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Gruppe der Gegner des Friedensschlusses auf dem VII. Parteitag 19180308 Thesen über die gegenwärtige Lage

Thesen über die gegenwärtige Lage, vorgeschlagen von der Gruppe der Gegner des Friedensschlusses auf dem VII. Parteitag

[„Kommunist" Nr. 4, 8. März 1918. Nach Lenin, Sämtliche Werke, Band 22, Zürich 1934, S. 625 f.]

1. Der imperialistische Krieg ruft bereits überall eine Zersetzung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse hervor, verschärft die sozialen Widersprüche aufs äußerste, zersetzt die bürgerlichen Gruppierungen und schaltet ganze Länder aus der Zahl der lebensfähigen kapitalistischen Organismen aus (Österreich). Alles das zusammengenommen bildet die Basis für die heranreifende sozialistische Revolution, deren erste Vorboten im Westen die Streiks und teilweisen Aufstände in Österreich und Deutschland waren.

2. Der Kampf der imperialistischen Koalitionen kann jetzt von zwei Standpunkten betrachtet werden: entweder sind diese Koalitionen bereits zu einem geheimen zeitweiligen Abkommen auf Kosten Russlands gelangt, oder sie sind noch bereit, den Kampf fortzusetzen. Sowohl in dem einen wie in dem anderen Falle werden wir erleben, dass das internationale Kapital, das von allen Seiten über uns herfällt, versuchen wird, Russland aufzuteilen; im zweiten Falle wird Deutschland gerade deshalb, weil es nur dann den Krieg fortsetzen kann, wenn es russisches Getreide und russische Rohstoffe bekommt, unvermeidlich versuchen, die Sowjetmacht um jeden Preis zu vernichten.

3. Auf diese Weise macht sowohl der Klassenkampf als auch die imperialistische Ausbeutung unter den jetzigen Verhältnissen ein friedliches Zusammenleben Sowjetrusslands mit der imperialistischen Koalition der Mittelmächte unmöglich.

4. Diese Lage der Dinge ist außerordentlich krass in den Friedensbedingungen zum Ausdruck gekommen, die Deutschland aufgestellt hat und die faktisch die völlige Untergrabung der Sowjetmacht nicht nur außen-, sondern auch innenpolitisch bedeuten.

5. Diese Bedingungen schneiden die Zentren der Revolution von den die Industrie ernährenden Produktionsgebieten ab, zerreißen die Herde der Arbeiterbewegung, vernichten eine Reihe ihrer größten Zentren (Lettland, Ukraine), untergraben die Wirtschaftspolitik des Sozialismus (die Frage der Annullierung der Anleihen, der Sozialisierung der Produktion usw.), machen die internationale Bedeutung der russischen Revolution zunichte (Verzicht auf internationale Propaganda), verwandeln die Sowjetrepublik in ein Werkzeug der imperialistischen Politik (Persien, Afghanistan) und versuchen schließlich, sie zu entwaffnen (die Forderung der Demobilisierung der alten und neuen Truppenteile). Alles das macht eine „Atempause" nicht nur unmöglich, sondern schafft schlechtere Bedingungen für den Kampf des Proletariats als früher.

6. Die Unterzeichnung des Friedens, die in Wirklichkeit uns keinerlei Aufschub gibt, zersetzt den revolutionären Willen des Proletariats zum Kampfe und verzögert den Ausbruch der Weltrevolution. Deshalb wäre die einzig richtige Taktik die Taktik des revolutionären Krieges gegen den Imperialismus.

7. Bei der völligen Zersetzung der alten Armee, deren Überreste nur schädlicher Ballast sind, kann der revolutionäre Krieg in seinem Anfangsstadium nur ein Krieg von fliegenden Partisanentrupps sein, die sowohl das städtische Proletariat als auch die arme Bauernschaft in den Kampf hineinziehen und die militärischen Aktionen unsererseits in einen Bürgerkrieg der werktätigen Klassen gegen das internationale Kapital verwandeln. Ein solcher Krieg würde, welche Niederlagen er auch anfangs mit sich brächte, unvermeidlich die Kräfte des Imperialismus zersetzen.

8. Außerdem würde unter den Verhältnissen, wo das Proletariat als produktive Klasse infolge der Arbeitslosigkeit und der allgemeinen wirtschaftlichen Zerrüttung zerfällt, die Mobilisierung einer proletarischen Armee das Proletariat vor dem Zerfall bewahren und die Kader der Arbeitslosen als Soldaten der Revolution zusammenfassen.

9. Deshalb ist die Hauptaufgabe der Partei eine klare taktische Linie des Krieges gegen den Imperialismus und die intensivste Arbeit zur Organisierung der Verteidigung des Sozialismus im Laufe dieses Krieges. Gerade in diesem Prozess des unmittelbaren Kampfes entsteht eine kampffähige sozialistische Armee.

10. Die Politik der leitenden Körperschaften der Partei war dagegen eine Politik der Schwankungen und Kompromisse, eine Politik, die objektiv die Vorbereitung der revolutionären Abwehr hinderte und durch ihre ständigen Schwankungen sogar jene Vortrupps demoralisierte, die mit Enthusiasmus in den Kampf zogen.

11. Die soziale Grundlage dieser Politik war der Prozess der Entartung unserer Partei aus einer rein proletarischen in eine „allgemeine Volkspartei", was bei ihrem ungeheuren Anwachsen unvermeidlich eintreten musste. Die Soldatenmasse, die um jeden Preis, unter allen Bedingungen, ohne sogar mit dem sozialistischen Charakter der Staatsmacht des Proletariats zu rechnen, Frieden wollte, hat allem ihren Stempel aufgedrückt, und die Partei ist, anstatt die Bauernmassen zu sich emporzuheben, selbst auf ihr Niveau herabgesunken und hat sich aus der Avantgarde der Revolution in einen Durchschnittstrupp verwandelt.

12. Aber sogar die Bauernschaft wird, wenn der Kampf gegen den internationalen Imperialismus weitergeht, unvermeidlich in diesen Kampf hineingerissen werden, denn ihr droht die ungeheure Gefahr, das Land zu verlieren.

13. Unter diesen Verhältnissen ist es die Aufgabe der Partei und der Sowjetmacht:

1. Den Friedensvertrag zu annullieren.

2. Die Propaganda und Agitation gegen das internationale Kapital zu steigern, um den Sinn dieses neuen Bürgerkrieges zu erklären.

3. Eine kampffähige Rote Armee zu schaffen; die proletarische und bäuerliche Bevölkerung zu bewaffnen und militärisch gründlich zu schulen.

4. Entschiedene soziale Maßnahmen zu ergreifen, die die Bourgeoisie wirtschaftlich endgültig vernichten, das Proletariat zusammenschweißen und den Enthusiasmus der Massen auslösen.

5. Die Konterrevolution und die Kompromisspolitik rücksichtslos zu bekämpfen.

6. Die intensivste internationale revolutionäre Propaganda zu treiben und Freiwillige aller Nationalitäten und Staaten in die Reihen der Roten Armee hineinzuziehen.

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