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Wladimir I. Lenin 19170704 Die Revolution, die Offensive und unsere Partei

Wladimir I. Lenin: Die Revolution, die Offensive und unsere Partei

[„Prawda" Nr. 87, 4. Juli (21. Juni) 1917. Nach Sämtliche Werke, Band 20.2, Wien-Berlin 1928, S. 206-208]

Die russische Revolution ist an einem Wendepunkt angelangt – sagte Zeretelli, als er dem Rätekongress von der begonnenen Offensive Mitteilung machte1. Ja, ein Wendepunkt nicht nur für die russische Revolution, sondern auch für den ganzen Verlauf des Weltkrieges. Die russische Regierung hat sich nach dreimonatigem Schwanken tatsächlich zu dem Entschluss durchgerungen, den die Regierungen der „Alliierten" von ihr gefordert haben.

Die Offensive wurde im Namen des Friedens verkündet. Doch „im Namen des Friedens" werfen die Imperialisten aller Länder die Truppen in die Schlacht: bei jedem Angriff versuchen die Generale in jedem der kämpfenden Länder den Geist der Soldaten durch die lebendige Hoffnung zu heben, dass die betreffende Offensive auf dem raschesten Wege zum Frieden führen werde.

Diese bei allen Imperialisten übliche Methode haben die russischen „sozialistischen" Minister mit laut tönenden Redensarten ausgeschmückt, in denen die Worte Sozialismus, Demokratie, Revolution wie Schellen in den Händen eines geschickten Jongleurs erklingen. Durch keine noch so laut tönenden Phrasen kann die Tatsache verhüllt werden, dass die revolutionäre Armee Russlands ins Feuer geschickt worden ist für die Ziele der Imperialisten Englands, Frankreichs, Italiens, Japans, Amerikas. Keine Sophismen Tschernows, des einstigen Zimmerwalders und jetzigen Partners von Lloyd George, können die Tatsache verbergen, dass, wenn auch die russische Armee und das russische Proletariat tatsächlich keine Eroberungsziele verfolgen, dies nicht das Geringste an dem imperialistischen, räuberischen Charakter des Kampfes der beiden Welttrusts ändert. Solange die Geheimverträge nicht revidiert sind, die Russland mit den Imperialisten der anderen Länder verbinden, solange die Ribot, Lloyd George und Sonnino, als Verbündete Russlands, fortfahren, von den Annexionszielen ihrer Außenpolitik zu reden, so lange ist und bleibt die Offensive des russischen Heeres ein Dienst, der den Imperialisten erwiesen wird.

Aber wir haben ja mehrfach erklärt, dass wir auf jegliche Annexionen verzichten, erwidern die Zeretelli und Tschernow. Umso schlimmer, sagen wir: eure Worte stimmen also nicht mit euren Taten überein, denn in Wirklichkeit dient ihr dem russischen wie dem ausländischen Imperialismus. Sobald ihr aber beginnt, den „verbündeten" Imperialismus aktiv zu unterstützen, erweist ihr vortreffliche Dienste der russischen Konterrevolution. Die Freude aller Reaktionäre und Konterrevolutionäre über die entschiedene Wendung in eurer Politik legt hierfür das beste Zeugnis ab. Ja, die russische Revolution steht an einem Wendepunkt. Die russische Regierung hat durch ihre „sozialistischen" Minister das zustande gebracht, was die imperialistischen Minister Gutschkow und Miljukow nicht fertig bringen konnten: sie hat die russische Armee den Generalstäben und Diplomaten zur Verfügung gestellt, die im Namen und auf der Grundlage der nicht aufgehobenen Geheimverträge handeln, im Namen der Ziele, die von Ribot und Lloyd George offen verkündet werden. Doch konnte die Regierung diese Aufgabe nur deshalb durchführen, weil die Armee ihr vertraute, ihr folgte. Sie ging in den Tod, im Glauben, dass ihre Opfer dargebracht würden für die Freiheit, für die Revolution, für die Beschleunigung des Friedensschlusses. Aber die Armee war deshalb dazu bereit, weil sie nur ein Teil des Volkes ist, das in dieser Etappe der Revolution den Sozialrevolutionären und Menschewiki folgte. Diese allgemeine und grundlegende Tatsache, das Vertrauen der Mehrheit zu der kleinbürgerlichen, von den Kapitalisten abhängigen Politik der Menschewiki und Sozialrevolutionäre, ist bestimmend für die Stellung und das Verhalten unserer Partei.

Mit unermüdlicher Energie werden wir fortfahren, die Politik der Regierung zu entlarven, nach wie vor die Arbeiter und Soldaten vor den unsinnigen Hoffnungen auf vereinzelte, desorganisierte Aktionen entschieden zu warnen.

Es handelt sich um eine Etappe in der allgemeinen nationalen Revolution. Die in Abhängigkeit vom Imperialismus geratenen Zeretelli und Tschernow fördern die Etappe der kleinbürgerlichen Illusionen, der kleinbürgerlichen Redensarten, hinter denen sich derselbe zynische Imperialismus verbirgt.

Diese Etappe muss überwunden werden. Wir wollen helfen, sie möglichst rasch und schmerzlos zu überwinden. Sie wird das Volk zur Befreiung von den letzten kleinbürgerlichen Illusionen, zum Übergang der Macht in die Hände der revolutionären Klasse führen.

1 Die lange von der Provisorischen Regierung und dem menschewistisch-sozialrevolutionären Block auf Verlangen der Ententemächte vorbereitete Offensive an der Front begann am 1. Juli (18. Juni) 1917. Nachdem Kerenski die Front bereist und die Truppen in Hunderten von Versammlungen zur Offensive überredet hatte, ging die Armee an der West- und Südwestfront zum allgemeinen Angriff über. Der Angriff brachte in den ersten zwei Tagen Anfangserfolge, einige tausend Österreicher wurden gefangen genommen, aber die technisch schwach vorbereitete und schlecht geleitete Offensive verwandelte sich bald in eine schwere Niederlage für die russische Armee und die imperialistische Politik der Provisorischen Regierung. Die russischen Truppen waren nicht nur gezwungen, den gewonnenen Boden wieder preiszugeben, sie mussten noch beträchtlich zurückgehen und verloren sehr viel an Toten und Gefangenen. Der Anfangserfolg löste bei der Bourgeoisie und den Kompromisslern große Begeisterung aus, die aber bald einer Kopflosigkeit Platz machte. Am 2. Juli (19. Juni) hielt Zeretelli auf dem Rätekongress eine patriotische Rede „Über die Offensive unserer Armee", auf die sich der Artikel Lenins bezieht. Von diesem Zeitpunkt an begannen die Bolschewiki, die in den Petrograder Fabriken und Regimentern bereits die Führung hatten, stark zu wachsen und gewannen außerordentlichen Einfluss auf die Armee. Die Front holte rasch das revolutionäre Petrograd ein.

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