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Wladimir I. Lenin 19190126 Alle auf zur Arbeit im Ernährungs- und Verkehrswesen

Wladimir I. Lenin: Alle auf zur Arbeit im Ernährungs- und Verkehrswesen

[Geschrieben am 26. Januar 1919. Veröffentlicht am 28. Januar 1919 in der „Prawda" Nr. 19. Gezeichnet: N. Lenin. Nach Sämtliche Werke, Band 23, Moskau 1940, S. 648-651]

In der letzten Sitzung des Allrussischen Zentralexekutivkomitees hatte ich schon Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass für die Sowjetrepublik ein besonders schweres Halbjahr begonnen hat. In der ersten Hälfte 1918 wurden 28 Millionen Pud Getreide aufgebracht, in der zweiten Hälfte 67 Millionen Pud. Das erste Halbjahr 1919 wird schwerer sein als das vorhergegangene.

Der Hunger wird immer stärker, der Flecktyphus wird zur drohendsten Gefahr. Heldenhafte Anstrengungen sind notwendig, aber es wird bei uns viel, viel zu wenig getan.

Ist eine Rettung möglich, kann die Lage verbessert werden?

Zweifellos ja. Die Einnahme von Ufa und Orenburg, der Sieg im Süden, ferner der Sieg des Sowjetaufstandes in der Ukraine eröffnen uns die günstigsten Perspektiven.

Wir sind jetzt in der Lage, bedeutend mehr Getreide aufzubringen, als für eine an Hunger grenzende Lebensmittelration notwendig ist.

Im Ostgebiet sind schon einige Millionen Pud Getreide geschüttet worden. Zurückgehalten werden sie durch den schlechten Zustand des Verkehrswesens. Im Süden gibt die Befreiung des ganzen Gouvernements Woronesch und eines Teiles des Dongebiets von den Krasnowschen Kosaken die volle Möglichkeit, über alle unsere früheren Berechnungen hinaus, große Getreidemengen zu bekommen. Geradezu gewaltig sind schließlich die Getreideüberschüsse in der Ukraine, und die Sowjetregierung der Ukraine bietet uns ihre Hilfe an.

Wir können uns jetzt nicht nur vor dem Hunger retten, sondern auch die ausgehungerte Bevölkerung der landwirtschaftlichen Zuschussgebiete Russlands völlig sättigen.

Alles hängt von dem schlechten Zustand des Verkehrswesens ab und von dem äußersten Mangel an Mitarbeitern im Ernährungswesen.

Alle Kräfte müssen angespannt, die Energie der Arbeitermassen muss immer und immer wieder entfacht werden. Man muss mit dem gewohnten Gang des Alltagslebens und der Alltagsarbeit entschieden brechen. Man muss sich aufraffen! Man muss die revolutionäre Mobilisierung von Mitarbeitern für das Ernährungs- und das Verkehrswesen in Angriff nehmen, man darf sich dabei nicht auf den Rahmen der „laufenden" Arbeit beschränken, sondern man muss über ihre Schranken hinausgehen, immer neue und neue Methoden der Auswahl und der Heranziehung zusätzlicher Kräfte ausfindig machen.

Wir haben jetzt die gewichtigsten Gründe, um – unter dem Gesichtswinkel der „vorsichtigsten", und selbst einer pessimistischen Berechnung – anzunehmen, dass der Sieg über Hunger und Typhus in diesem Halbjahr (ein durchaus möglicher Sieg) uns eine vollständige Wendung der ganzen Wirtschaftslage zum Besseren bringen wird, denn die Verbindung mit der Ukraine und mit Taschkent schafft die grundlegenden, die wichtigsten Ursachen der Knappheit und des Mangels an Rohstoffen aus der Welt.

Es versteht sich, die ausgehungerten Massen sind müde geworden, zuweilen ist diese Ermüdung übermenschlich groß, aber es gibt einen Ausweg, ein Aufschwung der Energie ist trotzdem unbedingt möglich: um so mehr, als das Ansteigen der proletarischen Revolution in der ganzen Welt immer offensichtlicher wird und uns eine durchgreifende Besserung nicht nur unserer inneren, sondern auch unserer internationalen Lage verspricht.

Man muss sich aufraffen. Jede Parteiorganisation, jede Gewerkschaft, jede Gruppe gewerkschaftlich organisierter, oder sogar unorganisierter Arbeiter, die aber gegen den Hunger „Krieg führen" wollen – jede Gruppe von Sowjetarbeitern und von Sowjetbürgern überhaupt muss sich die Frage vorlegen:

Was können wir tun, um den Feldzug des ganzen Volkes gegen die Hungersnot zu erweitern und zu verstärken?

Können wir nicht Männerarbeit durch Frauenarbeit ersetzen und noch und noch Männer für die überaus schwierigen Aufgaben des Verkehrs- und des Ernährungswesens mobil machen?

Können wir nicht für die Lokomotiv- und Waggonreparaturwerkstätten Kommissare geben?

Können wir nicht der Ernährungsarmee einfache Mitkämpfer geben?

Sollen wir nicht jeden zehnten oder jeden fünften Mann aus unserer Mitte, aus unserer Gruppe, aus unserem Betrieb usw., für die Ernährungsarmee oder für die Arbeit in Eisenbahnwerkstätten aussondern, die heute schwieriger und schwerer ist als sonst?

Sind nicht manche von uns mit einer solchen Sowjet- oder sonstigen Arbeit beschäftigt, die ohne Erschütterung der Grundpfeiler des Staates eingeschränkt oder sogar eingestellt werden könnte? Sind wir nicht verpflichtet, diese Kräfte unverzüglich für das Ernährungs- und das Verkehrswesen zu mobilisieren?

Wir müssen uns immer und immer wieder in möglichst breiten Massen erheben, um der verfluchten Regel der alten kapitalistischen Gesellschaft, jener Regel, die wir von dieser Gesellschaft ererbt, jener Regel, die jeden von uns mehr oder minder angesteckt und verdorben hat, einen neuen Schlag zu versetzen, der Regel: „Jeder für sich, Gott für uns alle". Dieses Erbe des räuberischen, schmutzigen und blutigen Kapitalismus ist es, das uns am meisten quält, würgt, zerfleischt, niederdrückt, zugrunde richtet. Dieses Erbe kann man nicht auf einmal abstreifen, dazu bedarf es eines unermüdlichen Kampfes, gegen dieses Erbe muss man nicht einmal und nicht zweimal, sondern viele Male einen neuen Kreuzzug verkünden und durchführen.

Die Rettung von Millionen und aber Millionen Menschen vor Hunger und Typhus ist möglich, die Rettung ist nahe, die hereingebrochene Hunger- und Typhuskrise kann durchaus überwunden und besiegt werden. Zu verzweifeln ist naiv, dumm, schmachvoll. Vereinzelt, in voller Auflösung, um die Wette zu laufen, um sich allein irgendwie „herauszuwinden", um als einzelner die Schwächeren zur Seite zu stoßen und sich selbst irgendwie nach vorne durchzuschlagen – das heißt desertieren, die kranken und ermatteten Genossen im Stich lassen, die allgemeine Lage verschlechtern.

Wir haben das feste Fundament der Roten Armee geschaffen, die sich jetzt durch unerhörte Schwierigkeiten, durch die eiserne Mauer der von den schwerreichen englischen und französischen Milliardären unterstützten Truppen der Gutsbesitzer und Kapitalisten durchgeschlagen hat zu den wichtigsten Rohstoffquellen, zum Getreide, zur Baumwolle und zur Kohle. Wir haben dieses Fundament geschaffen durch Arbeit auf eine neue Art, durch politische Propaganda an der Front, durch Organisierung der Kommunisten in unserer Armee, durch die opferwillige Organisation und den selbstlosen Kampf der Besten aus den Reihen der Arbeitermassen.

Wir haben eine Reihe von Siegen errungen, sowohl an der äußeren, an der Kriegsfront, als auch an der inneren Front, im Kampf gegen die Ausbeuter, im Kampf gegen die Sabotage, im Kampf um den schweren, mühseligen, dornenreichen aber richtigen Weg des sozialistischen Aufbaus. Wir sind dem vollen und entscheidenden Sieg nicht nur in Russland, sondern auch im Weltmaßstabe nahe.

Noch einige Anstrengungen –- und wir sind den eisernen Fängen des Hungers entronnen.

Lasst uns das, was wir für die Rote Armee geleistet haben und leisten, noch einmal und mit erneuter Energie für die Belebung, Erweiterung und Verstärkung der Arbeit im Ernährungs- und Verkehrswesen tun. Alle besten Kräfte müssen für diese Arbeit eingesetzt werden. Hier wird sich für jeden, der arbeiten will und kann, Platz finden, jeder wird hier, wenn er will, zum organisierten Massensieg über Zerrüttung und Hunger beitragen. Für jede aktive Kraft, für jede Art Fähigkeit, für jede Spezialität, für jeden Beruf, für jeden bereitwilligen Menschen kann und muss eine Beschäftigung gefunden werden in dieser Friedensarmee der Ernährungs- und Transportarbeiter, in dieser Friedensarmee, die heute, um den vollen Sieg zu sichern, die Rote Armee unterstützen, ihre Siege verankern und ausnutzen muss.

Alle auf zur Arbeit im Ernährungs- und Verkehrswesen!

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