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Wladimir I. Lenin 19180301 Auf sachlicher Basis

Wladimir I. Lenin: Auf sachlicher Basis

[„Prawda" Nr. 38 1. März 1918. Nach Sämtliche Werke, Band 22, Zürich 1934, S. 332-333]

Der revolutionäre Aufschwung, der durch den verräterischen Überfall der deutschen Weißgardisten auf die russische Revolution hervorgerufen worden ist, ist eine Tatsache. Von überall laufen Telegramme ein, in denen die Bereitschaft zum Ausdruck gebracht wird, die Sowjetmacht zu verteidigen und bis zum letzten Mann zu kämpfen. Ein anderes Verhältnis zur eigenen Arbeiter- und Bauernmacht war auch nicht zu erwarten.

Aber Enthusiasmus allein genügt nicht, um einen Krieg gegen einen Gegner wie den deutschen Imperialismus zu führen. Größte Naivität, ja sogar ein Verbrechen wäre eine leichtfertige Stellungnahme zum gegebenen, wirklichen, hartnäckigen , blutigen Krieg.

Einen Krieg muss man gründlich führen oder überhaupt nicht. Einen Mittelweg gibt es hier nicht. Wenn die deutschen Imperialisten uns den Krieg aufzwingen, so ist es unsere heilige Pflicht, unsere Lage nüchtern einzuschätzen, die Kräfte in Rechnung zu stellen und den Wirtschaftsmechanismus zu prüfen. Alles das muss mit der in Kriegszeiten notwendigen Schnelligkeit getan werden, denn jede Verzögerung in unserer jetzigen Lage kommt wirklich „dem Untergange gleich". Hannibal vor den Toren! – das dürfen wir keinen einzigen Augenblick vergessen.

Um einen Krieg gründlich zu führen, bedarf es eines gut organisierten Hinterlands. Die beste Armee, die der Sache der Revolution ergebensten Menschen werden auf der Stelle vom Feind vernichtet werden, wenn sie nicht genügend bewaffnet, mit Lebensmitteln versorgt und geschult sind. Das ist so klar, dass es keiner weiteren Erläuterung bedarf.

In welchem Zustand befindet sich das Hinterland unserer revolutionären Armee? Im traurigsten – um nicht mehr zu sagen. Durch den Krieg ist unser Transportwesen vollkommen zerrüttet, der Warenaustausch zwischen Stadt und Land erschüttert worden, und die unmittelbare Folge davon ist der Hunger in den großen Städten.

Unter den Schlägen des Feindes reorganisiert sich unsere Armee von Grund auf. Die alte Armee, die mit den Bedingungen der Kriegführung unter den jetzigen Verhältnissen bekannt war, besteht nicht mehr. Und schließlich ist die durch den Krieg erschöpfte, von den dreieinhalb Jahren Schützengraben tödlich ermattete Armee in militärischer Hinsicht eine Größe, die gleich Null zu setzen ist. Die Rote Armee hat unbedingt ein prächtiges kampffähiges Menschenmaterial, aber es ist unbearbeitetes Rohmaterial. Damit sie nicht zum Kanonenfutter für die deutschen Geschütze werde, muss man sie schulen, disziplinieren.

Wir stehen vor gewaltigen Schwierigkeiten. Alle lokalen Sowjets müssen sofort, gleich nach der Absendung des Telegramms über die Bereitschaft, gegen den äußeren Feind zu kämpfen, mitteilen, wie viel Waggons Getreide nach Petrograd abgesandt worden sind, welche Zahl von Truppen sie sofort an die Front schicken können, welche Zahl von Rotarmisten militärisch ausgebildet wird. Sämtliche Waffen und Munition müssen registriert werden. Die Herstellung neuer Waffen und Munition muss sofort wieder aufgenommen werden. Die Eisenbahnen müssen von den Lebensmittelspekulanten und Rowdys befreit werden. Überall muss die strengste revolutionäre Disziplin hergestellt werden. Nur wenn man alle diese Bedingungen einhält, kann man ernsthaft von Krieg reden. Sonst wird alles Gerede vom „revolutionärsten Krieg" zur Phrase. Die Phrase aber ist immer schädlich, im gegenwärtigen kritischen Augenblick kann sie eine verhängnisvolle Rolle spielen.

Ich bin tief überzeugt, dass unsere Revolution mit den kolossalen Schwierigkeiten des jetzigen Augenblicks fertig werden wird. Sie hat bereits eine gewaltige Arbeit vollbracht, aber für die erfolgreiche Beendigung unseres Werkes müssen wir unsere Energie steigern.

Nur dann werden wir siegen.

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