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Wladimir I. Lenin 19170615 Das ist nicht demokratisch, Bürger Kerenski!

Wladimir I. Lenin: Das ist nicht demokratisch, Bürger Kerenski!

[„Prawda" Nr. 71, 15. (2.) Juni 1917. Nach Sämtliche Werke, and 20.2, Wien-Berlin 1928, S. 99 f.]

Die Petrograder Telegraphenagentur meldet:

Kiew, 30. Mai. In der Sitzung des Allrussischen Bauernkongresses wurde ein Telegramm des Kriegsministers Kerenski verlesen, worin er unter Hinweis auf die militärische Situation erklärt, dass die Einberufung des zweiten ukrainischen Armeekongresses nicht zeitgemäß sei.

Der Kongress erklärte die Verfügung des Ministers als eine Verletzung der Versammlungsfreiheit gegenüber den Ukrainern und sandte an die Provisorische Regierung sowie an den Petrograder Rat der Arbeiter- und Soldatendeputierten ein Telegramm folgenden Inhalts:

,Lenken die Aufmerksamkeit auf den ersten Fall einer Verletzung des Gesetzes über Versammlungsfreiheit gegenüber ukrainischem Armeekongress durch Minister Kerenski. Lehnen Verantwortung für etwaige Folgen infolge Verletzung der demokratischen Grundsätze des neuen Regimes gegenüber den Ukrainern ab. Protestieren dagegen aufs Entschiedenste und erwarten unverzügliche Antwort auf die von der Delegation der ukrainischen Zentralrada der Provisorischen Regierung überreichten Forderungen'."

Diese Nachricht wird unzweifelhaft die größte Beunruhigung in den Reihen der sozialistischen Arbeiter hervorrufen.

Der Kriegsminister erklärt einen Kongress der Ukrainer für „unzeitgemäß" und verbietet diesen Kongress aus eigener Machtvollkommenheit! Erst kürzlich hat Bürger Kerenski in Finnland „durchgegriffen", jetzt will er in der Ukraine „durchgreifen". Und alles das geschieht im Namen der „Demokratie".

A. I. Herzen sagte einmal, man müsse sich schämen, ein Russe zu sein, wenn man die „Heldentaten" der herrschenden Klassen Russlands betrachte. Dieser Ausspruch wurde getan zu einer Zeit, als Russland unter dem Joche der Leibeigenschaft stöhnte, als die Knute und der Stock unser Land regierten.

Jetzt hat Russland den Zaren gestürzt. Jetzt sprechen die Kerenski und Lwow im Namen Russlands. Das Russland der Kerenski und Lwow springt mit den unterdrückten Nationen in einer Weise um, dass sich einem unwillkürlich die bitteren Worte A. I. Herzens aufdrängen.

Wir wollen schon gar nicht davon sprechen, dass Bürger Kerenski durch seine nationalistische „Großmachtspolitik" gerade jene „separatistischen" Bestrebungen nur stärkt und entfacht, gegen die die Kerenski und Lwow kämpfen wollen.

Wir fragen: lässt es sich mit der Würde der Demokratie, vom Sozialismus schon ganz zu schweigen, vereinbaren, dass die unterdrückten Nationen in einer solchen Weise malträtiert werden? Wir fragen: wo gibt es eine Grenze für die „Scherze" des Bürgers Kerenski und seiner Bundesgenossen?

Wir fragen die Partei der „Sozialrevolutionäre": billigt sie das Verbot des ukrainischen Kongresses durch ihr Ehrenmitglied, den Bürger Kerenski?

Es wird uns berichtet, dass gestern im Exekutivkomitee des Rates der Arbeiter- und Soldatendeputierten beschlossen worden sei, den Bürger Kerenski zu einer speziellen Aussprache über die Frage des Selbstbestimmungsrechtes der Völker und der nationalen Politik überhaupt einzuladen.

Da rede noch einer davon, dass die „Kontaktkommission" selig entschlafen sei. Keineswegs, meine Herren! Die Doppelregierung ist geblieben. Aus der jetzigen Lage gibt es keinen anderen Ausweg als die Übernahme der gesamten Staatsmacht durch die Räte der Arbeiter- und Soldatendeputierten.

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