Wladimir I. Lenin: Zum Internationalen Frauentag [Beilage zur „Prawda“ Nr. 52, 7. März 1920 gez.: N. Lenin. Nach Sämtliche Werke, Band 25, Wien-Berlin 1930, S. 75 f.] Der Kapitalismus verbindet die formale Gleichheit mit der wirtschaftlichen, d. h. sozialen Ungleichheit, Darin besteht eine der grundlegenden Besonderheiten des Kapitalismus, die die Anhänger der Bourgeoisie, die Liberalen, in verlogener Weise verhüllen und die kleinbürgerlichen Demokraten nicht begreifen. Aus dieser Besonderheit des Kapitalismus ergibt sich unter anderem die Notwendigkeit, bei entschiedenem Kampf um die wirtschaftliche Gleichheit die kapitalistische Ungleichheit offen anzuerkennen und unter gewissen Umständen diese offene Anerkennung der Ungleichheit sogar dem proletarischen Staatswesen zugrunde zu legen (Sowjetverfassung). Aber sogar in Bezug auf die formale Gleichheit (die Gleichheit vor dem Gesetz, die „Gleichheit“ des Satten und Hungrigen, des Reichen und Armen) kann der Kapitalismus nicht konsequent sein. Eine der schlimmsten Äußerungen dieser Inkonsequenz ist die Ungleichheit zwischen Frau und Mann. Kein einziger bürgerlicher Staat, nicht einmal der fortgeschrittenste republikanische, demokratische Staat hat die volle Gleichberechtigung gewährt. Die russische Sowjetrepublik aber hat auf einmal alle rechtlichen Beschränkungen der Frauen vollkommen beseitigt und der Frau die völlige Gleichberechtigung vor dem Gesetz gesichert. Es heißt, dass für das Kulturniveau die rechtliche Stellung der Frau am meisten charakteristisch sei. In dieser Behauptung steckt eine tiefe Wahrheit. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, konnte nur die Diktatur des Proletariats, nur der sozialistische Staat ein höheres Kulturniveau erreichen. Der neue, unerhörte, gewaltige Fortschritt der proletarischen Frauenbewegung hängt deshalb unvermeidlich zusammen mit der Begründung (und Festigung) der ersten Sowjetrepublik – und zugleich auch mit der Kommunistischen Internationale. Ist die Rede von denen, die der Kapitalismus direkt oder indirekt, vollkommen oder teilweise unterdrückt hat, so muss man sagen, dass gerade das Sowjetsystem und nur das Sowjetsystem ihnen die Demokratie garantiert. Das erkennt man ganz klar an der Lage der Arbeiterklasse und der armen Bauern, Und das erkennt man auch ganz klar an der Lage der Frau. Aber das Sowjetsystem ist der letzte entscheidende Kampf für die Aufhebung der Klassen, für die wirtschaftliche und soziale Gleichheit, Demokratie, sogar Demokratie für die vom Kapitalismus Unterdrückten, auch für das unterdrückte Geschlecht – genügt uns nicht. Die proletarische Frauenbewegung stellt sich als Hauptaufgabe den Kampf für die wirtschaftliche und soziale Gleichheit der Frau, nicht nur für eine formale Gleichheit. Die Frau in die gesellschaftliche Produktion hineinzuziehen, sie der „Haussklaverei“ zu entreißen, sie von der ewigen und ausschließlichen – abstumpfenden und erniedrigenden – Umgebung der Küche und der Kinderstube zu befreien -– das ist die Hauptaufgabe, Das ist ein langwieriger Kampf, der eine vollkommene Umgestaltung der gesellschaftlichen Technik und der Sitten erfordert. Dieser Kampf aber wird mit einem vollen Sieg des Kommunismus enden. 4. März 1920 |