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Wladimir I. Lenin 19170613 Die Verhöhnung des Volkes durch die Kapitalisten

Wladimir I. Lenin: Die Verhöhnung des Volkes durch die Kapitalisten

[„Prawda" Nr. 69, 13. Juni (31. Mai) 1917. Nach Sämtliche Werke, Band 20.2, Wien-Berlin 1928, S. 78-81]

Am 23. Mai ist die Konferenz der Vertreter der Kapitalisten und der Arbeiter der Bergindustrie des Südens geschlossen worden1.

Die Konferenz ist ausgegangen wie das Hornberger Schießen. Die Herren Kapitalisten erklärten alle Forderungen der Arbeiter für unannehmbar. Die Arbeiterdelegation, die an der Konferenz teilnahm, hat eine Erklärung veröffentlicht, dass sie jede Verantwortung für etwa eintretende Komplikationen ablehnt.

Es ist klar wie der Tag. Die Krise ist keineswegs beseitigt. Die Unternehmer sind keineswegs gebändigt.

Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre, zu lesen, dass beschlossen worden ist, noch eine Kommission aus Vertretern der Regierung und Vertretern beider Parteien (!!) einzuberufen, dass die Unternehmer schon jetzt um Preisaufschläge ersucht haben!!!

Damit die Leser sich eine möglichst anschauliche Vorstellung machen können, wie sehr die Herren Kapitalisten das Volk verhöhnen, wollen wir einige Stellen aus einer ministeriellen Zeitung (d. h. der Zeitung einer Partei, die ihre Vertreter im Ministerium hat) zitieren.2

Die angekommene Arbeiterdelegation (der Bergindustrie des Südens) unterrichtete die Ökonomische Abteilung des Exekutivkomitees des Arbeiter- und Soldatenrates über den wirklichen Stand der Dinge, und auf Grund dieser Information können wir mitteilen, dass die Zahlen, die N. N. Kutler nach Mitteilungen der Industriellen angeführt hatte, gar keinen Glauben verdienen.

Die Kohlenindustriellen erzielten auch vor der Revolution ungeheure Profite, und trotzdem feilschten sie damals mit der alten Regierung um eine Erhöhung des Requisitionspreises für Kohle. Die Kohlenindustriellen verlangten einen Zuschlag von 5 Kopeken, und meinten 3 Kopeken, die die alte Regierung ihnen auch bewilligt hatte. Von der revolutionären Provisorischen Regierung aber gelang es ihnen schon in den ersten Tagen der Revolution gleich einen Zuschlag von 8 Kopeken zu bekommen, wobei dieser Zuschlag auch auf die alten Lieferungen an die Eisenbahn und die Requisitionen vom Januar an ausgedehnt wurde; dann gelang es ihnen nochmals 3 Kopeken bewilligt zu bekommen, im ganzen also 11 Kopeken.

Der Requisitionspreis vor der Revolution betrug 18 Kopeken, jetzt 29 Kopeken. Die Verträge mit der Regierung wurden früher zu 22 Kopeken für das Pud abgeschlossen, jetzt zu 33 bis 34 und mehr Kopeken …"

Ist das denn nicht eine unerhörte Verhöhnung des Volkes durch die Kapitalisten?

Aus Anlass der Revolution wirft die Kapitalistenregierung, die sich „revolutionär" nennt und durch diesen „ruhmvollen" Namen das unwissende Volk betrügt, den Kapitalisten immer mehr und mehr Zuschläge in den Schoß! Steckt sie ihnen immer neue und neue Millionen in die Tasche!

Das Land steht vor dem Untergang; zehn Kapitalisten, Mitglieder der Provisorischen Regierung, leisten den Unternehmern, die Land und Volk ausplündern, Vorschub und steigern so die ohnehin schon unermesslichen Profite des Kapitals.

Das Ministerium für Handel und Industrie ist der Gefangene des Kongresses der Bergindustriellen Südrusslands; angesichts der Katastrophe, der die Industrie des Südens entgegengeht, ergreift es nicht nur keine Maßnahmen zur Abwehr der Katastrophe, sondern es unterordnet sich in seinen Handlungen systematisch dem Druck der Industriellen des Südens."

So schrieb dieselbe ministerielle Zeitung, das Organ der Menschewiki, die „Rabotschaja Gazeta", am 14. Mai 1917, über eine Woche nach der Bildung des Koalitionsministeriums.

Und seitdem hat sich rein gar nichts geändert.

Die ministerielle Zeitung war aber gezwungen, noch schlimmere Tatsachen zuzugeben. Man höre:

„…Die Industriellen üben passive Resistenz. Sie ergreifen absichtlich keine Maßnahmen. Man braucht eine Pumpe, aber sie wird nicht herbeigeschafft; man braucht Netze für die Lampen, sie werden nicht angeschafft. Die Industriellen wollen keine Steigerung der Produktion. Sie wollen aber auch kein Geld für die notwendigsten Ausbesserungen, für die Wiederherstellung der verschleißten Ausrüstung der Betriebe usw. ausgeben. Die Maschinen sind abgenutzt, bald wird man mit ihnen nicht mehr arbeiten können.

Die Arbeiter gehen häufig, wenn man ihnen sagt, dass dies oder jenes nicht zu kaufen sei, selbst auf die Suche nach den notwendigen Werkzeugen und finden sie. Die Unternehmer ergreifen keine Maßnahmen zum Abtransport der erzeugten Produkte – der Kohle, des Eisens. Dutzende und Hunderte von Millionen dieser Produkte liegen nutzlos da, während das Land ihrer so dringend bedarf."

Das hat ein ministerielles Blatt geschrieben, das Blatt der Partei der Menschewiki, der Zeretelli und Skobelew angehören.

Das ist doch geradezu eine Verhöhnung des Volkes durch die Kapitalisten! Das ist doch ein Irrenhaus: die Kapitalisten in trautem Verein mit dem bürgerlichen Teil der Provisorischen Regierung (in der die Menschewiki und Sozialrevolutionäre sitzen); die Kapitalisten hemmen, stören die Arbeit, sie ergreifen keine Maßnahmen zum Abtransport der Produkte, ohne die das Land zugrunde geht.

Ohne Kohle müssen die Fabriken und Eisenbahnen zum Stillstand kommen. Die Arbeitslosigkeit wächst, es wächst der Warenmangel. Die Bauern können das Getreide nicht umsonst hergeben. Eine Hungersnot ist unvermeidlich.

Und das alles machen die Kapitalisten, die im Bunde mit der Regierung stehen!!

Und das alles wird von den Narodniki, den Sozialrevolutionären und Menschewiki geduldet!! Sie beschränken sich auf Worte, sie haben über die Verbrechen der Kapitalisten bereits am 14. Mai geschrieben. Heute haben wir den 31. Mai. Über zwei Wochen sind vergangen. Alles bleibt beim Alten. Die Hungersnot rückt immer näher heran.

Um aber die Verbrechen der Kapitalisten zu decken, um die Aufmerksamkeit des Volkes abzulenken, gießen alle Zeitungen der Kapitalisten: „Rjetsch", „Djen"3, „Nowoje Wremja", „Russkaja Wolja", „Birschowka"4, „Jedinstwo" Tag für Tag Schmutzkübel von Verleumdungen und Lügen über die „Bolschewiki" aus … Die Bolschewiki sollen Schuld daran sein, dass zwischen der Regierung und den Kohlenindustriellen ein stilles Übereinkommen besteht, dass sie die Produktion sabotieren und lahmlegen!!

Ja, das würde einem Irrenhaus ähnlich sein, wenn die Theorie des Klassenkampfes, wenn die internationale Erfahrung des Klassenkampfes uns nicht sagte: um der Verteidigung ihrer Profite willen machen die Kapitalisten und ihre Regierung (die von den Menschewiki unterstützt wird) auch vor einem Verbrechen nicht halt.

Wie lange soll das noch dauern? Muss denn wirklich erst die Katastrophe überall hereingebrochen sein, müssen denn Hunderte und Tausende von Menschen erst Hungers gestorben sein?

1 Die Konferenz der Vertreter der Bergindustriellen und der Arbeiter Südrusslands, die im Mai 1917 in Petrograd tagte und sich mit Lohnfragen und anderen Arbeiterforderungen beschäftigte, verlief ergebnislos, da die Kapitalisten sich weigerten, irgendwelche Zugeständnisse zu machen. Die Arbeiterdelegation behauptete, dass eine Erhöhung der Löhne „in erheblichem Maße oder sogar ganz auf Kosten des Unternehmergewinns erfolgen" könne, also ohne dass die Kohlenpreise erhöht zu werden brauchten. Die Vertreter der Kapitalisten verlangten dagegen eine sofortige Erhöhung der festgesetzten Kohlenpreise. Es wurde beschlossen, eine Regierungskommission zu bilden, unter Hinzuziehung von Vertretern beider Parteien, um an Ort und Stelle die Arbeitsbedingungen und die Selbstkosten der Produktion zu untersuchen. Die Arbeiter veröffentlichten folgende Erklärung: „Die Arbeiterdelegation stellt fest, dass das einzige praktische Ergebnis der Beratungsarbeit in Petrograd die Ernennung einer besonderen Kommission zur Klarstellung der Arbeitsbedingungen und der Produktionskosten ist, und dass die Industriellen es nicht für möglich erachteten, der vom Vertreter des Arbeitsministeriums vorgeschlagenen provisorischen Festsetzung der Arbeitslöhne zuzustimmen; sie erklärt, dass sie die Verantwortung für etwaige Komplikationen im Bergbaugebiet des Südens ablehnt und dass die Arbeiterdelegation ihrerseits alle Anstrengungen machen wird, damit der ruhige Verlauf der Arbeit in den Fabriken und Bergwerken keine Störung erfahre." Die Delegation der Industriellen antwortete mit einer Gegenerklärung: „Eine Erhöhung der Arbeitslöhne in dem von der Arbeiterkonferenz geforderten Umfange wird zu einer so katastrophalen Steigerung der Selbstkosten von mineralischem Brennstoff, von Roheisen, Gusseisen und anderen Industriefabrikaten und damit auch aller anderen Gegenstände der Industrie und des Bedarfs der breiten Massen führen, dass diese Frage ihrem Umfang und ihrer Bedeutung nach den Charakter einer allgemein-staatlichen und nationalen Frage gewinnt. Infolgedessen sind die Industriellen nicht nur nicht imstande, sondern sie halten sich auch nicht für berechtigt, die in den Forderungen der Arbeiterkonferenz aufgerollte Frage zu entscheiden; sie können die Verantwortung für die Folgen einer unvermeidlichen Steigerung der Erzeugungskosten und einer Erschütterung des Wirtschaftslebens des Landes, die entstehen können nicht übernehmen."

2 Das Zitat stammt aus dem Artikel „Das Land ist in Gefahr" in der „Rabotschaja Gazeta" Nr. 56 vom 27. (14.) Mai 1917.

3 „Djen" („Der Tag") – Tageszeitung in Petrograd. Das Blatt entstand noch unter dem Zarismus im Jahre 1912 mit finanzieller Unterstützung der Banken und befand sich in den Händen der menschewistischen Liquidatoren. Im Jahre 1917 trug das Blatt den Untertitel: „Organ des sozialistischen Gedankens", war aber in Wirklichkeit das Organ des linken Flügels der liberalen Bourgeoisie. Leitender Redakteur war A. Potressow.

4 „Birschewije Wjedomosti" („Börsenzeitung") – ein Boulevardblatt in Petrograd, erschien zweimal täglich. Wurde gewöhnlich kurzweg „Birschowka" genannt

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