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Wladimir I. Lenin 19170610 Die Konterrevolution geht zum Angriff über

Wladimir I. Lenin: Die Konterrevolution geht zum Angriff über

Jakobiner ohne Volk"

[„Prawda" Nr. 68, 10. Juni (28. Mai) 1917. Nach Sämtliche Werke, Band 20.2, Wien-Berlin 1928, S. 53-55]

Die Konterrevolution hat ihre Kräfte so weit gesammelt, dass sie zum Angriff übergeht. Mit Hilfe der Minister aus den Parteien der Narodniki und der Menschewiki organisieren die Kapitalisten den Angriff auf die Freiheit.

Der Beschluss, das „45., 46., 47. und 52. Regiment" der 12. und der 13. Division aufzulösen, der Beschluss, die „Anstifter" (welch sonderbares Wort! Sind denn im Kriege die „Anstifter" wichtiger als die „Täter"?) „dem Gericht zu übergeben", und dann zugleich die Nachricht von der Verhaftung des Fähnrichs Krusser wegen einer Rede auf einem Meeting in Skuljany, schließlich der unerhört grobe Ton der Provisorischen Regierung gegenüber Kronstadt1 (die Verordnungen seien „widerspruchslos auszuführen": darf man so mit Bürgern reden, die bis jetzt keines Verbrechens, keiner einzigen widersetzlichen Handlung beschuldigt worden sind?) – alles grell beleuchtet vom bengalischen Licht des schadenfrohen Anwaltes der konterrevolutionären Kapitalisten, der „Rjetsch" („Die Regierung hat endlich begonnen, die Sprache der Macht zu gebrauchen") – alles das zusammengenommen, zeigt deutlich, dass die Konterrevolution zum Angriff übergeht.

Dieser „Angriff" macht einen sonderbaren Eindruck. An der Front werden die „Anstifter zum Ungehorsam" vor Gericht gestellt und vier Regimenter „aufgelöst" (von den im Telegramm genannten acht Regimentern der zwei Divisionen, obwohl, wie dasselbe Telegramm in Nr. 76 der „Iswestija" des Petrograder Rates mitteilt, von diesen acht Regimentern nur eins „vollzählig" und ein weiteres „fast vollzählig" an der Aktion teilgenommen haben).

Wenn ihr, ihr Herren Regierenden, es für nützlich findet, dem Volk von der Auflösung von Regimentern Mitteilung zu machen, wenn ihr Telegramme darüber durchlasst, warum teilt ihr dann nicht genau und klar, wenigstens in einigen Zeilen, mit, welche Beweggründe diejenigen, die ihr vor Gericht stellt, zum Ungehorsam veranlasst haben?

Von zwei Dingen eins, meine Herren: entweder handelt im Stillen, ihr habt ja Militärzensoren, bemüht euch nicht, die Öffentlichkeit zu unterrichten, und beunruhigt sie nicht durch eure Mitteilungen.

Oder aber, wenn ihr beschlossen habt, Mitteilungen zu machen, dann sagt, worum es sich eigentlich handelt? Wie, wodurch, weswegen? Verweigern die, die ihr vor Gericht gestellt habt, den Gehorsam in privaten oder in öffentlichen Angelegenheiten?

Unklarheit ist schädlich.

Was aber die Verhaftung Krussers betrifft, so ist die Sache ganz klar: der Mann wurde wegen einer Rede auf einem Meeting ins Gefängnis geworfen – ist das vernünftig? Heißt das nicht geradezu den Kopf verlieren? Ihr Herren Kadetten und Rechten, die ihr im Ministerium mit den Narodniki und Menschewiki vereinigt seid, habt ja zehn- oder gar hundertmal mehr Tageszeitungen zur Verfügung als eure Gegner!! Und bei einem solchen Übergewicht des wichtigsten Agitationsmittels einen „wegen einer Rede in einer Versammlung" ins Gefängnis werfen!! Solltet ihr Herrschaften wirklich vor Angst den Verstand verloren haben?

Wir sind keine Gegner der revolutionären Gewalt im Dienste der Volksmehrheit.

Als Plechanow dieser Tage an die Jakobiner von 1793 und ihre offene Erklärung: „Volksfeinde sind die und die" erinnerte, dachten wir: keine einzige Partei dürfte in diesem, von Plechanow gewählten Punkte gegen eine Nachahmung der Jakobiner von 1793 etwas einzuwenden haben.

Die Sache ist nur die, dass es Jakobiner und „Jakobiner" gibt. Eine geistreiche französische Redensart, deren sich Plechanow vor zwanzig Jahren, als er noch Sozialist war, gerne erinnerte, verspottet die „Jakobiner ohne Volk" (Jacobins moins le peuple).

Die historische Größe der wahren „Jakobiner", der Jakobiner von 1793, bestand darin, dass sie „Jakobiner mit dem Volke" waren, mit der revolutionären Mehrheit des Volkes, den revolutionären fortschrittlichen Klassen ihrer Zeit.

Lächerlich und erbärmlich sind die „Jakobiner ohne Volk", jene, die sich nur als Jakobiner gebärden, die Angst haben, klar, offen, für alle vernehmlich, die Ausbeuter, die Unterdrücker des Volkes, die Knechte der Monarchie in allen Ländern, die Anhänger der Junker in allen Ländern für Feinde des Volkes zu erklären.

Ihr habt Geschichte studiert, ihr Herren Miljukow und Plechanow, könnt ihr etwa bestreiten, dass die großen Jakobiner von 1793 keine Angst hatten, gerade die Vertreter der reaktionären, ausbeutenden Minderheit des Volkes ihrer Zeit, gerade die Vertreter der reaktionären Klassen ihrer Zeit für Feinde des Volkes zu erklären?

Ihr, die heutige Regierung, ihre Helfershelfer, Verteidiger und Diener, könnt ihr offen, direkt, offiziell sagen, welche Klassen ihr in der ganzen Welt als „Volksfeinde" betrachtet?

Aber wo! Ihr seid Jakobiner ohne Volk. Ihr gebärdet euch nur als Jakobiner, ihr gleicht eher den Durchschnittsvertretern der Durchschnittsreaktion der Grundbesitzer und Kapitalisten.

Arbeiter und Soldaten! Werktätige! Die Konterrevolution der Grundbesitzer und Kapitalisten geht zum Angriff über! Keine einzige Stimme irgendeiner der Regierungsparteien, keine Stimme den an der Regierung beteiligten Parteien!

Stimmt für die Bolschewiki!

1 Kronstadt war im Jahre 1917 einer der wichtigsten revolutionären Mittelpunkte. Die Matrosen der baltischen Flotte, die Garnison von Kronstadt und die Werkstättenarbeiter waren bereits im Frühjahr außerordentlich revolutionär gestimmt und fest um ihren Rat organisiert. Die bolschewistische Organisation besaß großen Einfluss auf die Massen. Anlässlich eines Konfliktes zwischen dem Rat und dem Regierungskommissar von Kronstadt, Pepelajew, hatte der Kronstädter Rat am 30. (17.) Mai 1917 eine Resolution gefasst, wonach das Amt des Regierungskommissars aufzuheben und die gesamte Macht dem Kronstädter Rat zu übergeben ist. Die Resolution lautete: „Die einzige Macht in Kronstadt ist der Rat der Arbeiter- und Soldatendeputierten, der in allen Angelegenheiten staatlicher Natur mit dem Petrograder Rat der Arbeiter- und Soldatendeputierten in unmittelbare Verbindung tritt." Die Resolution wurde von Parteilosen eingebracht und von der parteilosen Mehrheit des Rates mit Unterstützung der Bolschewiki und der linken Sozialrevolutionäre angenommen. Die Provisorische Regierung posaunte darauf den „Abfall Kronstadts" vom russischen Reich in die Welt hinaus. Die bürgerliche und die menschewistisch-sozialrevolutionäre Presse erhob ein Geschrei über die Gründung einer „Kronstädter Republik". Zur Beilegung des Konfliktes fuhren zunächst die Vertreter des Petrograder Rates Tschcheïdse, Götz u.a. nach Kronstadt, und später die Minister Zeretelli und Skobelew, denen es gelang, mit dem Kronstädter Rat einen Kompromiss zu schließen. Es wurde vereinbart, dass der Kronstädter Rat einen Kandidaten für den Posten des Regierungskommissars namhaft macht, der von der Provisorischen Regierung bestätigt wird. Außerdem wurde noch folgende Resolution allgemein-politischer Art angenommen: „In Beantwortung der Frage der Vertreter der Provisorischen Regierung, I. G. Zeretelli und M. I. Skobelew, über die Stellung zur Zentralgewalt erklärt der Kronstädter Rat der Arbeiter- und Soldatendeputierten: ,Wir unsererseits erkennen diese Gewalt vollkommen an. Die Anerkennung schließt natürlich die Kritik nicht aus und den Wunsch, dass die revolutionäre Demokratie eine neue Organisation der Zentralgewalt schaffe, indem sie die gesamte Macht in die Hände der Räte der Arbeiter- und Soldatendeputierten legt. Wir hoffen, dass es uns durch geistige Beeinflussung der Auffassungen der Mehrheit der Demokratie gelingen wird diese Mehrheit auf den Weg zu bringen, der von uns als der einzig richtige angesehen wird. Doch solange dies nicht erreicht ist, solange die Mehrheit mit uns nicht einverstanden ist und die heutige Provisorische Regierung unterstützt, erkennen wir diese Regierung an und betrachten ihre Verordnungen und Gesetze als ebenso gültig für Kronstadt wie für alle übrigen Teile Russlands'…" („Iswestija" des Petrograder Rates, Nr. 74 vom 7. Juni [25. Mai] 1917.) Lenin missbilligte die vorzeitige Aktion der Kronstädter; die weitere Arbeit der bolschewistischen Fraktion sowie die Verhandlungen über die Beilegung des Konflikts erfolgten dann unter seiner unmittelbaren Leitung.

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