Lenin‎ > ‎1918‎ > ‎

Wladimir I. Lenin 19180828 Rede auf dem I. Allrussischen Kongress für Bildungswesen

Wladimir I. Lenin: Rede auf dem I. Allrussischen Kongress

für Bildungswesen

28. August 1918

[Zum ersten Mal veröffentlicht im Jahre 1926 in der 1. Ausgabe der Sämtl. Werke, Bd. XX, II. Teil. Nach Sämtliche Werke, Band 23, Moskau 1940, S. 251-255]

Genossen! Wir durchleben einen der kritischsten, wichtigsten und interessantesten geschichtlichen Augenblicke – den Augenblick des Heranreifens der sozialistischen Weltrevolution. Jetzt wird es sogar demjenigen, dem sozialistische Theorien und Perspektiven fern lagen, klar, dass dieser Krieg nicht so enden wird, wie er angefangen hat, d. h. er wird nicht durch den üblichen Friedensschluss zwischen den alten imperialistischen Regierungen sein Ende finden. Die russische Revolution hat gezeigt, dass der Krieg unvermeidlich zum Zerfall der ganzen kapitalistischen Gesellschaft führt, dass er sich in einen Krieg der Werktätigen gegen die Ausbeuter verwandelt. Darin liegt die Bedeutung der russischen Revolution.

Wie groß auch die Schwierigkeiten sein mögen, die auf unserem Wege liegen, wie sehr man sich auch in allen Ländern befleißigt, Dutzende von Millionen für die Verbreitung von Lügen und Verleumdungen gegen die russische Revolution hinauszuwerfen – die Arbeiterklasse der ganzen Welt fühlt, dass die russische Revolution ihre eigene Sache ist. Parallel mit dem Krieg der einen Gruppe der Imperialisten gegen die andere beginnt überall der Krieg, den die Arbeiterklasse, angesteckt vom Beispiel der russischen Revolution, ihrer eigenen Bourgeoisie erklärt. Alle Anzeichen weisen darauf hin, dass Österreich und Italien am Vorabend der Revolution stehen; die Zersetzung der alten Gesellschaftsordnung schreitet in diesen Ländern mit raschen Schritten voran. In den festeren und stärkeren Staaten, wie Deutschland, England und Frankreich, vollzieht sich, obschon etwas anders und weniger auffällig, derselbe Prozess. Der Zusammenbruch der kapitalistischen Ordnung und des kapitalistischen Krieges ist unvermeidlich. Die deutschen Imperialisten konnten die sozialistische Revolution nicht erdrosseln. Die Niederwerfung der Revolution im roten Lettland, in Finnland und in der Ukraine bezahlte Deutschland mit der Zersetzung seiner Armee. Die Niederlage Deutschlands an der Westfront wurde in bedeutendem Maße dadurch hervorgerufen, dass die alte Armee in Deutschland schon nicht mehr existiert. Das, worüber die Diplomaten halb scherzend gesprochen haben – die „Russifizierung" der deutschen Soldaten –, erwies sich jetzt nicht als Scherz, sondern als eine für sie bittere Wahrheit. Der Geist des Protestes wächst, „Verrat" wird in der deutschen Armee zu einer alltäglichen Erscheinung. Anderseits machen England und Frankreich die letzten Anstrengungen, um ihre Lage zu behaupten. Sie werfen sich auf die Russische Republik und spannen die Saiten des Kapitalismus so sehr, dass sie zu reißen beginnen. In der Stimmung der Arbeitermassen ist sogar nach den Geständnissen bürgerlicher Presseorgane ein unzweifelhafter Umschwung eingetreten: in Frankreich erleidet die Idee der „Vaterlandsverteidigung" einen Zusammenbruch; die Arbeiterklasse Englands kündigt den „Burgfrieden". Das bedeutet, dass die englischen und französischen Imperialisten ihre letzte Karte ausgespielt haben, – und wir sagen mit absoluter Gewissheit, dass diese Karte gestochen werden wird. Wie sehr auch gewisse Gruppen schreien mögen, die Bolschewiki stützten sich auf eine Minderheit, so müssen sie doch zugeben, dass sie für den Kampf mit den Bolschewiki keine Kräfte innerhalb Russlands haben. Sie sind gezwungen, ihre Zuflucht zur ausländischen Intervention zu nehmen. Auf diese Weise wird die Arbeiterklasse Frankreichs und Englands genötigt, an einem offenkundigen Eroberungskrieg teilzunehmen, dessen Ziel die Erdrosselung der russischen Revolution ist. Das bedeutet, dass der englisch-französische und somit auch der Weltimperialismus in den letzten Zügen liegt.

Wie schwierig es auch war, das Land von neuem in den Kriegszustand überzuführen, das Land, wo das Volk selbst dem Krieg ein Ende gemacht und selbst die alte Armee zerschlagen hatte, wie schwierig es auch war, die Armee im Prozess des heftigen Bürgerkrieges zu organisieren – wir haben alle Schwierigkeiten bewältigt. Die Armee wurde gebildet, und der Sieg über die Tschechoslowaken, Weißgardisten, Gutsbesitzer, Kapitalisten und Kulaken ist gesichert. Die werktätigen Massen begreifen, dass sie den Krieg nicht für die Interessen einer Handvoll Kapitalisten, sondern für ihre eigene Sache führen. Die russischen Arbeiter und Bauern haben zum ersten Mal die Möglichkeit erhalten, selbst über die Fabriken und den Grund und Boden zu verfügen, und diese Erfahrung konnte an ihnen nicht spurlos vorübergehen. Unsere Armee wurde aus ausgesuchten Elementen, aus klassenbewussten Arbeitern und Bauern gebildet. Jeder nimmt das Bewusstsein an die Front mit, dass er für das Schicksal nicht nur der russischen Revolution, sondern der ganzen Weltrevolution kämpft, denn wir können dessen sicher sein, dass die russische Revolution nur das Vorbild, nur der erste Schritt in einer Reihe von Revolutionen ist, mit denen der Krieg unvermeidlich enden wird.

Einer der Bestandteile des Kampfes, den wir jetzt führen, ist das Volksbildungswesen. Der Heuchelei und Lüge können wir die volle und offene Wahrheit entgegenstellen. Der Krieg hat anschaulich gezeigt, was der „Wille der Mehrheit" ist, hinter den sich die Bourgeoisie verschanzte, der Krieg hat gezeigt, dass eine Handvoll Plutokraten ihrer Interessen wegen die Völker in das Gemetzel hinein zerren. Der Glaube daran, dass die bürgerliche Demokratie der Mehrheit dient, ist jetzt endgültig zerstört worden. Unsere Verfassung, unsere Sowjets, die für Europa neu waren, die uns jedoch schon aus der Erfahrung der Revolution von 1905 vertraut sind, dienen als bestes agitatorisches und propagandistisches Beispiel für die Entlarvung der ganzen Verlogenheit und Heuchelei ihres Demokratismus. Wir haben offen die Herrschaft der Werktätigen und Ausgebeuteten proklamiert – darin liegt unsere Stärke und die Quelle unserer Unabhängigkeit.

Auf dem Gebiete der Volksbildung ist es dasselbe: je kultureller ein bürgerlicher Staat war, desto raffinierter hat er gelogen, indem er behauptete, dass die Schule außerhalb der Politik stehen und der Gesellschaft als Ganzes dienen könne.

In Wirklichkeit war die Schule ganz und gar in ein Werkzeug der Klassenherrschaft der Bourgeoisie verwandelt, sie war ganz von bürgerlichem Kastengeist durchdrungen, sie hatte den Zweck, den Kapitalisten diensteifrige Knechte und tüchtige Arbeiter zu liefern. Der Krieg hat gezeigt, wie die Wunder der modernen Technik als Mittel zur Vernichtung von Millionen Arbeitern und zur unermesslichen Bereicherung für die am Krieg profitierenden Kapitalisten dienen. Der Krieg ist von innen heraus unterhöhlt worden, weil wir die Lüge der Kapitalisten entlarvt und ihr die Wahrheit entgegengesetzt haben. Wir sagen: unsere Aufgabe auf dem Gebiete des Schulwesens ist ebenfalls ein Kampf für den Sturz der Bourgeoisie; wir erklären offen, dass eine außerhalb des Lebens, außerhalb der Politik stehende Schule Lüge und Heuchelei ist. Was war die Sabotage, die von den gebildetsten Vertretern der alten bürgerlichen Kultur verkündet wurde? Die Sabotage hat anschaulicher als jeder beliebige Agitator, als alle unsere Reden und als Tausende von Broschüren gezeigt, dass diese Leute das Wissen als ihr Monopol betrachten und es in ein Werkzeug ihrer Herrschaft über die sogenannten „unteren Schichten" verwandeln. Sie haben ihre Bildung benutzt, um zu versuchen, das Werk des sozialistischen Aufbaus zu vereiteln und sind offen gegen die werktätigen Massen aufgetreten.

Die russischen Arbeiter und Bauern haben im revolutionären Kampf ihre endgültige Erziehung erhalten. Sie haben gesehen, dass nur unsere Gesellschaftsordnung ihnen die tatsächliche Herrschaft gibt, sie haben sich davon überzeugt, dass die Staatsmacht den Arbeitern und der Dorfarmut voll und ganz ihre Hilfe angedeihen lässt, damit sie den Widerstand der Kulaken, Gutsbesitzer und Kapitalisten endgültig brechen können.

Die Werktätigen streben nach Wissen, weil Wissen ihnen für den Sieg unentbehrlich ist. Neun Zehntel der werktätigen Massen haben begriffen, dass Wissen eine Waffe in ihrem Kampfe um die Befreiung ist, dass ihre Misserfolge sich aus dem Mangel an Bildung erklären und dass es jetzt von ihnen selbst abhängt, die Bildung allen wirklich zugänglich zu machen. Unsere Sache ist dadurch gesichert, dass die Massen selbst an den Aufbau des neuen, sozialistischen Russland herangegangen sind. Sie lernen aus ihrer eigenen Erfahrung, aus ihren eigenen Misserfolgen und Fehlern; sie sehen, wie sehr die Bildung zur siegreichen Beendigung des Kampfes, den sie führen, notwendig ist. Ungeachtet des scheinbaren Zerfalls vieler Institutionen und ungeachtet des Jubels der sabotierenden Intelligenz, sehen wir, dass die Kampferfahrung die Massen gelehrt hat, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Alle, die mit dem Volk nicht in Worten, sondern in der Tat sympathisieren, der beste Teil der Lehrerschaft, wird zu Hilfe kommen, – und darin liegt für uns das sichere Unterpfand, dass die Sache des Sozialismus siegen wird.

Kommentare