Lenin‎ > ‎1919‎ > ‎

Wladimir I. Lenin 19190214 Antwort auf die Frage eines Bauern

Wladimir I. Lenin: Antwort auf die Frage eines Bauern

[Geschrieben am 14. Februar 1919. Veröffentlicht am 15. Februar 1919 in der „Prawda" Nr. 35. Gezeichnet: N. Lenin. Nach Sämtliche Werke, Band 23, Moskau 1940, S. 652-656]

In den „Iswestija des Zentralexekutivkomitees" vom 2. Februar ist der Brief eines Bauern, G. Gulow, veröffentlicht worden, in dem er die Frage nach dem Verhältnis unserer Arbeiter- und Bauernregierung zu den Mittelbauern aufwirft und von einem Gerücht erzählt, das verbreitet werde, wonach Lenin und Trotzki sich nicht vertrügen und zwischen ihnen große Meinungsverschiedenheiten herrschten, und zwar gerade in Bezug auf den Mittelbauern.

Genosse Trotzki gab schon seine Antwort in dem „Brief an die Mittelbauern", veröffentlicht in den „Iswestija des Zentralexekutivkomitees" vom 7. Februar. Genosse Trotzki sagt in diesem Brief, dass die Gerüchte über Meinungsverschiedenheiten zwischen mir und ihm ungeheuerliche und gewissenlose Lügen seien, die von den Gutsbesitzern und Kapitalisten oder ihren freiwilligen oder unfreiwilligen Helfershelfern verbreitet werden. Ich meinerseits bestätige voll und ganz diese Erklärung des Genossen Trotzki. Es bestehen zwischen uns keinerlei Meinungsverschiedenheiten, und in Bezug auf die Mittelbauern gibt es nicht nur keine Meinungsverschiedenheiten zwischen mir und Trotzki, sondern überhaupt keine in der Kommunistischen Partei, der wir beide angehören.

Genosse Trotzki hat in seinem Brief ausführlich und deutlich erklärt, weshalb die Partei der Kommunisten und die gegenwärtige Arbeiter- und Bauernregierung, die von den Sowjets gewählt ist und dieser Partei angehört, die Mittelbauern nicht als ihre Feinde betrachtet. Ich unterschreibe voll und ganz, was hier von Genossen Trotzki gesagt wurde.

Es gibt kein einziges Dekret (Gesetz), keine einzige Verordnung der Sowjetmacht, in dem nicht ein Unterschied zwischen den drei Hauptgruppen der Bauernschaft gemacht worden wäre: die erste Gruppe ist die Armut (Proletarier und Halbproletarier, wie es in den ökonomischen Wissenschaften zu sagen üblich ist). Ihrer gibt es sehr viele. Als noch die Gutsbesitzer und Kapitalisten die Macht hatten, lastete ihr Joch am schwersten auf der Armut. Die festeste Stütze einer wahren sozialistischen Bewegung bilden in allen Ländern der Welt die Arbeiter und die sie unterstützende Dorfarmut, Die zweite Gruppe sind die Kulaken, d. h. die reichen Bauern, die fremde Arbeit unterjochen entweder dadurch, dass sie Arbeiter dingen, oder dadurch, dass sie Geld gegen Zinsen verleihen und der gleichen mehr. Diese Gruppe arbeitet Hand in Hand mit den Gutsbesitzern und Kapitalisten, den Feinden der Sowjetmacht. Die dritte Gruppe sind die Mittelbauern. Das sind keine Feinde der Sowjetmacht. Sie können ihre Freunde sein, das wollen wir erreichen und das werden wir erreichen. Alle Lehrer des Sozialismus haben stets erklärt, dass die Arbeiter, um den Sozialismus zu verwirklichen, die Gutsbesitzer und Kapitalisten stürzen müssten, mit den Mittelbauern aber sei eine Verständigung möglich und notwendig.

Unter der Herrschaft der Gutsbesitzer und Kapitalisten gelangten nur sehr wenige Mittelbauern – vielleicht einer auf hundert – zu dauerndem Wohlstand, und das erreichten sie auch nur, indem sie sich zu Kulaken emporschwangen und sich der Armut auf den Nacken setzten. Die überwiegende Mehrzahl der Mittelbauern jedoch wird unter der Herrschaft der Gutsbesitzer und Kapitalisten unvermeidlich Not und Hohn von Seiten der Reichen erleiden. In allen kapitalistischen Ländern verhält es sich so.

Unter dem Sozialismus ist voller und dauerhafter Wohlstand für ausnahmslos alle Arbeiter und alle Mittelbauern möglich ohne jeglichen Raub an fremder Arbeit. Kein einziger Bolschewik, kein einziger Kommunist, kein einziger vernünftiger Sozialist hat jemals auch nur den Gedanken der Gewaltanwendung gegen die Mittelbauern aufkommen lassen. Alle Sozialisten haben stets von einer Verständigung mit ihnen und vom allmählichen freiwilligen Übergang der Mittelbauern zum Sozialismus gesprochen.

Unser Land ist durch den vierjährigen verbrecherischen Krieg der Kapitalisten stärker als andere Länder verheert. Überall Zerrüttung und Desorganisation, es gibt keine Waren; in den Städten und den nicht landwirtschaftlichen Gouvernements herrscht furchtbarer, qualvoller Hunger. Man muss alle Kräfte anspannen, die Zerrüttung zu besiegen, um den Hunger zu besiegen, um die Truppen der Gutsbesitzer und Kapitalisten zu besiegen, die sich bemühen, die alte Macht des Zaren, der Reichen, der Ausbeuter wiederaufzurichten. Im Süden, sowohl am Don als auch in der Ukraine, sind die Weißgardisten besiegt, der Weg zu Brennstoff (Kohle) und Brot wird freigelegt. Noch eine geringe, letzte Kraftanstrengung, und wir werden vor dem Hunger gerettet sein. Aber die Zerrüttung, die der Krieg hinterlassen hat, ist groß, und nur die lange selbstaufopfernde Arbeit aller Werktätigen ist imstande, unser Land auf den Weg des dauernden Wohlstandes zu führen.

Unter den Klagen, die aus den Reihen der Mittelbauern kommen, muss man zwei Arten von Klagen unterscheiden. Erstens die Klagen über das übermäßig „vorgesetztenhafte", das undemokratische und manchmal geradezu skandalöse Verhalten der lokalen Behörden, besonders in den entlegenen Gegenden. Es unterliegt keinem Zweifel, dass es in den Dörfern schwieriger ist, eine richtige Kontrolle und Aufsicht über die lokalen Behörden durchzuführen, dass sich mitunter die schlimmsten Elemente, gewissenlose Menschen, an die Kommunisten anbiedern. Gegen solche Menschen, die entgegen den Gesetzen der Sowjetmacht die Bauern ungerecht behandeln, ist ein erbarmungsloser Kampf notwendig, sie müssen unverzüglich entfernt und über sie muss das strengste Gericht gehalten werden. Alle Bemühungen der ehrlichen Arbeiter und Bauern sind darauf gerichtet, Russland von solchen „Überbleibseln" der gutsherrlichen und kapitalistischen Lebensweise zu säubern, die sich erlauben, sich wie „Vorgesetzte" zu benehmen, während sie nach den Gesetzen unserer Arbeiter- und Bauernrepublik verpflichtet wären, als Erwählte der Sowjets ein Beispiel der Gewissenhaftigkeit und strenger Einhaltung der Gesetze zu geben. Die Sowjetmacht hat schon nicht wenige solcher beamteter Personen erschossen, die sie zum Beispiel bei Bestechlichkeit ertappt hat, und der Kampf gegen ähnliche Lumpen wird bis zum Ende geführt werden.

Die zweite Art der Klagen betrifft die Wegnahme des Getreides und das strenge Verbot des freien Handels mit Getreide. Gegen Willkür und Gesetzesverletzung führt unsere Regierung einen rücksichtslosen Kampf. Aber kann man den freien Handel mit Getreide erlauben? In dem verheerten Lande herrscht Mangel an Getreide oder das Getreide deckt kaum den Bedarf, dazu hat der Krieg die Eisenbahnen so ruiniert, dass die Zufuhr äußerst schlecht verläuft, Bei dem Mangel an Getreide bedeutet freier Handel mit Getreide wildeste Spekulation und Erhöhung der Preise bis auf hunderte Rubel für das Pud, denn ein hungriger Mensch gibt alles hin für ein Stück Brot. Freier Handel mit Getreide in einem hungernden Lande, das bedeutet wilde Bereicherung der Kulaken, der gewissenlosen reichen Bauern, die durch Not und Hunger des Volkes ihre Taschen füllen. Freier Handel mit Getreide in einem hungernden Lande bedeutet den Sieg der Reichen über die Armen, denn die Reichen werden Getreide selbst zu wahnsinnigen, tollen Preisen kaufen, die Armen jedoch werden leer ausgehen. Freier Handel mit Getreide, das bedeutet Freiheit für die Reichen sich zu bereichern, Freiheit für die Armen zu sterben. Freier Handel mit Getreide, das ist eine Wendung zurück zur Herrschaft und Allmacht der Kapitalisten.

Nein. Wir wollen und werden nicht zurückgehen zur Wiederherstellung der Macht der Kapitalisten, der Macht des Geldes, zur Freiheit der Bereicherung. Wir wollen vorwärtsschreiten zum Sozialismus, zur gerechten Verteilung des Brotes unter alle Werktätigen. Der gesamte Überschuss an Getreide muss zu einem gerechten Preis an den Sowjetstaat abgegeben werden, und der Staat muss ihn unter die Werktätigen gleichmäßig verteilen. Das kann man nicht auf Anhieb erreichen, die Aufrichtung einer solchen gerechten sozialistischen Ordnung ist nicht leicht. Man muss sich viel Mühe geben, muss lange arbeiten, muss eine strenge kameradschaftliche Disziplin der Arbeiter und Bauern herstellen, um die alte kapitalistische Freiheit des Handels auszurotten, die Freiheit, sich zu bereichern, die Freiheit, einander zu verschlingen, die Freiheit der Unterjochung, die die ganze Erde mit Blut getränkt hat.

Diese schwere Arbeit haben aber jetzt Millionen und aber Millionen von Arbeitern und Bauern in Angriff genommen. Jeder ehrliche und gewissenhafte Bauer und Arbeiter hat die Bedeutung des Sozialismus begriffen und kämpft standhaft für ihn.

In der ganzen Welt wächst die sozialistische Revolution. Die Macht der Kapitalisten, die „Freiheit des Handels" kehrt nicht wieder. Der Sozialismus wird siegen.

Kommentare