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Wladimir I. Lenin 19131128 Auch-„Vereiniger"

Wladimir I. Lenin: Auch-„Vereiniger"

[Sa Prawdu", Nr. 36 15./28. November 1913. Nach Sämtliche Werke Band 17, Moskau-Leningrad 1935, S. 85-88]

Der Berliner Zirkel polnischer Sozialdemokraten (Rosa Luxemburg, Tyszka und Komp.), den die polnischen sozialdemokratischen Arbeiter entschieden abgewiesen haben, gibt keine Ruhe. Er fährt fort, sich als „Hauptleitung" der polnischen Sozialdemokratie zu bezeichnen, obwohl bestimmt kein einziger Mensch in der Welt zu sagen vermag, was eigentlich diese bejammernswerte „Leitung" ohne Partei „leitet".

Die sozialdemokratischen Arbeiter von Warschau und Łódź haben schon vor langem erklärt, dass sie mit dem genannten Berliner Zirkel nichts gemein haben. Die Warschauer Wahlen in die Reichsduma und der Verlauf der Versicherungskampagne in Warschau haben allen und jedem gezeigt, dass in Polen nur eine sozialdemokratische Organisation besteht: jene, die kategorisch erklärt hat, dass sie die Desorganisatoren und Verleumder von der „Hauptleitung" nicht anerkenne. Es genügt, eine der Heldentaten dieser „Leitung" zu erwähnen: die Herren haben ohne Begründung erklärt, dass sich der Hauptstützpunkt der polnischen sozialdemokratischen Arbeiter – der Warschauer – „in den Netzen der Geheimpolizei" befinde. Ein Jahr ist vergangen. Die „Leitung" hat ihre empörende Beschuldigung durch nichts bewiesen. Das allein hat natürlich genügt dazu, dass kein einziger ehrlicher Funktionär der Arbeiterbewegung den Wunsch hegte, mit den Gentlemen aus dem Zirkel Tyszkas irgend etwas zu tun zu haben. Wie der Leser sieht, unterscheiden sich diese Herren in ihren Kampfmethoden nur wenig von unseren Martow, Dan und Komp.

Und eben dieser Zirkel von Personen, die von allen in Polen tätigen Parteien gebrandmarkt worden sind, hat also jetzt beschlossen, die russische Arbeiterbewegung zu retten. Rosa Luxemburg hat im Internationalen Sozialistischen Büro den Vorschlag eingebracht, die Frage der Wiederherstellung der Parteieinheit in Russland zu untersuchen. Zur Begründung wurde dabei u. a. angeführt, die „Leninsche Gruppe" trage – man höre! – die Spaltung in die polnische Sozialdemokratie.

Der Berliner Zirkel hat sich mit dieser Erklärung selbst entlarvt. Die Bolschewiki marschierten bekanntlich Schulter an Schulter mit dem polnischen sozialdemokratischen Arbeitern, die den Intrigantenzirkel abgewiesen haben. Dies lässt die berüchtigte „Leitung" nicht ruhig schlafen, und daher die ganze „Vereinigungs"-Kampagne, die mit Ausfällen gegen die russischen Marxisten einsetzte und die Unterstützung der russischen Liquidatoren bezweckt.

Rosa Luxemburg hätte dies nicht getan, wenn ihr ganz wohl zumute wäre. Seinerzeit hat sich selbst ihr Zirkel geweigert, zu den Liquidatoren zur „August"versöhnung zu gehen.

Da aber dieses Grüpplein politischer Bankrotteure dank seiner Prinzipienlosigkeit und seinem Intrigantentum sowohl in der polnischen als auch in der russischen Arbeiterbewegung jedwelche Bedeutung verloren hat, klammert es sich jetzt an die Rockschöße der Liquidatoren. Aller Todsünden schuldig erweist sich natürlich die „Leninsche Gruppe", und deshalb … deshalb muss man sich mit dieser Gruppe um jeden Preis vereinigen. Die alte Geschichte! …

Wie werden sich nun die russischen Marxisten in Wirklichkeit zur Frage der Untersuchung der russischen Differenzen durch das Internationale Sozialistische Büro verhalten?

Soviel wir wissen, werden sie sehr froh sein, wenn es zu erreichen gelingt, dass sich die westeuropäischen Genossen mit dem Wesen unserer Streitfragen vertraut machen. Wie wir gehört haben, bringen die russischem Marxisten ihrerseits im ISB den Vorschlag ein, sowohl die Frage der Spaltung der polnischen Sozialdemokratie als auch jene schändlichen Handlungen zu untersuchen, die sich die Gruppe Tyszkas gegenüber den tatsächlichen Arbeiterorganisationen Polens erlaubt hat. Die Marxisten werden sehr froh sein, wenn das Internationale Sozialistische Büro sich ferner mit der Untersuchung der Differenzen zwischen den sechs und den sieben Abgeordneten befassen wird. Vor den ausländischen Genossen wird damit die Frage aufgeworfen werden, ob sich die Parlamentsfraktion der Arbeiterpartei oder umgekehrt die Arbeiterpartei der Dumafraktion unterzuordnen hat.

Noch mehr werden die Marxisten zufrieden sein, wenn der Vorschlag Rosa Luxemburgs, die Frage der russischem Einigung auf die Tagesordnung des bevorstehenden Internationalen Kongresses in Wien im Jahre 1914 zu setzen, angenommen wird.

Zweimal schon hat die neue Internationale auf den internationalen Kongressen derartige Fragen behandelt. Das erste Mal wurde – in Amsterdam im Jahre 1904 – die Frage der Einigung in Frankreich aufgeworfen. Der Kongress untersuchte das Wesen der Grundlagen der Differenzen zwischen Guesdisten (Marxisten) und Jaurèsisten (Revisionisten). Er verurteilte die Linie der Jauresisten, ihre Beteiligung an bürgerlichen Regierungen ihre Abkommen mit der Bourgeoisie usw. Und auf Grund dieser Entscheidung in der wesentlichen Frage empfahl er den streitenden Parteien, sich zu vereinigen.

Das andere Mal wurde – in Kopenhagen im Jahre 1910 – die Frage der tschechisch-österreichischen Spaltung behandelt. Wiederum ging der Kongress auf das Wesen der Streitfrage ein. Er sprach sich gegen die „bundistisch-nationalistischen" Prinzipien der tschechischen Separatisten aus und war der Ansicht, dass die Gewerkschaften der Arbeiter innerhalb eines Landes nicht nach dem nationalen Prinzip aufgebaut werden sollen. Auf der Grundlage dieser Entscheidung über das Wesen des Streites schlug der Kongress beiden Seiten die Vereinigung vor. (Die tschechischen Bundisten haben sich übrigens der Internationale nicht gefügt.)

Wenn die russische Frage zur Sprache kommt, wird sich der Kongress in Wien zweifellos über die Bedeutung der Illegalität in einem Lande wie dem heutigen Russland sowie darüber äußern, ob die Marxisten unter den gegebenen Verhältnissen von der Perspektive der „Evolution" oder von der des „uneingeschränkten" Weges ausgehen sollen usw. Auf jeden Fall wird es nicht ohne Interesse sein, die Ansicht der Internationale über all diese Fragen zu hören

Doch bis dahin ist es leider noch weit. Vorderhand sehen wir nur das zornige, aber ohnmächtige Auftreten des Berliner Zirkels Rosa Luxemburgs und Tyszkas. Wir empfehlen Herrn Th. D., dieses Auftreten gegen die Marxisten und zur Verteidigung der Liquidatoren recht gut auszunützen. In den Zeitungen der Liquidatoren ist von den schimpflichen Abenteuern dieses Berliner Zirkels in seinem Kampfe gegen die polnischen Arbeiter zwar erzählt worden, aber aus Not wird Herr Th. D. gewiss nicht verfehlen, auch aus diesem … frischen Quell zu trinken.

Die russischen Arbeiter aber werden sagen: In unseren russischen Arbeiterorganisationen werden wir die Einheit selbst herstellen. Über ohnmächtige Intrigen aber lachen wir nur.

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