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Wladimir I. Lenin 19181106 Rede in der Festsitzung des Allrussischen Zentralrats und des Moskauer Rats der Gewerkschaften

Wladimir I. Lenin: Rede in der Festsitzung des

Allrussischen Zentralrats und des Moskauer Rats der Gewerkschaften

6. November 1918. Zeitungsbericht

[„Iswestija" Nr. 244 (508). 9. November 1918. Nach Sämtliche Werke, Band 23, Moskau 1940, S. 309-311]

Wir veranstalten heute Dutzende und Hunderte von Versammlungen, um den Jahrestag des Oktoberumsturzes zu feiern. Denjenigen, die seit langem an der Arbeiterbewegung teilnahmen, die schon früher mit den Arbeitermassen verbunden waren und mit den Fabriken und Werken in nahe Berührung kamen – ihnen ist es klar, dass das vergangene Jahr ein Jahr wahrer proletarischer Diktatur war. Dieser Begriff stellte früher unbekanntes Bücherlatein, irgendeine Kombination schwer verständlicher Wörter dar. Die Intellektuellen suchten die Erklärung für diesen Begriff in gelehrten Büchern, die ihnen jedoch nur eine sehr nebelhafte Vorstellung davon gaben, was die proletarische Diktatur eigentlich ist. Unser Hauptverdienst im vergangenen Jahr besteht darin, dass wir diese Worte aus dem unverständlichen Latein in die verständliche russische Sprache übersetzt haben. Die Arbeiterklasse hat sich im vergangenen Jahr nicht mit Grübeleien beschäftigt, sondern hat die proletarische Diktatur in der Tat geschaffen und sie trotz den außer Fassung geratenen Köpfen der Intellektuellen verwirklicht.

Im Westen herrschte nach wie vor der Kapitalismus. Jetzt bricht auch dort die Zeit der großen Umwälzungen an. Jetzt nähert sich auch das westeuropäische Proletariat der schweren Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus. Es wird ebenso wie wir den ganzen Apparat zerbrechen und einen neuen aufbauen müssen.

Es war uns nicht vergönnt, alle die Vorräte an Erfahrung, Wissen und technischer Kultur auszunutzen, über die die bürgerliche Intelligenz verfügte. Die Bourgeoisie lachte boshaft über die Bolschewiki und erklärte, dass die Sowjetmacht sich kaum zwei Wochen halten werde; sie drückte sich deshalb nicht nur vor jeder weiteren Arbeit, sondern widersetzte sich überall, wo sie nur konnte, und mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln der neuen Bewegung, dem neuen Aufbau, der das alte Herkommen zerbrach.

Der Widerstand der Bourgeoisie ist noch lange nicht geschwunden. Ihre Erbitterung wächst mit jedem Tag und wächst um so schneller, je mehr wir uns dem Ende der alten kapitalistischen Welt nähern.

Im Zusammenhang mit dem Erstarken des Bolschewismus, mit seiner Entwicklung zu einem Faktor von Weltbedeutung, hat sich die internationale Lage jetzt so gestaltet, dass gegen die Sowjetrepublik ein Bund der Imperialisten aller Schattierungen aufmarschieren kann und der Widerstand der Bourgeoisie aus einem nationalen zu einem internationalen werden wird.

Deutschland hat, wie ihr wisst, unseren Botschafter aus Berlin ausgewiesen unter Berufung auf die revolutionäre Propaganda unserer Vertretung in Deutschland. Als ob die deutsche Regierung früher nicht gewusst hätte, dass unsere Botschaft die revolutionäre Ansteckung einschleppt. Wenn aber Deutschland früher dazu geschwiegen hat, so darum, weil es noch stark war, weil es uns nicht fürchtete. Jetzt aber, nach dem militärischen Zusammenbruch, flößen wir Deutschland Angst ein. Die deutschen Generale und Kapitalisten wenden sich an die Alliierten und sagen ihnen: ihr habt uns zwar besiegt, lasst euch aber nicht zu sehr bei den Experimenten hinreißen, die ihr mit uns vorhabt, denn euch sowohl wie uns droht der Weltbolschewismus, und im Kampfe mit ihm können wir euch von Nutzen sein.

Es ist sehr wohl möglich, dass die Entente-Imperialisten sich mit dem deutschen Imperialismus zu einem gemeinsamen Feldzug gegen Russland vereinigen werden, natürlich, falls der deutsche Imperialismus zu diesem Zeitpunkt noch unversehrt sein wird. Deshalb eben wird jetzt die Gefahr, die uns im Laufe des ganzen verflossenen Jahres umlauerte, besonders groß. Aber heute sind wir nicht allein. Wir besitzen heute Freunde in Gestalt jener Völker, die sich an einigen Stellen schon erhoben haben, und an anderen im Begriff sind, sich zu erheben. Sie überzeugen ihre Regierungen anschaulich genug davon, dass sie nicht gewillt sind, weiterhin für räuberische Annexionen zu kämpfen. Doch ungeachtet dessen, dass uns eine neue Folge sehr gefahrvoller Zeitabschnitte erwartet, werden wir unseren sozialistischen Aufbau auch weiterhin fortsetzen. Die Erfahrung der Vergangenheit wird uns helfen, Fehler zu vermeiden und uns neue Kraft zur weiteren Arbeit geben.

Die Rolle der Gewerkschaften beim Aufbau des neuen Staatsapparates hat sich als ungeheuer groß erwiesen. Die Arbeiterklasse hat gezeigt, dass sie ohne Intellektuelle und ohne Kapitalisten die Industrie zu organisieren vermag. Vieles ist getan worden, doch bleibt in der Zukunft noch vieles zu tun. Genossen, schreitet kühner auf dem Wege voran, den ihr bisher gegangen seid, zieht immer neue und neue Massen zur Arbeit heran! Gebt allen jenen Arbeitern, mögen sie, Analphabeten, unerfahren und unwissend sein, die aber mit der Masse verbunden sind und aufrichtig wünschen, dass die neue Gesellschaftsordnung sich festige – gebt ihnen allen, sowohl den Parteimitgliedern als auch den Parteilosen, die Möglichkeit, im neuen proletarischen Staate zu arbeiten und zu lernen, zu regieren und Reichtum zu schaffen.

Das internationale Proletariat wird sich erheben, wird den Kapitalismus überall stürzen und unsere Arbeit vollenden, die zum vollen Sieg des Sozialismus führt!

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