II. Eine der Hauptbedingungen des Erfolges der Bolschewiki

II. Eine der Hauptbedingungen des Erfolges der Bolschewiki

Sicherlich erkennt jetzt schon fast jeder, dass die Bolschewiki keine zweieinhalb Monate, geschweige denn zweieinhalb Jahre die Macht hätten behaupten können ohne die strengste, wahrhaft eiserne Disziplin in unserer Partei, ohne die volle und grenzenlose Unterstützung der Partei durch die gesamte Masse der Arbeiterklasse, d. h. durch alles, was in dieser Klasse denkt, was ehrlich, aufopferungsfähig, einflussreich und fähig ist, die rückständigen Schichten zu führen und mit sich fortzureißen. Die Diktatur des Proletariats ist der aufopferungsvollste, schonungsloseste Krieg der neuen Klasse gegen den mächtigeren Feind, gegen die Bourgeoisie, deren Widerstand durch ihren Sturz (sei es auch nur in einem Lande) sich verzehnfacht und deren Macht nicht nur in der Stärke des internationalen Kapitals, in der Stärke und der Festigkeit der internationalen Beziehungen der Bourgeoisie besteht, sondern auch in der Macht der Gewohnheit, in der Stärke des Kleinbetriebes, Denn Kleinbetriebe gibt es auf der Welt leider noch sehr, sehr viele; der Kleinbetrieb aber erzeugt Kapitalismus und Bourgeoisie unausgesetzt, täglich, stündlich, elementar, im Massenumfange. Aus allen diesen Gründen ist die Diktatur des Proletariats notwendig, und der Sieg über die Bourgeoisie ist unmöglich ohne einen langen, hartnäckigen, verzweifelten Kampf auf Leben und Tod, einen Kampf, der Ausdauer, Disziplin, Festigkeit, Unbeugsamkeit und Einheitlichkeit des Willens erfordert.

Ich wiederhole, die Erfahrung der siegreichen Diktatur des Proletariats in Russland hat denen, die nicht zu denken verstehen oder keine Gelegenheit hatten, über diese Frage nachzudenken, anschaulich gezeigt, dass bedingungslose Zentralisation und strengste Disziplin in den Reihen des Proletariats eine der Hauptbedingungen für den Sieg über die Bourgeoisie sind.

Darüber wird des öfteren gesprochen. Was das aber bedeutet, unter welchen Bedingungen das möglich ist? – darüber wird noch lange nicht genug nachgedacht! Müsste man nicht die der Sowjetmacht und den Bolschewiki gezollte Anerkennung häufiger mit der ernstesten Analyse der Ursachen verknüpfen, die dazu führten, dass die Bolschewiki die dem revolutionären Proletariat notwendige Disziplin schaffen konnten?

Der Bolschewismus besteht als politische Strömung und als politische Partei seit 1903. Nur die Geschichte des Bolschewismus in ihrer Gesamtheit kann genügend erklären, warum er unter den schwierigsten Verhältnissen imstande war, die für den Sieg des Proletariats notwendige eiserne Disziplin zu schaffen und aufrecht zu erhalten.

Vor allem taucht die Frage auf: wodurch wird die Disziplin der revolutionären Partei des Proletariats aufrechterhalten? Wodurch kontrolliert? Wodurch gestärkt? Erstens durch das Klassenbewusstsein der proletarischen Avantgarde und ihre Hingabe an die Revolution, ihre Ausdauer, ihre Selbstaufopferung, ihren Heroismus. Zweitens dadurch, dass sie es versteht, sich mit den breitesten Massen der Werktätigen, in erster Linie mit den proletarischen, aber auch mit den nicht proletarischen werktätigen Massen zu verbinden, an sie heranzukommen und, wenn man will, bis zu einem gewissen Grade sich sogar mit ihnen zu verschmelzen. Drittens durch die Richtigkeit der politischen Führung, die von dieser Avantgarde verwirklicht wird; durch die Richtigkeit ihrer politischen Strategie und Taktik, unter der Voraussetzung, dass die breitesten Massen sich von deren Richtigkeit durch eigene Erfahrung überzeugen. Ohne diese Bedingungen ist es in einer revolutionären Partei, die wirklich fähig ist, die Partei der vorgeschrittenen Klasse zu sein, die Bourgeoisie zu stürzen und die ganze Gesellschaft umzugestalten, unmöglich, Disziplin zu schaffen. Ohne diese Bedingungen wird der Versuch, Disziplin zu schaffen, unvermeidlich zu einer Fiktion, einer Phrase, einer Groteske, Diese Bedingungen aber können wiederum nicht auf einmal entstehen. Sie werden nur durch langwierige Arbeit, durch harte Erfahrung erzeugt; ihre Entwicklung wird durch die richtige revolutionäre Theorie erleichtert, die ihrerseits kein Dogma ist, sondern nur in engem Zusammenhang mit der Praxis einer wirklich revolutionären Massenbewegung endgültige Gestalt annimmt.

Wenn der Bolschewismus in den Jahren 1917-1920 unter unerhört schweren Verhältnissen die strengste Zentralisation und eine eiserne Disziplin schaffen und erfolgreich durchführen konnte, so liegt die Ursache dafür ganz einfach in einer Reihe historischer Eigentümlichkeiten Russlands.

Einerseits ist der Bolschewismus im Jahre 1903 auf der festen Grundlage der marxistischen Theorie entstanden. Dass diese – und nur diese revolutionäre Theorie richtig ist, hat nicht nur die gesamte Erfahrung des 19. Jahrhunderts, sondern haben vor allem auch die Irrungen und Schwankungen, die Fehler und Enttäuschungen des revolutionären Gedankens in Russland bewiesen. Im Laufe ungefähr eines halben Jahrhunderts, etwa seit den vierziger und bis zu den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, suchte der fortschrittliche Gedanke in Russland, unter dem Druck des unglaublich barbarischen und reaktionären Zarismus, gierig nach der richtigen revolutionären Theorie und verfolgte mit erstaunlichem Eifer und großer Aufmerksamkeit jedes „letzte Wort“ Europas und Amerikas auf diesem Gebiete, Den Marxismus als die einzig richtige revolutionäre Theorie hat sich Russland wahrhaft durch Leiden errungen, durch ein halbes Jahrhundert unerhörter Qualen und Opfer, beispiellosen revolutionären Heldentums, ungeheurer Energie und hingebungsvollen Suchens, Lernens, praktischen Erprobens, der Enttäuschungen, des Prüfens, Vergleichens mit der Erfahrung Europas. Dank der vom Zarismus erzwungenen Emigration verfügte das revolutionäre Russland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über einen solchen Reichtum an internationalen Verbindungen, über eine solche vortreffliche Kenntnis aller Formen und Theorien der revolutionären Bewegung, wie kein anderes Land der Welt.

Andererseits hatte der Bolschewismus, der auf dieser granitenen theoretischen Grundlage entstand, eine fünfzehnjährige (1903 bis 1917) praktische Geschichte durchgemacht, die in Bezug auf Reichtum an Erfahrung nicht ihresgleichen hat. Hatte doch kein einziges Land in diesen 15 Jahren auch nur annähernd soviel durchgemacht in Bezug auf revolutionäre Erfahrung, Schnelligkeit und Mannigfaltigkeit im Wechsel der verschiedenen Formen der Bewegung: der legalen und illegalen, der friedlichen und stürmischen, der unterirdischen und offenen, der Zirkel und der Massenbewegung, der parlamentarischen und terroristischen. In keinem anderen Lande war in einem so kurzen Zeitraum ein solcher Reichtum an Formen, Schattierungen und Methoden des Kampfes aller Klassen der modernen Gesellschaft konzentriert, und zwar eines Kampfes, der infolge der Rückständigkeit des Landes und des schweren Jochs des Zarismus besonders schnell heranreifte und sich besonders gierig und erfolgreich das entsprechende „letzte Wort“ der amerikanischen und europäischen politischen Erfahrungen zu eigen machte.

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