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Wladimir I. Lenin 19170429 Der Kongress der Bauerndeputierten

Wladimir I. Lenin: Der Kongress der Bauerndeputierten

[„Prawda" Nr. 34, 29. (16.) April 1917. Nach Sämtliche Werke, Band 20.1, Wien-Berlin 1928, S. 251-254-257]

Im Taurischen Palais tagt seit dem 13. April der Kongress der Vertreter der Bauernorganisationen und der Bauerndeputiertenräte, die zusammengekommen sind, um Richtlinien für die Einberufung des Allrussischen Rates der Bauerndeputierten auszuarbeiten und über die Schaffung ebensolcher Räte an den einzelnen Orten zu beraten.1

An dem Kongress nehmen, wie „Djelo Naroda" mitteilt, Vertreter von mehr als zwanzig Gouvernements teil.

Es sind Resolutionen über die Notwendigkeit der raschesten Organisierung der „Bauernschaft" von unten „bis oben" angenommen worden. Als „beste Organisationsform für die Bauernschaft" sind „die Bauerndeputiertenräte der verschiedenen Wirkungsbereiche" anerkannt worden. Das Mitglied des provisorischen Büros zur Einberufung des jetzt tagenden Kongresses, Bykowski, wies darauf hin, dass der Moskauer Genossenschaftskongress, der zwölf Millionen organisierter Mitglieder oder fünfzig Millionen der Bevölkerung vertritt, beschlossen habe, die Bauernschaft zu organisieren durch Gründung eines Allrussischen Bauerndeputiertenrates.

Das ist eine Angelegenheit von ungeheurer Wichtigkeit, die es mit allen Kräften zu fördern gilt. Wenn sie ohne Verzug verwirklicht wird, wenn die Bauernschaft der warnenden Stimme Schingarjows zum Trotz, auf Grund eines Mehrheitsbeschlusses und nicht einer „freiwilligen Vereinbarung" mit den Grundbesitzern, sofort vom ganzen Grund und Boden Besitz ergreift, so wird das nicht nur für die Soldaten, die mehr Brot und Fleisch bekommen werden, von Vorteil sein, sondern auch für die Sache der Freiheit.

Denn die Organisation der Bauern selbst, unbedingt von unten, unbedingt ohne Beamte, ohne „Kontrolle und Überwachung" durch die Grundbesitzer und ihre Lakaien, ist die sicherste und einzige Gewähr für den Erfolg der Revolution, der Freiheit, der Befreiung Russlands vom Joch und der Knechtschaft der Grundbesitzer.

Zweifellos werden alle Mitglieder unserer Partei, alle klassenbewussten Arbeiter die Organisation der Bauerndeputiertenräte mit allen Kräften unterstützen; sie werden für die Erhöhung ihrer Zahl, für die Festigung ihrer Kraft sorgen, sie werden ihrerseits alle Anstrengungen machen, um die Arbeit innerhalb dieser Räte in konsequent und streng proletarischem Klassensinne durchzuführen.

Um eine solche Arbeit zu führen, müssen die proletarischen Elemente (Landarbeiter, Tagelöhner usw.) innerhalb der allgemeinen Bauernräte gesondert zusammengefasst oder (oft auch und) besondere Räte der Landarbeiterdeputierten organisiert werden.

Nicht eine Zersplitterung der Kräfte bezwecken wir damit; im Gegenteil, um die Bewegung zu stärken und auszudehnen, muss die, nach der Terminologie der Grundbesitzer und Kapitalisten, „unterste" Schicht, oder richtiger Klasse, auf eine höhere Stufe gehoben werden.

Um die Bewegung vorwärts zu treiben, muss sie vom Einfluss der Bourgeoisie befreit werden, muss man sich bemühen, diese Bewegung von den unvermeidlichen Schwächen, Schwankungen, Fehlern des Kleinbürgertums zu säubern.

Diese Arbeit muss durch kameradschaftliches Überzeugen geleistet werden, ohne den Ereignissen vorauszueilen, ohne übereilt organisatorisch zu „festigen", was die Vertreter der Proletarier und der Halbproletarier auf dem Lande selber noch nicht genügend durchdacht, begriffen, erkannt, empfunden haben. Aber diese Arbeit muss geleistet werden, es muss mit ihr sofort und überall begonnen werden.

Die praktischen Forderungen, Losungen, richtiger Vorschläge, die man machen und auf die man die Aufmerksamkeit der Bauern lenken muss, müssen sich aus den laufenden aktuellen Tagesfragen, die das Leben selber stellt, ergeben.

Die erste Frage ist die Bodenfrage. Die Landproletarier werden für den vollständigen und sofortigen Übergang des gesamten Grund und Bodens ohne Ausnahme an das ganze Volk und für die sofortige Übernahme des Bodens durch die örtlichen Komitees, die darüber zu verfügen haben, sein. Aber den Boden kann man nicht essen. Viele Millionen Bauernhöfe ohne Pferd, ohne Geräte, ohne Saat, werden durch den Übergang des Grund und Bodens an das „Volk" nichts gewinnen.

Man muss diese Frage sofort zur Diskussion stellen und praktische Maßnahmen treffen, damit die Großbetriebe, wenn nur die geringste Möglichkeit dazu vorhanden ist, als Großbetriebe weitergeführt werden, und zwar unter der Leitung von Agronomen und der Räte der Landarbeiterdeputierten, ausgestattet mit den besten Maschinen und Saaten, unter Anwendung der besten Methoden landwirtschaftlicher Technik.

Wir können es den Bauern nicht verhehlen und noch weniger den Proletariern und Halbproletariern des flachen Landes, dass der Kleinbetrieb, bei Aufrechterhaltung der Warenwirtschaft und des Kapitalismus, nicht imstande ist, die Menschheit von der Massenarmut zu erlösen, – dass man an den Übergang zum Großbetrieb für Rechnung der Allgemeinheit denken und so sofort dazu übergehen muss, indem man über die praktisch zweckmäßigen Maßnahmen dieses Überganges die Massen belehrt und von den Massen lernt.

Eine zweite sehr wichtige, aktuelle Frage ist die Frage der Staatsordnung und der Staatsverwaltung. Es genügt nicht, Demokratie zu predigen, es genügt nicht, sie zu verkünden und zu beschließen, es genügt nicht, ihre Verwirklichung den „Vertretern" des Volkes in den Vertretungskörperschaften anzuvertrauen. Die Demokratie muss sofort aufgebaut werden, von unten auf, durch die Initiative der Massen selber, durch ihre aktive Teilnahme am gesamten staatlichen Leben, ohne „Bevormundung" von oben, ohne Bürokratie.

Ersetzung der Polizei, der Bürokratie, des stehenden Heeres durch die allgemeine, ausnahmslose Bewaffnung des Volkes, durch die Miliz, unter Beteiligung unbedingt auch der Frauen, – das ist die praktische Arbeit, die sofort in Angriff genommen werden kann und muss. Je mehr Initiative, Vielseitigkeit, Kühnheit, schöpferische Kraft die Masse hierbei an den Tag legen wird, um so besser. Nicht nur die Proletarier und die Halbproletarier des flachen Landes, – neun Zehntel der ganzen Bauernschaft werden sicherlich mit uns gehen, wenn wir es verstehen, klar, einfach, verständlich, an lebendigen Beispielen und an den Lehren des lebendigen Lebens unseren Vorschlag zu erläutern:

nicht zulassen, dass die Polizei wiederhergestellt wird;

nicht zulassen, dass die Allmacht der Beamten, die faktisch unabsetzbar sind und der Klasse der Grundbesitzer oder Kapitalisten angehören, wiederhergestellt wird;

nicht zulassen, dass das vom Volke getrennte stehende Heer, die sicherste Gewähr für alle Versuche, die Freiheit zu rauben und zur Monarchie zurückzukehren, wiederhergestellt wird;

dem Volke bis in die untersten Schichten die Kunst der Staatsverwaltung lehren, und zwar nicht nur nach Büchern, sondern durch den sofortigen, überall durchzuführenden Übergang zur Praxis, zur Anwendung der Erfahrung der Massen.

Demokratie von unten, Demokratie ohne Beamtentum, ohne Polizei, ohne stehendes Heer, öffentliche Dienstpflicht durch die ausnahmslos bewaffnete, aus dem ganzen Volk zusammengesetzte Miliz, – das ist die Gewähr für eine Freiheit, die keine Zaren, keine braven Generale, keine Kapitalisten mehr nehmen können.

1 Die Tagung der Vertreter der Bauernorganisationen sowie der Räte der Bauerndeputierten fand in Petrograd im Taurischen Palais am 27. (13.) April 1917 statt. Sie befasste sich mit den vorbereitenden Arbeiten zur Einberufung eines Allrussischen Bauernräte-Kongresses und legte die Richtlinien für die Vertretung auf dem Kongress fest; ferner wurde eine organisatorische Leitung gewählt.

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