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Wladimir I. Lenin 19191205 Bericht des Allrussischen ZEK und des Rates der Volkskommissare auf dem VII. Sowjetkongress

Wladimir I. Lenin: Bericht des Allrussischen Zentralexekutivkomitees und

des Rates der Volkskommissare auf dem VII. Allrussischen Kongress

der Sowjets der Arbeiter-, Bauern-, Rotarmisten- und Kosakendeputierten

(5. Dezember 1919)

Genossen! Ich habe hier auf Beschluss des Präsidiums den politischen Bericht zu erstatten, der eine Zusammenfassung des Berichts des Allrussischen Zentralexekutivkomitees und des Berichts des Rates der Volkskommissare ist. Ich hoffe, dass ihr von mir keine Aufzählung jener Gesetze und Verwaltungsmaßnahmen erwartet, die wir im Berichtsjahr durchgeführt haben. Zweifellos seid ihr darüber durch die Presse unterrichtet. Außerdem haben fast alle unsere Kommissariate kurze Broschüren herausgegeben, die an alle Kongressdelegierten verteilt werden und die das Wichtigste davon aufzeigen, was jedes Kommissariat in der Berichtsperiode geleistet hat. Ich möchte eure Aufmerksamkeit auf einige zusammenfassende Schlussfolgerungen lenken, die meines Erachtens aus dem von uns Erlebten hergeleitet werden und für jene Arbeit, die alle Genossen Delegierten jetzt überall im Lande leisten werden, als nützliche Fingerzeige und nützliches Material dienen können.

Wenn man über die politischen Ergebnisse unserer Tätigkeit und die aus ihr folgenden politischen Lehren spricht, so rückt vor allem die internationale Lage der Sowjetrepublik von selbst in den Vordergrund.

Sowohl vor als auch während der Oktoberrevolution sagten wir stets, dass wir uns nur als einen Trupp der internationalen proletarischen Armee betrachten und betrachten können, und zwar als einen Trupp, der durchaus nicht kraft seiner Entwicklung und seines Vorbereitungsgrades, sondern infolge der außergewöhnlichen Verhältnisse Russlands an die erste Stelle gerückt ist, weshalb man den Sieg der sozialistischen Revolution nur dann als einen endgültigen betrachten kann, wenn er zum Sieg des Proletariats mindestens in einigen der vorgeschrittenen Länder wird. Gerade in dieser Beziehung hatten wir die meisten Schwierigkeiten durchzumachen.

Dass wir, wenn man so sagen kann, auf die Karte der internationalen Revolution gesetzt haben, hat sich, wenn man die Sache im Großen und Ganzen betrachtet, in jeder Hinsicht bewährt. Aber vom Gesichtspunkt der Schnelligkeit der Entwicklung haben wir besonders schwere Zeiten durchgemacht. Wir haben es an unserer eigenen Haut erfahren, dass sich die Entwicklung der Revolution in den vorgeschritteneren Ländern als viel langsamer, viel schwieriger, viel komplizierter erwies. Das kann uns nicht verwundern, denn einem Land wie Russland fiel es naturgemäß viel leichter, die sozialistische Revolution zu beginnen, als den vorgeschrittenen Ländern. Doch wie dem auch sei, diese langsamere, kompliziertere, mehr zickzackartige Entwicklung der sozialistischen Revolution in Westeuropa hat uns unglaubliche Schwierigkeiten bereitet. Da legt man sich vor allem die Frage vor: wie war solch ein Wunder möglich, dass in einem so rückständigen, vom Krieg zerrütteten und erschöpften Land wie Russland die Sowjetmacht sich zwei Jahre lang halten konnte, trotz des hartnäckigen Kampfes zunächst des deutschen Imperialismus, der damals als allmächtig galt, und dann des Imperialismus der Entente. der vor einem Jahr Deutschland niedergerungen hat, der keine Rivalen kannte und sämtliche Länder der Welt ohne jede Ausnahme beherrschte. Vom Gesichtspunkt des einfachen Kräfteüberschlags, vom Gesichtspunkt der militärischen Einschätzung der Kräfte ist es in der Tat ein Wunder, denn die Entente ist und bleibt unvergleichlich mächtiger als wir. Und trotzdem zeichnet sich das Berichtsjahr vor allem dadurch aus, dass wir einen gewaltigen Sieg erfochten haben, einen Sieg, so groß, dass man wohl ohne Übertreibung sagen kann die Hauptschwierigkeiten liegen bereits hinter uns. So groß die uns noch bevorstehenden Gefahren und Schwierigkeiten auch sind, so haben wir doch offenbar das Schlimmste hinter uns. Wir müssen uns über die Ursache dieser Erscheinung klar werden und vor allen Dingen unsere weitere Politik richtig festlegen, denn die Zukunft wird uns fast mit Sicherheit noch mehr als einmal Versuche der Entente bringen, die Intervention zu wiederholen Vielleicht wird das alte Räuberbündnis der internationalen und der russischen Kapitalisten zur Wiederherstellung der Macht der Kapitalisten und der Gutsherren und zum Sturz der Sowjetmacht in Russland wieder erstehen, das, kurz gesagt, dasselbe Ziel verfolgt: die Vernichtung jenes Herds des sozialistischen Weltbrands, zu dem die Sozialistische Föderative Sowjetrepublik Russland geworden ist.

Wenn wir von diesem Standpunkt aus die Geschichte der Intervention der Entente und die politischen Lehren, die wir daraus gezogen haben, betrachten, so zerfällt diese Geschichte, ich möchte sagen, in drei Hauptetappen, von denen jede, eine nach der anderen, uns einen tiefverwurzelten und gefestigten Sieg gibt.

Die erste Etappe, die der Entente naturgemäß näherlag und leichter war, war ihr Versuch, mit Hilfe eigener Truppen mit Sowjetrussland fertig zu werden. Nachdem die Entente Deutschland besiegt hatte1, verfügte sie natürlich über Millionenarmeen, die noch nicht direkt Frieden verlangten und die sich von dem Schreckgespenst des deutschen Imperialismus, das ihnen in allen westlichen Ländern an die Wand gemalt worden war, noch nicht erholt hatten, in einer solchen Zeit war es für die Entente vom militärischen, vom außenpolitischen Standpunkt natürlich eine Kleinigkeit, den zehnten Teil ihrer Heere einfach nach Russland zu schicken. Man bedenke, dass sie damals die Meere, die Flotte vollkommen beherrschte. Truppentransport und Verpflegung waren stets vollkommen in ihrer Hand. Hätte die Entente, die uns so hasste, wie die Bourgeoisie die sozialistische Revolution nur hassen kann, damals auch nur den zehnten Teil ihrer Heere mit einigem Erfolg gegen uns werfen können, so besteht nicht der geringste Zweifel daran, dass das Schicksal Sowjetrusslands besiegelt gewesen wäre und dass es das Los Ungarns ereilt hätte2.

Warum gelang dies der Entente nicht? Sie landete ihre Truppen in Murmansk. Der Feldzug nach Sibirien wurde mit Hilfe von Ententetruppen unternommen, die japanischen Truppen halten noch bis jetzt einen entlegenen Teil Ostsibiriens besetzt, und in ganz Westsibirien gab es, wenn auch nicht sehr zahlreiche, aber immerhin Truppen aller Ententestaaten. Ferner wurden im Süden Russlands französische Truppen gelandet. Das war die erste Etappe der internationalen Einmischung in unsere Angelegenheiten, der erste Versuch sozusagen, die Sowjetmacht mit Hilfe eigener Truppen der Entente, d. h. mit Hilfe von Arbeitern und Bauern vorgeschrittener Länder zu erdrosseln. Dabei waren diese Truppen ausgezeichnet versorgt, und die Entente war ja überhaupt imstande, sämtlichen nur erdenklichen technischen und materiellen Anforderungen der Kampagne zu genügen. Sie sah keinerlei Hindernisse vor sich. Wie ist es denn zu erklären, dass dieser Versuch gescheitert ist? Er endete damit, dass die Entente die Truppen aus Russland zurückziehen musste, da sie sich als unfähig erwiesen, gegen das revolutionäre Sowjetrussland zu kämpfen. Das war, Genossen, stets unser wichtigstes und grundlegendes Argument. Vom Beginn der Revolution an sagten wir, dass wir eine Partei des internationalen Proletariats seien und so groß die Schwierigkeiten der Revolution auch sein mögen, so werde doch die Zeit kommen, wo im entscheidendsten Augenblick die Sympathie, die Solidarität der vom internationalen Imperialismus unterdrückten Arbeiter in Erscheinung treten werde. Man beschuldigte uns deswegen des Utopismus. Doch die Erfahrung hat uns gezeigt, dass wir – wenn man auch nicht immer auf Aktionen des Proletariats rechnen, nicht jede Aktion von ihm erwarten kann – im Laufe dieser zwei Jahre Weltgeschichte doch tausendmal recht behalten haben. Der Versuch der Engländer und der Franzosen, mit Hilfe ihrer Truppen Sowjetrussland zu erdrosseln, ein Versuch, der ihnen binnen kürzester Zeit mit Sicherheit den leichtesten Sieg verhieß, scheiterte: die englischen Truppen haben Archangelsk verlassen, die französischen Truppen, die in Südrussland gelandet waren, sind alle in ihre Heimat zurückbefördert worden. Wir wissen jetzt – trotz der Blockade, trotz des uns umschließenden Ringes gelangen doch Nachrichten aus Westeuropa zu uns, erhalten wir doch, wenn auch vereinzelt, Nummern englischer und französischer Zeitungen – wir wissen, dass Briefe englischer Soldaten aus dem Gebiet um Archangelsk trotzdem nach England gelangt und dort veröffentlicht worden sind. Wir wissen, dass der Name der französischen Genossin Jeanne Labourbe, die zur kommunistischen Arbeit unter den französischen Arbeitern und Soldaten gefahren war und in Odessa erschossen wurde, dem ganzen französischen Proletariat bekannt und zur Kampflosung, zu einem Namen geworden ist, um den sich alle französischen Arbeiter ohne Unterschied der verschiedenen, scheinbar so unversöhnlichen fraktionellen Strömungen des Syndikalismus zur Aktion gegen den internationalen Imperialismus vereinigten. Das, was einst Genosse Radek schrieb – der von Deutschland, wie heute gemeldet wird, glücklicherweise freigelassen ist und den wir vielleicht bald Wiedersehen werden (Beifall) –, der im revolutionären Brand lodernde Boden Russlands werde sich für die Ententetruppen als unzugänglich erweisen, das, was bloße Übertreibung eines Publizisten zu sein schien, das hat sich als eine Tatsache erwiesen, die mit Genauigkeit eingetroffen ist. In der Tat: trotz unserer Zurückgebliebenheit, trotz der ganzen Schwere unseres Kampfes haben sich die Arbeiter und Bauern Englands und Frankreichs auf unserem Boden außerstande gezeigt, gegen uns zu kämpfen. Das Ergebnis fiel zu unseren Gunsten aus. Als man versuchte, gegen uns bewaffnete Massenkräfte ins Feld zu führen – ohne diese kann man aber nicht siegen –, da hatte das dank dem richtigen Klasseninstinkt nur zur Folge, dass die französischen und englischen Soldaten aus Russland dieselbe bolschewistische Seuche mitbrachten, gegen die die deutschen Imperialisten einschritten, als sie unsere Gesandten aus Berlin auswiesen. Sie glaubten, sich damit gegen die bolschewistische Seuche zu verbarrikadieren, die heute in ganz Deutschland ein Erstarken der Arbeiterbewegung herbeigeführt hat. Dieser Sieg, den wir dadurch erfochten, dass wir die Abberufung der englischen und der französischen Truppen erzwangen, war unser Hauptsieg über die Entente. Wir haben ihr ihre Soldaten geraubt. Wir sind ihrer ungeheuren militärischen und technischen Überlegenheit damit begegnet, dass wir mit Hilfe der Solidarität der Werktätigen gegen die imperialistischen Regierungen diese Überlegenheit zunichte machten.

Und hier zeigte es sich, wie oberflächlich, wie unklar die Beurteilung dieser angeblich demokratischen Länder auf Grund der Merkmale ist, nach denen sie bei uns in der Regel beurteilt werden. In den Parlamenten ist dort eine feste bürgerliche Mehrheit. Sie nennen das „Demokratie“. Dass das Kapital herrscht und alles unterdrückt, dass es noch heute zur Militärzensur greift – das nennen sie „Demokratie“. Unter den Millionen Zeitungs- und Zeitschriftennummern findet sich dort kaum ein verschwindend geringer Bruchteil, in dem, wenn auch stammelnd, etwas zugunsten der Bolschewiki gesagt worden wäre. Sie sagen daher: „Wir sind gegen die Bolschewiki gesichert; bei uns herrscht Ordnung“ – welche Ordnung sie „Demokratie“ nennen. Wie konnte es nun geschehen, dass ein kleines Häuflein englischer Soldaten und französischer Matrosen es erzwingen konnte, dass die Ententetruppen aus Russland zurückgezogen wurden? Hier stimmt etwas nicht. Die Volksmassen sind also selbst in England, Frankreich und Amerika für uns; die Erscheinungen auf der Oberfläche sind trügerisch, wie immer diejenigen Sozialisten behaupteten, die den Sozialismus nicht verraten wollten; der bürgerliche Parlamentarismus, die bürgerliche Demokratie, die bürgerliche Pressefreiheit bedeuten also nur die Freiheit für die Kapitalisten, die Freiheit, die öffentliche Meinung zu bestechen, mit der ganzen Macht des Geldsacks einen Druck auf sie auszuüben. Das haben die Sozialisten stets behauptet, bis der imperialistische Krieg sie in nationale Lager spaltete und jede nationale Sozialistengruppe in Lakaien ihrer Bourgeoisie verwandelte. Was die Sozialisten vor dem Krieg sagten, was die Internationalisten und die Bolschewiki stets während des Krieges sagten – alles das hat sich vollständig bewahrheitet. Alle diese Erscheinungen der Oberfläche, diese ganze äußere Aufmachung ist Lug und Trug, den die Massen immer mehr und mehr durchschauen. Sie brüsten sich mit ihrer Demokratie, aber in keinem einzigen Parlament haben sie es gewagt zu sagen, dass sie Sowjetrussland den Krieg erklären. Daher lesen wir in einer ganzen Reihe von französischen, englischen und amerikanischen bürgerlichen Veröffentlichungen, die bis zu uns gelangt sind, den Vorschlag: „Die Staatsoberhäupter sind wegen Vorfassungsverletzung vor Gericht zu stellen, weil sie, ohne den Krieg erklärt zu haben, gegen Russland Krieg führen.“ Wo, wann, welcher Verfassungsparagraph, welches Parlament hat diesen Krieg genehmigt? Wo haben sie die Vertreter einberufen, sei es auch nach vorhergehender Verhaftung sämtlicher Bolschewiki und bolschewistelnden Elemente, wie sich die französische Presse ausdrückt? Selbst unter solchen Verhältnissen wagten sie in ihren Parlamenten nicht zu sagen, dass sie mit Russland Krieg führen. Das war die Ursache dessen, dass die ausgezeichnet bewaffneten, bisher unbesiegten Truppen Englands und Frankreichs uns nicht schlagen konnten und sich aus dem Norden, aus Archangelsk, und aus dem Süden zurückzogen.

Das ist unser erster und wichtigster Sieg, weil er nicht nur ein militärischer und eigentlich überhaupt kein militärischer, sondern ein faktischer Sieg jener internationalen Solidarität der Werktätigen ist, in deren Namen wir die ganze Revolution begonnen haben, auf die wir hinwiesen, als wir sagten, dass die Entwicklung der internationalen Revolution, die ja unvermeidlich ist, alle unsere Leiden und Opfer hundertfach wettmachen wird. Dies äußerte sich darin, dass wir auf einem Gebiet, wo die rohesten und materiellsten Faktoren die größte Rolle spielen, auf dem militärischen Gebiet, die Entente in der Weise besiegten, dass wir ihr die Arbeiter und Bauern im Soldatenrock nahmen.

Nach diesem ersten Sieg begann die zweite Epoche der Einmischung der Entente in unsere Angelegenheiten. An der Spitze jeder Nation steht eine Gruppe ganz besonders erfahrener Politiker. Und daher versuchten sie es, als sie dieses Spiel verloren hatten, unter Ausnutzung ihrer Weltherrschaft, auf eine andere Weise. Eis gibt kein Land, es ist jetzt kein einziges Stück des Erdballs übriggeblieben, wo faktisch nicht das englische, französische und amerikanische Finanzkapital unbeschränkt herrschen würde. Darauf fußte der neue Versuch, den sie unternahmen: die kleinen Staaten, von denen Russland umringt ist und von denen viele, wie Polen, Estland, Finnland, Georgien, die Ukraine usw., erst während des Krieges sich befreit haben und ihre Unabhängigkeit erklären konnten, zum Krieg gegen Russland mit englischem, französischem und amerikanischem Geld zu zwingen.

Ihr erinnert euch vielleicht, Genossen, wie die Meldung über die Rede des bekannten englischen Ministers Churchill in unseren Zeitungen die Runde machte, der behauptete, vierzehn Staaten würden zum Angriff gegen Russland übergehen, im September werde Petrograd, im Dezember Moskau fallen. Ich habe gehört, dass Churchill später diese Meldung dementiert habe3, aber sie war der schwedischen Zeitung „Politiken“ vom 28. August entnommen. Doch selbst wenn sich auch diese Quelle als falsch erwiese, so wissen wir doch ausgezeichnet, dass Churchill und die englischen Imperialisten tatsächlich danach handelten. Wir wissen ausgezeichnet, dass auf Finnland, Estland und die anderen kleinen Länder mit allen Mitteln eingewirkt wurde, damit sie gegen Sowjetrussland Krieg führen. Ich habe einen Leitartikel der englischen Zeitung „Times, des einflussreichsten englischen bürgerlichen Blattes, gelesen, einen Leitartikel, geschrieben zu einer Zeit, wo die Truppen des Generals Judenitsch, von denen man genau weiß, dass sie von der Entente ausgerüstet, eingekleidet und auf ihren Schiffen herantransportiert wurden, einige Kilometer vor Petrograd standen und sogar Detskoje Selo von ihnen bereits besetzt war. Dieser Artikel war ein regelrechter Feldzug, bei dem alle Arten des Drucks – des militärischen, diplomatischen und historischen Drucks – ausgenutzt wurden. Das englische Kapital rückte Finnland zu Leibe und stellte ihm ein Ultimatum: „Die ganze Welt blickt auf Finnland – sagten die englischen Kapitalisten –, das ganze Schicksal Finnlands hängt davon ab, ob es sich seiner Bestimmung bewusst sein wird, ob es helfen wird, die schmutzige, trübe blutige Welle des Bolschewismus zu unterdrücken und Russland zu befreien“. Als Lohn für dieses erhabene und sittliche Werk, für diese edle Kulturtat wurden Finnland soundso viel Millionen Pfund Sterling, dieser und jener Landstrich, diese und jene Güter versprochen. Und was war das Resultat? Es gab eine Zeit, wo die Truppen Judenitschs nur einige Kilometer weit von Petrograd und die Truppen Denikins nördlich von Orel standen – hätten sie damals nur die geringste Unterstützung erhalten, so wäre das Schicksal Petrograds binnen kürzester Zeit und mit ganz geringen Opfern zugunsten unserer Feinde entschieden worden.

Die Entente übte ihren Druck mit voller Wucht auf Finnland aus, und Finnland ist der Entente bis über die Ohren verschuldet, ja es kann ohne die Unterstützung der Ententeländer auch nicht einen Monat leben. Wie war also das „Wunder“ möglich, dass wir den Streit mit einem solchen Gegner gewannen? Wir gewannen ihn aber: Finnland trat in den Krieg nicht ein, sowohl Judenitsch als auch Denikin wurden in dem Augenblick geschlagen, wo ihr gemeinsamer Kampf den ganzen Kampf am sichersten und raschesten zugunsten des internationalen Kapitalismus entschieden hätte. Wir haben diese härteste, verzweifelte Probe im Streit gegen den internationalen Imperialismus bestanden. Wie haben wir es erreicht? Wie war solch ein „Wunder“ möglich? Es war möglich, weil die Entente die Sache so anpackte, wie alle kapitalistischen Staaten sie anpacken, die ausschließlich mit Betrug und Druck vorgehen, und weil sie daher durch jede ihrer Handlungen einen derartigen Widerstand gegen sich hervorrief, dass uns daraus Vorteil erwuchs. Wir waren schlecht bewaffnet, wir waren erschöpft, und wir sagten den von der finnländischen Bourgeoisie unterdrückten finnländischen Arbeitern: „Ihr dürft gegen uns nicht Krieg führen.“ Die Entente stand da in der ganzen Macht ihrer Waffen, in ihrer ganzen äußeren Macht, mit all der reichlichen Versorgung, die sie diesen Ländern bieten konnte, und verlangte von ihnen, dass sie gegen uns kämpfen. Wir haben diesen Streit gewonnen. Wir haben ihn gewonnen, weil die Entente keine eigenen Truppen mehr hatte, die sie hätte gegen uns werfen können, und mit den Kräften der kleinen Völker operieren musste. Die kleinen Völker aber – und zwar nicht nur die Arbeiter und die Bauern, sondern sogar ein beträchtlicher Teil der Bourgeoisie, die die Arbeiterklasse niedergeschlagen hatte – glaubten, wenn man ihnen von Demokratie und Unabhängigkeit sprach (von unserem Standpunkt aus ist es vielleicht eine Dummheit, aber jede Dummheit will an Hand eigener Erfahrung aufgedeckt werden) , sie waren so unverschämt – vom Standpunkt der Entente, von unserem Standpunkt aus aber so dumm –, diese Versprechungen ernst zu nehmen und die Unabhängigkeit wirklich als Unabhängigkeit, nicht aber als Mittel zur Bereicherung der französischen und englischen Kapitalisten aufzufassen. Sie glaubten, Demokratie bedeute, frei zu leben, und nicht, dass alle amerikanischen Milliardäre ihr Land ausplündern dürfen und dass jeder adlige Offizier sich unverschämt gemein benehmen und in einen frechen Spekulanten verwandeln könne, der sich für einige hundert Prozent Gewinn zu den schmutzigsten Geschäften hergibt. Das ist es, was uns den Sieg brachte. Die Entente, die auf diese kleinen Länder, auf jedes dieser vierzehn Länder ihren Druck ausübte, stieß auf Widerstand. Die finnländische Bourgeoisie, die durch den weißen Terror Zehntausende finnischer Arbeiter niedergeschlagen hat und die weiß, dass ihr das nicht vergessen wird, dass ihr auch keine deutschen Bajonette mehr zur Verfügung stehen – diese finnländische Bourgeoisie hasst die Bolschewiki mit aller Kraft, so wie nur ein Räuber die Arbeiter hassen kann, die ihn gestürzt haben! Trotzdem sagte sich diese finnische Bourgeoisie: „Wenn wir den Weisungen der Entente Folge leisten, so bedeutet das für uns, dass wir jede Hoffnung auf Unabhängigkeit unbedingt verlieren.“ Diese Unabhängigkeit aber haben ihnen die Bolschewiki im November (Oktober) 1917 gegeben, als Finnland eine bürgerliche Regierung hatte. Somit war die Einstellung breiter Kreise der finnischen Bourgeoisie schwankend. Wir haben den Streit mit der Entente gewonnen, weil sie auf die kleinen Nationen rechnete, sie aber gleichzeitig von sich abstieß.

Diese Erfahrung bestätigt in gewaltigem, welthistorischem Maßstab das, was wir stets gesagt haben. Zwei Mächte gibt es auf Erden, die die Geschichte der Menschheit bestimmen können. Die eine Macht ist der internationale Kapitalismus, der, wenn er siegt, diese seine Macht in endlosen Gräueltaten betätigen wird; das zeigt die Entwicklungsgeschichte jeder kleinen Nation. Die andere Macht ist das internationale Proletariat, das mit Hilfe der proletarischen Diktatur, die es Arbeiterdemokratie nennt, für die sozialistische Revolution kämpft. Weder die schwankenden Elemente bei uns in Russland noch die Bourgeoisie der kleinen Länder glaubten uns, sie nannten uns Utopisten oder Räuber oder etwas noch Schlimmeres, denn es gibt keine noch so widersinnige und ungeheuerliche Beschuldigung, die sie nicht gegen uns erhoben hätten. Als sich nun ein Teil dieser Bourgeoisie, sowohl der mittleren als auch der Kleinbourgeoisie, unmittelbar vor die Frage gestellt sah, ob sie mit der Entente gehen und ihr helfen soll, die Bolschewiki niederzuschlagen, oder ob sie den Bolschewiki durch ihre Neutralität helfen soll – da geschah es, dass wir gewannen und die Neutralität erzielten, obwohl wir keinerlei Verträge hatten, während England, Frankreich und Amerika über allerlei Wechsel, allerlei Verträge verfügten. Die kleinen Länder handelten dennoch so, wie wir es wollten, natürlich nicht, weil die polnische, finnische, litauische, lettische Bourgeoisie ein Vergnügen daran fand, um der schönen Augen der Bolschewiki willen eine solche Politik zu befolgen – das ist natürlich Unsinn –. sondern weil wir in unserer Beurteilung der welthistorischen Kräfte recht hatten: dass entweder das bestialische Kapital siegen und dann, mag eine noch so demokratische Republik bestehen, alle kleinen Völker der Welt würgen wird, oder dass die Diktatur des Proletariats siegen wird, diese einzige Hoffnung aller Werktätigen und aller kleinen, eingeschüchterten, schwachen Völker. Eis erwies sich, dass wir nicht nur in der Theorie, sondern auch in der weltpolitischen Praxis recht hatten. Als es bei uns zu diesem Streit um die Truppen Finnlands, Estlands kam, gewannen wir ihn, obwohl man uns mit ganz geringen Kräften hätte zerschlagen können. Obwohl die Entente die ganze gewaltige Macht ihres finanziellen Druckes, der bewaffneten Kraft, der Lebensmittelzufuhr auf die Waagschale geworfen hatte, um Finnland zum Vorgehen gegen uns zu zwingen, sind wir doch in diesem Streit Sieger geblieben.

Das ist, Genossen, die zweite Etappe der internationalen Intervention. Das ist unser zweiter welthistorischer Sieg. Erstens haben wir England, Amerika und Frankreich die Arbeiter und Bauern entrissen. Diese Truppen konnten nicht gegen uns kämpfen. Zweitens entrissen wir ihnen diese kleinen Länder, die alle gegen uns gestimmt sind, in denen überall nicht die Sowjetmacht, sondern eine bürgerliche Macht herrscht. Sie wahrten uns gegenüber wohlwollende Neutralität und wandten sich damit gegen die Weltmacht der Entente, denn diese war ein Raubtier, das sie würgen wollte.

Es geschah hier im internationalen Maßstab das gleiche, was mit dem sibirischen Bauern geschah, der an die Konstituierende Versammlung glaubte und den Sozialrevolutionären und Menschewiki half, sich mit Koltschak zu vereinigen und uns zu schlagen. Nachdem er aber an seiner eigenen Haut erfahren hatte, dass Koltschak der Vertreter der schlimmsten ausbeuterischen, räuberischen Diktatur der Gutsherren und der Kapitalisten ist – einer Diktatur, schlimmer als die zaristische, organisierte er jene große Reihe von Aufständen in Sibirien, über die wir von Genossen genaue Meldungen erhalten und die uns nunmehr die vollständige, diesmal bewusste Wiedergewinnung Sibiriens sichern. So wie es dem sibirischen Bauern trotz seiner mangelnden Entwicklung und seiner politischen Unwissenheit erging, so erging es jetzt in einem breiteren, im welthistorischen Maßstab allen kleinen Nationen. Sie hassten die Bolschewiki, manche von ihnen schlugen sie mit blutiger Hand, durch den wütenden weißen Terror nieder, als sie aber die „Befreier“, die englischen Offiziere, sahen, da begriffen sie, was englische und amerikanische „Demokratie“ bedeutet. Als die Vertreter der englischen und der amerikanischen Bourgeoisie in Finnland und Estland erschienen, begannen sie das Land mit noch größerer Frechheit zu würgen, als die russischen Imperialisten es getan hatten; denn die russischen Imperialisten waren Vertreter der alten Zeit und verstanden nicht einmal das Würgen ordentlich. Diese Leute aber verstehen es und tun es konsequent bis ans Ende.

Deshalb ist dieser Sieg in der zweiten Etappe dauerhafter, als es heute scheinen mag. Ich übertreibe durchaus nicht, ich halte Übertreibungen für äußerst gefährlich. Ich bezweifle nicht im Geringsten, dass die Entente noch Versuche machen wird, bald den einen, bald den anderen unserer kleinen Nachbarstaaten gegen uns aufzuhetzen. Solche Versuche wird es geben, denn diese kleinen Staaten sind von der Entente ganz und gar abhängig, denn das ganze Gerede über Freiheit, Unabhängigkeit und Demokratie ist nichts als Heuchelei, und die Entente kann sie noch einmal zwingen, gegen uns die Hand zu erheben. Wenn aber dieser Versuch in einem so günstigen Augenblick, wo der Kampf gegen uns so leicht zu führen war, missglückt ist, so, glaube ich, kann man bestimmt sagen: in dieser Beziehung liegt die Hauptschwierigkeit zweifellos hinter uns. Wir haben das Recht, das zu sagen, ohne jede Übertreibung und in dem Bewusstsein, dass die Entente ein riesiges Übergewicht der Kräfte über uns hat. Unser Sieg ist dauerhaft. Es wird Versuche geben, aber wir werden sie leichter zurückschlagen, denn die kleinen Staaten haben sich trotz ihrer bürgerlichen Ordnung nicht theoretisch – für Theorie eignen sich diese Herrschaften nicht –, sondern durch die Erfahrung davon überzeugt, dass die Entente ein dreisteres und schlimmeres Raubtier ist, als ihnen die Bolschewiki, die man den Kindern und den zivilisierten Spießbürgern in ganz Europa als Schreckgespenst hinstellt, zu sein scheinen.

Doch unsere Siege sind damit nicht erschöpft. Erstens haben wir der Entente die Arbeiter und Bauern entrissen. Zweitens haben wir die Neutralität jener kleinen Völker, die Sklaven der Entente sind, gewonnen. Drittens aber beginnen wir in den eigenen Ländern der Entente die Kleinbourgeoisie und das gebildete Kleinbürgertum, das ganz und gar gegen uns war, nunmehr für uns zu gewinnen. Um dies zu beweisen, möchte ich mich auf die „Humanité vom 26. Oktober berufen, die ich in Händen halte. Diese Zeitung, die stets der II. Internationale angehörte, während des Krieges dem wüstesten Chauvinismus frönte, den Standpunkt solcher Sozialisten, wie es unsere Menschewiki und rechten Sozialrevolutionäre sind, vertrat und heute noch eine versöhnlerische Rolle spielt – sie erklärt, sie hätte sich von der veränderten Stimmung der Arbeiter überzeugt. Sie sah das nicht in Odessa, sondern in den Straßen und Versammlungen von Paris, wo die Arbeiter niemand sprechen ließen, der gegen das bolschewistische Russland ein Wort zu sagen wagte. Und als Politiker, die im Laufe mehrerer Revolutionen einiges gelernt haben, als Leute, die wissen, was Volksmassen sind, wagen sie es nicht, auch nur einen Ton zugunsten der Intervention von sich zu geben, und sprechen sich samt und sonders gegen sie aus. Doch nicht genug damit. Nicht genug damit, dass Sozialisten das erklären (sie nennen sich Sozialisten, obwohl wir längst wissen, was für Sozialisten sie sind) – die gleiche Nummer der „Humanité“ vom 26. Oktober, die ich eben zitiert habe, enthält die Erklärung einer ganzen Reihe von Vertretern der französischen Intellektuellen, der französischen öffentlichen Meinung. In dieser Erklärung, die Anatole France als erster gezeichnet hat und unter der auch die Unterschrift von Ferdinand Bouisson steht, zählte ich 71 Namen von Vertretern der bürgerlichen Intellektuellen, die in ganz Frankreich bekannt sind und die erklären, sie seien gegen die Einmischung in die russischen Angelegenheiten, weil Blockade, Anwendung des Hungertodes, dem Kinder und Greise zum Opfer fallen, vom Standpunkt der Kultur und der Zivilisation aus unzulässig seien; sie erklären, dergleichen nicht dulden zu können. Der bekannte französische Historiker Aulard, ein Bürgerlicher durch und durch, erklärt in seinem Brief:

Als Franzose bin ich ein Feind der Bolschewiki; als Franzose bin ich ein Anhänger der Demokratie, und es wäre lächerlich, mich des Gegenteils zu verdächtigen. Aber wenn ich lese, dass Frankreich Deutschland auffordert, sich an der Blockade Russlands zu beteiligen, wenn ich lese, dass Frankreich Deutschland dergleichen vorschlägt, so steigt mir die Schamröte ins Gesicht.“

Das ist vielleicht nur eine literarische Gefühlsäußerung eines Intellektuellen, aber man kann sagen, dass das der dritte Sieg ist, den wir über das imperialistische Frankreich in Frankreich selbst errungen haben. Davon zeugt diese Kundgebung, eine an sich klägliche, schwankende Kundgebung, eine Kundgebung jener Intellektuellen, die, wie wir an zahllosen Beispielen gesehen haben, Millionenmal mehr Lärm machen als eine wirkliche Macht darstellen können, die sich aber dadurch auszeichnen, dass sie ein gutes Barometer sind und anzeigen, nach welcher Seite das Kleinbürgertum und die durch und durch bürgerliche öffentliche Meinung hinneigen. Wenn wir in Frankreich, wo die ganze bürgerliche Presse nur in den verlogensten Ausdrücken über uns schreibt, ein solches Resultat erzielt haben, so sagen wir uns: es sieht so aus, als ob in Frankreich eine zweite Dreyfus-Affäre, aber eine viel größere, beginne. Damals kämpften die bürgerlichen Intellektuellen gegen die klerikale und militaristische Reaktion, und die Arbeiterklasse konnte das damals nicht als ihre eigene Sache betrachten, damals lagen nicht die objektiven Bedingungen, lag keine so tiefgehende revolutionäre Stimmung vor wie heute. Und jetzt? Wenn die französischen bürgerlichen Intellektuellen, nach dem jüngsten Wahlsieg der schlimmsten Reaktion und trotz des Regimes, das dort heute gegen die Bolschewiki angewandt wird, erklären, dass sie sich des Bündnisses des reaktionärsten Frankreichs mit dem reaktionärsten Deutschland zur Aushungerung der Arbeiter und Bauern Russlands schämen müssen, so sagen wir uns: das ist, Genossen, der dritte Sieg und ein sehr, sehr großer Sieg. Und ich möchte wohl sehen, wie angesichts einer solchen inneren Lage die Herren Clemenceau, Lloyd George und Wilson die neuen Überfälle auf Russland, von denen sie träumen, ausführen werden. Versucht es nur. ihr Herren! (Beifall.)

Genossen, ich wiederhole: es wäre ein schwerer Fehler, daraus unvorsichtige Schlussfolgerungen zu ziehen. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass sie ihre Versuche erneuern werden. Aber wir sind davon vollkommen überzeugt, dass diese Versuche, mögen sie mit noch so großen Kräften unternommen werden, scheitern werden. Wir können sagen, dass der Bürgerkrieg, den wir mit so zahllosen Opfern geführt haben, siegreich war. Siegreich nicht nur in Russland selbst, sondern auch im welthistorischen Maßstab. Jede dieser Schlussfolgerungen, die ich hier vor euch dargelegt habe, habe ich auf Grund der Ergebnisse der Kriegskampagne gezogen. Deshalb, wiederhole ich, werden erneute Versuche zum Scheitern verurteilt sein, denn sie sind viel schwächer geworden, als sie waren, wir aber sind nach unserem Sieg über Koltschak und Judenitsch sowie nach dem beginnenden und augenscheinlich immer vollständigeren Sieg über Denikin viel stärker geworden. Wurde denn Koltschak nicht von dieser Weltmacht der Entente unterstützt? Waren die Bauern des Urals und Sibiriens, die bei den Wahlen zur Konstituante den geringsten Prozentsatz bolschewistischer Abgeordneten wählten, die die Front der Konstituante, damals die Front der Menschewiki und Sozialrevolutionäre, auf der ganzen Linie unterstützten – waren sie nicht das beste Menschenmaterial, das gegen die Kommunisten eingesetzt werden konnte? War Sibirien nicht das Land ohne grundherrlichen Bodenbesitz, das Land, wo wir nicht sofort den Bauernmassen so helfen konnten, wie wir der ganzen russischen Bauernschaft geholfen haben? Was fehlte also dem Admiral Koltschak zum Sieg über uns? Ihm fehlte das, was allen Imperialisten fehlt: er war und blieb ein Ausbeuter, er musste unter den Verhältnissen handeln, die der Weltkrieg hinterlassen hatte, unter Verhältnissen, die über Demokratie und Freiheit nur zu schwätzen gestatteten und die Wahl zwischen zwei Diktaturen übrigließen: entweder die Diktatur der Ausbeuter, die ihre Privilegien mit Zähnen und Klauen verteidigen und erklären, dass auf alle Wechsel, auf Grund deren sie allen Völkern Milliarden abpressen wollen, die Tribute voll bezahlt werden müssen – oder aber die Diktatur der Arbeiter, die gegen die Macht der Kapitalisten kämpft und die Macht der Werktätigen fest verankern will. Nur daran hat sich Koltschak das Genick gebrochen. Auf diese Art und Weise, nicht mit dem Stimmzettel – obwohl auch er unter gewissen Umständen keine schlechte Methode ist –, sondern durch die Tat hat der Bauer Sibiriens und des Urals sein Schicksal bestimmt. Im Sommer 1918 war er mit den Bolschewiki unzufrieden. Er sah, dass die Bolschewiki ihn zur Abgabe seiner Getreideüberschüsse, und zwar nicht zu Spekulationspreisen, zwangen, und er schlug sich ins Lager Koltschaks. Jetzt aber hat er sich die Sache angesehen, hat einen Vergleich gezogen und ist zu anderen Schlüssen gekommen. Er hat es begriffen, trotz aller Wissenschaft, die ihm vorgetragen wurde, denn er hat an seiner eigenen Haut das gelernt, was viele Menschewiki und Sozialrevolutionäre aus der Wissenschaft nicht lernen wollen (Beifall); dass es nur zwei Diktaturen geben kann, zwischen denen man wählen muss, und zwar entweder die Diktatur der Arbeiter, und das heißt, allen Werktätigen helfen, das Joch der Ausbeuter abzuschütteln, oder die Diktatur der Ausbeuter. Wir haben den Bauern für uns gewonnen, wir haben auf Grund der Erfahrung, einer bitteren, unerhört schweren Erfahrung bewiesen, dass wir als Vertreter der Arbeiterklasse besser, mit größerem Erfolg als jede andere Partei die Bauernschaft zu führen vermögen. Andere Parteien erheben gegen uns allzu gerne den Vorwurf, wir führten einen Kampf gegen die Bauernschaft, wir könnten mit ihr zu keiner vernünftigen Einigung kommen, und alle tragen uns ihre hochherzigen, edelmütigen Dienste an, um uns mit den Bauern zu versöhnen. Besten Dank, ihr Herren, aber wir glauben nicht, dass ihr das fertigbringen werdet. Wir aber haben jedenfalls schon längst bewiesen, dass wir es können. Wir haben nicht dem Bauern in rosigen Farben ausgemalt, dass er ohne eiserne Disziplin und ohne die starke Macht der Arbeiterklasse aus der kapitalistischen Gesellschaft erlöst, dass die welthistorische Frage des Kampfes gegen das Kapital durch bloße Stimmzettelabgabe entschieden werden könne. Wir sagten unumwunden: Diktatur ist ein grausames, schwerwiegendes, sogar blutiges Wort. Aber wir sagten, dass die Diktatur der Arbeiterklasse ihm die Abschüttelung des Jochs der Ausbeuter sichern wird, und wir behielten recht. Nach praktischer Erprobung der einen wie der anderen Diktatur wählte der Bauer die Diktatur der Arbeiterklasse, und er wird zu ihr halten bis zum vollen Sieg. (Beifall.)

Genossen, aus alledem, was ich über unsere internationalen Siege ausgeführt habe, folgt – und ich glaube, längere Ausführungen darüber sind überflüssig –, dass wir mit maximaler Sachlichkeit und Ruhe unseren Friedensvorschlag wiederholen müssen. Wir müssen es tun, weil wir einen solchen Vorschlag schon viele Male gemacht haben. Jedes Mal, wenn wir es taten, gewannen wir in den Augen jedes gebildeten Menschen, selbst unseres Feindes, und diesem gebildeten Menschen stieg die Schamröte ins Gesicht. So war es, als Bullitt hierherkam, als er vom Genossen Tschitscherin empfangen wurde, als er sich mit ihm und mit mir unterhielt und wir binnen wenigen Stunden einen provisorischen Friedensvertrag schlossen. Er versicherte ums (diese Herrschaften prahlen gerne), Amerika sei alles, und wer würde angesichts der Macht Amerikas mit Frankreich rechnen? Als wir aber den Vertrag unterzeichnet hatten, da machten sowohl der französische als auch der englische Minister diese Geste: (Lenin markiert einen Fußtritt. Heiterkeit). Das Papier, das Bullitt in der Hand hatte, erwies sich als ganz wertlos, und man sagte ihm: „Wer konnte erwarten, dass du so naiv, so dumm bist, an den Demokratismus Englands und Frankreichs zu glauben?“ Und nunmehr lese ich in derselben Zeitungsnummer auf Französisch den vollen Text des Vertrages mit Bullitt (Beifall); und er ist auch in allen englischen und amerikanischen Zeitungen veröffentlicht. So haben sie sich selbst vor der ganzen Welt entweder als Schwindler oder als dumme Jungen hingestellt – mögen sie wählen, was ihnen besser passt! Die ganze Sympathie selbst des Kleinbürgertums, ja sogar der einigermaßen gebildeten Bourgeoisie, die sich daran erinnert hat, dass auch sie einstmals gegen ihre Kaiser und Könige gekämpft hat, ist aber auf unserer Seite, denn wir haben in der sachlichsten Weise die schwersten Friedensbedingungen unterzeichnet und gesagt: „Das Blut unserer Arbeiter und Soldaten ist uns viel zu teuer; wir werden euch wie Kaufleuten den Frieden mit einem schweren Tribut bezahlen; wir sind zu diesem Tribut bereit, nur um den Arbeitern und Bauern das Leben zu erhalten.“ Daher glaube ich, dass wir darüber nicht viel Worte zu verlieren brauchen, und zum Schluss werde ich den Entwurf einer Resolution verlesen, die im Namen des Sowjetkongresses unseren unerschütterlichen Willen zur Durchführung einer Friedenspolitik kundgeben soll. (Beifall.)

Nunmehr möchte ich vom internationalen und militärischen Teil meines Referats zum politischen übergehen.

Wir haben über die Entente drei gewaltige Siege errungen, und es waren bei weitem nicht bloß militärische Siege. Es waren Siege, erfochten von der Diktatur der Arbeiterklasse, und jeder dieser Siege festigte unsere Lage nicht nur deshalb, weil unser Gegner schwächer wurde und seine Truppen verlor – unsere internationale Lage festigte sich auch deshalb, weil wir in den Augen der ganzen werktätigen Menschheit und selbst vieler Vertreter der Bourgeoisie gewannen. In dieser Hinsicht werden die Siege, die wir über Koltschak und Judenitsch davongetragen, sowie die Siege, die wir jetzt über Denikin erfechten, uns die Möglichkeit geben, auch weiterhin auf friedlichem Wege und in ungleich größerem Umfang als bisher Sympathien zu erringen.

Man hat uns immer des Terrorismus beschuldigt. Das ist eine landläufige Beschuldigung, die aus den Spalten der Presse überhaupt nicht verschwindet Man wirft uns vor, wir hätten den Terrorismus zum Prinzip erhoben. Wir erwidern darauf: „Ihr glaubt selbst nicht an diese Verleumdung.“ Derselbe Historiker Aulard, der den Brief in der „Humanité“ veröffentlicht hat, schreibt:

Ich habe Geschichte studiert, und wenn ich lese, die Bolschewiki seien lauter Ungeheuer, Monstren, Popanze, so sage ich: dasselbe wurde seinerzeit auch über Robespierre und Danton geschrieben. Damit" – sagt er weiter – will ich gar nicht die heutigen Russen mit jenen großen Männern vergleichen. Nicht im entferntesten, sie haben nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihnen. Aber als Geschichtsschreiber sage ich: man darf doch nicht jedem Gerücht Glauben schenken.“

Wenn ein bürgerlicher Geschichtsschreiber eine solche Sprache zu führen beginnt, so sehen wir, dass auch jene Lüge, die man über uns verbreitet, allmählich zerbröckelt. Wir sagen: der Terror wurde uns aufgezwungen. Man vergisst, dass der Terrorismus durch den Überfall der Weltmacht der Entente hervorgerufen wurde. Ist es denn nicht Terror, wenn die Weltflotte ein hungerndes Land blockiert? Ist es denn nicht Terror, wenn Vertreter des Auslandes, gestützt auf ihre diplomatische Unantastbarkeit, weißgardistische Aufstände organisieren?4 Man muss doch die Dinge wenn auch nur einigermaßen nüchtern betrachten. Man muss doch verstehen, dass der internationale Imperialismus für die Niederwerfung der Revolution alles aufs Spiel gesetzt hat, dass er vor nichts zurückschreckt und sagt: „Für jeden Offizier einen Kommunisten, dann gewinnen wir!“ Und sie haben recht. Wenn wir versucht hätten, auf diese vom internationalen Räuberunwesen geschaffenen, vom Krieg vertierten Truppen mit der Macht des Wortes, der Überzeugung, in irgendeiner anderen Weise, nicht mit Terror einzuwirken, so hätten wir uns keine zwei Monate gehalten, so wären wir Toren gewesen. Der Terror ist uns durch den Terrorismus der Entente, durch den Terror der Weltmacht des Kapitalismus aufgezwungen worden, der die Arbeiter und Bauern würgte, würgt und zum Verhungern verdammt, weil sie für die Freiheit ihres Landes kämpfen. Und jeder Schritt unseres Sieges über diesen Grund und Urgrund des Terrors wird unausbleiblich und unabänderlich stets Hand in Hand damit gehen, dass wir bei unserer Regierungstätigkeit ohne dieses Mittel der Überzeugung und Entwicklung auskommen werden.

Dasselbe, was wir über den Terrorismus sagen, werden wir auch über unsere Haltung gegenüber allen schwankenden Elementen sagen. Uns wird vorgeworfen, dass wir für den Mittelstand, für die bürgerlichen Intellektuellen unglaublich schwere Verhältnisse geschaffen haben. Wir sagen: der imperialistische Krieg war eine Fortsetzung der imperialistischen Politik, deshalb hat er die Revolution ausgelöst. Während des imperialistischen Krieges fühlten alle, dass er von der Bourgeoisie um ihrer Raubinteressen willen geführt wird, dass das Volk an diesem Krieg zugrunde geht, die Bourgeoisie sich aber bereichert. Das ist das Leitmotiv, von dem die Politik der Bourgeoisie in allen Ländern durchdrungen ist, das ist es, was für sie verhängnisvoll ist und sie vollständig verderben wird. Unser Krieg aber ist eine Fortsetzung der Politik der Revolution, und jeder Arbeiter und jeder Bauer weiß – und wenn er es nicht weiß, so fühlt er es instinktiv – und sieht, dass dieser Krieg zur Verteidigung gegen die Ausbeuter geführt wird, dass er den Arbeitern und Bauern die größten Opfer auferlegt, aber nicht davor zurückschreckt, diese Opfer auch anderen Klassen aufzuerlegen. Wir wissen, dass sie schwerer daran tragen als die Arbeiter und Bauern, denn sie gehörten ehemals zur Klasse der Privilegierten. Aber wir sagen: wenn es sich darum handelt, Millionen Werktätiger von Ausbeutung zu befreien, so wäre eine Regierung, die davor zurückschrecken würde, anderen Klassen Opfer aufzuerlegen, keine sozialistische, sondern eine verräterische Regierung. Wenn wir den Mittelklassen Lasten aufgebürdet haben, so deshalb, weil die Ententeregierungen uns in eine unerhört schwere Lage versetzt haben. Und jeder Schritt unserer Siege – wir sehen das aus den Erfahrungen unserer Revolution, ich habe nur nicht die Möglichkeit, darauf ausführlich einzugehen –, bringt es mit sich, dass, ungeachtet aller Schwankungen und zahlreicher Versuche der Rückkehr zum Alten, immer mehr Vertreter der schwankenden Elemente sich davon überzeugen, dass es tatsächlich keine andere Wahl gibt als die zwischen der Diktatur der Werktätigen und der Macht der Ausbeuter. Wenn es für diese Elemente schwere Zeiten gegeben hat, so trägt nicht die bolschewistische Macht, sondern tragen die Weißgardisten, die Entente die Schuld, und der Sieg über sie wird die wirkliche und feste Voraussetzung der Besserung der Lage alle dieser Klassen sein. In dieser Beziehung. Genossen, möchte ich, zu den Lehren der innerpolitischen Erfahrungen übergehend, einige Worte über die Bedeutung des Krieges sagen.

Unser Krieg ist die Fortsetzung der Politik der Revolution, der Politik des Sturzes der Ausbeuter, der Kapitalisten und der Gutsherren. Daher bringt dieser Krieg, so unendlich schwer er auch ist, uns die Sympathien der Arbeiter und der Bauern ein. Der Krieg ist nicht nur eine Fortsetzung der Politik, sondern auch ihre Summierung und zugleich ein politischer Unterricht; das gilt auch für diesen ungeheuer schweren Krieg, den uns die Gutsherren und Kapitalisten mit Hilfe der Weltmacht der Entente aufgezwungen haben. In den Flammen dieses Krieges haben die Arbeiter und die Bauern vieles gelernt. Die Arbeiter haben gelernt, wie die Macht des Staates auszunützen, wie jeder Schritt zu einer Quelle der Propaganda und der Aufklärung zu machen ist, wie man diese Rote Armee, die in ihrer Mehrheit aus Bauern besteht, zu einem Werkzeug der Aufklärung der Bauernschaft, zu einem Werkzeug der Ausnützung bürgerlicher Fachleute machen muss. Wir wissen, dass diese bürgerlichen Fachleute in ihrer übergroßen Mehrheit gegen uns eingestellt sind und gegen uns eingestellt sein müssen, denn hier macht sich ihre Natur geltend, und in dieser Hinsicht dürfen wir uns keinen Täuschungen hingeben. Hunderte und Tausende dieser Fachleute haben uns verraten, aber Tausende und Zehntausende haben uns in wachsender Treue gedient, weil der Verlauf des Kampfes selbst sie auf unsere Seite gebracht hat und weil jene revolutionäre Begeisterung, die in der Roten Armee Wunder wirkte, daraus entsprang, dass wir den Interessen der Arbeiter und der Bauern dienten und sie befriedigten. Dieses geschlossene Vorgehen der Arbeiter- und Bauernmassen, die wissen, wofür sie kämpfen, verfehlte nicht seine Wirkung, und ein immer größerer Teil der Leute, die aus dem anderen Lager zu uns kamen, wurde und wird, manchmal unbewusst, zu unseren bewussten Anhängern.

Genossen, nunmehr steht vor uns die Aufgabe, die auf dem Gebiet unserer militärischem Tätigkeit gesammelten Erfahrungen auf das Gebiet des friedlichen Aufbaus zu übertragen. Nichts erfüllt uns mit solcher Freude, nichts berechtigt uns in so hohem Maße, den VII. Allrussischen Sowjetkongress als einen Wendepunkt in der Geschichte Sowjetrusslands zu begrüßen, als die Tatsache, dass wir die Zeit der Bürgerkriege in der Hauptsache bereits hinter uns haben, vor uns aber in der Hauptsache jener friedliche Aufbau liegt, der uns alle lockt, den wir alle wollen, den wir verwirklichen müssen und dem wir alle unsere Anstrengungen und unser ganzes Leben widmen werden. Jetzt, nach den schweren Prüfungen der Kriegszeit, sind wir berechtigt zu sagen, dass wir in der Hauptsache – auf militärischem und internationalem Gebiet – Sieger geblieben sind. Vor uns wird der Weg des friedlichen Aufbaus frei. Man muss natürlich im Auge behalten, dass der Feind uns auf Schritt und Tritt auflauert und dass er noch unzählige Mal versuchen wird, uns mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln – Gewalt, Betrug, Bestechung, Verschwörung usw. – zu stürzen. Unsere Aufgabe ist es, alle die Erfahrungen, die wir auf militärischem Gebiet gesammelt haben, nunmehr zur Lösung der Grundfragen des friedlichen Aufbaus anzuwenden. Ich werde diese Hauptfragen nennen. Es ist vor allem die Frage der Lebensmittelversorgung, die Getreidefrage.

Wir haben den schwersten Kampf gegen Vorurteile und Gewohnheiten geführt. Der Bauer ist einerseits ein Werktätiger, der jahrzehntelang den Druck des Gutsherrn und des Kapitalisten ertragen hat und mit dem Instinkt des Unterdrückten fühlt, dass das reißende Tiere sind, die nicht davor zurückschrecken werden, Ströme von Blut zu vergießen, um wieder zur Macht zu gelangen. Aber anderseits ist der Bauer Eigentümer. Er will sein Getreide frei verkaufen, er will „Freiheit des Handels“, er versteht nicht, dass freier Getreideverkauf in einem hungernden Land Freiheit der Spekulation, Freiheit der Profitmacherei für die Reichen ist. Und wir sagen: dafür werden wir nie zu haben sein, lieber werden wir alle zugrunde gehen, als dass wir in diesem Punkt Zugeständnisse machen.

Wir wissen, dass wir hier Politik betreiben, wenn die Arbeiter den Bauern zureden, ihr Getreide leihweise zu überlassen; denn das Papiergeld ist kein Äquivalent, es ist dem Getreide nicht gleichwertig. Der Bauer gibt uns sein Getreide zu festen Preisen her und erhält keine Waren – weil wir keine haben –, sondern nur bunte Papierchen. Er gibt das Getreide leihweise her, und wir sagen ihm: „Wenn du ein Mann der Arbeit bist, kannst du dann behaupten, dass das ungerecht sei? Wie kannst du dagegen sein, dass man die vorhandenen Getreideüberschüsse leihweise zu festen Preisen abgeben muss und sie nicht auf dem Wege der Spekulation absetzen darf, weil Spekulation Rückkehr zum Kapitalismus, Rückkehr zur Ausbeutung, Wiedereinführung dessen ist, wogegen wir gekämpft haben?“ Hierin liegt eine gewaltige Schwierigkeit, und sie hat uns viele Schwankungen gekostet. Viele Schritte machten und machen wir tastend, aber die grundlegende Erfahrung haben wir uns bereits angeeignet. Wenn ihr den Bericht des Genossen Zjurupa oder anderer Ernährungsfunktionäre hören werdet, so werdet ihr sehen, dass sich die Bauern an die Getreideumlage gewöhnen, wenn der Staat ihnen sagt, sie müssen das Getreide leihweise abliefern, dass aus einer Reihe von Landbezirken Nachrichten vorliegen, wonach die Getreideumlage zu 100 Prozent erfüllt ist, dass trotz der Geringfügigkeit der Erfolge immerhin ein Fortschritt zu verzeichnen ist, dass unsere Ernährungspolitik den Bauern in immer steigendem Maße klarmacht: willst du freien Getreidehandel in einem ruinierten Land, dann kehre zurück zum Alten, koste Koltschak, Denikin aus! Dagegen werden wir bis zum letzten Blutstropfen kämpfen. Hier kann von keinen Zugeständnissen die Rede sein. In dieser Grundfrage, in der Getreidefrage, werden wir darauf dringen, dass es keine Spekulation gebe, dass kein Getreideverkauf die Reichen noch mehr bereichere, sondern dass alle Getreideüberschüsse, die auf staatlichem Boden durch die Arbeit ganzer Generationen von Werktätigen produziert werden, Gemeingut des Staates seien, dass diese Getreideüberschüsse heute, wo der Staat verarmt ist, von den Bauern dem Arbeiterstaat leihweise überlassen werden. Wenn der Bauer das tut, so werden wir aus allen Schwierigkeiten herauskommen, wir werden die Industrie wiederherstellen, und der Arbeiter wird dem Bauern seine Schuld hundertfach abtragen. Er wird ihm und seinen Kindern die Möglichkeit sichern, zu leben, ohne für den Gutsherrn und den Kapitalisten arbeiten zu müssen. Das ist es, was wir dem Bauern sagen, und er kommt zur Überzeugung, dass er keine andere Wahl hat. Zu dieser Überzeugung bringen den Bauern nicht so sehr wir als vielmehr unsere Herren Gegner – Koltschak und Denikin. Sie sind es vor allem, die dem Bauern lebendigen Anschauungsunterricht erteilen, die ihn in unser Lager drängen.

Aber, Genossen, nach der Getreidefrage kommt die zweite Frage, die Frage des Brennstoffs. An den Getreidebeschaffungspunkten gibt es jetzt Getreide genug, um die hungernden Arbeiter Petrograds und Moskaus zu sättigen. Aber geht durch die Arbeiterviertel Moskaus, und ihr werdet sehen, wie die Menschen unter entsetzlicher Kälte leiden, ihr werdet ungeheures Elend sehen, das sich gegenwärtig infolge Brennstoffmangels verschärft hat. Hier machen wir eine verzweifelte Krise durch, hier sind wir hinter dem Bedarf zurückgeblieben. In der letzten Zeit beschäftigte sich eine ganze Reihe von Sitzungen des Rates der Landesverteidigung sowie des Rates der Volkskommissare ausschließlich mit Maßnahmen zur Überwindung der Brennstoffkrise. Für mein Referat hat mir Genosse Ksandrow Material geliefert, das zeigt, dass wir beginnen, aus dieser verzweifelten Krise herauszukommen. Anfang Oktober wurden im Laufe einer Woche 16.000 Waggons verladen, Ende November war diese Zahl auf 10.000 gesunken. Das war eine Krise, das war eine Katastrophe, das bedeutete Hungersnot für die Arbeiter einer ganzen Reihe von Werken und Fabriken Moskaus, Petrograds und vieler anderer Orte. Die Resultate dieser Katastrophe machen sich noch heute geltend. Wir warfen uns auf diese Sache, wir spannten alle unsere Kräfte an, wir taten das, was wir auf militärischem Gebiet getan hatten, und wir sagten: alle klassenbewussten Elemente, alle auf zur Lösung der Brennstofffrage, aber nicht auf dem alten, kapitalistischen Wege, wo man den Spekulanten Prämien zahlte und sie durch die Lieferungsverträge Riesenprofite einstrichen. Nein, wir sagten: löst die Frage auf sozialistischem Wege, löst sie auf dem Wege der Selbstaufopferung, so wie wir das rote Petrograd gerettet, wie wir Sibirien befreit, wie wir stets in allen schwierigen Situationen, bei allen schwierigen Aufgaben der Revolution gesiegt haben und wie wir stets siegen werden. Und von 12.000 Waggons stieg die Verladung in der letzten Woche auf 20.000 Waggons. Wir sind im Begriff, aus dieser Katastrophe herauszukommen, aber wir sind noch lange nicht heraus. Alle Arbeiter müssen wissen und dessen eingedenk sein: ohne Brot für die Menschen, ohne Brot für die Industrie, d. h. ohne Brennstoff, ist das Land zum Elend verurteilt. Und nicht nur unser Land. Heute teilen die Zeitungen mit, dass in Frankreich, dem Siegerland, der Eisenbahnverkehr stockt. Was soll man da von Russland sagen? Frankreich wird versuchen, sich aus der Krise auf kapitalistischem Wege herauszuwinden auf einem Wege, der den Kapitalisten Gewinn, den Massen aber weitere Entbehrungen bringt. Sowjetrussland aber wird den Ausweg aus der Krise durch Disziplin und Selbstaufopferung der Arbeiter finden, durch einen energischen Appell an die Bauern, jenen energischen Appell, den der Bauer letzten Endes immer versteht. Der Bauer erkennt aus der Erfahrung, dass so schwer auch der Übergang ist, mit wie fester Hand auch die Staatsmacht der Arbeiter durchgreift, so ist es doch die Hand von Arbeitsleuten, die im Namen des Bündnisses der werktätigen Massen für die vollständige Abschaffung jedweder Ausbeutung kämpfen.

Noch eine dritte Geißel droht uns – die Laus, der Flecktyphus, der unsere Truppen dezimiert. Und hier, Genossen, kann man sich gar keine Vorstellung machen von den entsetzlichen Verhältnissen in den vom Flecktyphus betroffenen Gegenden, wo die ganze Bevölkerung entkräftet, geschwächt, aller materiellen Mittel bar ist, wo alles Leben, jede öffentliche Betätigung verschwindet. Da sagen wir: „Genossen, schenkt dieser Frage die größte Aufmerksamkeit. Entweder besiegen die Läuse den Sozialismus, oder der Sozialismus besiegt die Läuse!" Auch in dieser Frage beginnen wir, Genossen, mit den gleichen Methoden Erfolge zu erzielen. Natürlich gibt es noch solche Ärzte, die gegen die Arbeitermacht voreingenommen sind, die ihr misstrauen und es vorziehen, lieber gegen hohes Honorar Reiche zu behandeln als in den schweren Kampf gegen den Flecktyphus zu ziehen. Aber diese Ärzte sind in der Minderheit, es werden ihrer immer weniger, die Mehrzahl aber sieht, dass das Volk um seine Existenz kämpft, dass es durch seinen Kampf die Grundfrage der Rettung jeglicher Kultur lösen will, und diese Ärzte arbeiten an ihrer schweren und mühevollen Aufgabe mit nicht weniger Selbstaufopferung als ein beliebiger Militärfachmann. Sie sind bereit, alle ihre Kräfte der Arbeit für die Werktätigen zu widmen. Ich muss sagen, dass wir auch aus dieser Krise allmählich herauskommen. Genosse Semaschko stellte mir einige Zahlen über diese Arbeit zur Verfügung. Von der Front wird mitgeteilt, dass dort bis zum 1. Oktober 122 Ärzte und 467 Heilgehilfen angekommen sind. Weitere 150 Ärzte sind aus Moskau abkommandiert worden. Wir haben allen Grund anzunehmen, dass bis zum 15. Dezember weitere 800 Ärzte an die Front kommen, um in den Kampf gegen den Flecktyphus einzugreifen. Wir müssen dieser Geißel die größte Aufmerksamkeit zuwenden.

Unsere Hauptaufmerksamkeit muss der Festigung dieses unseres Fundaments gelten: Getreide, Brennstoffe, Bekämpfung des Flecktyphus. Genossen, ich möchte das um so mehr betonen, als in unserem sozialistischen Aufbau eine gewisse Zersplitterung zu bemerken war. Das ist verständlich. Wenn Menschen beschlossen haben, die ganze Welt umzugestalten, so ist es ganz natürlich, dass zu dieser Arbeit unerfahrene Arbeiter und unerfahrene Bauern herangezogen werden. Es wird zweifellos sehr viel Zeit vergehen, ehe wir mit Sicherheit feststellen werden, worauf die größte Aufmerksamkeit gelenkt werden muss. Es ist kein Wunder, dass so große geschichtliche Aufgaben oft gewaltige Phantasien hervorriefen, aber neben den großen Phantasien gibt es viele kleine, verunglückte Phantasien. Es hat zahlreiche Fälle gegeben, wo wir beim Dach, an irgendeinem Nebengebäude, einem Gesims zu bauen anfingen, dem Fundament aber nicht die erforderliche Aufmerksamkeit zuwandten. Ich möchte euch als Ergebnis meiner Erfahrungen, meiner Beobachtungen über die Arbeit meine Meinung mitteilen, dass die wesentlichste Aufgabe unserer Politik darin besteht, dieses Fundament zu schaffen. Jeder Arbeiter, jede Organisation, jede Institution muss sich das in jeder Sitzung sagen. Wenn wir die Bevölkerung mit Brot versorgen, wenn wir eine Vermehrung der Brennstoffmenge erreichen, wenn wir alle unsere Kräfte anspannen werden, um den Flecktyphus, diese Folge der Kulturlosigkeit, der Armut, der mangelnden Aufklärung und der Unwissenheit, in Russland auszurotten, wenn wir unsere ganzen Kräfte, die ganze Erfahrung, die wir im blutigen Krieg gesammelt haben, in diesem unblutigen Krieg anwenden werden, so können wir überzeugt sein, dass wir bei der Erfüllung dieser Aufgabe, die ja viel leichter, viel humaner ist als der Krieg, immer mehr und mehr Erfolge erringen werden.

Die militärische Mobilisierung haben wir durchgeführt. Jene Parteien, die unsere unversöhnlichsten Gegner waren, die die Ideen des Kapitalismus am längsten vertraten und noch vertreten, wie z. B. die Sozialrevolutionäre, mussten trotz aller Beschuldigungen, mit denen uns die bürgerlichen Imperialisten überhäuften, doch zugeben, dass die Rote Armee zu einer Volksarmee geworden ist. Das bedeutet, dass wir auf diesem, dem schwierigsten Gebiet, den Zusammenschluss der Arbeiterklasse mit der auf ihre Seite übergehenden gewaltigen Masse der Bauernschaft verwirklicht und dieser dadurch gezeigt haben, was die Führung der Arbeiterklasse bedeutet.

Die Worte „Diktatur des Proletariats“ schrecken die Bauern ab. Das ist in Russland für die Bauern ein Popanz. Sie wenden sich gegen diejenigen, die diesen Popanz hervorholen. Doch die Bauern wissen jetzt, dass die Diktatur des Proletariats, auch wenn es ein allzu verzwicktes lateinisches Wort ist, in der Praxis jene Sowjetmacht ist, die den Staatsapparat den Arbeitern übergibt und somit der treueste Freund und Bundesgenosse der Werktätigen, der erbarmungsloseste Feind jeder Ausladung ist. Daher werden wir schließlich alle Imperialisten besiegen, denn wir verfügen über so tiefe Quellen der Kraft, über einen so gewaltigen Vorrat an Menschenmaterial, wie ihn keine einzige bürgerliche Regierung je gehabt hat und haben wird. Wir verfügen über eine Quelle, aus der wir immer weiter und immer tiefer schöpfen können, wobei wir nicht nur von den fortgeschrittensten Arbeitern zu den Durchschnittsarbeitern, sondern auch weiter hinunter zu den werktätigen Bauern, zu den Armen und Ärmsten übergehen können. In der letzten Zeit sagten die Petrograder Genossen, Petrograd habe alle seine Kräfte hergegeben, es könne keine mehr stellen. Als aber die kritische Stunde schlug, tat Petrograd Wunder, es erwies sich, wie Genosse Sinowjew treffend sagte, als eine Stadt, die gleichsam neue Kräfte gebar. Jene Arbeiter, die als unter dem Durchschnitt stehend galten, die keinerlei staatliche und politische Erfahrungen hatten, sie erhoben sich in ihrer ganzen Größe, gaben eine Menge von Kräften für Propaganda, Agitation und Organisation her, wirkten immer neue und neue Wunder. Wir haben noch sehr, sehr viel Quellen für weitere, immer neue Wunder. Jede neue Schicht noch nicht zur Arbeit herangezogener Arbeiter und Bauern ist unser treuester Freund und Bundesgenosse. Bei der Leitung des Staates müssen wir uns jetzt auf Schritt und Tritt auf dünne Schichten stützen. Wir müssen immer und immer wieder an die parteilosen Arbeiter und Bauern appellieren – sowohl in unserer Parteiarbeit als auch in unserer Sowjetpraxis, uns immer kühner und kühner an die parteilosen Arbeiter und Bauern wenden, nicht um sie sogleich für uns zu gewinnen, sie in unsere Partei hineinzuziehen – das ist nicht von Belang – sondern um in ihnen das Bewusstsein zu wecken, dass für die Rettung des Landes ihre Hilfe gebraucht wird. Haben wir einmal bei denjenigen, die von den Gutsherren und den Kapitalisten am allerwenigsten zur Beteiligung an der Regierung zugelassen wurden, das Bewusstsein geweckt, dass wir sie auffordern, Hand in Hand mit uns das feste Fundament der sozialistischen Republik zu bauen, dann wird unsere Sache endgültig unbesiegbar sein.

Daher können wir euch auf Grund unserer zweijährigen Erfahrungen mit absoluter Sicherheit erklären, dass jeder unserer militärischen Siege uns mit ungeheurer Schnelligkeit jener heute schon ganz nahe gerückten Zeit näherbringt, wo wir unsere Kraft ganz und gar dem friedlichen Aufbau widmen werden. Auf Grund der von uns gewonnenen Erfahrung können wir dafür bürgen, dass wir auf diesem Gebiet des friedlichen Aufbaus in den nächsten Jahren ungleich größere Wunder wirken werden, als wir in diesen zwei Jahren des siegreichen Krieges gegen die Weltmacht der Entente gewirkt haben. (Beifall.)

Genossen, erlaubt mir zum Schluss, euch einen Resolutionsentwwurf zu verlesen, den ich euch in Vorschlag bringe:

Die Sozialistische Föderative Sowjetrepublik Russland will mit allen Völkern in Frieden leben und ihre ganze Kraft dem inneren Aufbau zuwenden, um die Produktion, das Transportwesen und die öffentliche Verwaltung auf dem Boden des Sowjetsystems zu organisieren, was bisher zuerst durch das Joch des deutschen Imperialismus und dann durch die Intervention der Entente und die Hungerblockade verhindert wurde.

Die Arbeiter- und Bauernregierung hat an die Ententemächte wiederholt Friedensvorschläge gerichtet, und zwar: am 5. August 1918 das Schreiben des Volkskommissariats für Auswärtige Angelegenheiten an den amerikanischen Vertreter Herrn Pool: am 24. Oktober 1918 an den Präsidenten Wilson; am 3. November 1918 an alle Regierungen der Entente durch Vermittlung von Vertretern neutraler Länder; am 7. November 1918 im Namen des VI. Allrussischen Sowjetkongresses; am 23. Dezember 1918 die Note des Genossen Litwinow in Stockholm an alle Vertreter der Entente; sodann das Schreiben vom 12. Januar und das vom 17. Februar, die Note vom 4. Februar 1919 an die Regierungen der Entente und der Vertragsentwurf, der mit Bullitt am 12. März 1919 ausgearbeitet wurde; die Erklärung vom 7. Mai 1919 durch Vermittlung Nansens.

Indem der VII. Sowjetkongress alle diese wiederholten Schritte des Allrussischen Zentralexekutivkomitees, des Rates der Volkskommissare und des Volkskommissariats für Auswärtige Angelegenheiten in vollem Umfang billigt, betont er erneut seine unerschütterlichen Friedensbestrebungen und schlägt erneut allen Ententemächten – England, Frankreich, den Vereinigten Staaten, Italien, Japan –, sowohl allen zusammen, als auch jeder einzeln, die sofortige Einleitung von Friedensverhandlungen vor. Der Kongress beauftragt das Zentralexekutivkomitee, den Rat der Volkskommissare und das Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten, diese Friedenspolitik systematisch fortzuführen und alle für ihren Erfolg erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.“

1 Es handelt sich hier um den Sieg der Entente über Deutschland im imperialistischen Krieg 1914-1918; der Waffenstillstand wurde am 11. November 1918 unterzeichnet. D Red.

2 Lenin hat hier die Erdrosselung Räteungarns durch die Intervention der Entente mit Hilfe Rumäniens und der Tschechoslowakei im Auge

3 Diese Erklärung wurde im Dezember 1919 von Churchill, dem Kriegsminister im Kabinett Lloyd George (1916–1922), im Unterhaus abgegeben.

4 Es handelt sich hier offenbar um die konterrevolutionäre Tätigkeit des Hauptes der englischen Botschaft Lockhart. Nach der (am 22. Juni 1918) erfolgten Abreise der englischen Botschaft aus Wologda blieb Lockhart in Moskau zurück, um mit Hilfe der Weißgardisten und der Sozialrevolutionäre Verschwörungen und Aufstände gegen die Sowjetregierung sowie Sprengungen und Brandstiftungen von Lebensmittellagern usw. zu organisieren. Am 2. September wurde Lockhart von der Tscheka im Stabsquartier einer konterrevolutionären Organisation verhaftet, die einen Plan ausgearbeitet hatte, der das Eindringen in den Kreml und die Verhaftung Lenins und der ganzen Sowjetregierung bezweckte.

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