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Stuttgarter Sozialistenkongress 19070822 Resolution über den Militarismus und die internationalen Konflikte

Stuttgarter Sozialistenkongress: Resolution über den Militarismus

und die internationalen Konflikte

[Internationaler Sozialistenkongress zu Stuttgart, Berlin 1907, Verlag „Vorwärts". Nach Lenin, Sämtliche Werke, Band 12, Wien 1933, S. 529 f.]

Der Kongress bestätigt die Resolutionen der früheren internationalen Kongresse gegen den Militarismus und Imperialismus und stellt aufs Neue fest, dass der Kampf gegen den Militarismus nicht getrennt werden kann von dem sozialistischen Klassenkampf im Ganzen.

Kriege zwischen kapitalistischen Staaten sind in der Regel Folgen ihres Konkurrenzkampfes auf dem Weltmarkte, denn jeder Staat ist bestrebt, seine Absatzgebiete sich nicht nur zu sichern, sondern auch neue zu erobern, wobei Unterjochung fremder Völker und Länder eine Hauptrolle spielt. Diese Kriege ergeben sich weiter aus den unaufhörlichen Wettrüstungen des Militarismus, der ein Hauptwerkzeug der bürgerlichen Klassenherrschaft und der wirtschaftlichen und politischen Unterjochung der Arbeiterklasse ist.

Begünstigt werden die Kriege durch die bei den Kulturvölkern im Interesse der herrschenden Klassen systematisch genährten Vorurteile des einen Volkes gegen das andere, um dadurch die Massen des Proletariats von ihren eigenen Klassenaufgaben sowie von den Pflichten der internationalen Klassensolidarität abzuwenden.

Kriege liegen also im Wesen des Kapitalismus; sie werden erst aufhören, wenn die kapitalistische Wirtschaftsordnung beseitigt ist oder wenn die Größe der durch die militärtechnische Entwicklung erforderlichen Opfer an Menschen und Geld und die durch die Rüstungen hervorgerufene Empörung die Völker zur Beseitigung dieses Systems treibt.

Daher ist die Arbeiterklasse, die vorzugsweise die Soldaten zu stellen und hauptsächlich die materiellen Opfer zu bringen hat, eine natürliche Gegnerin des Krieges, der in Widerspruch zu ihrem Ziele steht: Schaffung einer auf sozialistischer Grundlage beruhenden Wirtschaftsordnung, die die Solidarität der Völker verwirklicht.

Der Kongress betrachtet es deshalb als Pflicht der arbeitenden Klasse und insbesondere ihrer Vertreter in den Parlamenten, unter Kennzeichnung des Klassencharakters der bürgerlichen Gesellschaft und der Triebfeder für die Aufrechterhaltung der nationalen Gegensätze, mit allen Kräften die Rüstungen zu Wasser und zu Lande zu bekämpfen und die Mittel hierfür zu verweigern sowie dahin zu wirken, dass die Jugend der Arbeiterklasse im Geiste der Völkerverbrüderung und des Sozialismus erzogen und mit Klassenbewusstsein erfüllt wird.

Der Kongress sieht in der demokratischen Organisation des Heerwesens, der Volkswehr an Stelle der stehenden Heere, eine wesentliche Garantie dafür, dass Angriffskriege unmöglich werden und die Überwindung der nationalen Gegensätze erleichtert wird.

Die Internationale ist außerstande, die in den verschiedenen Ländern naturgemäß verschiedenen, der Zeit und dem Ort entsprechenden Aktionen der Arbeiterklasse gegen den Militarismus in starre Formen zu bannen. Aber sie hat die Pflicht, die Bestrebungen der Arbeiterklasse gegen den Krieg möglichst zu verstärken und in Zusammenhang zu bringen.

Tatsächlich hat seit dem Internationalen Kongress in Brüssel das Proletariat in seinen unermüdlichen Kämpfen gegen den Militarismus durch die Verweigerung der Mittel für Rüstungen zu Wasser und zu Lande, durch, die Bestrebungen, die militärische Organisation zu demokratisieren, mit steigendem Nachdruck und Erfolg zu den verschiedensten Aktionsformen gegriffen, um den Ausbruch von Kriegen zu verhindern oder ihnen ein Ende zu machen, sowie um die durch den Krieg herbeigeführte Aufrüttelung der Gesellschaft für die Befreiung der Arbeiterklasse auszunutzen:

so namentlich die Verständigung der englischen und französischen Gewerkschaften nach dem Faschodafall zur Sicherung des Friedens und zur Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen zwischen England und Frankreich; das Vorgehen der sozialdemokratischen Parteien im deutschen und im französischen Parlament während der Marokkokrise; die Kundgebungen, die zum gleichen Zweck von den französischen und deutschen Sozialisten veranstaltet wurden; die gemeinsame Aktion der Sozialisten Österreichs und Italiens, die sich in Triest versammelten, um einem Konflikt der beiden Staaten vorzubeugen; weiter das nachdrückliche Eingreifen der sozialistischen Arbeiterschaft Schwedens zur Verhinderung eines Angriffs auf Norwegen; endlich der heldenhafte, opferwillige Kampf der sozialistischen Arbeiter und Bauern Russlands und Polens, um sich dem vom Zarismus entfesselten Krieg zu widersetzen, ihm ein Ende zu machen und die Krise des Landes zur Befreiung der arbeitenden Klasse auszunutzen.

Alle diese Bestrebungen legen Zeugnis ab von der wachsenden Macht des Proletariats und von seiner wachsenden Kraft, die Aufrechterhaltung des Friedens durch entschlossenes Eingreifen zu sichern; die Aktion der Arbeiterklasse wird um so erfolgreicher sein, je mehr die Geister durch eine entsprechende Aktion vorbereitet und die Arbeiterparteien der verschiedenen Länder durch die Internationale angespornt und zusammengefasst werden.

Der Kongress ist der Überzeugung, dass unter dem Druck des Proletariats durch eine ernsthafte Anwendung der Schiedsgerichte an Stelle der kläglichen Veranstaltungen der Regierungen die Wohltat der Abrüstung den Völkern gesichert werden kann, die es ermöglichen würde, die enormen Aufwendungen an Geld und Kraft, die durch die militärischen Rüstungen und die Kriege verschlungen werden, für die Sache der Kultur zu verwenden.

Droht der Ausbruch eines Krieges, so sind die arbeitenden Klassen und deren parlamentarische Vertretungen in den beteiligten Ländern verpflichtet, unterstützt durch die zusammenfassende Tätigkeit des Internationalen Büros, alles aufzubieten, um durch die Anwendung der ihnen am wirksamsten erscheinenden Mittel den Ausbruch des Krieges zu verhindern, die sich je nach der Verschärfung des Klassenkampfes und der Verschärfung der allgemeinen politischen Situation naturgemäß ändern.

Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die Pflicht, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen."

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