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Wladimir I. Lenin 19170427 Der Lügenbund

Wladimir I. Lenin: Der Lügenbund

[„Prawda" Nr. 32, 27. (14.) April 1917. Nach Sämtliche Werke, Band 20.1, Wien-Berlin 1928, S. 208-211]

Eine Methode der bürgerlichen Presse erweist sich immer und in allen Ländern vor allen andern als gangbar und „unfehlbar" wirksam: lüge, lärme, schreie, wiederhole die Lüge, – „etwas wird schon hängen bleiben".

Lenin lärmt im Palais der Kschessinskaja, er lärmt so laut er kann", schreibt die „Rjetsch". „Lenin spricht auf dem Meeting im ,Modern'1 vom Dach aus", schreibt eine Reihe von Zeitungen.

Und alles das ist unwahr. In der Versammlung im „Modern" war Lenin gar nicht anwesend. Lenin hat überhaupt keinen Lärm gemacht, denn er hat nur ein Referat vor den Bolschewiki und den Menschewiki2 gehalten und eine Reihe kleiner Artikel in der kleinen Zeitung „Prawda" geschrieben.

Den Lärm machen die Kapitalisten und die Presse der Kapitalisten, sie sind es, die „lärmen, so laut sie können", die sich Mühe geben, die Wahrheit zu überschreien, sie nicht hören zu lassen, alles mit Geschimpfe und Geschrei zu überfluten, jede sachliche Klarlegung zu verhindern.

Darin besteht eben der Versuch der Kapitalisten im gegenwärtigen Moment und ebenso jener Auch-Sozialisten, die, wie Herr Plechanow, ganz auf die Seite der Kapitalisten übergegangen sind.

Gerade heute, in einem besonders „staatswichtigen" Leitartikel zetert die „Rjetsch" wieder einmal gegen das „Predigen der Anarchie", wobei sie besonders auffällig sich selber ins Gesicht schlägt, was für jeden klar ist, der über das Gelesene und Gehörte nachdenkt.

„… Die große Revolution hat die ganze alte Organisation der Macht hinweggefegt…" Das stimmt nicht. Bei weitem noch nicht die ganze. „Sie kann nur wieder hergestellt werden durch einen Umschwung in der Psychologie des Volkes (im weiteren Sinne), – besser gesagt, durch jene neue Psychologie, die anerkennt, dass es auch die Pflicht der Unterordnung geben muss."

Hier habt ihr die offene Lüge, den offenen Lügenbund der Kapitalisten mit den über die Anarchie zeternden Herren Plechanow, Tscherewanin u. Co.

Sowohl in der Wissenschaft als auch im praktischen Sprachgebrauch steht unbestreitbar fest, dass unter Anarchismus die Verneinung des Staates für die Periode des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus zu verstehen ist.

Dass der Sozialismus zum „Absterben" des Staates führt, ist eine Lehre des Marxismus, das kann den Miljukow, Plechanow, Tscherewanin usw., die miteinander einen Lügenbund geschlossen haben, nicht unbekannt sein.

Bestreiten die Prawdisten oder Lenin die Notwendigkeit des Staates jetzt? – die Notwendigkeit der „Organisation der Macht"? – die „Pflicht, sich ihr unterzuordnen"?

Jeder Kundige, wenn er nicht zum Lügenbund gehört, weiß sehr wohl, dass dies nicht der Fall ist.

Klar und deutlich haben es sowohl die „Prawda" als auch Lenin gesagt und wiederholt, dass wir alle unbedingt für die Notwendigkeit des Staates und der Organisation der Macht sind, und zwar nicht nur für den gegenwärtigen Zeitpunkt, sondern auch für den späteren historischen Zeitabschnitt des Überganges vom Kapitalismus zum Sozialismus.

Nur der Lügenbund kann das leugnen oder es nicht sehen.

Es handelt sich nur darum, welche „Organisation der Macht" wir dem Volke vorschlagen

Nicht die alte Machtorganisation, nicht die Polizei, nicht die Bürokratie, nicht das stehende Heer, sondern eine neue – die Räte der Arbeiter-, Soldaten-, Bauern - usw. Deputierten.

Solche Räte bestehen schon, die Revolution hat sie bereits hervorgebracht, und alle, selbst die Regierung der Kapitalisten, haben sie als halbe Staatsgewalt anerkannt.

Und wir haben klar und deutlich gesagt, dass solche Räte die einzig mögliche Form der Revolutionsregierung sind. Was kann unzweideutiger sein als das?

Wenn sie die „einzig mögliche" Form sind – so bedeutet das, dass man so lange nur durch Aufklärung zu wirken hat, bis irgend jemand zu Gewalttaten gegen die Massen übergeht.

Die Notwendigkeit einer Staatsgewalt und die Pflicht der Unterordnung" wird von allen Prawdisten anerkannt und im Volke vertreten.

Die Miljukow, Plechanow, Tscherewanin u. Co. lügen, um dem Volke die Wahrheit zu verhehlen; sie lügen, um die Hauptsache zu verschweigen: die Frage nach dem Klassencharakter der einen oder der anderen Machtorganisation.

Das ist das Wesentliche.

Der Kapitalist nennt die Arbeiter- usw. Deputiertenräte „Anarchie", denn eine solche Organisation der Macht zwingt das Volk nicht von vornherein und bedingungslos unter das Joch der Kapitalisten, sondern gibt ihm Freiheit und Ordnung zusammen mit der Möglichkeit eines friedlichen und allmählichen Überganges zum Sozialismus.

Damit und nur damit sind die Kapitalisten unzufrieden, das empört und erbittert sie. Daher der Lügenbund. Daher die Flut von Verleumdungen und das Wutgeheul.

Daher die versteckte, sich hinter Anspielungen verbergende Pogromagitation der „Rjetsch" in dem genannten Leitartikel, in dem sie zum „Widerstand" aufruft, zur Überwindung der „Gleichgültigkeit", der „Passivität" usw.

Wenn die Mehrheit des Volkes, ihr Herren, für euch ist, wenn euer Bündnis mit dem Rat (in dem wir zur Zeit nicht die Mehrheit haben, das haben wir deutlich ausgesprochen) so fest ist, – was fürchtet ihr dann, ihr Herren, warum lügt ihr?

Wir wollen nur den Arbeitern und ärmsten Bauern die Fehler ihrer Taktik klarmachen. Wir erkennen die Räte als die einzig mögliche Regierung an. Wir propagieren die Notwendigkeit der Staatsmacht und die Pflicht, sich ihr unterzuordnen.

Was fürchtet ihr also, warum lügt ihr?

Ihr fürchtet eben die Wahrheit. Ihr lügt, um durch Pogromhetzen, durch Verleumdung, Gewalt und Schmutz zu verhindern, dass die Wahrheit klargelegt werde.

Das sehen auch schon manche unserer Gegner ein. Lest die heutige Nummer des „Djelo Naroda"3, des Organs der Sozialrevolutionären Partei, an dem der Minister Kerenski mitarbeitet.

Dort lesen wir über Plechanow, den treuesten Verbündeten der „Russkaja Wolja" und der „Rjetsch": „… solche Worte, eine solche Kampfesweise sind wir gewohnt, in den Spalten der „Russkaja Wolja" zu finden. Sie in Artikeln von Sozialisten zu finden, ist, offen gestanden, niederdrückend und schmerzlich …"

So schreiben unsere Gegner.

So schreiben Demokraten, in denen das demokratische Gewissen erwacht ist.

Die Miljukow, Tscherewanin, Plechanow beschämen zu wollen, ist hoffnungsloses Beginnen, aber wenn selbst eine Zeitung, an der der Minister Kerenski mitarbeitet, sich verächtlich abwendet von den wild-chauvinistischen, verleumderisch-schmutzigen, nach Pogromen riechenden Methoden Plechanows, dann können wir sagen:

Die Helden solcher Methoden sind erledigte Leute.

1 Im Zirkus „Modern" in Petrograd pflegten 1917 Massenmeetings abschalten zu werden.

2 Es handelt sich um das Referat von Lenin, das er am Tage nach seiner Ankunft in Russland hielt und in dem er seine Aprilthesen erläuterte.

3 „Djelo Naroda" („Volkssache") – Tageszeitung, Organ des Zentralkomitees der Partei der Sozialrevolutionäre, erschien 1917 in Petrograd. Das Blatt vertrat die Ansichten des sogenannten „Tschernowschen Zentrums" im Gegensatz zur „Wolja Naroda", die das Organ des „rechten" Flügels der Partei war. Bei der in der Sozialrevolutionären Partei herrschenden „Freiheit" der politischen Meinungen und der Buntheit der politischen „Richtungen" erschienen zu gleicher Zeit in Petrograd mehrere Zeitungen dieser Partei, von denen jede eine andere „Richtung" vertrat

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