Wladimir I. Lenin: Ein Hausbesitzer und Kadett, der „nach Marx" denkt [„Sa Prawdu", Nr. 23, 30. Oktober/12. November 1913. Gez.: W. Iljin. Nach Sämtliche Werke Band 17, Moskau-Leningrad 1935, S. 71 f.] Der Redakteur und Herausgeber des „Gorodskoje Djelo", der Hausbesitzer Herr Welichow, Mitglied der Reichsduma und der Kadettenpartei, ist in seiner Zeitschrift mit einer Verteidigung des Kiewer Kongresses der Städtevertreter gegen die „Intellektuellen-Bürokratie" hervorgetreten.1 Hinter diesem der reaktionären Presse entlehnten zornigen Wörtchen verbirgt sich die demokratische Intelligenz die – man denke nur! – die armen Hausbesitzer kränkt, weil sie von „Institutionen der Hausbesitzer" redet und politische Bestimmtheit fordert. „Die Intellektuellen-Bürokratie“ – klagt Herr Welichow – suchte „dem Kongress in erster Linie eine allgemeinpolitische Rolle aufzudrängen". Diese Richtung auf dem Kongress nennt Herr Welichow die „politische", und er stellt ihr die andere, die „munizipale Richtung gegenüber. Seine Ansichten legt er folgendermaßen dar: „Die Revolution, erklärten die Städtevertreter, ist vorüber und wird sich in naher Zukunft kaum wiederholen. Sie ist wahrscheinlich deshalb nicht vollständig gelungen, weil die revolutionär gestimmten Klassen (welche Klassen denn, sprechen sie offen, Herr Welichow, „damals mit ungenügenden Erfahrungen und Kenntnissen ausgestattet und auf die Übernahme der Staatsmacht nicht vorbereitet waren. Der breite Weg der Meetings Losungen, Brandreden und Protestresolutionen würde heute niemanden mehr befriedigen und scheint sich überlebt zu haben. Vor uns liegt eine gewaltige Kulturarbeit praktischer Natur.“ So schreibt der Herr Hausbesitzer. Er steht ganz auf dem Standpunkt der Fronherren, sowohl in seiner Moral als auch in seinem Bestreben, zu vergessen, dass die Bourgeoisie im entscheidenden Moment auf die Seite der Fronherren übergegangen ist. Und er wiederholt auf kuriose Weise die „auch-marxistischen" Wörtchen, die er irgendwo, wahrscheinlich bei den Liquidatoren, aufgeschnappt hat: „In Russland“ – schreibt er -, „wo das Arbeiterproletariat noch wenig zahlreich und machtlos ist, wo selbst nach dem ,Kapital' von Marx auf der nächsten Stufe der geschichtlichen Entwicklung die Herrschaft vom grundbesitzenden Adel auf die städtische Bourgeoisie übergehen muss – hier über die Bourgeoisie herzufallen, sie geringzuschätzen und ihre Versuche, gegen das heutige staatliche System und Regime anzukämpfen, zu hindern, das bedeutet, den natürlichen Fortschritt zu hemmen …" ( Gorodskoje Djelo", 1913, Nr. 20, S. 1341–1342.) Ganz, ganz „nach Marx"! Mein liebenswürdigster, fortschrittlicher und sogar konstitutionell-demokratischer Hausbesitzer! Die „Versuche der Bourgeoisie, gegen das heutige staatliche System anzukämpfen", haben die Marxisten nie gehindert und sie hindern sie nicht. Sie werden nie einen einzigen Fall von „Kampf" namhaft machen können, an welchem sich das „machtlose Proletariat" nicht noch energischer beteiligt hätte. Die Marxisten und die Arbeiter haben keinen einzigen Fall, wo die Bourgeoisie gegen die Fronherren „kämpfte", geringgeschätzt. Erinnern Sie sich aber nicht, mein Herr, der Sie Marx zitieren, an jene sich seit dem Jahre 1848 immer mehr häufenden geschichtlichen Beispiele, wo die Bourgeoisie den Kampf gegen die Fronherren verraten hat und auf die Seite der Fronherren übergegangen ist? Von solchen Fällen wimmelt es auch in der russischen Geschichte, besonders im Jahre 1904, noch mehr im Herbst 1905 und noch mehr im Winter desselben Jahres, ferner im Frühjahr 1906 und so weiter und so weiter. Begreifen Sie, Herr Hausbesitzer, der Sie Marx zitieren, nicht, dass die Interessen des Kampfes gegen die Fronherren die Entlarvung, Attackierung und Diskreditierung jener Bourgeois erfordern, die vom Kampfe reden und ihn in Wirklichkeit verraten? 1 Es handelt sich hier um den Artikel von L. Welichow „Der Kongress der Städtevertreter in Kiew" in der Zeitschrift „Gorodskoje Djelo" Nummer 20 vom 28. (15.) Oktober 1913. |