Wladimir I. Lenin: Rede auf der I. Allrussischen Beratung über die Arbeit auf dem Lande1 18. November 1919 [Nach Ausgewählte Werke, Band 8. Der Kriegskommunismus 1918-1920. Zürich 1935, S. 199-206] Genossen! Leider war es mir unmöglich, mich an den Arbeiten der von euch organisierten Beratung, d. h. der Beratung über die Arbeit auf dem Lande, zu beteiligen. Daher muss ich mich auf allgemeine und grundlegende Erwägungen beschränken, und ich bin überzeugt, dass es euch gelingen wird, diese allgemeinen Erwägungen und Grundregeln unserer Politik auf die Einzelaufgaben und praktischen Fragen anzuwenden, vor die ihr euch gestellt sehen werdet. Die Frage der Arbeit auf dem Lande ist heute bei uns immerhin die Grundfrage des ganzen sozialistischen Aufbaus, denn von der Arbeit unter dem Proletariat und von seinem Zusammenschluss können wir mit Sicherheit sagen, dass in den zwei Jahren des Bestehens der Sowjetmacht die Politik der Kommunisten nicht nur ganz bestimmte Formen angenommen, sondern auch zweifellos dauerhafte Ergebnisse erzielt hat. Zu Beginn hatten wir gegen die mangelnde Erkenntnis der Gemeinsamkeit der Interessen, gegen einzelne Erscheinungen von Syndikalismus unter der Arbeiterschaft zu kämpfen, wo die Arbeiter einzelner Betriebe oder Industriezweige bestrebt waren, ihre eigenen Interessen, die Interessen ihres Betriebes, ihres Industriezweiges über diejenigen der Gesellschaft zu stellen. Wir hatten und haben heute noch mit ungenügender Disziplin auf dem Gebiet der neuen Arbeitsorganisation zu kämpfen. Die Hauptetappen unserer Politik, in deren Verlauf wir immer neue Arbeiter auf neue Posten stellten und ihnen so die Möglichkeit gaben, die vor uns stehenden Aufgaben, den allgemeinen Mechanismus der Staatsverwaltung kennenzulernen, sind, glaube ich, noch im Gedächtnis. aller. Gegenwärtig hat die Organisation der kommunistischen Tätigkeit des Proletariats und die ganze Politik der Kommunisten eine endgültige, feste Form angenommen, und ich bin überzeugt, dass wir auf dem richtigen Wege sind, auf dem wir mit Sicherheit vorwärtskommen. Bei der Arbeit auf dem Lande aber sind die Schwierigkeiten zweifellos groß, und auf dem VIII. Parteitag haben wir diese Frage als eine der wichtigsten in vollem Umfang aufgerollt. Auf dem Lande können so wie in der Stadt nur die Vertreter der werktätigen und ausgebeuteten Massen, nur diejenigen, auf denen unter dem Kapitalismus der ganze Druck der Gutsherren und der Kapitalisten lastete, unsere Stütze sein. Seit jener Zeit, wo die Eroberung der Macht durch die Arbeiter es den Bauern ermöglicht hat, durch die Aufhebung des Privateigentums die Macht der Gutsherren mit einem Schlage hinwegzufegen, haben sie, als sie an die Aufteilung des Bodens gingen, natürlich die weitestgehende Gleichheit durchgeführt und auf diese Weise die Bodenbebauung bedeutend verbessert und sie über das Durchschnittsniveau gehoben. Selbstverständlich könnte uns das aber nicht in vollem Umfang gelingen, denn bei der Einzelwirtschaft bedarf es gewaltiger materieller Mittel, um jedem Bauern die erforderliche Menge von Saatgut, Vieh und Inventar zu sichern. Ja noch mehr: selbst wenn unsere Industrie im landwirtschaftlichen Maschinenbau gewaltige Fortschritte gemacht hätte, selbst wenn wir uns vorstellen, alle unsere Wünsche seien verwirklicht, so werden wir auch unter dieser Voraussetzung leicht begreifen, dass die Belieferung jedes Kleinbauern mit ausreichenden Produktionsmitteln eine unmögliche und höchst unrationelle Sache ist, denn das würde ungeheure Zersplitterung bedeuten: nur durch gemeinschaftliche, in Artels vereinigte, genossenschaftliche Arbeit kann man aus der Sackgasse, in die uns der imperialistische Krieg geführt hat, einen Ausweg finden. Die bäuerliche Masse, die infolge ihrer wirtschaftlichen Stellung unter dem Kapitalismus am meisten unterdrückt war, glaubt am wenigsten an die Möglichkeit jäher Wendungen und Übergänge. Die Experimente, die Koltschak, Judenitsch und Denikin an der Bauernschaft vorgenommen haben, nötigen sie, auf ihre Errungenschaften besonders sorgfältig zu achten. Jeder Bauer weiß, dass seine Errungenschaften noch nicht endgültig gesichert sind, dass sein Feind, der Gutsherr, noch nicht vernichtet ist, sondern dass er, im Hinterhalt lauernd, auf die Hilfe seiner Freunde, der Raubritter des internationalen Kapitals, wartet, Und obwohl das internationale Kapital mit jedem Tag schwächer wird, unsere internationale Lage sich aber in der letzten Zeit außerordentlich gebessert hat, müssen wir uns, wenn wir alle Umstände nüchtern erwägen, doch sagen, dass das internationale Kapital noch zweifellos stärker ist als wir. Es kann bereits keinen offenen Krieg gegen uns wagen – da sind ihm schon die Flügel beschnitten. Gerade in den letzten Tagen beginnen alle diese Herrschaften in der europäischen bürgerlichen Presse zu erklären: „An Russland kann man sich am Ende die Finger verbrennen, vielleicht ist es besser, man macht mit ihm Frieden.“ So pflegt es immer zu kommen: hat man den Gegner verprügelt, so beginnt er Frieden zu machen. Wir haben den Herren europäischen Imperialisten mehr als einmal gesagt, wir seien zum Frieden bereit, aber sie träumten davon, sich Russland hörig zu machen. Jetzt haben sie nun begriffen, dass ihr Traum niemals Wirklichkeit werden wird. Heute sind noch die internationalen Millionäre und Milliardäre stärker als wir. Und die Bauern sehen ausgezeichnet, dass die Aufstandsversuche der Judenitsch, Koltschak und Denikin mit dem Geld der europäischen und amerikanischen Imperialisten organisiert sind. Und die Masse der Bauern weiß auch ausgezeichnet, war für Folgen die geringste Schwäche ihrerseits haben kann. Die deutliche Erinnerung daran, was ihnen im Falle der Eroberung der Macht durch die Gutsherren und Kapitalisten droht, macht die Bauern zu den treuesten Anhängern der Sowjetmacht. Mit jedem Monat nimmt die Erkenntnis zu, festigt sich die Stellung der Sowjetmacht unter jenen Bauern, die früher schwer gearbeitet haben, ausgebeutet wurden und an ihrem eigenen Leibe die ganze Last des Jochs der Gutsherren und Kapitalisten ausgekostet haben. Ganz anders steht es natürlich mit den Kulaken, mit denjenigen, die selber Lohnarbeiter beschäftigt, Geld gegen Zinsen ausgeliehen und sich auf Kosten fremder Arbeit bereichert haben. Sie stehen in ihrer Masse auf der Seite der Kapitalisten und sind mit der vollzogenen Umwälzung unzufrieden. Und wir müssen uns darüber klar sein, dass war gegen diese Bauernschicht noch einen langen und hartnäckigen Kampf zu führen haben werden. Zwischen jenen Bauern aber, auf denen das ganze Joch der Gutsherren und Kapitalisten gelastet hat, und denjenigen, die selbst andere ausgebeutet haben, steht die Masse der Mittelbauernschaft Hier stehen wir vor der schwierigsten Aufgabe. Die Sozialisten haben stets darauf hingewiesen, dass der Übergang zum Sozialismus eine schwierige Aufgabe aufrollt: das Verhältnis der Arbeiterklasse zu der Mittelbauernschaft. Von unseren Genossen, den. Kommunisten, müssen wir hier vor allem Aufmerksamkeit, bewusste Haltung und die Fähigkeit verlangen, an diese komplizierte und schwierige Aufgabe richtig heranzugehen, nicht aber die Frage im Handumdrehen lösen zu wollen. Die Mittelbauern sind zweifellos die Einzelwirtschaft gewohnt. Sie sind bäuerliche Eigentümer, und obwohl sie heute keinen Boden als ihr Eigentum haben, obwohl das Privateigentum an Grund und Boden aufgehoben ist, so bleibt der Bauer doch ein Eigentümer, hauptsächlich deshalb, weil dieser Bauernschicht noch Lebensmittel verbleiben. Der Mittelbauer produziert an Lebensmitteln mehr, als er braucht, und auf diese Weise wird er als Besitzer von Getreideüberschüssen zum Ausbeuter des hungernden Arbeiters. Darin sind die Hauptaufgaben und der Hauptwiderspruch zu suchen. Der Bauer als Werktätiger, als jemand, der von seiner eigenen Arbeit lebt, als jemand, der das Joch des Kapitalismus getragen hat, steht auf der Seite des Arbeiters. Aber der Bauer als Eigentümer, dem Getreideüberschüsse verbleiben, ist gewohnt, diese als sein Eigentum zu betrachten, das er frei verkaufen kann. Getreideüberschüsse in einem hungernden Land verkaufen heißt aber sich in einen Spekulanten, einen Ausbeuter verwandeln, weil ein Hungernder bereit ist, für Brot alles hinzugehen, was er hat. Hier entfaltet sich der größte und schwierigste Kampf, der von uns allen, von den Vertretern der Sowjetmacht und besonders von den auf dem Lande arbeitenden Kommunisten größte Aufmerksamkeit, gründlichste Vertiefung in diese Frage und überlegtes Herantreten an sie verlangt. Wir haben stets gesagt, dass wir dem Mittelbauern den Sozialismus nicht mit Gewalt aufzwingen wollen, und der VIII. Parteitag hat dies in vollem Umfang bestätigt. Bei der Wahl des Genossen Kalinin zum Vorsitzenden des Allrussischen Zentralexekutivkomitees gingen wir davon aus, dass wir zwischen Sowjetmacht und Bauernschaft eine unmittelbare Annäherung herbeiführen müssen. Und dank dem Genossen Kalinin hat die Arbeit auf dem Lande einen bedeutenden Anstoß erhalten. Der Bauer hat zweifellos die Möglichkeit eines unmittelbareren Verkehrs mit der Sowjetmacht erhalten: er wendet sich an Genossen Kalinin, der in seiner Person die höchste Macht der Sowjetrepublik repräsentiert. Damit haben wir dem Mittelbauern gesagt: „Von einem gewaltsamen Aufzwingen des Übergangs zum Sozialismus kann keine Rede sein.“ Aber man muss ihm das zu verstehen geben, man muss imstande sein, das in einer Sprache auszudrücken, die dem Bauern am verständlichsten ist. Hier kann man nur mit dem Beispiel, durch eine wohlgelungene Organisierung der Gemeinwirtschaft wirken. Um aber ein Beispiel von genossenschaftlicher, von Artelarbeit zu zeigen, müssen wir zunächst selber eine solche Wirtschaft mit Erfolg organisieren. Im Laufe dieser zwei Jahre war eine gewaltige Bewegung für die Organisierung landwirtschaftlicher Kommunen und Artels zu konstatieren. Doch wenn wir die Dinge nüchtern betrachten, so müssen wir sagen, dass die Masse der Genossen, die sich auf die Organisierung von Kommunen warfen, an den Ackerbau, an die Landwirtschaft mit ungenügenden Kenntnissen der wirtschaftlichen Verhältnisse des bäuerlichen Lebens herantraten. Daher hatten wir hier eine große Menge von Fehlern, von Folgen übereilter Schritte und unrichtiger Inangriffnahme der Sache zu beseitigen. Auf Schritt und Tritt kam es vor, dass sich die alten Ausbeuter, frühere Gutsherren, in die Sowjetwirtschaften einschlichen. Ihre Macht ist dort gestürzt, aber sie selbst sind nicht vernichtet. Sie müssen von dort hinausbefördert oder unter die Kontrolle des Proletariats gestellt werden. Diese Aufgabe steht auf allen Gebieten des Lebens vor uns. Ihr habt von einer Reihe glänzender Siege der Roten Armee gehört. In ihr arbeiten Zehntausende alter Offiziere und Obersten. Hätten wir sie nicht in Dienst gestellt, hätten wir sie nicht gezwungen, uns zu dienen, so hätten wir keine Armee schaffen können. So aber haben wir trotz des Verrats einzelner Militärfachleute Koltschak und Judenitsch aufs Haupt geschlagen und siegen an allen Fronten. Das kommt daher, weil sich die kleine Anzahl von Offizieren dank dem Bestehen der kommunistischen Zellen in der Roten Armee, die von gewaltiger propagandistisch-agitatorischer Bedeutung sind, in einer derartigen Umgebung befindet und einem so starken Druck der Kommunisten ausgesetzt ist, dass diese Offiziere in ihrer Mehrheit unfähig sind, das Netz der kommunistischen Agitation und Propaganda, in das wir sie eingesponnen haben, zu zerreißen. Ohne einen Vorrat an Wissen, Technik und Kultur kann der Kommunismus nicht aufgebaut werden, dieser Vorrat aber befindet sich in den Händen bürgerlicher Fachleute. Die meisten von ihnen sympathisieren nicht mit der Sowjetmacht, aber ohne sie können wir den Kommunismus nicht aufbauen. Man muss sie mit der Atmosphäre der Kameradschaftlichkeit, mit dem Geist kommunistischer Arbeit umgeben und erreichen, dass sie in Reih und Glied mit der Arbeiter- und Bauernmacht gehen. Unter der Bauernschaft zeigen sich häufig äußerstes Misstrauen und Entrüstung, die sich zur vollständigen Ablehnung der Sowjetwirtschaften steigern: wir brauchen keine Sowjetwirtschaften, dort sitzen die alten Ausbeuter. Wir haben gesagt: Nein, wenn ihr es selber nicht versteht, die Wirtschaft auf neuer Grundlage zu organisieren, so müssen wir alte Fachleute in Dienst stellen, sonst kommen wir aus dem Elend nicht heraus. Diejenigen von ihnen, die die Verfügungen der Sowjetmacht verletzen sollten, werden wir ebenso rücksichtslos am Kragen packen wie in der Roten Armee. Der Kampf geht weiter, und es ist ein erbarmungsloser Kampf. Doch die meisten von ihnen werden wir zwingen, so zu arbeiten, wie wir es brauchen. Das ist eine schwierige, komplizierte Aufgabe, die nicht im Handumdrehen gelöst werden kann. Hier bedarf es einer bewussten Arbeitsdisziplin, einer Annäherung an die Bauern; wir müssen ihnen zeigen, dass wir alle Missbräuche in den Sowjetwirtschaften sehen, aber wir sagen, dass die Männer der Wissenschaft und Technik in den Dienst der Gemeinwirtschaft gestellt werden müssen, denn mit dem Kleinbetrieb werden wir aus dem Elend nicht herauskommen. Wir werden so handeln wie in der Roten Armee: hundert Mal wird man uns schlagen, aber zum hundertundersten Male werden wir alle besiegen. Dazu ist aber nötig, dass die Arbeit auf dem Lande einmütig, diszipliniert, in ebenso strenger Ordnung geführt werde, wie sie in der Roten Armee geführt wurde und auf anderen Wirtschaftsgebieten geführt wird. Langsam aber stetig beweisen wir den Bauern die Vorzüge der Gemeinwirtschaft. Das ist der Kampf, den wir in den Sowjetwirtschaften zu führen haben, das ist es, worin die Schwierigkeit des Überganges zum Sozialismus, worin die wahre und endgültige Verankerung der Sowjetmacht besteht. Wenn die Mehrheit der Mittelbauern sehen wird, dass sie, wenn sie nicht mit der Arbeiterschaft zusammengehen, nur Koltschak und Judenitsch unterstützen, auf deren Seite in der ganzen Welt nur noch die Kapitalisten geblieben sind, die Sowjetrussland hassen und die Versuche, ihre Macht wiederherzustellen, noch Jahre hindurch erneuern werden, dann wird selbst der rückständigste Mittelbauer begreifen, dass man entweder im Bunde mit den revolutionären Arbeitern der vollen Befreiung entgegengehen kann oder aber damit rechnen muss, dass bei der geringsten Schwankung der Feind, der alte kapitalistische Ausbeuter, die Oberhand gewinnt. Der Sieg über Denikin wird die Kapitalisten noch nicht endgültig vernichten, das müssen wir alle begreifen. Wir wissen ausgezeichnet, dass die Kapitalisten immer und immer wieder versuchen werden, Sowjetrussland die Schlinge um den Hals zu werfen. Daher hat der Bauer keine Wahl, er muss den Arbeitern helfen, denn das geringste Schwanken wird den Gutsherren und Kapitalisten den Sieg in die Hände spielen. Dieses Bewusstsein unter der Bauernschaft zu fördern, ist unsere erste und wichtigste Aufgabe. Der von seiner Hände Arbeit lebende Bauer ist ein treuer Bundesgenosse der Sowjetmacht, zu einem solchen Bauern verhält sich der Arbeiter wie zu seinesgleichen, für ihn tut die Arbeitermacht alles, was sie kann, und es gibt kein Opfer, vor dem die Arbeiter- und Bauernmacht zurückschrecken würde, um die Bedürfnisse dieses Bauern zu befriedigen. Doch der Bauer, der seine Getreideüberschüsse zur Ausbeutung missbraucht, ist unser Gegner. Die Pflicht, die wichtigsten Bedürfnisse des hungernden Landes zu befriedigen, ist Staatspflicht. Doch bei weitem nicht alle Bauern verstehen, dass freier Getreidehandel ein Staatsverbrechen ist. „Ich habe das Getreide produziert, es ist mein Produkt, ich habe das Recht, damit Handel zu treiben“ – so argumentiert der Bauer in alter Weise und Gewohnheit. Wir aber sagen, dass das ein Staatsverbrechen ist. Freier Getreidehandel bedeutet Bereicherung durch dieses Getreide, und das ist Rückkehr zum alten Kapitalismus, das werden wir nicht zulassen, dagegen werden wir kämpfen, koste es was es wolle. In der Übergangsperiode führen wir staatliche Getreidebeschaffung und staatliche Getreideumlage durch. Wir wissen, dass dies das einzige Mittel ist, uns vor Hunger und Not zu reiten. Die übergroße Mehrheit der Arbeiter leidet schwere Not, weil die Getreideverteilung ungeregelt ist; um sie aber zu regeln, müssen die Bauern der staatlichen Getreideumlage unverzüglich, gewissenhaft und vorbehaltlos nachkommen. In diesem Punkt kann die Sowjetmacht keine Zugeständnisse machen. Es ist dies keine Frage des Kampfes der Arbeitermacht gegen die Bauern, sondern eine Existenzfrage des Sozialismus, eine Existenzfrage der Sowjetmacht. Wir sind nicht imstande, den Bauern sofort Waren zu geben, weil wir keinen Brennstoff haben, weil der Eisenbahnverkehr stockt. Zuerst muss der Bauer den Arbeitern leihweise Getreide geben, und zwar nicht zu Spekulations-, sondern zu festen Preisen, damit die Arbeiter die Industrie wiederherstellen können. Jeder Bauer sieht das ein, wenn es sich um einen einzelnen Arbeiter handelt, der vor seinen Augen verhungert. Aber wenn es sich um Millionen von Arbeitern handelt, dann verstehen es die Bauern nicht, und die alte Gewohnheit, zu spekulieren, gewinnt die Oberhand. Hartnäckiger, zäher Kampf gegen diese Gewohnheiten, Agitation und Propaganda, Aufklärung und Nachprüfung des Geleisteten – darin besteht unsere Politik gegenüber der Bauernschaft. Unterstützung des werktätigen Bauern auf jede Weise, seine Behandlung als seinesgleichen, Vermeidung auch des geringsten Versuchs, ihm irgend etwas gewaltsam aufzuzwingen – das ist unsere erste Aufgabe. Die zweite aber ist der konsequente Kampf gegen Spekulation, Geschäftemacherei, Ruin. Als wir mit der Schaffung der Roten Armee begannen, gab es nur einzelne, zersplitterte Partisanengruppen. Infolge des Fehlens von Disziplin und Geschlossenheit gab es viele überflüssige Opfer, aber diese Schwierigkeiten haben wir überwunden und an Stelle der Partisanentrupps die millionenstarke Rote Armee geschaffen. Haben wir es vermocht, in der kurzen Frist von zwei Jahren auf einem so schwierigen und gefährlichen Gebiet wie das Militärwesen ein solches Resultat zu erzielen, so sind wir um so überzeugter, dass wir auch auf allen Gebieten des Wirtschaftslebens das gleiche erreichen werden. Ich bin überzeugt, dass wir auch diese Aufgabe, eine der schwierigsten – die Herstellung richtiger Beziehungen zwischen den Arbeitern und der Bauernschaft, die Durchführung einer richtigen Ernährungspolitik –, lösen und hier einer ebensolchen Sieg davontragen werden wie an der Front. 1 Diese Rede Lenins, die auf der ersten der Beratungen gehalten wurde, die vom ZK in den Jahren 1919 und 1920 im Zusammenhang mit der Notwendigkeit einer richtigen und konsequenten Durchführung der Beschlüsse des VIII. Parteitag es über die Stellung zu den Mittelbauern und über die Arbeit auf dem Lande einberufen wurden, bezieht sich zeitlich auf eine wesentlich andere Situation als Lenins vorhergehender Bericht über die gleiche Frage auf dem VIII. Parteitag. Mitte November 1919 war die Koltschak-Armee bereits endgültig geschlagen, Omsk, die Hauptstadt Koltschaks, war gefallen, die Koltschak-Regierung selbst nach Irkutsk geflüchtet, die Offensiven Denikins und Judenitschs waren zurückgeschlagen worden Der Bürgerkrieg ging an den wichtigsten Fronten seinem Ende entgegen, doch hatte er die wirtschaftliche Zerrüttung und die schwere Ernährungslage der Arbeiterzentren nur noch verschlimmert. Die entscheidenden Siege über Koltschak und Denikin bestätigten das Erstarken des militärisch-politischen Bündnisses mit der Mittelbauernschaft. Der Mittelbauer als Werktätiger war für dieses Bündnis gegen Koltschak, Denikin und die imperialistische Intervention zu haben, doch machten sich seine Gewohnheiten und Bestrebungen als Kleineigentümer bei der Getreideversorgung der Städte bemerkbar und verschlimmerten die Ernährungslage der Arbeiter. Die ganze damalige Situation erforderte verstärkte Arbeit zur Festigung des Bündnisses mit der Mittelbauernschaft und zur Bekämpfung der Kleineigentümerbestrebungen der Mittelbauern auf dem Boden dieses Bündnisses. Im Gegensatz zu den Rechtsopportunisten war für Lenin das Bündnis mit den Mittelbauern niemals gleichbedeutend mit unbegrenzten Zugeständnissen an den Kleineigentümer. Lenin, der dieses Bündnis ganz der Aufrechterhaltung und Festigung der proletarischen Diktatur unterordnete, machte auch die Grenzen der zulässigen Zugeständnisse an die Mittelbauern von den Interessen der proletarischen Diktatur abhängig. Lenin sah das Hauptziel dieses Bündnisses mit den Mittelbauern gerade im Kampf gegen die kleinbürgerliche Mentalität der Mittelbauernschaft, gegen die Kleineigentümergewohnheiten und -bestrebungen des Kleinbauern, in seiner Erziehung, im Sieg des „Werktätigen“ im Mittelbauern über den „Händler“ und „Spekulanten" in ihm. Auch in der vorliegenden Rede spricht Lenin, der das Klassenantlitz und das politische Antlitz der verschiedenen sozialen Gruppierungen des Dorfes schildert und zum wiederholten Male die zwiespältige Natur des Mittelbauern als Schaffenden und als Kleineigentümers charakterisiert, gerade über die Frage, mit welchen Methoden man in der gegebenen Periode den Mittelbauern führen, unterstützen, durch anschauliches Beispiel und Überzeugung zum Übergang zur sozialistischen Landwirtschaft bewegen und wie man gleichzeitig einen „hartnäckigen, beharrlichen“ Kampf gegen seine Händler- und Spekulantenbestrebungen führen soll. |