Wladimir I. Lenin: Die linken Narodniki über den Kampf unter den Marxisten [„Sa Prawdu", Nr. 34, 13./26. November 1913. Nach Sämtliche Werke Band 17, Moskau-Leningrad 1935, S. 83 f.] In Nr. 3 der Zeitung „Wolnaja Mysl"1 befindet sich ein Artikel unter dem gekünstelten Titel: „Ein-Einheit, Zwei-Einheit oder Drei-Einheit". „Wir erklären offen“ – heißt es in diesem Artikel –, „dass der Anspruch der einen Fraktion, der Bolschewiki, die ganze Arbeiterbewegung zu umfassen, ebenso unbesonnen und abgeschmackt ist wie das Bestreben beider Fraktionen der Sozialdemokratie, die ganze sozialistische Bewegung Russlands zu verkörpern. Nur der Vereinigung aller sozialistischen Richtungen zu einer einheitlichen Partei gehört die Zukunft. Wir haben diese Losung zu Beginn des Jahres 1900 aufgestellt und bleiben ihr bis zu Ende treu." Das ist ein Musterbeispiel von ergötzlich-zornigen Phrasen über die „Einheit"!! Vom prinzipiellen Inhalt des historischen Kampfes zwischen Marxisten und Narodniki, eines Kampfes, der Jahrzehnte dauert, kein Wort. Von der Geschichte der Bewegung der Jahre 1905 bis 1907, in denen das offene Auftreten der Massen der Bevölkerung aller Klassen den grundlegenden Unterschied zwischen dem sozialdemokratischen Proletariat und der „werktätigen" (d. h. kleinbürgerlichen) Bauernschaft in der Praxis offenbarte, ebenfalls kein Wort. Wenn es in Russland eine radikale und ernst zu nehmende Zeitung gibt, die die Frage so stellt, so ist das eines der sinnfälligen Kennzeichen dafür, wie sehr es noch eines langwierigen und hartnäckigen Kampfes für das ABC prinzipieller Bestimmtheit bedarf. Dass hinter den Bolschewiki die Mehrheit der klassenbewussten Arbeiter steht, das müssen auch ihre Feinde, die Herren Liquidatoren, voll Zorn und fauchender Wut zugeben. Mit Empfindlichkeiten lässt sich das nicht widerlegen. Die Arbeiter werden sich durch das Geschrei: „unbesonnen und abgeschmackt" nicht einschüchtern lassen, sie werden nur lächeln. Vom ideellen Standpunkt betrachtet, ist die ganze Geschichte des Marxismus in Russland ein Kampf gegen kleinbürgerliche Theorien, angefangen vom „legalen Marxismus" und dem „Ökonomismus". Dieser Kampf war kein Zufall. Nicht zufällig ist auch seine heutige direkte Fortsetzung. Die Arbeiterpartei, als eine wirklich proletarische Klassenpartei, entsteht und wächst in Russland in der schwierigen Zeit des Regimes vom 3. Juni und gerade in diesem Kampfe gegen das kleinbürgerliche Liquidatorentum und das linke Narodnikitum. „Wir, die linken Narodniki, haben uns niemals an fremdem Unglück ergötzt" – schreibt die „Wolnaja Mysl", zugleich aber versichert sie, dass die Spaltung zur „völligen inneren Ohnmacht unserer Sozialdemokratie" führe! Solche Dinge zu schreiben, meine Herren, bedeutet eben, „sich zu ergötzen" – nur sagen wir nicht: an fremdem „Unglück", sondern „am fremden Ideenkampfe". Denn dem Kampfe unter den Marxisten liegt gerade der Ideenkonflikt zwischen liberaler und proletarischer Politik zugrunde. Ohne sich durch zornige Worte oder durch Empfindlichkeiten aus der Fassung bringen zu lassen, haben die Arbeiter bereits gelernt, die prinzipiellen Grundlagen dieses Kampfes herauszufinden. „In den einheitlichen Parteien der europäischen Arbeiterbewegung gibt es weniger Meinungsverschiedenheiten als bei uns", schreibt die „Wolnaja Mysl". Das ist eine sehr verbreitete, aber durchaus falsche Betrachtungsweise. Nirgends in Europa ist aber auch die Frage aufgeworfen, die proletarische, marxistische Organisation… durch Redensarten über eine, mit Purischkjewitschs Segen, „umfassende" Partei usw. zu ersetzen… Aus einem solchen Meinungsstreit werden die Arbeiter lernen, die proletarische Partei nicht in Worten sondern in der Tat aufzubauen. 1 Gemeint ist der Artikel F. Michailows „Einheit, Zwei-Einheit oder Drei-Einheit In der Zeitung „Wolnaja Mysl", Nummer 3 vom 14. (1.) November 1913. |