Lenin‎ > ‎1907‎ > ‎

Wladimir I. Lenin 19070212 Der Kampf der Sozialdemokratie und der Sozialrevolutionäre bei den Wahlen in der Petersburger Arbeiterkurie

Wladimir I. Lenin: Der Kampf der Sozialdemokratie und der Sozialrevolutionäre bei den Wahlen in der Petersburger Arbeiterkurie

[Prostyje Rjetschi" Nr. 3, 12. Februar (30. Januar) 1907. Nach Sämtliche Werke, Band 10, Wien-Berlin 1930, S. 447-452]

Über den großen Erfolg, den die Sozialrevolutionäre bei den Wahlen in der Arbeiterkurie erzielt haben, sind viele Sozialdemokraten niedergeschlagen. Dabei ist die Tatsache dieses Erfolges der Sozialrevolutionäre außerordentlich bemerkenswert, sie weist auf einen ernsten Fehler hin, den die Sozialdemokraten begangen haben, und erfordert daher eine ernste Untersuchung. Wir dürfen nicht niedergeschlagen sein, nicht trauern, sondern müssen die Wahlen studieren, um den Ursachen unseres verhältnismäßigen Misserfolges auf den Grund zu gehen und dafür Sorge zu tragen, dass die weitere Arbeit der Sozialdemokraten unter der Arbeiterschaft richtig organisiert wird.

Vorzügliche Unterlagen für dies Studium der Wahlen der Arbeiterbevollmächtigten liefert der „Bericht des Semjannikowschen Unterbezirksvereins des Newski-Bezirks" des Petersburger Komitees der SDAPR über die Zeit vom 28. (15.) November 1906 bis zum 28. (15.) Januar 1907.1

Wir wollen diesen „Bericht" nicht vollständig wiedergeben, sondern wollen ihm nur genaue Zahlen über den Kampf entnehmen, den die Menschewiki und Bolschewiki gegen die Sozialrevolutionäre bei den Wahlen der Bevollmächtigten geführt haben, die in 23 Werken und Fabriken einer der größten (und in der Geschichte der Arbeiterbewegung bekanntesten) Arbeitervorstädte Petersburgs stattgefunden haben.

Wir wollen diese Zahlen über die einzelnen Werke oder Fabriken wiedergeben, damit jeder Parteiarbeiter, der mit den Tatsachen bekannt ist, unsere Angaben prüfen und berichtigen kann. Wir teilen hierbei die Werke in solche, wo die Kandidaten Bolschewiki waren, und in solche, wo die Kandidaten Menschewiki waren. Die größeren Betriebe, d. h. diejenigen, die mehr als einen Bevollmächtigten gewählt haben, sind gesperrt gedruckt:


Von den gewählten Bevollmächtigten sind

Betriebe, in denen bolschewistische

Kandidaten aufgestellt wurden

Sozial-

demokraten

mit den So-

zialdemokr.

Symphatis.

Sozial-

revolution.

Russisch-amer. mechanische Werke

1

Armaturenfabrik

1

Offenbacher

1

.

1

Upenek

1

Schwellen-Imprägnierungs-Fabrik

1

Fabrik vorm. Onufrijew

1

-

Dachsparrenfabrik

1

Pahl

2

1

Wjena

1

Atlas

1

Alexandrowsche Waggonfabrik

1

Eisengießerei

1

Insgesamt in 12 Betrieben

11

1

2



Von den gewählten Bevollmächtigten sind

Betriebe, in denen menschewistische Kandidaten aufgestellt wurden

Sozial-

demokraten

mit den So-

zialdemokr.

Symphatis.

Sozial-

revolution.

Semjannikowsches Werk

5

Maxwell

1

1

Thornton

1

Gromow

1

Naumann

1

Grapp

1

Alexejew

1

Newski-Stearin-Fabrik

1

Wargunin

1

Obuchow-Werke

1

Spielkartenfabrik

1 Bev., dessen Parteizugehörigkeit unbekannt ist

Insgesamt in 11 Betrieben

6


11

und 1 Bev., dessen Parteizugehörigkeit unbekannt ist

Insgesamt in 23 Werken und Fabriken

17

1

14

und 1 Bev., dessen Parteizugehörigkeit unbekannt ist

Aus diesen Zahlen ist vor allem ersichtlich, dass im allgemeinen die Sozialdemokraten die Sozialrevolutionäre besiegt haben. Die Sozialdemokraten haben 18 Bevollmächtigte (wobei wir einen Sympathisierenden zu den Sozialdemokraten zählen) durchgebracht, die Sozialrevolutionäre jedoch nur 14.

Weiter ist aus diesen Zahlen klar ersichtlich, dass 1. in den größten Betrieben im Großen und Ganzen die Sozialrevolutionäre gesiegt haben; 2. dass die Sozialrevolutionäre im Allgemeinen die menschewistischen Sozialdemokraten besiegt haben; 3. dass die Bolschewiki im allgemeinen die Sozialrevolutionäre besiegt haben.

Wenn wir nämlich die vier größten Betriebe nehmen, d. h. diejenigen, die mehr als einen Bevollmächtigten gewählt haben, erhalten wir folgendes Ergebnis: insgesamt wurden in diesen Betrieben 14 Bevollmächtigte gewählt (d. h. also von 14.000 Arbeitern), von denen 11 Sozialrevolutionäre und 3 Sozialdemokraten sind. In den 18 kleineren Betrieben wurden 15 Sozialdemokraten und 3 Sozialrevolutionäre gewählt. Die Zahl der in diesen Betrieben beschäftigten Arbeiter ist uns unbekannt. Sie mag mehr als 18.000 beiragen, denn Betriebe mit weniger als 2000 Arbeitern wählen einen Bevollmächtigten, sie kann jedoch auch weniger als 18.000 betragen, da alle Betriebe, die 50 und mehr Arbeiter beschäftigen, einen Bevollmächtigten wählen.

Folglich müssen wir unsere allgemeinen Schlüsse über den Sieg der Sozialdemokraten über die Sozialrevolutionäre im Newski-Bezirk ändern: in den größten Betrieben haben die Sozialrevolutionäre die Sozialdemokraten besiegt! Die Angaben über die Zahl der Bevollmächtigten reichen noch nicht für eine genaue Untersuchung aus: es sind die Zahlen über die einzelnen Betriebe notwendig, sowie Angaben über die Zahl der Arbeiter in jedem einzelnen Betrieb und über die Zahl derjenigen, die sich in jedem einzelnen Werk an der Abstimmung beteiligt haben.

Ferner ist aus den angeführten Daten klar ersichtlich, dass der Sieg der Sozialrevolutionäre ganz von den Menschewiki verschuldet ist. Die Menschewiki haben an die Sozialrevolutionäre nicht weniger als zwölf Sitze abgegeben, zwölf von 18, die Bolschewiki aber haben insgesamt nur zwei (von 14) Sitze abgegeben.

In den bolschewistischen Betrieben (wobei wir nicht diejenigen als bolschewistisch bezeichnen, wo überhaupt Bolschewiki arbeiten, sondern diejenigen, wo gegen die Sozialrevolutionäre bolschewistische Kandidaten aufgestellt waren) sind die Sozialrevolutionäre aufs Haupt geschlagen worden; das gilt in Sonderheit für den größten Betrieb, Pahl, wo die Bolschewiki zwei von drei Bevollmächtigten durchgebracht haben. Wenn man in Betracht zieht, dass wir keine Nachrichten darüber haben, wo die Sozialrevolutionäre überhaupt Kandidaten aufgestellt haben, dass folglich aller Wahrscheinlichkeit nach die Sozialrevolutionäre auch in den Russisch-Amerikanischen mechanischen Werken, in der Alexandrowschen Waggonfabrik, in der Fabrik „Atlas" usw. Niederlagen erlitten haben, so gelangt man zu dem Schluss: im Allgemeinen haben die Bolschewiki die Sozialrevolutionäre besiegt.

In den menschewistischen Betrieben hingegen wurde die Sozialdemokratie geschlagen: die Sozialrevolutionäre eroberten 12 Mandate, die Sozialdemokraten nur 6. Es unterliegt keinem Zweifel, dass im Allgemeinen die Sozialrevolutionäre die Menschewiki vor der Masse des Proletariats besiegen.

Wie weit man die Schlüsse, die sich aus den Angaben über den Newski-Bezirk ergeben, auf ganz Petersburg ausdehnen kann, können wir nicht genau sagen. Auf Grund der Tatsache jedoch, dass „das ganze sozialdemokratische Petersburg" über die unerwarteten Siege der Sozialrevolutionäre in den Großbetrieben spricht, die Gesamtzahl der sozialdemokratischen Bevollmächtigten aber offensichtlich bedeutend größer ist als die Zahl der sozialrevolutionären Bevollmächtigten, – auf Grund dieser Tatsache kann man annehmen, dass die Zahlen des Newski-Bezirks mehr oder minder typisch sind. Auf dem Wassiljewski-Ostrow haben die Sozialrevolutionäre, wie berichtet wird, in der Hochburg des Menschewismus, dem Baltischen Werk, die Menschewiki mit riesiger Stimmenzahl geschlagen: sie erhielten bis zu 1600 Stimmen, die Menschewiki jedoch weniger als 100. In demselben Bezirk hingegen haben in der großen Röhrenfabrik die Sozialrevolutionäre auch ungefähr 1600 Stimmen, die Bolschewiki aber ungefähr 1500 Stimmen aufgebracht, die Bolschewiki haben jedoch die Wahlen wegen der Zertrümmerung einer Wahlurne angefochten und velangt, dass die Wahlen für ungültig erklärt werden. Oder ein anderer Bericht: in dem Französisch-Russischen Werk, aus dem die über alle Maßen gewandten menschewistischen Intellektuellen 170 Stimmen, ausschließlich menschewistische Stimmen auf die Petersburger sozialdemokratische Konferenz „brachten", wurden als Bevollmächtigte ein Bolschewik und ein Sozialrevolutionär gewählt. In dem Wiborger Bezirk, dieser Hochburg des Menschewismus, haben die Sozialrevolutionäre die Menschewiki besiegt. Usw. u. dgl. m.

Zur Prüfung aller dieser Mitteilungen, zur Beschaffung genauer Angaben ist es unbedingt erforderlich, und zwar auf jeden Fall, bevor der Eindruck der Wahlen verblasst ist, Nachrichten über alle Fabriken und Werke zu sammeln, die Bevollmächtigte gewählt haben. Für die örtlichen sozialdemokratischen Parteiarbeiter ist es eine Kleinigkeit, die Zahlen über jeden einzelnen Betrieb zu sammeln und aufzuzeichnen. Die Zusammenstellung dieser Zahlen aber braucht die Sozialdemokratie, damit sie bewusst zu den Wahlen Stellung nehmen kann, – damit sie ihre Fehler und Mängel nicht kleinmütig vertuscht, sondern einer Kritik vom Standpunkt der Partei unterzieht und alle Anstrengungen auf die Beseitigung dieser Mängel richtet.

Es ist unmöglich, in Petersburg eine zielbewusste sozialdemokratische Arbeit durchzuführen, wenn man nicht mit aller Aufmerksamkeit den Verlauf der Abstimmung der Arbeitermassen für den Kandidaten der einen oder andern Partei verfolgt. Für die bürgerlichen Parteien ist die Ergatterung von so und soviel Mandaten wichtig. Uns kommt es darauf an, dass sich die Massen selbst die Lehre und Taktik der Sozialdemokratie zum Unterschied von allen kleinbürgerlichen Parteien, mögen sie sich auch als revolutionäre, sozialistische Parteien bezeichnen, klar machen. Wir sind daher verpflichtet, genaue und vollständige Angaben über die Abstimmungen und Wahlen in der St. Petersburger Arbeiterkurie zu erlangen.

Wir wenden uns daher an alle sozialdemokratischen Parteiarbeiter in den Bezirken und Unterbezirken von St. Petersburg mit der dringenden Bitte, genaue Angaben ungefähr nach folgendem Programm zu besorgen: 1. Bezirk; 2. Name des Betriebes; 3. Zahl der Arbeiter; 4. Wahlbeteiligung; 5. Richtung der verschiedenen Kandidaten: Sozialrevolutionär, Bolschewik, Menschewik, andere Parteien; 6. Zahl der Stimmen, die für jeden einzelnen Kandidaten abgegeben wurden. Die Zusammenstellung dieser Tatsachen wird eine feste Grundlage für die Beurteilung der verschiedenen Seiten der sozialdemokratischen Arbeit und unserer Erfolge oder Misserfolge bei den nächsten Wahlen abgeben.

1 Der Bericht der Unterbezirksorganisation des Newski-Stadtbezirks der SDAPR umfasst die Periode vom 28. (15.) November 1906 bis 28. (15.) Januar 1907 und ist in Nr. 12 des „Proletarij" vom 7. Februar (25. Januar) 1907 abgedruckt.

Kommentare