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Wladimir I. Lenin 19171012 Die Krise naht der Lösung

N. Lenin: Die Krise naht der Lösung

[Nach Bote der Russischen Revolution. Organ der ausländischen Vertretung des Zentralkomitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki) Nr. 8, 3. Nov. 1917, S. 1-3]

In Russland ist die Revolution zweifelsohne an den Wendepunkt angelangt.

In einem Bauernlande, unter einer revolutionären, republikanischen Regierung, die von den Parteien der Soz.-Rev. und Menschewiki unterstützt wird, von Parteien, die noch vor kurzem die Mehrheit des Kleinbürgertums hinter sich hatten, wächst jetzt ein Bauernaufstand. Es ist unglaublich, und doch ist es Tatsache.

Uns, Bolschewiki, wunderte diese Tatsache nicht, wir sagten immer, dass die Politik der berühmten „Koalition" mit der Bourgeoisie, eine Politik des imperialistischen Krieges, eine Politik der Beschützung der Kapitalisten und Junker vor dem Volke ist.

In Russland existiert dank dem Verrat der Soz.-Rev. und Menschewiki neben der Regierung der Sowjets eine Regierung der Kapitalisten und Junker. Was ist [es] zu verwundern, dass in Russland bei dem grenzenlosen Elend, das die Weiterführung des imperialistischen Krieges dem Volke gebracht hat, bei all den Folgen des Krieges ein Bauernaufstand losbrach und wächst?

Wo ist da Platz für Verwunderung, wenn die Gegner der Bolschewiki, die Führer der offiziellen Partei der Soz.-Rev., die die „Koalition" immer unterstützte, derselben Partei, die noch vor wenigen Tagen, oder wenigen Wochen, die Mehrheit des Volkes beherrschte, – der Partei, die heute noch die „neuen", linken Soz.-Rev., die sich überzeugt haben, dass die Politik der Koalition ein Verrat an den Interessen des Bauerntums ist, beschimpft und bekämpft – wenn diese Führer der offiziellen Soz.-Rev., am 29 September in einem redaktionellen Leitartikel des „Djelo Naroda!', ihres offiziellen Organs, folgendes schreiben:

… „Bis jetzt wurde fast nichts zur Beseitigung der sklavischen Verhältnisse, die bis jetzt noch auf dem Lande, besonders in Zentral-Russland herrschen, – getan … Das Gesetz über die Neuordnung der Agrarverhältnisse auf dem Lande, das längst schon der Prov. Regierung vorgelegt wurde und sogar das Fegefeuer des juristischen Beirats glücklich passierte, ist irgendwo in den Tiefen der Kanzleien hoffnungslos verschwunden. … Sind wir nicht im Recht zu behaupten, dass unsere republikanische Regierung noch bei weiten nicht frei, von den alten zarischen Regierungssitten ist und dass die Stolypinschen Methoden in den Manieren der revolutionären Minister noch weiterleben?"

So schreiben die offiziellen Soz.- Revolutionäre. Beachtet doch eins: die Anhänger der Koalition sind genötigt zuzugeben, dass nach 7 Monaten der Revolution, in einem Bauernlande fast nichts getan ist „zur Beseitigung der Sklaverei" der Bauern, zur Befreiung von den Junkern.

Die Soz.-Rev. sind es, die genötigt sind ihren Kollegen, den Herren Kerenski und seine ganze Bande von Ministern, als Politiker vom Schlage Stolypins zu beschimpfen.

Könnte man denn ein besseres Zeugnis aus dem Lager unserer Gegner finden, das beweist, nicht nur dass die Politik der Koalition zusammengebrochen ist, nicht nur, dass die Soz.-Rev., die in ihrer Mitte einen Kerenski dulden, zum Niveau einer volksfeindlichen, einer bauernfeindlichen, einer konterrevolutionären Partei gesunken sind, sondern auch dass die russische Revolution an einem Wendepunkt angelangt ist?

Ein Bauernaufstand in einem Bauernlande gegen eine Regierung des Sozialisten-Revolutionärs Kerenski, gegen die Menschewiki Nikitin und Gwosdjew, gegen die anderen Minister– Vertreter des Kapitals und der Junker! – das ist die Lage. Die Niederwerfung dieses Aufstandes durch Militär, auf Geheiß der republikanischen Regierung – das ist die Konsequenz dieser Lage! Kann man angesichts dieser Tatsachen ein ehrlicher Anhänger der proletarischen Sache sein, und gleichzeitig verneinen, dass die Krise reif ist, dass die Revolution am Wendepunkt ist, und dass der Sieg der Regierung über die Bauern das Begräbnis der Revolution, der Triumph der Konterrevolution wäre?

Es ist klar, dass, wenn in einem Bauernlande, nach 7 Monaten einer demokratischen Republik es zu einem Bauernaufstand kommen konnte, dies ein unwiderlegbarer Beweis eines allgemeinen Zusammenbruches der Revolution, einer tiefen Krise, einer Offensive der Konterrevolution „bis zum Äußersten“ ist.

Das ist vollkommen klar. Angesichts der Tatsache eines Bauernaufstandes haben alle anderen politischen Symptome, auch wenn sie gegen eine Zuspitzung der allgemeinen Krise sprechen würden, überhaupt keine Bedeutung. Aber alle Symptome weisen im Gegenteil daraufhin, dass eine tiefe Krise zur Lösung heranreift.

Nach der Agrarfrage hat für das innenpolitische Leben Russlands, für das Kleinbürgertum besonders, die nationale Frage eine sehr große Bedeutung. So sehen wir auch, dass auf der Demokratischen Beratung, die doch von Herren Zeretelli und Co präpariert wurde, die „nationale" Kurie ihrem Radikalismus nach nur der der Gewerkschaften nachgibt: sie steht auf der zweiten Stelle, auf der dritten stehen die Arbeiter und Soldatenräte, dem Prozent der Stimmen, die gegen die Koalition abgegeben wurden, nach (40 auf 55). Aus Finnland führt die Regierung Kerenski, die Regierung der Niederzwingung des Bauernaufstandes, die revolutionären Armeen weg, um die reaktionäre finnische Bourgeoisie zu stützen. In der Ukraine mehren sich die allgemeinen Konflikte, wie die Konflikte der ukrainischen Regimenter mit der Regierung von Tag zu Tag.

Nehmen wir weiter die Armee, die in Kriegszeiten eine besonders große Rolle in dem Staatsleben spielt. Hier sehen wir die vollkommene Abwendung von der Regierung der Finnländischen Armee und der Baltischen Flotte. Wir hören den Bericht des Offiziers Dubassow, keines Bolschewiki, der in Namen der ganzen Front spricht, und viel entschiedener als die Bolschewiki darüber spricht, dass die Soldaten den Krieg nicht weiter führen werden.

Wir lesen die Regierungsberichte darüber, dass die Stimmung unter den Soldaten „nervös" ist, und dass man für „Ordnung" nicht bürgen kann d. h. man ist nicht sicher, ob sich die Soldaten zur Niederknüppelung der aufständischen Bauern missbrauchen lassen werden. Wir sehen endlich die Abstimmung in Moskau, wo von 17 Tausend Soldaten 14 Tausend für die Bolschewiki stimmen. Überhaupt ist diese Wahlabstimmung zu den Rayonskommunalversammlungen eins der beweiskräftigsten Symptome der Tiefe des Umschwunges in der allgemeinen Stimmung. Dass Moskau viel kleinbürgerlicher ist als Petrograd, ist allgemein bekannt. Dass das Moskauer Proletariat viel nähere Beziehungen zu den Bauern, mehr bäuerliche Sympathien hat, viel intimer die Bauernstimmung widerspiegelt, ist eine alte und bewiesene Tatsache. Und ausgerechnet in Moskau, fallen die Stimmzahlen für die Soz.-Rev und Menschewiki von 70% im Juli auf 18% um Oktober. Das Kleinbürgertum ist gegen die Koalition, das Volk ist gegen die Koalition, hier ist jeder Zweifel unmöglich. Die Kadetten steigen von 17% auf 30%, sie bleiben nichtsdestoweniger die Minderheit, eine hoffnungslose Minderheit, obwohl offenbar die „rechten" Soz.-Rev. und die „rechten“ Menschewiki sich zu ihnen geschlagen haben. Und die „Russkija Wjedomosti" verzeichnen, dass absolut die Stimmenzahl der Kadetten gefallen ist. Sie hatten 67 Tausend Stimmen gegenüber der 62 Tausend von jetzt. Nur die Bolschewiki haben einen Stimmenzuwachs: von 34 Tausend auf 82 Tausend. Sie bekamen 47 % aller Stimmen.

Dass wir zusammen mit den linken Soz.-Rev., jetzt die Mehrheit in den Sowjets, in der Armee, und im Lande haben, unterliegt keinem Zweifel.

Zu den Anzeichen, die nicht nur eine symptomatische, sondern eine ganz reelle Bedeutung besitzen, gehört auch die Tatsache, dass die Armee der Eisenbahner und der Postbeamten, die eine ungeheure Rolle in dem ökonomischen, wie politischen Leben des Landes spielen, in einem scharfen Konflikt mit der Regierung verbleibt, wobei sogar die menschewistischen Sozialpatrioten mit „ihren" Minister Nikitin nicht zufrieden sind und die offiziellen Soz.-Rev. Kerenski und Co. „Stolypinsche Gestalten" nennen.

Es ist klar, dass wenn eine solche „Unterstützung" der Regierung seitens der Menschewiki und der Soz.-Rev. eine Bedeutung hat, so ist es eine negative.

Ja, die Führer des Zentral-Vollzugsausschusses treiben eine regelrechte Politik der Verteidigung der Bourgeoisie und der Junker. Und es unterliegt keinem Zweifel, dass Bolschewiki, die sich in die Falle der konstitutionellen Illusionen, des „Glaubens" an die Einberufung der Konstituierenden Versandung, der „Erwartung" des Kongresses aller Sowjets usw. fangen ließen, dass solche Bolschewiki nur armselige Verräter an der Sache des Proletariats wären.

Die Niederzwingung des Bauernaufstandes durch eine Regierung, die sogar das „Djelo Naroda" mit Stolypin vergleicht, zu dulden, heißt die Revolution zu verderben. Sie faseln von der Anarchie, von der Gleichgültigkeit der Massen: die Massen sollen nicht gleichgültig den Wahlen gegenüber sein, wenn das Bauerntum zu einem Aufstand greifen muss, und die „revolutionäre Demokratie" die Niederwerfung des Aufstandes duldet.

Die Niederwerfung des Aufstandes in diesem Momente zu dulden, heißt die Erlaubnis zur Fälschung der Wahlen zur Konstituierenden Versammlung zu geben, die noch schlimmer, noch unverschämter sein wird, als das schon bei den Wahlen zu der Demokratischen Beratung und zum Vorparlament der Fall war.

Die Krise naht der Lösung. Die ganze Zukunft der russischen Revolution steht auf dem Spiele. Auf dem Spiele steht die ganze Zukunft der internationalen, proletarischen sozialistischen Revolution.

Die Krise naht der Lösung.

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