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Wladimir I. Lenin 19131014 Ein Auch-Trudowik

Wladimir I. Lenin: Ein Auch-Trudowik

[Prawda Truda", Nr. 18 1./14. Oktober 1913 Gez.: W. Iljin. . Nach Sämtliche Werke Band 17, Moskau-Leningrad 1935, S. 17-20]

Die Zeitschrift „Sawjety" ist die das Narodnikitum am entschiedensten vertretende Zeitschrift, eine Zeitschrift des linken Narodnikitums mit Herrn Tschernow selbst. Und dabei eine dicke, ernsthafte Zeitschrift. Wenn überhaupt irgendwo, so lässt sich eben hier die Aufdeckung des berühmten „Arbeitsprinzips" finden, von dem alle Trudowiki, alle Narodniki, darunter auch alle Sozialrevolutionäre, reden.

Manche Leute versichern sogar, das „Arbeitsprinzip" sei ein sozialistisches Prinzip und die Theoretiker des „Arbeitsprinzips" seien ebenfalls Sozialisten.

Sehen wir nun, wie einer der „linken Narodniki", Herr S. Sak, der sich speziell mit der Frage des industriellen Kapitalismus beschäftigt hat, die „Arbeits"industrie beurteilt.1

Herr S. Sak unterscheidet dreierlei Arten von Industrien: 1. die „Arbeits"Industrie; 2. die „Übergangs"Industrie von der Arbeits- zur kapitalistischen Industrie und 3. die kapitalistische Industrie. Zur kapitalistischen zählt er die Betriebe mit einer Arbeiterzahl von über 50, zur Übergangsindustrie die mit 11 bis 50 Arbeitern, zur Arbeitsindustrie die mit einer Arbeiterzahl von nicht mehr als 10.

Weshalb sind denn die zuletzt genannten Betriebe „Arbeits"'-betriebe? Deshalb, man beliebe zu sehen:

Solange die Betriebe nicht wenigstens über einen Büroangestellten und über einen Techniker durchschnittlich pro Betrieb verfügen, solange ist von einem kapitalistischen Charakter dieser Betriebe nicht zu sprechen."

Eine Theorie, die eines unwissenden Büroangestellten würdig ist, nicht aber eines Schriftstellers, der als Sozialist gelten will! Solange Herr Sak und die übrigen Narodniki „ihre", die neue, echt-russische politische Ökonomie noch nicht erfunden haben, solange verbleiben wir bei der alten Ansicht, dass als Kapitalismus die Warenproduktion bezeichnet wird, die die Arbeitskraft in eine Ware verwandelt.

Das ist das ABC, das nicht zu wissen man sich schämen soll. Doch die Herren Narodniki sind in Worten Anhänger der Theorie Marxens und Feinde der bürgerlichen politischen Ökonomie. In Wirklichkeit aber präsentieren sie dem Publikum die Ansichten des ordinärsten Kleinbürgers, der nichts gelernt hat und Bruchstücke bürgerlicher Phrasen wiederholt: wenn ein „Büro" vorhanden ist, handelt es sich um einen Kapitalisten. Wenn aber meine Wirtschaft klein ist, was bin ich da schon für ein Kapitalist! Dann bin ich ein Werktätiger!

Derartige Ansichten in der Presse vertreten, heißt die Wissenschaft der politischen Ökonomie negieren und die Unwissenheit vertreten.

Es gibt kleine und große, dumme und kluge Kapitalisten, der Kapitalismus wird aber nicht dadurch bestimmt, sondern durch die Produktion von Waren und die Verwendung von Lohnarbeit.

Für ein weiteres Kennzeichen der „Arbeits"wirtschaft hält unser Narodnik die Mitarbeit der Familienmitglieder des Unternehmers. In Wirklichkeit aber weiß jeder, der die Anfangsbegriffe der politischen Ökonomie kennt, dass dies ein Merkmal der kleinbürgerlichen Wirtschaft ist. Das Kleinbürgertum in der Weise zu beschönigen, dass man es als „Arbeits"wirtschaft bezeichnet, bedeutet, vom Sozialismus keinen Begriff zu haben.

Hier die Zahlen des Herrn Sak selbst. Auf 100 Betriebe entfallen im Durchschnitt Familienmitglieder des Unternehmers: 1. 28 in Betrieben mit nicht mehr als 3 Arbeitern; 2. 34 in Betrieben mit 4 bis 5 Arbeitern; 3. 22 in Betrieben mit 6 bis 10 Arbeitern.

Nicht wahr, unser „neuer Narodnik" ist prächtig? Er selbst führt die Zahl über das Vorwiegen der Lohnarbeit an und nennt das „Arbeits"wirtschaft!!

Herr Sak flattert über Angaben verschiedener Industriezählungen hinweg, wobei er davon entzückt ist, dass es so „viele" „werktätige" Unternehmer gibt, und versichert, das beweise „die Hinfälligkeit der orthodoxen Theorie" (d. h. der rechtgläubigen – so nennen die Narodniki zum Spott die Marxsche Lehre). Wir wollen die vollständigen Daten aus der deutschen Zählung anführen, auf die sich Herr Sak vor allem beruft. Wir nehmen die Industrie im weiten Sinne, mit Einschluss des Handels und der Verkehrsmittel.

Betriebsgruppen

Zahl der Betriebe

Anzahl in Millionen

(in Tausend)

% %

Arbeiter

% %

PS

% %

Kilowatt

% %

Einzeln Arbeitende

1452

44,4

1,4

10,1

Kleinbetriebe (2–5 Arbeiter)

1524

46,7

3,8

26,2

0,7

7,4

0,1

7,1

Mittelbetriebe (6–50 Arbeiter)

259

8,0

3,5

24,3

1,5

17,3

0,2

15,7

Großbetriebe (51 u. mehr Arb.)

31

0,9

5,7

39,4

6,6

75,3

1,2

77,2

Insgesamt

3266

100

14,4

100

8,8

100

1,5

100

Man sehe sich nun dieses Bild des Kapitalismus in der Industrie an. Einzelunternehmer, Kleinbürger gibt es sehr „viele": eineinhalb Millionen. Und ihr Anteil an der Produktion? Der zehnte Teil der Arbeiter und null Maschinen, weder Dampf- noch elektrische Maschinen!!

Und die Großkapitalisten?

Es sind ein Hundertstel aller Betriebe, sie haben aber fast zwei Fünftel (39%) aller Arbeiter und mehr als drei Viertel (75–77%) aller Maschinen.

Jeder denkende Arbeiter sieht hier sofort die volle Bestätigung seiner tagtäglichen Erfahrung: eine Masse armseliger, vom Kapital zertretener Kleinkapitalisten und die vollständigste Herrschaft einer verschwindend geringen Zahl kapitalistischer Großbetriebe.

Weiter. Die Statistik, die der „linke" Narodnik heillos entstellt, zeigt ein sehr schnelles Wachstum des Kapitalismus und eine Verdrängung der Kleinproduktion. Vergleichen wir die Daten der drei deutschen Zählungen von 1882, 1895 und 1907 (die letzte). Um den Leser nicht mit Zahlen zu ermüden, wollen wir nur das Wichtigste nehmen: wir stellen die Kleinbetriebe den kapitalistischen, die mittleren und die großen Betriebe zusammengenommen, gegenüber:

Jahre

Einzelbetriebe

Kapitalistische Mittel- u. Großbetriebe

%% d. Gesamtz. der Betriebe

%% d. Gesamtz. der Arbeiter

%% d. Gesamtz. der Betriebe

%% d. Gesamtz. der Arbeiter

1882

62

26

4

41

1895

54

17

7

53

1907

42

10

9

63

Vor 25 Jahren machten die Einzelunternehmer die Mehrheit (3/5) der Unternehmer aus. Jetzt sind sie die Minderheit (2/5). Früher hatten sie ein Viertel aller Arbeiter, jetzt haben sie ein Zehntel.

Der Anteil der kapitalistischen Betriebe steigt dagegen schnell; vor 25 Jahren hatten sie die Minderzahl der Arbeiter (2/5), jetzt dagegen haben sie die Mehrzahl, etwa 6/10 der Gesamtzahl der Arbeiter (63%). Und wir haben bereits gesehen, dass die Konzentration (die Zusammenballung) der Maschinen, sowohl der Dampf- als noch mehr der elektrischen Maschinen, in der Hand eines Häufleins Kapitalisten noch weit stärker ist als die Konzentration der Arbeiter.

Also: die Industriezählungen in den freien und sich schnell entwickelnden Ländern liefern die glänzendste Bestätigung der Marxschen Theorie. Der Kapitalismus herrscht allerorts. Überall verdrängt er die Kleinproduktion. Überall wird die Masse der Bauern, der kleinen Handwerker und der Heimarbeiter ruiniert. Das Großkapital unterjocht und unterdrückt den Kleinunternehmer mit tausenden Methoden, die vom der Statistik noch allzu wenig berücksichtigt werden. Für den Kleinunternehmer gibt es keine Rettung. Er hat keinen anderen Ausweg als den Anschluss an den Kampf des Proletariats.

Die Theorie des „Arbeitsprinzips" und der „Arbeitswirtschaft" ist von A bis Z eine Wiederholung alter bürgerlicher Vorurteile. Die Erfahrung aller Länder zerstört diese Vorurteile auf Schritt und Tritt.

Die linken Narodniki, die den Arbeitern zu beweisen suchen, dass ein Kapitalist oder ein Kapitalistlein mit 5, mit 10 Lohnarbeitern ein „werktätiger" Unternehmer sei, beweisen damit nur ihr eigenes bürgerliches Wesen.

1 Gemeint ist hier der Artikel von S. Sak „Zur Frage des Arbeiterprogramms" in der Zeitschrift „Sawjety" Nr. 3 vom Juni 1912 und Nr 4 vom Juli 1912.

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