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Wladimir I. Lenin 19170626 An einem Wendepunkt

Wladimir I. Lenin: An einem Wendepunkt

[„Prawda" Nr. 80, 26. (13.) Juni 1917. Nach Sämtliche Werke, Band 20.2. Wien-Berlin 1928, S. 180 f.]

Die russische Revolution hat in der ersten Etappe ihrer Entwicklung die Macht in die Hände der imperialistischen Bourgeoisie gelegt und neben dieser Macht die Deputiertenräte geschaffen, deren Mehrheit der kleinbürgerlichen Demokratie angehörte. Die zweite Etappe der Revolution (6. Mai) hat die zynisch offenen Vertreter des Imperialismus, Miljukow und Gutschkow, formell aus der Regierung entfernt und die Mehrheitsparteien der Räte faktisch zu Regierungsparteien gemacht. Unsere Partei verblieb vor und nach dem 6. Mai in der Stellung einer oppositionellen Minderheit. Das war unvermeidlich, denn wir sind die Partei des sozialistischen Proletariats, die auf dem Boden des Internationalismus steht. Das sozialistische Proletariat, das während des imperialistischen Krieges eine internationalistische Stellung einnimmt, kann nicht anders als zu jeder Regierung in Opposition stehen, die diesen Krieg führt, ob diese nun eine monarchische, eine republikanische oder eine Regierung der „sozialistischen" Vaterlandsverteidiger ist. Und die Partei des sozialistischen Proletariats wird unvermeidlich immer größere Massen der durch den in die Länge gezogenen Krieg zugrunde gerichteten Bevölkerung um sich sammeln, die aufhört, den im Dienste des Imperialismus stehenden „Sozialisten" zu trauen, wie sie vorher das Vertrauen zu den waschechten Imperialisten verloren hat. Der Kampf gegen unsere Partei hat darum schon in den ersten Tagen der Revolution eingesetzt. Aber welche niederträchtigen und widerwärtigen Formen der Kampf der Herren Kadetten und Plechanowisten gegen die Partei des Proletariats auch annehmen mag, sein Wesen ist klar. Es ist derselbe Kampf, den die Imperialisten und Scheidemänner gegen Liebknecht und F. Adler führten (wurden sie doch beide im Zentralorgan der deutschen „Sozialisten" für „verrückt" erklärt, von der bürgerlichen Presse gar nicht zu reden, die diese Genossen einfach als „Verräter“ bezeichnete, die für England arbeiten). Es ist der Kampf der gesamten bürgerlichen Gesellschaft, die kleinbürgerliche Demokratie mit einbegriffen, wie r-r-revolutionär sie sich auch gebärden mag, gegen das sozialistische internationalistische Proletariat.

In Russland hat dieser Kampf jene Stufe erreicht, wo die Imperialisten den Versuch machen – durch die Führer der kleinbürgerlichen Demokratie, die Zeretelli, Tschernow usw. – der wachsenden Kraft der proletarischen Partei mit einem jähen und entscheidenden Schlag ein Ende zu bereiten. Um einen Anlass für diesen entscheidenden Schlag zu haben, wendet Minister Zeretelli ein von der Konterrevolution bereits mehrfach ausgenutztes Mittel an: die Anschuldigung der Verschwörung. Diese Anschuldigung ist nur ein Vorwand. Der Kern der Sache liegt in der Notwendigkeit für die von den russischen und den alliierten Imperialisten am Gängelband geführte kleinbürgerliche Demokratie, ein für allemal mit den internationalistischen Sozialisten Schluss zu machen. Sie glauben, der Augenblick für diesen Schlag sei gekommen. In der Aufregung, in der Angst, unter der Peitsche ihrer Herren, haben sie sich entschlossen: jetzt oder nie.

Das sozialistische Proletariat und unsere Partei müssen ihre ganze Kaltblütigkeit zusammennehmen, sie müssen das Maximum an Standhaftigkeit und Wachsamkeit an den Tag legen: mögen die künftigen Cavaignacs als erste beginnen. Dass sie kommen werden, das hat unsere Partei schon auf ihrer Konferenz vorausgesagt. Das Proletariat Petrograds wird ihnen nicht die Möglichkeit geben, die Verantwortung von sich abzuwälzen. Seine Kräfte sammelnd und zur Gegenwehr rüstend, wird es den Moment abwarten, wo diese Herrschaften sich entschließen, von den Worten zur Tat überzugehen.

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