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Wladimir I. Lenin 19180526 Rede auf dem I. Kongress der Volkswirtschaftsräte

Wladimir I. Lenin: Rede auf dem I. Kongress der Volkswirtschaftsräte

26. Mai 1918

[Veröffentlicht 1918 in dem Buch: „Die Arbeiten des Allrussischen Kongresses der Volkswirtschaftsräte". Nach Sämtliche Werke, Band 23, Moskau 1940, S. 48-57]

Genossen, erlaubt mir vor allem, den Kongress der Volkswirtschaftsräte im Namen des Rates der Volkskommissare zu begrüßen.

Genossen, dem Obersten Volkswirtschaftsrat ist heute eine der schwierigen und eine der dankbarsten Aufgaben zugefallen. Es unterliegt keinem Zweifel: je weiter die Errungenschaften der Oktoberrevolution fortschreiten werden, je tiefer diese von ihr begonnene Umwälzung gehen wird, je dauerhafter das Fundament für die Errungenschaften der sozialistischen Revolution und für die Sicherung der sozialistischen Gesellschaftsordnung gelegt werden wird, desto größer, desto bedeutender wird die Rolle der Volkswirtschaftsräte werden, die allein unter allen staatlichen Institutionen dazu berufen sind, einen dauerhaften Platz zu behaupten, der um so dauerhafter sein wird, je mehr wir uns der Aufrichtung der sozialistischen Ordnung nähern werden, je geringer das Bedürfnis nach einem rein administrativen Apparat sein wird, einem Apparat, der sich eigentlich nur mit der Verwaltung befasst. Nachdem der Widerstand der Ausbeuter endgültig gebrochen sein wird, nachdem die Werktätigen gelernt haben werden, die sozialistische Produktion zu organisieren, ist es diesem Apparat der Verwaltung im eigentlichen, engen Sinne des Wortes, diesem Apparat des alten Staates bestimmt zu sterben, während es einem Apparat von der Art des Obersten Volkswirtschaftsrats bestimmt ist zu wachsen, sich zu entwickeln und zu erstarken, da er die gesamte wichtigste Tätigkeit der organisierten Gesellschaft umfasst.

Wenn ich daher, Genossen, die Erfahrungen unseres Obersten Volkswirtschaftsrates und der lokalen Sowjets, mit deren Tätigkeit er eng und unzertrennlich verbunden ist, betrachte, so glaube ich, dass wir, obwohl vieles noch unabgeschlossen, unvollendet, unorganisiert ist, nicht den geringsten Grund zu irgendwelchen pessimistischen Schlussfolgerungen haben. Denn die Aufgabe, die sich der Oberste Volkswirtschaftsrat stellt und die sich alle Gebiets- und örtlichen Sowjets stellen, ist eine so gigantische, so allumfassende Aufgabe, dass bestimmt nichts in dem, was wir alle beobachten, zu Befürchtungen Anlass gibt. Sehr oft – gewiss, von unserem Standpunkt aus vielleicht auch zu oft – wurde das Sprichwort: „Siebenmal anpassen und einmal abschneiden" nicht angewandt. So einfach, wie die Dinge im Sprichwort sind, steht es mit der Organisierung der Wirtschaft nach sozialistischen Prinzipien leider nicht. Dadurch, dass die ganze Macht – diesmal nicht nur die politische und in erster Linie sogar nicht die politische, sondern die wirtschaftliche Macht, d. h. diejenige, die an die tiefsten Grundlagen des alltäglichen Lebens der Menschen rührt – in die Hände einer neuen Klasse übergegangen ist, noch dazu einer solchen, die – zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit – Führerin der gewaltigen Mehrheit der Bevölkerung, der ganzen Masse der Werktätigen und Ausgebeuteten ist, komplizieren sich unsere Aufgaben. Es versteht sich von selbst, dass angesichts der gewaltigen Wichtigkeit und der größten Schwierigkeit der organisatorischen Aufgaben, angesichts der Notwendigkeit, die tiefsten Grundlagen des Lebens von Millionen und aber Millionen Menschen auf ganz neue Art und Weise zu organisieren, keine Möglichkeit besteht, die Sache so einfach zu handhaben, wie es in dem erwähnten Sprichwort heißt: „Siebenmal anpassen und einmal abschneiden". Es ist uns in der Tat unmöglich, vorher zahlreiche Anproben durchzuführen und dann erst das abzuschneiden und zusammenzufügen, was endgültig angepasst und anprobiert ist. Wir müssen im Laufe der Arbeiten selbst die einen oder anderen Einrichtungen erproben, sie in ihrer Praxis beobachten, sie an der kollektiven allgemeinen Erfahrung der Werktätigen und, was die Hauptsache, an der Erfahrung mit den Resultaten ihrer Arbeit überprüfen; wir müssen sofort im Laufe der Arbeit selbst – und dazu unter den Verhältnissen des verzweifelten Kampfes und des wütendsten Widerstandes der Ausbeuter, die um so wütender werden, je näher wir daran sind, der kapitalistischen Ausbeutung ihre letzten verfaulten Zähne auszubrechen – das Gebäude unserer Wirtschaft errichten. Es versteht sich, dass es unter diesen Umständen auch nicht den geringsten Grund für Pessimismus gibt, obwohl es freilich ein wichtiger Grund für hämische Ausfälle der Bourgeoisie und der in ihren besten Gefühlen verletzten Herren Ausbeuter ist, wenn wir die Typen, Statuten, Verwaltungsorgane der verschiedenen Volkswirtschaftszweige manchmal binnen kurzer Zeit wiederholt umändern müssen. Allerdings, demjenigen, der an dieser Arbeit, an der manchmal dreimaligen Umarbeitung von Statuten, Normen, Verwaltungsbestimmungen allzu nahe und unmittelbar teilnimmt, nun, sagen wir, dem Leiter der Schifffahrtsverwaltung, ist gewiss mitunter keineswegs froh zumute, und das Vergnügen an dieser Art Arbeit kann nicht gerade groß sein. Aber wenn man von der unmittelbaren Unannehmlichkeit der allzu häufigen Umarbeitung von Dekreten ein klein wenig absieht, und wenn man ein bisschen tiefer und weiter blickt auf das gigantische, welthistorische Werk, das das russische Proletariat vorläufig noch mit seinen eigenen unzulänglichen Kräften zu bewältigen hat, so wird sofort verständlich, dass sogar viel zahlreichere Umarbeitungen sowie die praktische Erprobung verschiedener Verwaltungssysteme, verschiedener Formen der Herstellung der Disziplin unvermeidlich sind; dass wir bei einem so gigantischen Werk niemals darauf Anspruch erheben könnten – und kein einziger vernünftiger Sozialist, der über die Perspektiven der Zukunft schrieb, hat daran auch nur im Geringsten gedacht –, nach irgendeiner im Voraus gegebenen Anweisung die Organisationsformen der neuen Gesellschaft sofort herausbilden und mit einem Schlage gestalten zu können. Alles, was wir wussten, was uns die besten Kenner der kapitalistischen Gesellschaft, die bedeutendsten Köpfe, die deren Entwicklung voraussahen, genau aufgezeigt hatten, war, dass sich die Umgestaltung geschichtlich unvermeidlich in der und der großen Linie vollziehen muss, dass das Privateigentum an den Produktionsmitteln von der Geschichte verurteilt ist, dass es zerschellen wird, dass man die Ausbeuter unvermeidlich expropriieren wird. Das war mit wissenschaftlicher Genauigkeit festgestellt. Und das wussten wir, als wir das Banner des Sozialismus in unsere Hände nahmen, als wir uns zu Sozialisten erklärten, als wir sozialistische Parteien gründeten, als wir an die Umgestaltung der Gesellschaft gingen. Das wussten wir, als wir die Macht ergriffen, um die sozialistische Reorganisation in Angriff zu nehmen, aber weder die Formen der Umgestaltung noch das Tempo, in dem sich die Reorganisation konkret entwickeln würde, konnten uns bekannt sein. Nur die kollektive Erfahrung, nur die Erfahrung der Millionen kann uns in dieser Hinsicht entscheidende Fingerzeige geben, eben weil für unser Werk, für das Werk des Aufbaus des Sozialismus, die Erfahrungen Hunderter und Hunderttausender jener Oberschichten, die bisher sowohl in der gutsherrlichen als auch in der kapitalistischen Gesellschaft die Geschichte machten, nicht ausreichen. Wir können nicht so verfahren, gerade weil wir auf die gemeinsame Erfahrung, auf die Erfahrung der Millionen Werktätigen rechnen.

Darum wissen wir, dass die organisatorische Arbeit, die die wichtigste, die grundlegende, die Hauptaufgabe der Sowjets ist, unvermeidlich eine Menge Experimente, viele Schritte, zahllose Umarbeitungen, eine Unmasse von Schwierigkeiten mit sich bringt, besonders wenn es sich darum handelt, jeden einzelnen Menschen auf den geeigneten Platz zu stellen; denn hier fehlt die Erfahrung, hier muss jeder einzelne Schritt von uns selbst erarbeitet werden. Je schwerer die Fehler auf diesem Wege, desto stärker wächst die Überzeugung, dass mit jedem neuen Anwachsen der Zahl der Gewerkschaftsmitglieder, mit jedem neuen Tausend, mit jedem neuen Hunderttausend Menschen, die aus dem Lager der bisher nach alter Tradition und Gewohnheit lebenden Werktätigen und Ausgebeuteten ins Lager der Erbauer der Sowjetorganisationen kommen, die Zahl der Menschen wächst, die der Aufgabe gewachsen sein und die Sache ins richtige Gleis bringen müssen. Nehmt eine der untergeordneten Aufgaben, die dem Volkswirtschaftsrat, dem Obersten Volkswirtschaftsrat, besonders oft zu schaffen macht: die Verwendung bürgerlicher Fachleute. Wir alle, wenigstens diejenigen, die auf dem Boden der Wissenschaft und des Sozialismus stehen, wissen, dass der Sozialismus erst dann verwirklicht werden kann, dass er nur in dem Maße verwirklicht werden kann, wie der internationale Kapitalismus die materiellen, technischen Voraussetzungen einer Arbeit entwickelt hat, die in gigantischem Ausmaß verwirklicht worden ist, die auf der Wissenschaft und darum auf der Formierung eines gewaltigen Stamms wissenschaftlich geschulter Fachleute beruht. Wir wissen, dass andernfalls der Sozialismus unmöglich ist. Wenn wir in den Werken jener Sozialisten nachlesen, die im Laufe der letzten fünfzig Jähre die Entwicklung des Kapitalismus beobachteten und immer wieder zu der Schlussfolgerung kamen, der Sozialismus sei unausbleiblich, so verwiesen sie alle ohne Ausnahme darauf, dass nur der Sozialismus die Wissenschaft von ihren bürgerlichen Fesseln, von ihrer Unterjochung durch das Kapital, von ihrer Versklavung an die Interessen der ungeheuerlichen kapitalistischen Gewinnsucht befreien werde. Nur der Sozialismus wird die Möglichkeit geben, die gesellschaftliche Produktion und Verteilung der Produkte gewaltig zu erweitern und sie wissenschaftlichen Erwägungen wirklich unterzuordnen, Erwägungen in Bezug darauf, wie das Leben aller Werktätigen möglichst leicht zu gestalten sei, damit es ihnen die Möglichkeit des Wohlstandes gewähre. Nur der Sozialismus kann das verwirklichen. Und wir wissen, dass er das verwirklichen muss. In dem Verstehen dieser Wahrheit liegt die ganze Schwierigkeit des Marxismus und seine ganze Kraft.

Wir müssen das verwirklichen, indem wir uns auf Elemente stützen, die dem Marxismus feindlich gesinnt sind, denn je größer das Kapital wird, desto schlimmer wird das Joch der Bourgeoisie und die Unterdrückung der Arbeiter. Jetzt, da die Macht in die Hände des Proletariats und der armen Bauernschaft gelegt ist, da diese Macht mit Unterstützung dieser Massen sich Aufgaben stellt, müssen wir diese sozialistischen Umgestaltungen mit Hilfe bürgerlicher Fachleute durchführen, jener Fachleute, die in der bürgerlichen Gesellschaft erzogen worden sind, die keine anderen Verhältnisse gekannt haben, die sich keine anderen gesellschaftlichen Verhältnisse vorstellen können; und darum stecken diese Leute selbst in den Fällen, wo sie vollkommen ehrlich und ihrer Sache ergeben sind, selbst in diesen Fällen, in Tausenden bürgerlichen Vorurteilen, sind sie durch Tausende für sie selbst unmerkliche Fäden mit der sterbenden, verwesenden und daher wütenden Widerstand leistenden bürgerlichen Gesellschaft verbunden. Diese Schwierigkeiten der Aufgabe und der Erreichung des Ziels dürfen uns nicht verborgen bleiben. Ich kann mich weder eines einzigen mir bekannten Werkes eines Sozialisten aus der Zahl derer, die darüber geschrieben, noch einer Meinung hervorragender Sozialisten über die künftige sozialistische Gesellschaft entsinnen, wo auf jene konkrete praktische Schwierigkeit hingewiesen wäre, vor der die zur Macht gelangte Arbeiterklasse stehen wird, wenn sie es sich zur Aufgabe macht, die Gesamtheit der vom Kapitalismus aufgespeicherten, überaus reichen, für uns historisch unumgänglich notwendigen Schätze an Kultur, Wissen und Technik aus einem Werkzeug des Kapitalismus in ein Werkzeug des Sozialismus zu verwandeln. Das ist leicht in einer allgemeinen Formel, in abstrakter Gegenüberstellung, aber im Kampf gegen den Kapitalismus, der nicht auf einmal stirbt und der um so wütender Widerstand leistet, je näher er dem Tode ist, stellt das eine Aufgabe der gewaltigsten Anstrengung dar. Wenn auf diesem Gebiet Experimente gemacht werden, wenn wir oftmals einzelne Fehler berichtigen, so ist das unvermeidlich, da es nicht mit einem Schlage gelingt, auf dem einen oder anderen Gebiet der Volkswirtschaft die Fachleute aus Dienern des Kapitalismus zu Dienern der werktätigen Massen, zu ihren Ratgebern zu machen. Wenn uns das nicht auf den ersten Anhieb gelingt, so kann das keine Spur von Pessimismus hervorrufen, denn die Aufgabe, die wir uns stellen, ist eine Aufgabe von weltgeschichtlicher Schwierigkeit und Bedeutung. Wir verschließen nicht die Augen davor, dass es uns allein – der sozialistischen Revolution in einem Lande, selbst wenn dieses Land viel weniger rückständig wäre als Russland, selbst wenn wir in leichteren Verhältnissen lebten als nach vier Jahren eines unerhörten, qualvollen, schweren und verheerenden Krieges – nicht möglich ist, mit den eigenen Kräften die sozialistische Revolution in einem Lande voll und ganz durchzuführen. Wer sich von der in Russland vor sich gehenden sozialistischen Revolution unter Hinweis auf das offenkundige Missverhältnis der Kräfte abwendet, der gleicht dem verknöcherten „Mann im Futteral", der nicht weiter sieht, als seine Nase reicht und der vergisst, dass es keine einzige einigermaßen bedeutende geschichtliche Umwälzung gibt, die nicht eine ganze Reihe von Fällen eines solchen Missverhältnisses der Kräfte aufzuweisen hätte. Die Kräfte wachsen im Verlauf des Kampfes mit dem Wachsen der Revolution. Wenn das Land den Weg gewaltiger Umgestaltungen beschritten hat, so besteht das Verdienst dieses Landes und der Partei der in diesem Lande siegreichen Arbeiterklasse darin, dass wir an die früher abstrakt, theoretisch gestellten Aufgaben unmittelbar praktisch herangetreten sind. Diese Erfahrung wird nicht vergessen werden. Diese Erfahrung kann den Arbeitern, die heute in Gewerkschaften und örtlichen Organisationen zusammengeschlossen sind und praktisch darangehen, die gesamte Produktion im Rahmen des ganzen Landes in Gang zu bringen, nicht mehr genommen werden, was auch kommen mag und wie schwierig die entscheidenden Etappen der russischen Revolution und der internationalen sozialistischen Revolution auch immer sein mögen. Diese Erfahrung ist als Errungenschaft des Sozialismus in die Geschichte eingegangen und auf dieser Erfahrung wird die künftige internationale Revolution ihr sozialistisches Gebäude errichten.

Ich gestatte mir, noch auf ein Problem, vielleicht das schwierigste, zu verweisen, das der Oberste Volkswirtschaftsrat praktisch zu lösen hat. Das ist das Problem der Arbeitsdisziplin. Wenn wir auf dieses Problem verweisen, müssen wir eigentlich anerkennen und mit Genugtuung betonen, dass gerade die Gewerkschaften, ihre bedeutendsten Organisationen – das Zentralkomitee des Metallarbeiterverbandes, der Allrussische Gewerkschaftsrat –, die obersten Gewerkschaftsorganisationen, die Millionen Werktätiger zusammenfassen, dass sie als die ersten die Lösung dieses Problems selbständig in Angriff genommen haben; dieses Problem hat aber welthistorische Bedeutung. Um dieses Problem zu verstehen, muss man absehen von den einzelnen kleinen Misserfolgen, von den unglaublichen Schwierigkeiten, die einzeln genommen unüberwindlich zu sein scheinen. Man muss sich auf eine höhere Warte stellen und den geschichtlichen Wechsel der Wirtschaftsformationen der Gesellschaft betrachten. Erst von diesem Standpunkt aus wird es klar, was für eine gigantische Aufgabe wir übernommen haben und welch gigantische Bedeutung es hat, dass diesmal der fortgeschrittenste Vertreter der Gesellschaft, die werktätigen und ausgebeuteten Massen sich aus eigener Initiative an die Aufgabe machen, die früher, im Russland der Leibeigenschaft, vor dem Jahre 1861, ganz und gar eine Handvoll Gutsbesitzer zu lösen suchte, die sie als ihre eigene Sache betrachteten. Die Schaffung einer gesamtstaatlichen Bindung und Disziplin war damals ihr Werk. Wir wissen, in welcher Weise die feudalen Gutsbesitzer diese Disziplin schufen. Das war Unterdrückung, Erniedrigung und unsägliche Zuchthausqual für die Mehrheit des Volkes. Erinnert euch an diesen ganzen Übergang von der Leibeigenschaft zur bürgerlichen Wirtschaft, an das, was ihr beobachtet habt – die meisten von euch konnten es allerdings nicht beobachten –, und an das, was ihr von den älteren Generationen darüber wisst. Dieser Übergang nach 1861 zur neuen bürgerlichen Wirtschaft, der Übergang von der alten Leibeigenschaftsdisziplin des Stocks, von der Disziplin der sinnlosesten, zynischsten, rohesten Verhöhnung und Vergewaltigung des Menschen zur bürgerlichen Disziplin, zur Disziplin des Hungers, des sogenannten freien Lohnvertrages, die in Wirklichkeit eine Disziplin kapitalistischer Sklaverei war – dieser Übergang stellte sich historisch als leicht dar, weil die Menschheit nur den Ausbeuter wechselte, weil nur die eine Minderheit von Plünderern und Ausbeutern der Volksarbeit einer anderen Minderheit, ebenfalls von Plünderern und ebenfalls von Ausbeutern der Volksarbeit, Platz machte; weil die Gutsbesitzer den Kapitalisten diesen Platz überließen -– eine Minderheit der anderen Minderheit, während die breiten Massen der werktätigen und ausgebeuteten Klassen unterdrückt blieben. Und selbst diese Ersetzung einer Ausbeuterdisziplin durch eine andere kostete Jahre, wenn nicht Jahrzehnte an Anstrengungen, kostete Jahre, wenn nicht Jahrzehnte einer Übergangszeit, wo die alten feudalen Gutsbesitzer völlig aufrichtig annahmen, dass alles zugrunde gehe, dass man ohne Leibeigenschaftsrecht nicht wirtschaften könne; wo der neue kapitalistische Unternehmer auf Schritt und Tritt auf praktische Schwierigkeiten stieß und an seiner Wirtschaft schier verzweifelte. Es war ein materielles Zeichen, ein realer Beweis für die Schwierigkeit dieses Überganges, dass, als Russland sich damals ausländische Maschinen kommen ließ, um mit ihnen, mit den allerbesten Maschinen, zu arbeiten, es sich herausstellte, dass es weder Leute gab, die damit umzugehen verstanden, noch die erforderlichen Leiter da waren. Und an allen Ecken und Enden Russlands war zu beobachten, wie die besten Maschinen unbenutzt herumlagen; so schwierig war der Übergang von der alten Disziplin der Leibeigenschaft zur neuen bürgerlich-kapitalistischen Disziplin.

Und nun, Genossen, wenn ihr die Dinge so betrachtet, werdet ihr euch nicht durch jene Leute, durch jene Klassen, durch jene Bourgeoisie, durch jene Helfershelfer der Bourgeoisie aus dem Konzept bringen lassen, deren ganze Aufgabe darin besteht, Panik zu säen, Mutlosigkeit zu verbreiten, in alle Arbeit Verzagtheit zu tragen und sie als aussichtslos hinzustellen. Diese Leute weisen auf jeden einzelnen Fall von Undiszipliniertheit und Zersetzung hin und geben deswegen mit einer Handbewegung die Revolution auf – als wenn es auf der Welt, als wenn es in der Geschichte auch nur eine einzige wirklich große Revolution gegeben hätte ohne Zersetzung, ohne Einbuße der Disziplin, ohne qualvolle Schritte der Erfahrung, wenn die Masse eine neue Disziplin herausbildet. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir zum ersten Mal an einem solchen Ausgangspunkt der Geschichte angelangt sind, wo von Millionen Werktätigen und Ausgebeuteten in der Tat eine neue Disziplin, die Disziplin der Arbeit, die Disziplin des kameradschaftlichen Zusammenhalts, die Sowjetdisziplin herausgearbeitet wird. Auf schnelle Fortschritte erheben wir hier keinen Anspruch, mit solchen rechnen wir nicht. Wir wissen, dass es hierzu einer ganzen Geschichtsepoche bedarf. Wir haben diese historische Epoche eingeleitet, da wir in einem noch bürgerlichen Lande die Disziplin der kapitalistischen Gesellschaft zerschlagen -– wir zerschlagen sie und sind stolz darauf, dass alle klassenbewussten Arbeiter, dass absolut die ganze werktätige Bauernschaft an dieser Zerstörung mit allen Mitteln hilft – und da in den Massen ohne Zwang, spontan das Bewusstsein wächst, dass sie diese auf Ausbeutung und Sklaverei der Werktätigen gegründete Disziplin nicht auf Befehl von oben, sondern aus ihrer eigenen Lebenserfahrung heraus durch eine neue Disziplin ersetzen müssen, durch die Disziplin der vereinten Arbeit, die Disziplin der vereinigten organisierten Arbeiter und werktätigen Bauern ganz Russlands, eines Landes mit einer Bevölkerung von Millionen und aber Millionen. Das ist eine Aufgabe von gigantischer Schwierigkeit, dafür aber auch eine dankbare Aufgabe, denn erst dann, wenn wir sie praktisch gelöst haben werden, wird der letzte Nagel in den Sarg der kapitalistischen Gesellschaft geschlagen sein, die wir zu Grabe tragen.

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