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Wladimir I. Lenin 19170728 Brief an die Redaktion des „Proletarskoje Djelo"

Wladimir I. Lenin: Brief an die Redaktion des „Proletarskoje Djelo"1

[„Proletarskoje Djelo", Nr. 2 28. (15.) Juli 1917. Nach Sämtliche Werke, Band 21, Wien-Berlin 1931, S. 34 f.]

Genossen!

Wir haben unsere Absicht, uns dem Befehl der Provisorischen Regierung über unsere Verhaftung zu unterwerfen, geändert, und zwar aus folgenden Gründen.

Aus dem am Sonntag in der Zeitung „Nowoje Wremja" veröffentlichten Brief des früheren Justizministers Perewersew wurde klar, dass die Spionageaffäre Lenin und Genossen mit vollem Vorbedacht von der Partei der Konterrevolution konstruiert worden ist.2

Perewersew gibt ganz offen zu, dass er unkontrollierte Beschuldigungen in Umlauf setzte, um die Wut der Soldaten (so wörtlich!) gegen unsere Partei zu erregen. Das gibt der gestrige Justizminister, ein Mann, der sich gestern noch Sozialist nannte, zu. Perewersew ist zurückgetreten, ob aber der neue Justizminister vor den Methoden eines Perewersew, eines Alexinski zurückscheuen wird, vermag niemand zu sagen.

Die konterrevolutionäre Bourgeoisie versucht eine neue Dreyfus-Affäre zu schaffen. Sie glaubt ebenso wenig an unsere Spionage, wie die Führer der russischen Reaktion, die den Beilis-Prozess inszenierten, daran geglaubt haben, dass die Juden Kinderblut trinken. Es gibt im Augenblick in Russland keine Garantien der Rechtspflege.

Das Zentralexekutivkomitee, das sich für das bevollmächtigte Organ der russischen Demokratie hält, hatte eine Kommission zur Untersuchung der Spionageaffäre bestimmt, löste aber unter dem Druck der konterrevolutionären Kräfte diese Kommission auf. Den Befehl über unsere Verhaftung wollte es weder direkt bestätigen noch aufheben. Es wusch sich die Hände in Unschuld, indem es uns faktisch der Konterrevolution auslieferte.

Die gegen uns erhobene Beschuldigung der Verschwörung und der moralischen Anstiftung zum Aufruhr trägt bereits einen ganz bestimmten Charakter. Eine irgendwie juristisch genaue Qualifikation unseres angeblichen Vergehens gibt weder die Regierung noch der Rat, die beide sehr gut wissen, dass es glatter Unsinn ist, bei einer Bewegung, wie die vom 3. bis 5. Juli, von Verschwörung zu sprechen. Die Führer der Menschewiki und der Sozialrevolutionäre versuchen einfach, die auch sie bereits bedrängende Konterrevolution zu besänftigen, indem sie ihr auf Geheiß eine Reihe unserer Parteimitglieder auslieferten. Von irgendeinem legalen Boden oder selbst von solchen verfassungsmäßigen Garantien, wie sie in bürgerlichen, sozialdemokratischen, geordneten Ländern bestehen, kann jetzt in Russland keine Rede sein. Sich jetzt in die Hände der Behörden ausliefern, hieße sich in die Hände der Miljukow, Alexinski, Perewersew ausliefern, in die Hände der rasend gewordenen Konterrevolutionäre, für die alle Beschuldigungen gegen uns nichts weiter sind als eine einfache Episode im Bürgerkrieg.

Nach dem, was in den Tagen des 6.–8. Juli geschehen ist, kann kein russischer Revolutionär konstitutionelle Illusionen mehr hegen. Ein entscheidender Zusammenstoß zwischen Revolution und Konterrevolution ist im Gange. Wir werden nach wie vor auf der Seite der Revolution kämpfen.

Wir werden nach Maßgabe unserer Kräfte wie bisher den revolutionären Kampf des Proletariats unterstützen. Einzig und allein die Konstituierende Versammlung, wenn sie zusammentritt, und wenn es nicht die Bourgeoisie sein wird, die sie einberuft, wird zuständig sein, zu dem Befehl der Provisorischen Regierung über unsere Verhaftung ihr Wort zu sprechen.

N. Lenin

G. Sinowjew

1 Der am 28. (15.) Juli 1917 veröffentlichte Brief an die Redaktion des „Proletarskoje Djelo" wurde später in der Zeitung des Moskauer Komitees der Bolschewiki „Sozialdemokrat", Nr. 110 vom 31. (18.) Juli abgedruckt. Der Wortlaut ist im „Sozialdemokrat" etwas verschieden vom Wortlaut im „Proletarskoje Djelo".

2 Lenin meint die „Antwort P. N. Perewersews an N. W. Nekrassow und M. I. Tereschtschenko" („Nowoje Wremja", Nr. 14 822 vom 22. [9.] Juli 1917).

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