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Wladimir I. Lenin 19180621 Rede in einer Volksversammlung im Sokolniki-Klub

Wladimir I. Lenin: Rede in einer Volksversammlung im Sokolniki-Klub

21. Juni 1918. Kurzer Zeitungsbericht

[„Iswestija" Nr. 127 (391) und 128 (392) vom 22. und 23. Juni 1918. Nach Sämtliche Werke, Band 23, Moskau 1940, S. 86-90]

Unsere Partei hat sich zur Aufgabe gemacht, heute in Moskau möglichst viele Versammlungen zu veranstalten, um die Aufmerksamkeit der Arbeiterklasse auf die Lage zu lenken, in der sich die Sowjetmacht befindet, sowie darauf, welche Anstrengungen sie machen muss, um die entstandene Lage zu bewältigen.

Ihr wisst, wie die Konterrevolution in den letzten Monaten und ganz besonders in den letzten Wochen ihr Haupt erhoben hat. Die rechten Sozialrevolutionäre und die Menschewiki beschuldigen die Sowjetmacht, dass sie Russland an den deutschen Imperialismus verraten habe und verrate.

Wir haben jedoch sehr gut gesehen, was im Kaukasus vor sich ging und vor sich geht, wo die kaukasischen Menschewiki ein Bündnis mit dem türkischen Imperialismus geschlossen haben, und in der Ukraine, wo die ukrainischen rechten Sozialrevolutionäre ein Bündnis mit dem deutschen Imperialismus geschlossen haben. Nicht genug damit, Genossen, dass dort alle Errungenschaften der Sowjetmacht zunichte gemacht worden sind, nicht genug damit, dass dort Arbeiter verhaftet und erschossen werden, dass den Arbeitern dort alle Errungenschaften genommen wurden, haben sie dort Skoropadski eingesetzt. Alle diese ihre Maßnahmen können ihnen natürlich nicht die Sympathien der Arbeiterklasse erwerben. Deshalb eben setzt die Konterrevolution im gegenwärtigen Augenblick ihre ganze Hoffnung auf die Müdigkeit des russischen Volkes, auf den Hunger. Sie unternimmt die letzten Versuche zum Sturze der Sowjetmacht.

Jetzt klammern sie sich an die Tschechoslowaken, die, wie gesagt werden muss, durchaus nicht gegen die Sowjetmacht sind. Gegen die Sowjetmacht sind nicht die Tschechoslowaken, sondern ihr konterrevolutionäres Offizierskorps. Der Imperialismus ist bestrebt, Russland mit Hilfe dieses Offizierskorps in das fortdauernde Weltgemetzel hinein zu zerren.

Und es ist charakteristisch, sobald irgendwo die Macht in die Hände der Menschewiki und der rechten Sozialrevolutionäre übergeht, stellt sich sofort heraus, dass sie uns mit irgendeinem Skoropadski beglücken wollen. Und sowie erst die Massen sich davon überzeugen, wohin sie von den Menschewiki und den rechten Sozialrevolutionären geführt worden sind, bleiben diese ohne die Unterstützung der Massen.

Man verlässt sie. Dann nehmen sie als letzte Hoffnung ihre Zuflucht zur Spekulation auf den Hunger, und wenn auch dabei nichts herauskommt, verschmähen sie selbst solche Methoden nicht, wie den Mord aus dem Hinterhalt.

Ihr wisst alle, dass der alte Funktionär, Genosse Wolodarski, der seine Überzeugung mit Leiden und Entbehrungen bezahlt hat, ermordet worden ist. Es ist natürlich möglich, dass es ihnen gelingt, noch einige aktive Funktionäre der Sowjetmacht zu ermorden, aber das wird die Sowjetmacht in den Massen nur festigen und wird uns dazu bewegen, an unseren Errungenschaften noch entschlossener festzuhalten.

Gegenwärtig sind es zwei Umstände, die die Sowjetrepublik in eine besonders schwere Situation bringen: der Hunger und die internationale Lage.

Die internationale Lage ist deshalb schwer, weil der deutsche, der französische und der englische Imperialismus nur auf den Augenblick warten, um sich von neuem auf die Sowjetrepublik zu stürzen. Die Aufgabe unserer Partei besteht darin, das Joch des Kapitalismus abzuwerfen; dieses Abwerfen kann nur in der internationalen Revolution geschehen. Aber, Genossen, ihr müsst einsehen, dass Revolutionen nicht auf Bestellung gemacht werden. Wir sind uns dessen bewusst, dass die Lage der Republik Russland sich so gestaltet hatte, dass es der russischen Arbeiterklasse als erster gelang, das Joch des Kapitals und der Bourgeoisie abzuschütteln, und wir sind uns dessen bewusst, dass das nicht darum gelungen ist, weil die russische Arbeiterklasse entwickelter und idealer wäre, sondern darum, weil unser Land ein besonders rückständiges Land ist.

Der Kapitalismus wird dann endgültig gestürzt sein, wenn sich zumindest einige Länder zu einem solchen Vorstoß vereinigen. Und wir wissen, dass wir es trotz aller Strenge der Zensur in sämtlichen Ländern doch erreicht haben, dass in allen Versammlungen die Erwähnung der Partei der Kommunisten und des Namens der Republik Russland Stürme der Begeisterung auslöst.

Wir sagen: Solange dort im Westen das Weltgemetzel anhält, sind wir gesichert. Welche Folgen auch immer der Krieg nach sich ziehen mag, er wird unausbleiblich eine Revolution hervorrufen, die unser Verbündeter ist und sein wird.

Nach einer Charakteristik der schweren Lage Sowjetrusslands, das von äußeren Feinden umgeben und im Inneren den Angriffen der Konterrevolution ausgesetzt ist, geht Lenin zur Frage des Hungers über.

Unsere Revolution lässt die imperialistischen Klassen erzittern, die klar erkennen, dass ihre Existenz davon abhängt, ob ihr Kapital erhalten bleiben wird oder nicht; darum müssen wir durchhalten und Hand in Hand mit der Klasse gehen, mit der zusammen wir die Errungenschaften der Oktoberrevolution erfochten haben.

In den Kampf gegen den Hunger ziehen wir mit derselben Klasse.

Jetzt gilt es, für einen, für anderthalb oder zwei Monate – es werden die schwersten sein – alle Kräfte und alle Energie einzusetzen.

Im Leben der Völker hat es Augenblicke gegeben, wo die Staatsmacht in die Hände der Arbeiterklasse überging, diese aber nicht die Kraft hatte, die Macht zu behaupten. Wir jedoch sind dazu imstande, weil wir die Sowjetmacht haben, welche die Arbeiterklasse vereinigt, die ihre eigene Sache in Angriff genommen hat.

Wie schwer unsere Lage auch sein mag, was für Verschwörungen die rechten Sozialrevolutionäre mit den Tschechoslowaken auch organisieren mögen, wir wissen, dass selbst in den Gouvernements, die das Zentrum umgeben, Getreide vorhanden ist. Und dieses Getreide müssen wir nehmen, wobei wir das Bündnis der Arbeiterklasse mit der Armbauernschaft erhalten und festigen müssen.

Abteilungen von Rotarmisten verlassen die Hauptstadt mit den besten Absichten, an Ort und Stelle angelangt, erliegen sie aber mitunter der Versuchung zur Plünderung und der Trunksucht. Daran ist das vierjährige Gemetzel schuld, das die Menschen auf lange Zeit in die Schützengräben verpflanzt und sie gezwungen hat, vertiert aufeinander einzuschlagen. Diese Vertierung lässt sich in allen Ländern beobachten. Jahre werden vergehen, bis die Menschen aufhören, wilde Tiere zu sein, bis sie wieder ein menschliches Antlitz bekommen werden.

Wir wenden uns an die Arbeiter mit dem Appell, alle ihre Kräfte einzusetzen.

Wenn ich die Meldung lese, dass im Usmansker Kreis des Gouvernements Tambow eine Abteilung für Lebensmittelbeschaffung von den requirierten 6000 Pud Getreide 3000 Pud der armen Bauernschaft abgibt, so sage ich: selbst wenn man mir bewiese, dass es bisher nur eine einzige solche Abteilung in Russland gibt, würde ich dennoch sagen, dass die Sowjetmacht das Ihre leistet. Denn in keinem Staate gibt es eine solche Abteilung!

Die Bourgeoisie erkennt sehr gut ihre Interessen und tut alles mögliche, um sie zu wahren. Sie ist sich bewusst, dass alle ihre Hoffnungen auf eine Restauration zusammenbrechen werden und dass die Sowjetmacht erstarken wird, wenn die Bauern in diesem Herbst zum ersten Mal seit vielen Jahrhunderten die Früchte ihrer eigenen Arbeit ernten und die werktätige Klasse der Städte versorgen werden. Darum auch rennt die Bourgeoisie jetzt kopflos hin und her.

Es ist notwendig, alle Kräfte zum Kampfe gegen die reichen Bauern, gegen die Spekulanten und gegen die städtische Bourgeoisie anzuspannen.

Eines der größten Übel unserer Revolution ist die Zaghaftigkeit unserer Arbeiter, die bis jetzt davon überzeugt sind, dass nur hochqualifizierte … Räuber den Staat regieren können. Aber in jeder Fabrik, in jedem Werk gibt es gute Arbeiter. Mögen sie auch parteilos sein – ihr müsst sie zusammenschmieden und vereinigen, der Staat aber wird alles tun, was möglich ist, um ihrer schweren Arbeit den Erfolg zu sichern.

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