Wladimir I. Lenin: Hartnäckigkeit in der Verfechtung einer schlechten Sache [„Proletarskaja Prawda", Nr. 1, 7./ 20. Dezember 1913. Nach Sämtliche Werke Band 17, Moskau-Leningrad 1935, S. 125-127] Die Herren Liquidatoren bleiben hartnäckig bei der Verfechtung des oktobristischen Paragraphen, der in ihren Gesetzesvorschlag über die Freiheiten „hineingeraten" ist. Es ist dies der Paragraph 5, der die Koalitionsfreiheit spitzfindig mit der Bemerkung begrenzt, Handlungen der Arbeiter seien nicht strafbar, „insofern sie nicht überhaupt ein kriminell strafbares Vergehen darstellen". Das Reaktionäre dieses Paragraphen, springt in die Augen. Es ist klar, dass wirkliche Sozialdemokraten, wenn sie über diese Spitzfindigkeit zu sprechen hätten, das Gegenteil sagen würden – d. h. sie würden entweder erklären, dass im Zusammenhang mit einem Streik, aus Motiven der Unterstützung der unterdrückten Genossen begangene Vergehen nicht strafbar seien, oder zumindest, dass ihre Strafbarkeit gemildert werden müsse. Es ist klar, dass die Liquidatoren diesen reaktionären Paragraphen aus ihrem Gesetzesvorschlag werden streichen müssen: die Arbeiter werden die Liquidatoren dazu zwingen. Anstatt nun den Fehler offen zuzugeben,, drehen und winden sich die Liquidatoren (von Burenin-Gamma geführt) und lügen kläglich. Herr Gorski versichert in der „Nowaja Likwidatorskaja Gaseta", auf Konferenzen im Auslande seien angeblich (vor drei bis vier Jahren) „unter engster Mitwirkung N. Lenins" in einen Gesetzesvorschlag über die Streiks ähnliche Artikel aufgenommen worden.1 Alles das ist durch und durch unwahr. Auf den ausländischen Konferenzen wurde die Arbeit auf die Weise eingeteilt, dass Unterkommissionen die Vorschläge ausbreiteten, während die Gesamtkommission gewisse Hauptfragen behandelte. An der Unterkommission für die Streiks nahm Lenin überhaupt nicht teil (er war in der Unterkommission für den Achtstundentag). Und in der allgemeinen Kommission sprach Lenin gegen jedwelchen Punkt, der die kriminelle Strafbarkeit zugibt oder anerkennt!! Herr Gorski will das Projekt .irgendeines F. D. (eines ehemaligen Mitgliedes der Unterkommission für die Streiks!) auf Lenin abwälzen. Das wird Ihnen nicht gelingen, meine Herren! Herr Burenin-Gamma benützte zur Verfechtung der faulen Sache noch ein anderes faules Argument. „Sie" (die Sozialdemokraten), schrieb er, „müssen ihren Klassenkampf innerhalb gewisser Grenzen führen, aus Respekt nicht vor der ,bürgerlichen Gesetzlichkeit', sondern vor dem moralischen Rechtsempfinden der breiten Volksmassen." Das ist ein Argument, würdig eines Spießbürgers! Innerhalb gewisser Grenzen, Herr Liquidator, führen wir unseren Klassenkampf aus Gründen der Zweckmäßigkeit, in der Weise, dass wir nichts zulassen, was geeignet wäre, unsere Reihen (unter gewissen Verhältnissen) zu desorganisieren oder den Ansturm des Feindes gegen uns zu einer Zeit zu erleichtern, wo dies nur für die andere Seite von Vorteil wäre usw. Da der Liquidator diese wirklichen Gründe nicht versteht, gerät er in den opportunistischen Sumpf. Wer sind die breiten Volksmassen? Das sind die zurückgebliebenen Proletarier und Kleinbürger, die voll spießbürgerlicher, nationalistischer, reaktionärer, klerikaler und ähnlicher Vorurteile sind. Wie können wir denn vor dem „moralischen Rechtsempfinden" z. B. des Antisemitismus „Respekt" haben, der sich, was nicht unbekannt ist, sehr oft sogar im Bewusstsein „breiter Volksmassen", z. B. Wiens (einer Stadt, die kulturell über vielen russischen Städten steht), als ein vorherrschender Zug herausgestellt hat? Das „moralische Rechtsempfinden" der breiten kleinbürgerlichen Massen verurteilt, sagen wir, Schläge, die ein Streikbrecher in der Hitze der Verteidigung eines Streiks für Erhöhung des Hungerlohnes erhält. Wir werden in solchen Fällen nicht für Gewaltakte agitieren, denn das ist vom Standpunkt unseres Kampfes unzweckmäßig. Aber „Respekt" werden wir vor diesem Empfinden der Kleinbürger nicht haben – wir werden gegen dieses „Empfinden" mit allen Mitteln der Überzeugung, Propaganda und Agitation kämpfen. Der Appell des Herrn Burenin-Gamma an den „Respekt" vor dem moralischen Rechtsempfinden der breiten Volksmassen ist der Appell eines Spießbürgers an den Respekt vor spießbürgerlichen Vorurteilen, Es ist das ein weiterer Beweis (zu tausend anderen hinzu) für das spießbürgerliche Wesen der Herren Liquidatoren. 1 Lenin meint hier den Artikel von A. W. Gorski „Der Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Fraktion über die Freiheitsrechte" in der „Nowaja Rabotschaja Gaseta" vom 10. Dezember (27. November) 1913. |