt Bezirksgruppen, Betriebs-Unterkomitees und diese und jene Gruppen (wenn man das Wünschenswerte aufzählen wollte, so würde man nie damit fertig werden, sie aber im Statut nur annähernd aufzuzählen, hat keinen Zweck, es genügt, wenn man der Leitung über ihre Gründung Mitteilung macht). Die Bezirksgruppen und Unterkomitees gründen diese oder jene Zirkel… Die Aufstellung eines solchen Statutes ist heute um so weniger nützlich, als wir fast über keine (an vielen Orten über gar keine) allgemeine Parteierfahrung über die Tätigkeit verschiedener solcher Gruppen und Untergruppen verfügen, um aber eine solche Erfahrung zu sammeln, bedarf es keines Statutes, sondern der Organisierung einer, wenn man so sagen darf, innerparteilichen Berichterstattung. Jede Organisation verschwendet jetzt mindestens mehrere Abende auf Statutenberatungen. Wenn statt dessen jeder einzelne nach seiner besonderen Funktion diese Zeit einem ausführlichen und sorgfältig überlegten Bericht an die Gesamtpartei über seine Arbeit widmete, so würde die Sache hundertmal mehr gewinnen.

Statuten sind nicht nur darum nutzlos, weil die revolutionäre Arbeit nicht immer eine festgefügte Form zulässt. Nein, eine Form ist notwendig, und wir müssen uns bemühen, der gesamten Arbeit nach Möglichkeit eine feste Form zu geben. Eine feste Form ist in bedeutend größerem Umfange zulässig, als man es anzunehmen pflegt, aber sie kann nicht durch Statuten erreicht werden, sondern nur und ausschließlich (wir wiederholen das immer und immer wieder) durch genaue Unterrichtung der Parteileitung: erst dann wird sich eine feste Form herausbilden, die mit wirklicher Verantwortlichkeit und (Partei-) Öffentlichkeit verbunden ist. Wer von uns weiß denn nicht, dass ernste Konflikte und Meinungsverschiedenheiten bei uns in Wirklichkeit nie durch Abstimmung „laut Statut", sondern durch Kampf und durch die Drohung „fortzugehen" entschieden werden? Die Geschichte der Mehrheit unserer Komitees ist in den letzten drei, vier Jahren des Parteilebens angefüllt mit solchen inneren Kämpfen. Es ist sehr schade, dass diesem Kampf keine feste Form gegeben wurde: er hätte dann zur Belehrung der Partei und zur Bereicherung der Erfahrung unserer Nachfolger mehr beigetragen. Aber eine solche nützliche und notwendige Ausgestaltung wird durch keine Statuten, sondern ausschließlich durch die Parteiöffentlichkeit geschaffen. Unter dem Absolutismus kann es bei uns kein anderes Mittel und kein anderes Werkzeug der Parteiöffentlichkeit geben als die regelmäßige Unterrichtung der Parteileitung.

Erst wenn wir lernen, diese Öffentlichkeit in breitem Umfange anzuwenden, wird eine wirkliche Erfahrung über die Tätigkeit dieser oder jener Organisationen gesammelt werden können, nur auf Grund einer solchen breiten und vieljährigen Erfahrung können Statuten Zustandekommen, die keine Papierstatuten sind.

1 Der „Brief an einen Genossen über unsere organisatorischen Aufgaben" war eine Antwort auf den Brief des Petersburger Sozialdemokraten „Jerema" („Friedrich" – А. A. Schneierson, „Iskra"-Anhänger, nach dem 2. Parteitag Menschewik), der einen Plan für die Organisierung der sozialdemokratischen Arbeit in Petersburg entworfen hatte. Der Brief Lenins wurde hektographiert und fand weite Verbreitung; im Juni 1903 gab ihn das Sibirische Komitee der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands heraus. Im Jahre 1904 gab Lenin den Brief als Sonderbroschüre mit einem Vorwort und einem Nachwort heraus.

* Man muss sich bemühen, ins Komitee Revolutionäre aus Arbeiterkreisen zu bringen, die die besten Verbindungen und den besten „Namen" in der Arbeitermasse haben.

** Wir müssen den Arbeitern einschärfen, dass die Tötung von Spionen, Lockspitzeln und Verrätern natürlich manchmal eine unbedingte Notwendigkeit sein kann, dass es jedoch äußerst unerwünscht und falsch wäre, daraus einen Grundsatz zu machen; wir müssen bemüht sein, eine Organisation zu schaffen, die fähig ist, Spitzel dadurch unschädlich zu machen, dass man sie entlarvt und verfolgt. Ausrotten kann man die Spitzel nicht, wohl aber kann und muss man eine Organisation schaffen, die die Spitzel auskundschaftet und die Arbeitermasse hierzu erzieht.

*** Erforderlich sind auch Kampfzirkel, die bei Demonstrationen, für die Befreiung aus Gefängnissen usw. Arbeiter verwenden, die beim Militär gedient haben oder besonders stark und geschickt sind.

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