Wladimir I. Lenin: Der Kadett Maklakow und der Sozialdemokrat Petrowski [„Sa Prawdu" Nr. 47, 29. November/12. Dezember 1913, Gez.: W. I. Nach Sämtliche Werke Band 17, Moskau-Leningrad 1935, S. 120 f.] Es ist schon ziemlich lange her, seit der Sozialdemokrat Petrowski in der Reichsduma zur Frage der Geschäftsordnung gesprochen hat und ihm vom Präsidenten wegen „scharfer Ausdrücke" gegen einen Minister und ähnlicher Dinge das Wort entzogen wurde. Vom Standpunkt der „Aktualität" im engen Sinne ist dies wohl bereits veraltet. Aber im Grunde genommen verdienen die Rede Petrowskis und die des Kadetten Maklakow größere Beachtung als eine gewöhnliche „Tagesneuigkeit"1. Der Kadett Maklakow sprach in der Reichsduma über die neue Geschäftsordnung. Dieser Herr ist der Verfasser der Geschäftsordnung und Referent der Geschäftsordnungskommission. Und nun tritt der Konstitutionsdemokrat Maklakow in einer ganzen Reibe von Fragen gegen die konstitutionell-demokratische Fraktion auf und setzt mit Hilfe der Oktobristen und der Rechten eine gegen die Opposition gerichtete und äußerst reaktionäre Geschäftsordnung durch. Das ist nicht neu. Längst ist bekannt, dass W. Maklakow der Liebling der Oktobristen, dass er im Grunde genommen ein Oktobrist ist. Die stärkste Beachtung verdient aber jene höchst bedeutende Tatsache unseres öffentlichen Lebens, die durch diesen längst bekannten Umstand bloßgelegt wird. Wir haben einen der hervorragendsten Kadetten vor uns, der in einer Frage, wo die Duma verhältnismäßig weniger machtlos ist als in anderen Fragen, die Dumafreiheit mit Hilfe der Rechten und der Oktobristen selbst knebelt!! Der Sozialdemokrat Petrowski hatte mit seinen scharfen Äußerungen über einen solchen Meister des Politikantentums tausendmal recht. Wo liegt hier aber der Kern der Sache? Ist die Haltung W. Maklakows deshalb heuchlerisch, weil Herr W. A. Maklakow persönlich ein Heuchler ist? Natürlich nicht. Das heißt, nicht darum handelt es sich. So wie der Fall Beilis interessant und wichtig ist, da er den Untergrund unserer inneren Politik, ihre „Mechanik" hinter den Kulissen usw. besonders grell beleuchtet hat, so beleuchtet der (verhältnismäßig) geringfügige Fall der Reden W. Maklakows gegen die Kadetten und gegen die Dumafreiheit zum hundertsten und hundertsten Male das wahre Wesen der Partei unserer russischen liberalen Bourgeoisie. Der Kampf zwischen den Kadetten und den Oktobristen, ist ein Kampf von Konkurrenten, deshalb ist er so scharf und so prinzipienlos Der Liebling der Oktobristen und Würger der Dumafreiheit, W. Maklakow, konnte eine „Leuchte" der Kadetten gerade deshalb und nur deshalb werden, weil die Kadetten zusammen mit den Oktobristen auf dem gIeichen Klassenboden stehen. Es sind dies verschiedene Flügel oder Vertreter verschiedener Schattierungen der liberalen Bourgeoisie, die die Demokratie mehr fürchtet als die Purischkjewitsche. Das ist wesentlich. Das ist wichtig. Das ist das Wesen der Politik. Hier liegt die Wurzel der erstaunlichen politischen Ohnmacht unserer Bourgeoisie, bei all ihrer wirtschaftlichen Macht. Der Sozialdemokrat Petrowski erfüllte die Pflicht eines Demokraten, als er den die Dumafreiheit knebelnden Herrn W. Maklakow bekämpfte. Es kann in Russland keine Freiheit geben, solange die breiten Massen der Demokratie nicht gelernt haben, die Herren W. Maklakow wie auch die solche Helden hervorbringenden Parteien zu verachten. 1 Gemeint ist hier das Auftreten Petrowskis in der Sitzung der Reichsduma vom 5. Dezember (22. November) 1913 für den Abänderungsantrag der Progressisten und der Trudowiki zum Entwurf der neuen Geschäftsordnung der Reichsduma, der von einer Kommission unter dem Vorsitz W Maklakows ausgearbeitet worden war. Der Entwurf beschrankte die Redezeit in der Debatte über neue Gesetzentwürfe der Duma auf 10 Minuten. Der Antrag der Kommission wurde mit 128 gegen 87 Stimmen angenommen. |