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Wladimir I. Lenin 19050412 Französisch-russische Schmiergelder

Wladimir I. Lenin: Französisch-russische Schmiergelder

[Wperjod" Nr. 14. 12. April (30. März) 1905. Nach Sämtliche Werke, Band 7, 1929, S. 281 f.]

Unter dieser Überschrift veröffentlichte dieser Tage der deutsche sozialdemokratische „Vorwärts"1 ein außerordentlich wertvolles Dokument: einen Originalbrief des Herrn Jules Gouin, des Direktors einer großen Maschinenfabrik in Batignolles (Vorstadt von Paris), an einen Ministerialbeamten in Petersburg. Die französische Fabrik hat durch Vermittlung dieses Herrn einen Auftrag von 114 Lokomotiven erhalten. Der Gesamtwert des Auftrages (27.700 Franken für eine Lokomotive) beläuft sich auf drei Millionen Franken, das sind rund 1.200.000 Rubel. Für die Vermittlung bei Beschaffung des Auftrags erhält der würdige Ministerialbeamte (der, fügen wir unsrerseits hinzu, wahrscheinlich einen ziemlich hohen Posten bekleidet), wie aus dem Brief hervorgeht, erstens 2 Prozent des Kaufpreises. Das macht ungefähr 25.000 Rubel. Aus dem Brief (den wir aus Platzmangel nicht vollständig wiedergeben) ist zu ersehen, dass der Vermittler von diesem Betrag 13.000 Franken bereits erhalten hat, der Rest wird zu verschiedenen Terminen ausgezahlt. Die für die russischen Eisenbahnen notwendigen Abänderungen im Bau der Lokomotiven werden außerdem besonders bezahlt. Der Vertreter der Pariser Firma in Petersburg verpflichtet sich, diesem Beamten vorher die Höhe des Zuschlages, den die Fabrik dafür beansprucht, mitzuteilen. Gelingt es dem Beamten, bei der russischen Regierung einen höheren Preis, über den von der Fabrik festgesetzten hinaus, zu „erzielen", so wird die Differenz laut Vertrag ebenfalls dem Beamten, als dem „Vermittler", gutgeschrieben. Das wird in der deutschen Übersetzung des französischen Briefes als „Vermittlungsgebühr" bezeichnet. In Wirklichkeit versteckt sich hinter diesem Ausdruck selbstverständlich eine ganz unverschämte Gaunerei und eine Staatskassenplünderung, die der französische Kapitalist und der russische Ministerialbeamte gemeinschaftlich nach einem Vertrag betreiben.

Mit Recht meint der „Vorwärts", dieser Brief werfe ein grelles Licht auf die russische Korruption und auf die Art, in der das ausländische Kapital sich diese Korruption zunutze mache. Der Brief beweise aktenmäßig, wie die „Geschäfts"praktiken der zivilisierten kapitalistischen Nationen aussehen. Wohl würden solche Praktiken überall in Europa geübt, aber nirgends mit solcher Schamlosigkeit, wie in Russland, nirgends bestehe für die Korruption solche „politische Sicherheit" (Sicherheit vor der Aufdeckung) wie im absolutistischen Russland. Man begreife da – folgern die deutschen Sozialdemokraten –, warum die europäische Industrie an der Erhaltung des russischen Absolutismus ein Interesse hat, mit dessen verantwortungslosen Beamten sich so herrliche Geschäfte abwickeln lassen, und anderseits, warum die russische Bürokratie sich mit Händen und Füßen gegen jede Verfassung wehrt, die mit öffentlicher Kontrolle über die Administration droht. Man könne sich nach diesem Beispiel ungefähr denken, was die russische Bürokratie an dem russisch-japanischen Krieg verdient, welche Summen etwa bei den deutschen Schiffsverkäufen an Russland in die Taschen der Ministerialbeamten in Petersburg geflossen sind! Das nationale Unglück ist ein goldner Boden für die Heereslieferanten und die korrupten Beamten.

1 Der Artikel „Französisch-russische Schmiergelder" erschien im „Vorwärts" Nr. 78 vom 1. April 1905.

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