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L. Kamenew 19170328 Ohne Geheimdiplomatie

L. Kamenew: Ohne Geheimdiplomatie

[„Prawda" Nr. 9 vom 28. (15.) März 1917. Nach Lenin, Sämtliche Werke, Band 20.2, S. 258-260]

Der Krieg geht weiter. Die große russische Revolution hat ihn nicht aufgehalten. Und niemand hegt die Hoffnung, dass er morgen oder übermorgen zu Ende geht. Die Soldaten, die Bauern und Arbeiter Russlands, die auf den Ruf des gestürzten Zaren in den Krieg gezogen sind und unter seinen Fahnen ihr Blut vergossen haben, haben sich befreit, und die Fahnen des Zaren sind ersetzt worden durch die roten Banner der Revolution. Aber der Krieg wird weitergehen, denn die deutsche Armee ist dem Beispiel der russischen nicht gefolgt und gehorcht noch immer ihrem Kaiser, der auf den Leichenfeldern gierig nach Beute trachtet.

Wenn Armee gegen Armee steht, so wäre es die unsinnigste Politik, einer von ihnen vorzuschlagen, die Waffen niederzulegen und nach Hause zu gehen. Eine solche Politik wäre keine Friedenspolitik, sondern eine Politik der Sklaverei, eine Politik, die ein freies Volk mit Entrüstung zurückweisen würde. Nein, es wird mannhaft auf seinem Posten ausharren, die Kugeln mit Kugeln, die Geschosse mit Geschossen beantworten. Das ist nicht zu umgehen.

Der revolutionäre Soldat oder Offizier, der das Joch des Zarismus abgeworfen hat, wird den Schützengraben nicht verlassen, um dem deutschen oder österreichischen Soldaten oder Offizier Platz zu machen, der noch nicht den Mut aufgebracht hat, das Joch seiner eigenen Regierung abzuwerfen. Wir dürfen keine Desorganisation der militärischen Kräfte der Revolution zulassen! Der Krieg muss organisiert beendet werden, durch einen Vertrag zwischen den Völkern, die sich befreit haben, nicht aber durch die Unterordnung unter den Willen des nachbarlichen Eroberers und Imperialisten.

Das befreite Volk hat aber das Recht zu wissen, wofür es kämpft, es hat das Recht, seine Ziele und Aufgaben in dem nicht von ihm angezettelten Krieg selber zu bestimmen. Es muss nicht nur seinen Freunden, sondern auch seinen Feinden offen erklären, dass es keinerlei Eroberungen anstrebt, keinerlei Einverleibungen fremden Gebietes, dass es jeder Nationalität überlässt, über ihr Schicksal selbst zu entscheiden.

Doch das genügt nicht. Das befreite Volk muss der ganzen Welt offen sagen, dass es jeden Augenblick bereit ist, in Verhandlungen über die Einstellung des Krieges einzutreten. Wir müssen in jedem beliebigen Augenblick bereit sein, unter der Bedingung des Verzichtes auf Annexionen und Kontributionen und der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker Verhandlungen über die Beendigung des Krieges einzuleiten. Russland ist durch Bündnisverträge an England, Frankreich und andere Länder gebunden. Es kann in der Friedensfrage nicht ohne sie vorgehen. Aber das bedeutet nur, dass das vom Zarenjoch befreite revolutionäre Russland sich unmittelbar und offen an seine Verbündeten mit dem Vorschlag zu wenden hat, die Frage der Eröffnung von Friedensverhandlungen zu überprüfen. Was die Verbündeten antworten werden, wissen wir nicht, wir wissen auch nicht, wie die Antwort Deutschlands lauten wird, wenn ein Friedensvorschlag gemacht wird.

Wir wissen aber eins: erst dann werden sich die in den imperialistischen Krieg ohne ihren Willen hineingezogenen Völker klar darüber Rechenschaft geben, worum der Krieg geführt wird. Wenn aber die Millionen von Soldaten und Arbeitern an allen Fronten sich über die wirklichen Ziele der Regierungen, die sie in das blutige Gemetzel hineingezogen haben, klar geworden sind, so wird das nicht nur das Ende des Krieges bedeuten, sondern auch einen entscheidenden Schritt zum offenen Kampf gegen jene Ordnung der Gewalt und Ausbeutung, die alle Kriege schafft.

Nicht die Desorganisation der revolutionären und sich revolutionierenden Armee und nicht das inhaltslose „Nieder mit dem Krieg" ist unsere Losung. Unsere Losung ist: Druck auf die Provisorische Regierung, um sie zu zwingen, sofort offen vor der Demokratie der ganzen Welt den Versuch zu machen, alle kriegführenden Länder für die sofortige Einleitung von Verhandlungen über die Mittel zur Beendigung des Weltkrieges zu gewinnen.

Bis dahin aber bleibe jeder auf seinem Kampfposten.

Indem wir daher den oben abgedruckten Aufruf1 des Arbeiter- und Soldatenrates „An die Völker der ganzen Welt" aufs Wärmste begrüßen, erblicken wir in ihm nur den Beginn einer breiten und entschiedenen Kampagne für den Triumph des Friedens und die Beendigung des Völkergemetzels.

1Es handelt sich um das am 27. (14.) März 1917 vom Petrograder Arbeiter- und Soldatendeputiertenrat erlassene Manifest „An die Völker der ganzen Welt". In diesem Manifest hieß es u. a.: „… Indem wir uns an alle durch den schrecklichen Krieg der Vernichtung und dem Ruin preisgegebenen Völker wenden, erklären wir, dass die Zeit gekommen ist, gegen die Eroberungsbestrebungen der Regierungen aller Länder den entschiedenen Kampf zu beginnen. Es ist an der Zeit, dass die Völker die Entscheidung der Frage über Krieg und Frieden in ihre eigenen Hände nehmen. Im Bewusstsein ihrer revolutionären Kraft erklärt die Demokratie Russlands, dass sie mit allen Mitteln der Eroberungspolitik ihrer herrschenden Klassen entgegenwirken wird, und fordert die Völker Europas auf zu gemeinsamen entschiedenen Aktionen zugunsten des Friedens … Wir wenden uns an unsere Brüder, die Proletarier der österreichisch-deutschen Koalition und in erster Linie an das deutsche Proletariat. Von den ersten Tagen des Krieges an redete man euch ein, dass wenn ihr die Waffen gegen das absolutistische Russland erhebt, ihr damit die europäische Kultur gegen den asiatischen Despotismus verteidigt Viele von euch sahen darin eine Rechtfertigung für die Unterstützung des Krieges. Heute fehlt auch diese Rechtfertigung: das demokratische Russland kann keine Bedrohung für die Freiheit und Zivilisation sein … Wir werden standhaft unsere eigene Freiheit gegen alle reaktionären Anschläge verteidigen, mögen sie von innen oder von außen kommen. Die russische Revolution wird vor den Bajonetten der Eroberer nicht zurückweichen und sie wird nicht gestatten, dass sie durch eine auswärtige militärische Gewalt erstickt wird. Aber wir rufen euch auf: Schüttelt ab das Joch eurer autokratischen Ordnung, ebenso wie das russische Volk die zarische Autokratie abgeschüttelt hat; weigert euch, als Werkzeug der Eroberung und der Vergewaltigung in den Händen der Könige, der Junker und der Bankiers zu dienen – und mit geschlossenen vereinten Kräften werden wir dem schrecklichen Gemetzel, das die Menschheit schändet und die großen Tage der Geburt der russischen Freiheit verdüstert, ein Ende bereiten…"

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